Auschwitz mobil, die Verbrechen der Wehrmacht, aus: Michael Schneider,
Das "Unternehmen Barbarossa"
"Wehrmachtshilfe für die SS, Beihilfe zum Völkermord
Zu den unverwüstlichen Legenden über den Ruálandfeldzug gehört
bis heute die Behauptung, die deutsche Wehrmacht habe im Osten einen rein "militärischen
Krieg" geführt, während die Vernichtungsaktionen, von denen der normale
Kriegsteilnehmer ohnehin nichts gewuát habe, allein von dem im Rücken
der Front operierenden Einsatzkommandos der SS und des SD verübt worden seien;
eine Behauptung, die das kollektive Rechtfertigungsbedürfnis der deutschen
Kriegsteilnehmer ebenso hartnäckig zementiert hat wie die populäre Memoirenlitaratur
ehemaliger Wehrmachtsangehöriger. Der Tenor all dieser Bücher lautet,
es hätte jedem soldatischen Empfinden widersprochen, die Kommissare nach ihrer
Gefangennahme einfach zu erschieáen. Eine unsoldatische Haltung aber hätte
nicht zum Wesen des deutschen Soldaten gepaát, der die anständige Form
des Kämpfens im Ostkrieg auch trotz der wiederholten sowjetischen Völkerrechtsbrüche
nicht aufgegeben habe.
Auch angesehene westdeutsche Berufshistoriker werden nicht müde, diese Legende
fortzuschreiben und gegen jene heftigst zu polemisieren, die ihr die historischen
Tatsachen entgegenhalten. Erst unlängst hat der Berliner Ernst Nolte vor Bundeswehrsoldaten
in einer Bremer Kaserne Vertreter "einer bestimmten Tendenz der Zeitgeschichte"
heftig angegriffen, die gröáten Wert darauf legten, "einen Kontakt
zwischen Einsatzgruppen und Wehrmacht nachzuweisen".
Schon der öffentliche Streit um die Gräber der Waffen-SS in Bitburg und
um den skandalösen Brief des Fraktionsvorsitzenden der CDU, Alfred Dregger,
an Ronald Reagan berührte und verdeckt zugleich die Tabufrage: nämlich
die Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des Regimes, wie Raul Hilberg in
seinem Aufsatz "Bitburg als Symbol" diagnostiziert hat. Er führt
darin aus, daá die Trennung von Militär und SS mit Begriffen wie "soldatischer
Professionalismus" auf der einen und "ideologischem Fanatismus" auf
der anderen Seite nichts weiter als eine apologetische Hilfskonstruktion ist. Die
deutsche Wehrmacht gehörte zu den Hauptstützen des Systems und hat sich
ohne nennenswerten Widerstand dem Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen das "jüdisch-bolschewistische
System" zu Verfügung gestellt.
Für den von Nolte geleugneten "Kontakt", mehr noch: für die
nahtlose Zusammenarbeit zwischen Einsatzgruppen, SS und Wehrmacht gibt es eine Fülle
von Beweismaterial. Man lese nur die umfangreichen Studien der Mitarbeiter des militärgeschichtlichen
Forschungsamtes in Freiburg in dem 1993 erschienenen 4.Band "Der Angriff auf
die Sowjetunion" (die geplante Enzyklopädie "Das Deutsche Reich und
der Zweite Weltkrieg" soll zehn Bände umfassen). Am Ende dieser über
1000-seitigen Untersuchung resümiert Jürgen Förster in seinem Versuch
einer "historischen Ortsbestimmung" des "Unternehmens Barbarossa":
"SS- Aktion und militärischer Kampf konnten von Hitler zu einem schwer
auflösbaren Ganzen verknüpft werden. [...] Es ist ein Zerrbild der Wirklichkeit,
daá nur die SS den Todesstoá gegen das Wahnbild "jüdischer
Bolschewismus" geführt und die Wehrmacht sich auf die Führung der
Operationen beschränkt habe. Die Auswirkungen der von der Heeresleitung mitzuverantwortenden
Verwischung des Unterschieds zwischen militärischem Auftrag und sicherheitspolitischen
Maánahmen lassen sich an den Erschieáungen der Truppenkommissare und
Russen durch Heeresverbände als Sühne für ungeklärte Widerstandsakte
ablesen. Die Besatzungsmacht demaskierte sich - wie in Polen - sehr schnell durch
den geringen Wert, den sie einem Menschenleben beimaá."(63-65)
"Mag von Reichaus Befehl auch ein Extremfall von ideologischen Fanatismus darstellen,
in der empirischen historischen Forschung besteht jedenfalls Einigkeit darüber,
daá der Komplex der verbrecherischen Befehle, vor allem der "Kommissarbefehl"
und der "Kriegsgerichtsbarkeitserlaá", die eine bis dahin unbekannte
Brutalisierung der Kriegsführung zur Folge hatten, den meisten Truppenführern
im deutschen Ostheer auch zur Richtschnur ihres Handelns geworden ist. Christian
Streit dazu: "Die Verbreitung des Kommissarbefehls ist fast für das ganze
Ostheer aktenkundig, und die Fülle der erhaltenen Vollzugsmeldungen zwingt
zu der Annahme, daá der Befehl in der Mehrzahl der Divisionen auch befolgt
wurde", auch wenn es Einheiten gab, die den Befehl nicht durchführten,
und einzelne Truppenführer versuchten, ihn rückgängig zu machen.
Dabei ist festzuhalten, daá bis Oktober 1941 die in Gefangenschaft geratenen
Kommissare, kommunistische Funktionäre, Hoheitsträger etc. von "Ordnungskräften"
der Wehrmacht auf Befehl der Lagerkommandanten erschossen worden sind. Erst ab 7.
Oktober 1941 erlaubte das Oberkommando der Wehrmacht den Kommandos der Sicherheitspolizei
und des SD den Zutritt zu den Durchgangslagern der rückwärtigen Heeresgebiete,
und zwar gemäá der Vereinbarung, die zwischen der Abteilung Kriegsgefangene
im OKW und Heydrichs Reichssicherheitshauptamt schon am 17. Juli 1941 getroffen
worden war. Diese Vereinbarung sah die Auslieferung "untragbarer Gefangener"
an die Einsatzgruppen vor. Damit waren nicht nur alle "bedeutenden Funktionäre
des Staates und der Partei" gemeint, sondern auch alle "Intelligenzler",
alle "fanatischen Kommunisten" und - alle Juden.
Die Konsequenzen dieser Vereinbarung waren noch mörderischer als die des "Kommissarbefehls".
Während die Durchführung des "Kommissarbefehls" bis zu seiner
Aufhebung im Mai 1942 einige tausend Menschen das Leben kostete, fielen den Selektionen
der Einsatzkommandos an der Front, in den rückwärtigen Heeres- und Armeegebieten,
in den Reichskommissariaten, im besetzten Polen, im Reichsgebiet sowie in den Konzentrationslagern
mindestens 580000 bis 6000OO sowjetische Kriegsgefangene und zivile kommunistische
Funktionäre zum Opfer.
Viele Wehrmachtskommandeure haben nicht nur Kommissare, Offiziere, Funktionäre
und Juden bereitwillig den Einsatzgruppen ausgeliefert, sondern auch bei der Vorbereitung
der Massentötung organisatorische Beihilfe geleistet. In vielen - nachgewiesenen
- Fällen stellten Wehrmachtseinheiten bei Massenerschieáungen Absperrkommandos
auf und halfen bei der "Durchkämmung" der besetzten Städte und
Gebiete. Beim Einmarsch deutscher Truppen wurden die Juden in der Regel durch Armeebefehle
zur Kennzeichnung und Registrierung gezwungen; oft ergriffen auch Orts- und Feldkommandanten
die Initiative und bestellten die "Sonderkommandos", um ihre Gebiete "judenfrei"
zu machen. In manchen Fällen haben sich sogar dienstfreie Soldaten freiwillig
dem SD zur Mithilfe bei der Durchführung von Erschieáungen angeboten,
als Zuschauer beigewohnt und dabei Photos gemacht. "All diese Hilfen waren
eine entscheidende Voraussetzung bis zum April 1942 mehr als eine halbe Miilion
sowjetische Juden umbringen konnten.""(67- 68)
"Das ideologische Bindeglied, das die Zusammenarbeit von Wehrmacht und SS sicherstellte,
war ein extremer Antibolschewismus, der nach dem Sieg der Oktoberrevolution schon
die deutschen Freikorps gegen die junge Sowjetrepublik und danach gegen die rätesozialistischen
Aufstandsbewegungen (Bremen, Berlin, München) marschieren lieá - ein
Antibolschewismus, der nach 1918 im Lager der extremen Rechten kultiviert worden
war.
Auch bei der Partisanenbekämpfung hat die Wehrmacht mit den Einsatzgruppen
der Sicherheitspolizei und des SD reibungslos zusammengearbeitet. Der Begriff des
Partisanen und "Freischärlers" war schon nach den Bestimmungen des
"Kriegsgerichtsbarkeitserlasses" und seinen diversen Zusätzen so
weit gefaát worden, daá praktisch jede "verdächtige Zivilperson"
als Partisan oder Partisansymphatisant liquidiert werden konnte. Auch jede Begünstigung
und Hilfe für Partisanen und Versprengte seitens der Zivilbevölkerung
sollte mit der Todesstrafe geahndet werden. Die Heeresführung ordnete an, alle
"Verdächtigen Elemente", denen zwar eine Straftat nicht nachgewiesen
werden könne, die aber "hinsichtlich Gesinnung und Haltung gefährlich
erschienen", an die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD abzugeben.
Dazu wurden auch die während der Kämpfe versprengten sowjetischen Soldaten
in Uniform oder Zivil gerechnet."(69-70) "Hitler erklärte offen,
daá der Partisanenkrieg die Möglichkeit biete, "auszurotten, was
sich gegen uns stellt". Um den Riesenraum so rasch wie möglich zu befrieden,
sollte "man jeden der nur schief schaue, totschieáe(n)".
Bei dieser Besprechung am 16.Juli 1941 sprach sich auch Generalfeldmarschall Keitel
für drakonische Maánahmen bei Widerstandsaktionen aus. Die Zivilbevölkerung
müsse wissen, "daá jeder erschossen würde, der nicht funktioniere",
und daá sie kollektiv für Vergehen gegen deutsche Anordnungen haftbar
gemacht würde. Keitels Erlaá über "Die Bekämpfung kommunistischer
Aufstandsbewegungen vom 16.9.1941 gabe den Wehrmachtsangehörigen nicht nur
die Möglichkeit, mit jedem als Partisan verdächtigten sowjetischen Zivilisten
sofort kurzen Prozeá zu machen, sondern auch Anschläge auf deutsche
Soldaten fünfzig- bis hundertfach zu vergelten. In diesem Erlaá heiát
es: "Als Sühne für ein deutsches Soldatenleben muá in diesen
Fällen im allgemeinen die Todesstrafe für 50-100 Kommunisten als angemessen
gelten. Die Art der Vollstreckung muá die abschreckende Wirkung noch erhöhen."
In der Praxis war der "Vergeltungs"-Quotient oft um das Vielfache höher."(71)
"Jürgen Förster dazu: "Die Selektion bestimmter Bevölkerungsgruppen
als "Geiseln", die summarischen Hinrichtungen bei unaufgeklärten
Sabotageakten,[...] die Diskrepanz zwischen den Zahlen getöteter "Freischärler",
"Partisanen", "Rotarmisten" und den eigenen Verlusten sowie
der geringe Unterschied zwischen festgenommenen und erschossenen Personen in den
Berichten der eingesetzten Kampfverbände und Sicherungskräfte lassen sich
mit dem regelmäáig angeführten Sicherheitsbedürfnis der Truppe
allein nicht rechtfertigen. Dieses Vorgehen macht vielmehr den ideologischen Hintergrund
unübersehbar. [...]Die summarischen Hinrichtungen von Juden, Kommunisten und
Russen durch das Heer als Sühne für ungeklärte Widerstandsakte im
Zuge "kollektiver Gewaltmaánahmen" gingen schon über in die
weltanschaulich motivierte Ausrottungspolitik, die die Einsatztruppen zur "endgültigen
Beseitigung des Bolschewismus" praktizierten."(72)
"Der oft zu hörende Einwand, die deutsche Seite habe angesichts der Grausamkeit
der sowjetischen Partisanen mit "aller Härte durchgreifen" müssen
und deshalb vor keinem Mittel zurückgeschreckt, vertauscht Ursache und Wirkung.
Gewiá gingen die Partisanen, die ja keine Gefangenenlager einrichten konnten
und daher auch keine Gefangenen machten, oft mit atavistischer Härte vor. Doch
war die Partisanenbewegung 1941 zahlenmäáig fast bedeutungslos. Erst
die Brutalität des deutschen Vorgehens in den besetzten Gebieten schuf jene
Partisanenbewegung, die ab 1943 zu einem gewichtigen Faktor wurde. Im Übrigen
war Keitels Erlaá (...) schon zu einem Zeitpunkt ergangen als es überhaupt
keine Partisanenbewegung gab."(72-73)
Gewiá, als Frontsoldat hatte kaum jemand die Möglichkeit - es sei denn,
er nahm das Risiko und die "Schmach" der Desertion auf sich-, sich den
Befehls- und Gehorsamszwängen der militärischen Maschinerien zu entziehen.
Doch mit der notorischen Berufung auf einen "Befehlsnotstand" kann die
tiefe Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des Ostfeldzuges so wenig bemäntelt
werden wie mit der Beschwörung "soldatischer Tugenden", die auch
unter der Hakenkreuzfahne geübt worden seien. Gerade "die unerschütterliche
Disziplin" und der "als Treue zum Führer" miágeleitete
Kadavergehorsam der meisten Soldaten und Offiziere haben ja die Maschinerie der
Vernichtung in Gang gehalten. Das kann auch jeder Versuch von Bundeswehrkommandeuren
und -ausbildern, an die soldatischen Tugenden ihrer Väter zu erinnern, nicht
überdecken. Eine Armee, die sich ohne nennenswerten Widerstand für den
ungeheuerlichsten Angriffs-, Raub- und Vernichtungskrieg zur Verfügung gestellt
hat, taugt nicht zur Traditionsbildung."(76-77)
Das Buch kostet nur 14,80 und ist jedem anzuraten, der den Historikern auf den Leim
gegangen ist, die über Jahre die Geschichte fälschen.
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt