Die Polizeiliche Kriminalstatistik(PKS) als Quelle von Wahn
Das Geschäft mit Türspionen, Patentschlössern, Gittern und Alarmanlagen boomt. 5 Milliarden im Jahr gibt der BRD-Bürger aus. Dazu Farin/Seidel-Pielen:
"Wie jede Statistik hat auch die Polizeiliche Kriminalstatistik ihre Tücken und liefert nur ein sehr verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Sie ist, was häufig vergessen wird, keine Täter-, sondern eine Tatverdächtigenstatistik und dokumentiert die bei der Polizei angezeigten Fälle und von ihr ermittelten Tatverdächtigen. Und da in der Bundesrepublik nur rund ein Zehntel der Anzeigen von Amts wegen erfolgt, ist "Kriminalität" zu Beginn ihrer institutionellen Bearbeitung im wesentlichen das, was Geschädigte oder Dritte als solche betrachten und der Polizei mitteilen. (...) Um sich ein umfassendes Bild von der Gewalt- und Kriminalitätsentwicklung zu machen, empfiehlt die vom Berliner Innensenat eingesetzte "Unabhängige Kommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt in Berlin" in ihrem Gutachten deshalb neben der Polizeilichen Kriminalstatistik die Strafverfolgungsstatistik, Bewährungshilfestatistik, Verurteiltenstatistik sowie die Rückfallstatistik als Grundlage einzubeziehen.
Es ist von zahlreichen Faktoren abhängig, welche Delikte ins Hellfeld der Polizeilichen Kriminalstatistik gelangen und welche im sogenannten Dunkelfeld bleiben. Dabei gestalten Innenbehörden, Polizei und Medien kräftig am "Lagebild", also an der Konstruktion von "Wirklichkeiten" mit, indem sie Aufklärungsschwerpunkte setzen oder Geschädigte ermuntern oder auch demotivieren, eine Anzeige zu erstatten. So kann im Bereich Jugendgewalt heute davon ausgegangen werden, daß sich das Dunkelfeld im Verlauf der letzten fünf Jahre erheblich reduziert hat. "Aufklärungskampagnen" von Polizeiarbeitsgruppen an den Schulen, Sondereinsatzkommandos und -kommissionen in sozialen Brennpunktgebieten und im Umfeld jugentlicher Treffpunkte, kurz, die repressive Kontrolle, der Jugendliche aufgrund der aufgeregten Diskussion heute ausgesetzt sind, hat dazu geführt, daß sie überproportionale häufig als Tatverdächtige in der Polizeilichen Kriminalstatistik auftauchen. Ähnlich verhält es sich mit der "Ausländerkriminalität". So trägt Berlins Innensenator Dieter Heckelmann mit seinem wahnhaften Kreuzug gegen "Hütchenspieler" dazu bei, daß die Statistik in den Bereichen "Illegales Glückspiel" und "Ausländerkriminalität" kräftig nach oben getrieben wurde, Die Frage lautet: Wo schauen wir hin, was will die Gesellschaft über sich wissen, wovor verschließt sie ihre Augen? Fällt ein Licht auf einen Gegenstand, erkennen wir ihn genauer, sehen wir mehr. Je aufwendiger und effektiver sich die Polizei einem bestimmten Tatkomplex widmet, desto mehr Taten werden aufgedeckt. Der Münchner Kriminologe Schüler-Springorum hat dieses paradoxe Verhältnis in dem Satz formuliert; "Mehr Polizei schafft nicht weniger, sondern mehr Kriminalität". So hat die Polizeiliche Kriminalstatistik nur einen begrenzten Aussagewert in bezug auf wirkliche Kriminalität in einer Gesellschaft. Über die Ursachen der Kriminalität sagt sie nichts."(Seiden-Pielen/Farin, Die Scharfmacher. Schauplatz Innere Sicherheit S. 55f)
Die steigende Armut im Westen und vor allem im Osten des Landes sollte ins Blickfeld geraten, denn es ist unausweichlich, daß hier das größere Risiko besteht, daß aus Armutslagen Straftaten begangen werden, so der Kriminologe Christian Pfeiffer: "Nicht der Wertewandel sollte das große Thema der Kriminalpolitiker sein, sondern die neue Armut in unserem Land"Wochenpost 25.11.93
2/3 der registrierten Straftaten sind Eigentumsdelikte. Aggressiver Werbestrategien, bargeldloser Zahlungsverkehr, Kreditkauf erhöhen das Risiko. Was passiert wenn man in die Fensterläden gucken kann und kein Geld hat:
"In West-Berlin konnte man es zwischen dem 9.November 1989 (Tag der Maueröffnung) und dem 1. Juli 1990 (Tag der Währungsunion) wir unter Laborbedingungen beobachten. Im November '89 verdoppelte sich schlagartig die Zahl der Ladendiebstähle, blieb von da an auf hohem Niveau und pendelte sich erst wieder auf dem alten Niveau ein, als die Bürger der ehemaligen DDR endlich die langersehnte West-Mark in Händen hielten"(ebenda 57)
Und die Gewalttaten, mit der die Werbung für Elektroschocker, aufwartet?
"Befragt, wo sie sich am gefährdetsten sehen, antworteten die BundesbürgerInnen in einer Umfrage des EMNID-Instituts erwartungsgemäßt: in Parkhäusern (80 Prozent), In Parkanlagen (75 Prozent), auf Bahnhöfen (73 Prozent). Am sichersten fühlten sie sich immer noch zu Hause, obgleich dort die Wahrscheinlichkeit, Opfer der Gewalttat zu werden, vor allem für Frauen und Kinder, am größten ist. Denn die Familie, von Konservativen als Heilmittel der Gewalt beschworen, erweist sich bei genauerer Betrachtung als ein Hort der Niedertracht. 60 Prozent der Fälle von vollendetem Mord ereigneten sich 1992 unter Verwandten und näheren Bekannten. Waren Frauen die Opfer, betrug der Anteil sogar 70 Prozent bzw. 90 Prozent. "(ebenda 63)
Wie kommen die steigenden Zahlen, die man ja ausweisen kann zustande?
"Der Boom der Gewalt erfolgte zwischen 1965 und 1982. In diesem Zeitraum verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer gefährlichen oder schweren Körperverletzung zu werden. Der Anstieg in der Altbundesrepublik - nach einem Jahrzehnt der Stagnation - um weniger als 10 Prozent zwischen 1989 und 1993 nimmt sich dagegen bescheidener aus. Doch so falsch die These "alleswirdschlimmer" heute ist, so falsch war sie bereits in den sechziger und siebziger Jahren. Auch damals wurde viel über den Verfall der "deutschen" Kultur und den Funktionsverlust der Familie geklagt. Doch die Erklärung für den sprunghaften Anstieg der Gewaltkriminalität zwischen 1965 und 1982 ist recht banal: In diesen Jahren stieg die strafmündige Bevölkerung an. Vor allem der Bevölkerungsanteil, der die Haupttätergruppe dieses Gewaltdelikts stellte - die Jugend. Denn der typische Täter ist 14 bis 25 Jahre alt, männlich, polizeibekannt und betrunken. (Das gleiche gilt übrigens auch für die Opfer. Frauen sind bei schweren Körperverletzungen auf Straßen, Wegen und Plätzen weit weniger gefährdet als Männer. Ihr Anteil an den Opfern betrug 1992 16 Prozent.)"(ebenda 64)
"In einer Analyse der Jahre 1977 bis 1982 kommen die Kriminologen Christian Pfeifer und Birgit Schöckel zu dem Ergebnis, daß der in diesen Jahren registrierte Gewaltanstieg zu einem Viertel darauf beruhte, daß insbesondere die strafmündige Bevölkerung zugenommen hatte. (...) Der verbleibende "Netto"-Anstieg der wegen Gewaltdelikten beschuldigten Jugendlichen verringerte sich weiter, als Pfeiffer/Schöckel die Daten der Polizelichen Kriminalstatistik mit den Daten der Strafverfolgungsstatistik verglichen. "Der Zwischen 1977 und 1982 noch zu beobachtende erhebliche Anstieg der wegen Gewaltkriminalität registrierten 14- bis 21jährigen bzw. erwachsenen Tatverdächtigen betrifft überwiegend Sachverhalte, die nach der justitiellen Überprüfung des Tatvorwurfs entweder eingestellt oder zu weniger schweren Straftaten umdefiniert wurden." Zwei Interpretationen bieten Pfeiffer/Schöckel dafür an: "Möglicherweise hat eine steigende Kriminalitätsfurcht bewirkt, daß der Polizei nach dem Motto "Wehret den Anfängen" Vorfälle gemeldet wurden, die angesichts ihres geringen Schweregrades früher nicht zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gebracht wurden", oder die Staatsanwälte hatten ihre Maßstäbe dafür verändert, bei welchem Fallkategorien sie eine Anklage für erforderlich hielten."(ebenda 66)
Und was ist mit dem "Etikettenschwindel Ausländerkriminalität", die nach dem Prinzip: "Aus Ausländerfeindlichkeit wird Ausländerkriminalität" abläuft:
"So hatte die einsetzende restriktive "Ausländer"politik in den Jahren 1980/81 nicht nur einen Rückgang der bikulturellen Ehen zur Folge, sondern auch eine Veränderung des Anzeigenverhaltens der Deutschen. Sie schwärzen nun schneller und häufiger ihre ausländischen Nachbarn an. Während junge Deutsche im gesamten Bundesgebiet fast gleiche Anzeigenbelastungsziffern haben, sind junge Ausländer in CDU- bzw. CSU-regierten Ländern deutlich höher belastet, vor allem junge Türken um 63%. "Seiden-Pielen/Farin, Die Scharfmacher. Schauplatz Innere Sicherheit S. 77
Aus der steigenden Ausländerkriminalität wird also das steigende Denuntiantentum. Daß 30.8 Prozent der Fälle ohnehin in "Fällen" besteht, wo z.B. ein in einer Stadt gemeldeter Asylbewerber seine Mutter in einer andern Stadt besucht (was für ein Verbrechen!), darf man auch nicht übersehen, wie daß dann 40 Prozent einfache Ladendiebstähle hinzukommen. Wo ja jeder Idiot davon ausgeht, daß Roma klauen und Polen Autos verschieben, und Albaner Hütchenspielern und Marokkaner und Libanesen mit Rauschgift handeln, und sie vorab denunziert, kommen sie ja schnell in die Tatverdächtigen- (nicht in die Täter oder Verurteilten)statistik.
Näheres findet sich in dem nicht allzu teurem Buch (16,90)

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Most recent revision: April 07, 1998

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