STAMMESWESEN IM GLOBALEN DORF
Von Elmar Altvater
Der nachstehende Beitrag befaßt sich mit der Diskrepanz zwischen dem universalen
Anspruch der westlichen Lebensweise und dem beschränkten "Möglichkeitsraum"
seiner Verwirklichung. Indem Altvater von einer Kritik "kommunitaristischer"
Ansätze ausgeht, verknüpft er zwei Stränge der "Blätter"-Debatten
der letzten Monate: Die Auseinandersetzung dreht sich um die Rolle des Nordens/Westens
bei der Verursachung - und bei einer Bewältigung - der globalen Problemlagen.
Sich hier schlichtweg auskoppeln und in "Gemeinschaften" der Privilegierten
verschanzen zu wollen, wirft Altvater Vertretern des Communitarianism vor. Seine
Kritik korrespondiert hier mit Analysen, die eine Auskoppelung der "Zweidrittelwelt"
des Südens und des Ostens aus einem zunehmend sich selbst genügenden Metropolen-Weltmarkt
verzeichnen. Die Kritik an einer "neuen Kaste von Nimbys" (die nach dem
Motto "Not In My Backyard" ihre "Gemeinschaft" sauber hält,
indem sie anderen ihren Dreck vor die Tür kehrt), leugnet nicht die Notwendigkeit,
überschaubare und demokratisch "handhabbare" Politikräume zu
identifizieren, wie sie etwa Christoph Müller im "kommunalsozialistischen"
Ansatz findet, der ganz konkret von der Gemeindeebene ausgehend auf- und umbaut.
Vgl. hierzu etwa Martin Jänickes "Erwägungen zu einer langfristigen
Strategie des ökologisch-ökonomischen Umbaus" unter dem Titel "
Staatsversagen und Dezentralisierung" ("Blätter", 9/1991). Die
von Heft 1/1992 der "Blätter" ("Die Gewalt des Fortschritts
oder Erfindung und Zerstörung der Einen Welt") beförderte Auseinandersetzung
um die Verantwortung (im Doppelsinn des Wortes) der Metropolen wird mit Altvaters
Beitrag über Karl D. Bredthauers Bestandsaufnahme im vorigen Heft ("Dominanz:
Die Zukunft entscheidet sich im Westen") hinaus fortgeführt. Weitere Beiträge
(u.a. "Der Tod im Süden", "Leben wir, auf Kosten der armen Welt?")
sind in Vorbereitung. Zum Kommunitarismus vgl. u. a. Micha Brumliks Artikel "Gleichheit
und Bürgerstolz. Über Michael Walzers nachegalitäre Theorie der Gerechtigkeiten"
im Aprilheft der "Blätter" (unter "Lektüren & Lektionen").
D. Red.
I
In der weitläufigen und dennoch leicht überschaubaren scientific "community"
fliegen die alten Fetzen, zumal die einstmals modemarxschen Klamotten und alles,
was irgendwie an einer linken Theorie, an einem sozialistischen Projekt der gesellschaftlichen
Umgestaltung gebosselt hat. Kein Wunder, daß die "community" auf
der tabula rasa ihrer Theorieversuche zunächst der "Linken" und ihrem
"Unvermögen" (1) Adieu sagen möchte
und die "Gemeinschaft" wiederentdeckt, die "communitarians"
und den "communitarianism". Wissenssoziologisch vorgebildet könnte
man spöttisch geneigt sein, diese intellektuelle Modewende als Suche nach dem
Rezept für den Saft zu interpretieren, in dem die Intelligentsia seit der 89er
Revolution schmort; an den Rändern riecht es schon leicht an- und abgebrannt.
Eine Gemeinschaft kann sich, anders als die bürgerliche Gesellschaft, die universelle
Geltung beansprucht, nur auf der Grundlage von gemeinsamen Werten und Normen bilden
(in Eintracht, Sitte, Religion sagt Ferdinand Tönnies
(2)), die notwendigerweise eine begrenzte Reichweite besitzen. Eine Gemeinschaft
zirkelt sich in der viel zu großen Welt ein, zieht nationale Grenzen, betont
ethnische Unterschiede, kulturelle und Lebenssphären, und grenzt daher andere
Menschen in anderen Gemeinschaften aus. Friedliche Koexistenz ist das Motto, denn
"Parochialismus...", so Michael Walzer, "kann nicht überwunden,
sondern muß respektiert werden...: nicht nur mein Parochialismus, sondern
auch deiner, und seiner und ihrer ebenso" (3).
Nachdem die Europäer nicht nur mit ihren Handelswaren und -kompagnien die Welt
eroberten, sondern ihr auch eine - zumindest in den Metropolen - attraktive Lebensweise
und eine zweckmittelorientierte Rationalität des Denkens verordneten und dabei
die bestehenden "Stämme" mit ihren nicht-europäischen Kulturen,
Traditionen und Rationalitäten ethnisch und physisch ausgerottet haben, entdecken
Postlinke "das neue Stammeswesen", die Gemeinschaften ihrer sich affektuell
oder traditional zusammengehörig fühlenden (so Max Weber (4)) Mitglieder. Das ist entlastend. Denn angesichts der chaotischen
Zustände in der gegenwärtigen Welt, die so eng geworden ist, daß
unser Müll nicht mehr außer Landes gebracht werden kann, ohne per Treibhauseffekt
oder Wasserverschmutzung in unser homeland zurückzuschwappen, ist die
Grenzziehung von Verantwortung, die Definition der Tragweiten von Entscheidungen
und Handlungen und die Selbstbeschränkung von Perspektiven auf die eigene,
"national" (die Anführungszeichen benutzt Max Weber), sprachlich,
ethnisch identifizierte Gemeinschaft eine wunderbare leichte (und leichtfertige)
Verdrängungslösung. Und auch für Europa insgesamt wird folglich eine
"gemeinsame europäische" Identität eingefordert - in Abgrenzung
gegen den Rest der Welt. Honisoitquimalypense - z.B. wenn David Apter den
"parochialism" als eine gefährlich glatteisige Antwort auf die "risk-prone
conditions" moderner Gesellschaften bezeichnet, als einen ersten Schritt in
der tödlichen Sequenz von Separatismus, Gewalt, Terror und möglicherweise
Bürgerkrieg (5). Die "Stämme" des
verschwundenen Staatsgebildes Jugoslawien machen gerade die Erfahrung mit der parochialen
Logik.
Die Linke ist seit der französischen Revolution (also nicht erst seitdem sie
der einen oder anderen Variante des Sozialismus folgt) universalistisch. Universalismus
ist heute nicht nur im Geseiche des neuen Gemeinschaftsdenkens megaout, sondern
auch im Neo-Individualismus der Konservativen und Liberalen. In deren Diskurs muß
sich das Gesellschaftliche jeweils neu in der Interaktion der individuellen (und
vielleicht gemeinschaftlichen, da familiengebundenen, nicht aber gesellschaftlichen)
Individuen herausbilden. Gesellschaft existiert allenfalls als ein Bündel von
äußeren Restriktionen, auf die individuell, und marktvermittelt auch
systemisch intelligent, geantwortet wird. Der Erfolg, und zwar jeder Erfolg unter
der Herrschaft von Faktizität, rechtfertigt das Verfahren. Nur in der freien
Interaktion von Individuen kann die evolutionäre Entdeckungsfahrt, wie sie
von Hayek beschrieben wird (6), zu besten, effizienten
und gesellschaftlich kohärenten Resultaten gelangen. Doch immerhin wird hier
ein universalistisches Prinzip hochgehalten, und wer bei dessen Verfolgung scheitert,
hat es sich selbst zuzuschreiben - ein Individuum ebenso wie ganze Gesellschaften.
Nur die fittest, von denen Mancur Olson sagt, es seien regelmäßig
die fattest, überleben in der weltweiten Konkurrenz um knappe Ressourcen
und die immer beschränkte monetäre Kaufkraft der Massen.
Kein Liberaler freilich würde - von anarcho-libertären Ausnahmeliberalen
wie David Friedman abgesehen - auf den Staat und seine Macht der Setzung und Sicherung
von "Ordnung" verzichten. Der Staat ist selbstverständlich Nationalstaat
(was denn sonst? Bei Tönnies sind Politik, Nation, Staat identisch) und als
solcher nur im Plural der vielen Nationalstaaten konzipierbar. Das liberale universalistische
Konzept kommt daher nicht aus ohne Begründungen für die Separierung in
nationale Kompartiments der Luxusklasse für die einen und der Holzklasse für
die anderen. Mit der ihm eigenen brutalen Klarheit kommentiert Hayek, daß
ein Volk, das sich nicht selbst ernähren kann, eben zugrundegehen soll (7). Hilfe, Rücksichtnahme oder auch nur die communitarische
"Respektierung", die Walzer einfordert, sind da mehr als fehl am Platze;
sie sind ein Hindernis auf der Reise durch die beste aller möglichen Welten.
Daß freilich alle im gleichen Zug sitzen, wird leicht vergessen; die Schaffner
haben darauf zu achten, daß jeder in seinem Abteil bleibt.
Das neue, westliche Europa rekonstruiert sich als Festung, und in ihr bilden sich
neue "Gemeinschaften", my home is my castle. Nach dem Aschenputtel-Prinzip
wird das Gute ebenso selektiert wie das Schlechte: letzteres, bitte, "not
in my backyard". Und wie in jeder funktionierenden Gemeinschaft muß
Corpsgeist entstehen und mit ihm die sich selbst vergewissernde Arroganz gegenüber
den anderen; der kluge Kopf ist mit Scheuklappen ausgestattet. Ganz von universalistischen
Prinzipen beseelt hätte man früher die europäische Überheblichkeit
als muffige Spießigkeit bezeichnet. Heute kommt sie im Yuppie-Kostüm
aufgemotzt daher, z.B. in einem Aufsatz von Gronemeyer und Leggewie (8), oder als karitative Geste (wie in der Provokation von Uli Menzel
(9)), mit der den Holzklasslern ein wenig Wegproviant
verschafft werden soll, nachdem eine Reihe der überfüllten Waggons einfach
abgekoppelt und auf ein totes Gleis geschoben worden sind. Darauf können sie
nie dorthin gelangen, wo die privilegierten Reisenden zum fin de siecle streben.
II
Das Prinzip des Universalismus eignet sich heute nicht mehr, um damit normativ einen
erstrebenswerten Zustand der Welt zu begründen oder wie Petrella einem "contrat
social global" das Wort zu reden (10). Die
kapitalistische Produktionsweise war zwar immer faktisch universell und sie ist
es erst recht nach dem Kollaps der europäischen Realsozialismen und dem Fall
der noch verbliebenen Mauern. Doch der kapitalistische Universalismus realisierte
sich immer in politischer Vermittlung durch nationale Staaten, unter den Bedingungen
der Ungleichzeitigkeit und Ungleichmäßigkeit der Entwicklung, also als
Verhältnis von Reichtum und Armut, von Macht und Ohnmacht, von Ordnung und
Chaos.
Der Abstand zwischen Reichtum und Armut wächst in jedem Land und auf dem Globus
insgesamt. Dies ist inzwischen so unstrittig, daß nur wenige Zahlen zur Illustration
herangezogen werden müssen: Im Jahre 1965 lebten in den - nach Weltbankkriterien
- Ländern mit hohem Einkommen (das sind mit wenigen Ausnahmen die Industrieländer)
20,4% der Weltbevölkerung; 1989 waren es noch 16,0%. Ihr Anteil am globalen
Bruttoinlandsprodukt hingegen erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 70,2% auf
73,5%. Die Länder mit mittlerem und niedrigem Einkommen (das sind die "Entwicklungsländer")
hingegen stellten 1965 71,9% und 1989 77,9% der Weltbevölkerung, produzierten
aber 1965 19,0% des Weltsozialprodukts und 1989 nur noch 16,2% (11).
Die Ungleichmäßigkeit der monetär bemessenen globalen Reichtümer
ist also im vergangenen Vierteljahrhundert größer und nicht kleiner geworden.
Es scheint, als ob dieser Gegensatz nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit
"die eine Welt" charakterisiere. Im globalen Industrie- und Dienstleistungszentrum
New York sind die heruntergekommene Bronx oder das arme Queens nur wenige Meilen
von Wallstreet entfernt, wo sich der globale Reichtum in seiner liquidesten Form
konzentriert. In Rio de Janeiro wohnen die Teilnehmer der UNCED-Konferenz in Luxushotels
am Strand von Copacabana, Sao Conrado und Barra. Wenige Kilometer entfernt in der
Zona Norte werden elternlose Straßenkinder von Killerkommandos umgebracht.
In Freetown haben nur die, die auf dem Hügel wohnen (vor allem die wenigen
Ausländer) Elektrizität und daher Licht, die Masse der Einwohner muß
im Dunkel leben, man sieht sie nicht. Der Gegensatz von Reich und Arm in fast jeder
global city reproduziert sich im globalen Dorf zwischen dem Norden und dem Süden.
In den Städten kapseln sich die Reichen in Enklaven ein, sie ziehen sich in
streng bewachte "Kondominien" zurück und verteidigen ihre community
gegen die Wogen der Armut, deren Zugangsweisen zu den Brosamen des Reichtums noch
dazu kriminalisiert werden. Im "globalen Dorf" werden Festungen errichtet,
Zäune gezogen und Mauern gebaut. Die e i n e Welt ist ohne Zweifel eine gespaltene
Welt. Das "eigentliche Subjekt" des "kosmopolitischen Lebens",
so Tönnies (12), ist die "Gelehrten-Republik",
die daher auch gespalten ist.
Wenn in Rio de Janeiro im Juni 1992 die Konferenz der Vereinten Nationen über
Umwelt und Entwicklung eröffnet wird, ist fast ge- nau ein Jahrzehnt seit Ausbruch
der Schuldenkrise (im August 1982 mit der Zahlungseinstellung Mexikos) vergangen,
durch die die Entwicklung in Afrika und Lateinamerika und in einigen Ländern
Asiens zurückgeworfen wurde. Gleichgültig wie die Schuldenkrise und das
vergangene "verlorene Jahrzehnt" interpretiert werden, in jedem Fall ist
sie ein Menetekel, das auf das Scheitern des in den nördlichen OECD-Ländern
so erfolgreichen Entwicklungsmodells in den südlichen Weltregionen verweist.
Bilanziert man die Fi- nanzbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern,
dann stellt sich heraus, daß von 1982 bis 1989 236,2 Mrd. US-Dollar netto
an die Industrieländer transferiert worden sind. Das ist zwar für die
reichen Länder nicht viel (für das Sümmchen ist ja noch nicht einmal
die deutsche Einheit zu haben), aber für Afrika oder Lateinamerika ist der
Nettoressourcentransfer ein Abzug von bis zu 5% des Bruttoinlandsprodukts; selbst
die als unerträglich empfundenen Reparationszahlungen Deutschlands nach dem
Ersten Weltkrieg erreichten (im Vergleich dazu: nur) 2,5% des BIP. Die Weltbank
schätzt daher, daß etwa eine Milliarde Menschen weltweit in Armut leben.
Tendenz steigend.
Es scheint nicht möglich zu sein, eine Lebens- und Arbeitsweise auf dem gesamten
Globus auszubreiten, die erstens auf hohem Energie- und Materialverbrauch beruht,
zweitens über effiziente und intelligente Energie- und Stoffwandlungssysteme
verfügen und drittens darauf gründend eine europäisch-okzidentale
Lebenspraxis mit den entsprechenden Denkmustern und Ideologien ein- und ausrichten
muß. Industrielle Systeme sind ja nicht nur technische Artefakte, die von
einem Ort zum anderen durch Handel und Wandel, Kredite der international operierenden
Banken oder "Technologietransfer" übertragen werden können,
oder das selbstverständliche Produkt der Wirkungsweise der unsichtbaren Hand
des Marktes, das erfreuliche Resultat des nach dem Theorem der komparativen Kostenvorteile
sich abspulenden internationalen Handels sind. Dem einzelnen Produkt, das international
getauscht wird, ist möglicherweise ein Beipackzettel mit der Liste der Ingredienzien
oder mit dem Schaltplan zugefügt, aber nicht der Hinweis auf die soziale, ökonomische,
technische Infrastruktur, die allein seine Produktion ermöglicht haben und
seine Anwendung sinnvoll machen.
Industrielle Entwicklung im Weltmaßstab vollzieht sich offenbar nicht nach
dem Prinzip der negativen Rückkopplungen, die dafür sorgen würden,
daß ein Ausgleich der Entwicklungsniveaus über die Zeit hinweg zustandekommt.
Vielmehr herrschen positive Rückkoppelungen, in deren Verlauf die Ungleichmäßigkeit
der Entwicklung im Weltmaßstab vergrößert wird. Olson hat ja recht,
wenn er moniert, daß die fattest zugleich die fittest im Kampf
um die Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten sind. Die daraus sich
ergebende Vermutung, daß Industrialisierung ein exklusiver Luxus für
Teile der Weltbevölkerung, aber nicht für die breite Mehrheit der zur
Jahrtausendwende etwa 6,25 Milliarden Menschen sein könnte, ist bitter. Denn
mit ihr wird es unmöglich und unehrlich, die in den vergangenen 20 Jahren verfolgten
Entwicklungsstrategien aufrechtzuerhalten und ihre schlichte Fortsetzung zu propagieren.
Darauf hingewiesen zu haben ist der berechtigte und rationale Ausgangspunkt der
Argumentation Uli Menzels. Es ist eine Illusion, wenn die Vorstellung genährt
und verbreitet wird, als ob alle Welt ein industrielles Niveau wie das Westeuropas,
Nordamerikas und Japans erreichen könnte. Industrialisierung ist ein "positionelles
Gut" (13), Denn ein nationales Industriesystem
wird ökonomisch Teil des Weltmarktes, und ökologisch greift es auf die
global commons, die Energie- und die Rohstoffressourcen auf der Inputseite
und die Umwelt als Deponie für die industriellen Emissionen auf der Outputseite,
zurück. Jede Entwicklungs- und Industrialisierungsstrategie irgendwo in der
Welt hat daher Konsequenzen für Entwicklung und Umwelt in allen anderen Weltregionen.
Die Vernetzungen sind zu einem Teil marktvermittelt, aber zu einem bedeutenden Teil
kommen sie außerhalb des Marktes, nicht durch Preise reguliert, zustande:
als "externe Effekte". Die Industrieländer sind nicht nur Weltmeister
in der Produktion von Hamburger Videorecordern und Automobilen, die - da haben Leggewie
und Gronemeyer wohl recht - alle sechs Milliarden Erdbewohner gern nutzen und nach
Gebrauch auf den Müllberg wegwerfen würden, sondern auch bei Schadstoffemissionen
und beim Ressourcenverbrauch. Die Feststellung ist trivial, daß erstmal vernutzte
Ressourcen ein zweites Mal nicht zur Verfügung stehen, daß die Verarbeitungskapazität
der Luft und der Gewässer begrenzt ist und daher Emissionen über ernen
angebbaren Eintrag hinaus Konsequenzen für die Lebensbedrngungen der Erdenbewohner
haben; daß schließlich die Mülldeponien, insbesondere für
toxische und radioaktive Abfälle, voll sind.
Die Formen der Industrialisierung, der Regulation von Produktion, Verteilung und
Konsumtion in den "Ländern mit OECD-Profil" sind es gerade, die infolge
des Rück- und Durchgriffs auf die global commons eine nachholende Industrialisierung
in anderen Teilen der Welt verhindern. Man könnte zynisch sein und den Marktmechanismen
und den sie regulierenden politischen Institutionen (IWF etc.) Dank sagen, die dieses
Resultat bewirkt haben: mittels der Funktionsweise des globalen Kreditsystems und
des Schuldenmanagements, infolge der Art und Weise, wie die Rohstoffpreise gebildet
werden und sich die terms of trade für Rohstoffproduzenten säkular
verschlechtern, auch wegen der endogenen, hausgemachten Blockaden, die Korruption,
Inkompetenz, extreme Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, von Land
und Zugangschancen zu Ämtern errichtet haben. Aber es ist kindisch, nun die
globalen Interferenzen auf das Beispiel der entwickelten Länder zu reduzieren,
dem alle Welt und dann noch erfolglos bis zum tragischen Ausrutscher(14) nachzueifern versucht (Gronemeyer / Leggewie), oder wenn unter
Verkennung der globalen Interdependenzen den armen Ländern freundlich-resolut
unter die Arme gegriffen wird, notfalls auch gegen ihren Willen, indem man sie unter
Kuratel ("Treuhandschaft") stellt (Modell Menzel).
III
Das moderne Industriesystem braucht resources (Energien und Rohstoffe) und
es benötigt s i n k s (Deponien für die gasförmigen, liquiden und
festen Abfälle). Die Umwelt ist so lange kein begrenzender Faktor, wie ihre
Beanspruchung im Verhältnis zur carrying capacity der globalen Ökosysteme
gering ist.
Eine kapitalistische Industriegesellschaft ist aber expansiv, und zwar im Raum und
in der Zeit; sie dehnt sich aus, und dies mit rasanter und noch dazu wachsender
Geschwindigkeit; ein System, das auf Beschleunigung ausgelegt ist. Selbst bei Nullwachstum,
das von einer Reihe von Ökologen als Lösung der Umweltprobleme angesehen
wird, werden Energien und Stoffe verbraucht, auch wenn der ökonomisch-monetär
bewertete Zuwachs Null oder negativ ist. Ja, es kann sogar sein, daß bei Nullwachstum
wegen des Zwangs, Kosten im ökonomischen System zu sparen, die Beanspruchung
der Umwelt größer ist als bei positivem Wachstum. Nicht die Höhe
der ökonomischen Wachstumsrate ist also das Problem sondern der soziale Regulationsmodus
des "Metabolismus", des Stoffwechsels zwischen Natur und Gesellschaft.
So kommt es, daß die Menschen (im Rahmen des expansiven ökonomischen
Systems) die natürlichen Ressourcen in wachsendem Maße als Inputs und
als Senke für den Output nutzen. Da die globalen Ökosysteme begrenzt sind,
ist Konkurrenz das Prinzip, mit dem der Umgang reguliert wird: "Das Umweltproblem
existiert, weil die Umwelt für konkurrierende Verwendungen genutzt werden kann."
(15) Es werden (schlicht und ergreifend) Konkurrenten
beseitigt, indem ihnen die Lebensgrundlage entzogen wird, Konkurrenten, die sich
nicht zur Wehr setzen können: die "eingeborenen Stämme" Afrikas,
Lateinamerikas und Nordamerikas, die Reste indigener Bevölkerung auf Kalimantan
oder in Roraima. Eine Varietät der Spezies Mensch obsiegt mit ihrer Lebens-
und Produktionsweise im gnadenlosen Kampf - und erzeugt dabei eine kulturelle Verarmung,
die nur derjenige nicht vermerkt, der sowieso am liebsten im Holiday Inn nächtigt,
und in Berlin oder Nairobi, Singapur oder Santiago im wesentlichen zwischen Wiener
und Pariser Schnitzel changiert.
Auch Tiere und Pflanzen werden als Konkurrenten ausgemerzt. Das Erschrecken ist
groß, vom Deutschen Bundestag bis zur Weltbank, von biologischen Fachbereichen
bis zum Feuilleton der taz: Wenn eine Vogelart vernichtet wird, sterben (statistisch
betrachtet) eine halbe Säugetierart, zwei Fischarten, 35 Pflanzenarten und
90 Insektenarten (16). Der Gang der Evolution wird
dadurch von einer Art, dem homo sapiens europeus nämlich, verändert
wie noch niemals zuvor in der Geschichte des Lebens auf der Erde. Robert Goodland
von der Weltbank (17) hat das Verhältnis zwischen
endlichem Ökosystem und wachsendem ökonomischen System suggestiv (mit
einer Grafik) dargestellt: Das ökonomische System von Produktion und Konsumtion
der Ressourcen beansprucht einen immer größeren Teil der Nettoprimärproduktion
(das ist die im Zuge der energetischen Umwandlung der Sonnenstrahlung durch die
Photosynthese erzeugte Biomasse) der Erde, von der das Leben ins- gesamt abhängt.
Es ist jedenfalls einsichtig, daß für andere Arten die Entwicklungsmöglichkeiten
eingeschränkt werden, wenn die menschlichen Gesellschaften heute etwa 40% der
terrestrischen Nettoprimärproduktion (mit steigender Tendenz) an sich ziehen
und verbrauchen. Durch Desertifikation, Ausdehnung der urbanen Regionen, durch die
Erosion von Böden, die Versiegelung der Landschaft zum Zwecke der Transportbeschleunigung,
durch die Belastung der Gewässer mit Schadstoffen, die Schädigung des
Lebens infolge des größer werdenden Ozonlochs wird noch dazu die Kapazität
der natürlichen Systeme zur Primärproduktion weiter beeinträchtigt.
Die Nettoprimärproduktion ist also keine fixe Größe, in die sich
die verschiedenen Arten einschließlich des "homo sapiens" teilen,
sondern von der Art und Weise der Ressourcennutzung als Inputs und Outputs durch
die Menschen abhängig.
Die Erde funktioniert wie eine "Photonenmühle" (Ebeling), die (einstrahlende)
hochwertige Sonnenenergie in (abstrahlende) weniger leistungsfähige Energie
verwandelt und von der "Differenz" den eigenen Energiehaushalt bestreitet,
also die Photosynthese zur Nettoprimärproduktion versorgt, die Wind- und Wasserzirkulation
antreibt etc. Die Erde ist also in einen "Energiestrom" der Sonne eingeschaltet.
Das "fordistische" Industriesystem ist durch und durch fossilistisch,
es verbraucht die in Jahrmillionen angehäuften energetischen Puffer der Primärproduktion
in wenigen hundert Jahren, in einigen Fällen von Rohstoffen in wenigen Jahrzehnten.
Das so attraktive europäische Modell hat zwar "den Endsieg" (18) errungen - nicht nur in den Köpfen der Afrikaner sondern
auch über seine eigene Naturbasis -, nur will diese Art "Endsieg"
partout nicht in die klugen Köpfe rein. "Wenn erst alle 'Brennstoffe'
verbraucht sein werden", schreibt Ebeling (19),
"so wird nicht mehr als 200 Watt wertvolle Sonnenenergie pro (Quadratmeter
als Antrieb zur Verfügung stehen und zwar für alle meteorologischen, biologischen,
ökologischen und ökonomischen Prozesse zusammengenommen...Wenn jeder der
etwa 5 Milliarden Erdenbürger einen Strom wertvoller Energie von 10 kW beanspruchen
würde, ergäben sich auch schon 5x10^13 Watt. Mit anderen Worten, wer täglich
zwei Stunden Auto fährt und viele elektrische Geräte betreibt, überzieht
schon sein Konto, er ist ein Schmarotzer der Evolution... "
Man könnte versucht sein, diesen Zusammenhang als "Jäger-Beute- Zyklus"
zu modellieren: Die Menschen nutzen von der Nettoprimärproduktion für
sich immer mehr und verdrängen so die Produzenten der Biomasse, so daß
die Nettoprimärproduktion zurückgeht. Die Expansion der Aneignung durch
die Menschen kommt an eine quantitative und qualitative Grenze, da ja mit der Vielfalt
der Arten auch die Vielfalt der Nettoprimärproduktion beschränkt wird.
Die "Jäger" müssen sich bescheiden, bis die "Beute"
sich wieder regeneriert hat. Wie kann dies aber geschehen? Anders als in den simplen
Jäger-Beute-Grenzzyklen (Hechte fressen Karpfen, die Zahl der Karpfen und damit
das Nahrungsangebot gehen zurück, der Hechtbesatz im Karpfenteich schrumpft,
Karpfen können sich wieder vermehren, Hechte haben mehr zu fressen usw.) sind
die "Jäger" in kommunizierenden menschlichen Gesellschaften organisiert,
die unter- und gegeneinander um die verbleibende Beute kämpfen. Jäger
werden selbst zu Gejagten. Nicht alle Menschen, nicht jede Gemeinschaft, nicht jeder
"Stamm" hat die gleichen Chancen, im globalen System seine Interessen
zur Geltung zu bringen, auch wenn es bei GATT-Verhandlungen, im IWF, bei Treffen
im Pariser Club oder bei GUS-Rettungsaktionen zivilisierter zugeht als im Karpfenteich.
Turbulenzen entstehen, eine Chaotisierung der Weltgesellschaft.
Konflikte sind wegen der Turbulenzen vieldimensional. Sie können daher nicht
mehr einfach "der" ökologischen Krise zugeschrieben und so kodifiziert
werden, daß ein System (z.B. das politische oder das ökonomische System)
in Schwingungen versetzt wird, um darauf reagieren zu können (20), Es wird falsche Resonanz erzeugt. Ökologische Probleme
werden infolge der systemspezifischen Verarbeitungskapazitäten von Informationen
als ganz andere, als nichtökologische Probleme wahrgenommen (als ethnischer
Konflikt, als Nationalitätenkonflikt, als ökonomische Verarmung aufgrund
schlechter Ernten etc.). Möglicherweise beginnt die Wahrnehmung auch zu spät.
Im System "klingelt" es erst dann, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten
werden, an denen Signale als Informationen empfangen werden, die systemintern verarbeitet
werden können. Die Umwelt ist so lange freies Gut und informationell systemunerheblich,
wie begrenzte Gesellschaften sich dennoch Zugriff auf die Ressourcen verschaffen
können, während andere Gesellschaften möglicherweise bereits auf
Umweltprobleme systemspezifisch reagieren: etwa durch Ökomigration. In den
direkt nicht betroffenen Gesellschaften wird die Ökomigration freilich nicht
als Umweltproblem kommuniziert und thematisiert, sondern als "Asylantenproblem",
also letztendlich falsch kategorisiert und bearbeitet.
Die Ausbeutung eines Rohstofflagers, dessen Ressourcen als Inputs für die industrielle
Produktion der weltweit so begehrten Dinge unseres täglichen Lebens benutzt
werden, oder das Abfischen der küstennahen Gewässer Lateinamerikas durch
Fangflotten aus den Industrieländern oder die Abholzung der Regenwälder
zur Anlage von Rinderweiden, die der Fleischproduktion von Hamburgern dienen, die
die Afrikaner, wie uns Gronemeyer/Leggewie mitteilen, so heiß begehren, haben
einen doppelten, einen gegensätzlichen Effekt. Dort wird in jedem Fall ein
weniger diversifiziertes, in vielen Fällen gestörtes oder gar zerstörtes
Ökosystem hinterlassen, hier wird die Versorgung mit Gebrauchswerten zur Befriedigung
von menschlichen Bedürfnissen verbessert. Luhmanns These ist zwar richtig,
daß "evolutionstheoretisch gesehen... man sogar (wird) sagen können,
daß die soziokulturelle Evolution darauf beruht, daß die Gesellschaft
nicht auf ihre Umwelt reagieren muß, und daß sie uns anders gar nicht
dorthin gebracht hätte, wo wir uns befinden. Die Landwirtschaft beginnt mit
der Vernichtung von allem, was vorher da wuchs" (21).
Jedoch ist auch richtig, daß dies erstens nur so lange Geltung beanspruchen
kann, wie die Belastbarkeit der Natur durch die Menschen nicht ausgeschöpft
worden ist, und zweitens die Nutzung der aus den Ressourcen erzeugten Gebrauchswerte
an Orten und in Geselllschaften stattfinden kann, die nicht mit denen identisch
sind, wo die "Vernichtung von allem, was vorher da wuchs", stattgefunden
hat. Die Zerstörung komplexer ökologischer Ordnungsstrukturen hinterläßt
auch ein soziales Chaos und nicht etwa die Ausdifferenzierung eines modernen sozialen
Systems. Wer dies nicht in Amazonien am Beispiel der Verkohlung des Regenwaldes
zur Roheisenproduktion (Roheisen, das zum Teil - und zwar jenseits der Legalität
und gegen Voten des Europaparlaments - nach Westeuropa exportiert wird) studieren
möchte, braucht sich nur die sozialen Folgen des Braunkohleabbaus in Ostdeutschland
zu vergegenwärtigen.
Die Erde ist ein weitgehend geschlossenes System (es ist offen gegenüber der
täglichen energetischen Strahlung der Sonne und gegenüber dem nächtlichen
schwarzen Loch des Weltalls, das die Abwärme absorbiert), die einzelnen Nationalstaaten
sind es nicht. Sie können Materialressourcen und Energie "importieren"
und Abfälle, Abwasser, Abluft "exportieren". Jedes Land kann also
prinzipiell seine "Entropiebilanz" (22) aufbessern,
indem es diejenige anderer Länder und Regionen verschlechtert, indem es also
seine ökologischen Probleme bei Produktion und Konsumtion "externalisiert"
nicht zuletzt, um auf diese Weise seine ökonomische Effizienz zu steigern und
den Wohlstand seiner Stammesmitglieder zu heben. Da die Existenz all er Menschen
aller Nationen, da das Leben schlechthin in den biotischen und abiotischen Sphären
des Planeten Erde stattfindet und da diese Sphären ein globales ökologisches
System bilden, haben die Zugriffe auf die natürlichen Ressourcen der Erde globale
Auswirkungen. Diese können sehr klein und daher unerheblich sein. Stoff- und
Energietransformationen in großem Umfang jedoch reichen über lokale,
regionale und nationale Grenzen hinaus. Die von K. William Kapp (23)
beschriebenen "sozialen Kosten der Privatwirtschaft" verwandeln sich infolge
der Globalisierung und Hierarchisierung der kapitalistischen Produktionsweise in
die "globalen Kosten der fordistisch-fossilistischen Industriegesellschaft".
IV
Je erfolgreicher die modernen Industriegesellschaften "des Nordens", desto
enger der Entwicklungskomdore für die Länder "des Südens",
jedenfalls dann wenn die Belastungsgrenzen von Ressourcen erreicht sind. Walzer
müßte schlußfolgern, daß sich die parochialismen nicht respektieren,
sondern die einen die anderen exploitieren. Doch dazu reicht es nicht; in der Aufzählung
seiner Gruppen, mit denen er sich identifiziert kommen die "Amerikaner, Juden,
Ostküstenbewohner, Intellektuellen, Professoren" vor, nicht aber die Erdenbewohner,
für die seine Existenz als Amerikaner usw. beträchtliche Konsequenzen
zeitigt. Zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten gibt es wohl nur "Gemeinschaft",
wenn man viele idiots du village global unterstellt. Eine höchst unrealistische
Annahme bei nahezu 6 Milliarden homines sapientes. Ökonomische Interdependenzen,
die ja bekanntlich prinzipiell asymmetrisch sind, und ökologische Interferenzen
sind ein Thema, an dem sich das "linke Unvermögen" abarbeiten kann.
Möglichkeitsräume für Handlungsalternativen werden für die eigene
c o m m u n i t y und deren Sphären gedacht, nicht aber für die anderen
in den anderen Parochien. Kirchturmsdenken und -politik, Spitzweg läßt
grüßen.
Die wechselseitige Abhängigkeit in der global village als Blindstelle
zu pflegen ist eine billige Methode, um auch weiterhin wie gehabt Externalitäten
produzieren und diese den global commons anlasten zu können. Es ist
fast überflüssig, die bekannten, von der Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestag "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" zusammengestellten
Daten zu wiederholen: daß die USA von 1950- 1986 31,0% sämtlicher CO2-Emissionen
bei einem Anteil von 4% an der Weltbevölkerung erzeugt haben (die alte BRD
5,3% bei 1,1% der Weltbevölkerung). Andere Gesellschaften (oder Gemeinschaften,
Stämme) werden sich diese Bonanza nur leisten können, wenn die globale
Menschengemeinschaft auf ihre Fortexistenz explizit verzichtet.
Marktforcierter Individualismus und der dessen Defizienzen zu heilen vorgebende
Kommunitarismus gehen eine ökonomisch und ökologisch brisante Mischung
ein. Eine neue Kaste von Nimbys (not in my backyard) entwickelt sich,
die ihre "Gemeinschaft" sauber hält, indem sie anderen ihren Dreck
vor die Tür kehrt, aufs Dach wirft und in die Wohnzimmer ablüftet. So
ist "Partikularismus", den die "Linke nicht verstehen kann"
(Walzer), den die Linke kritisieren muß, höchst komfortabel. Dessen Gratifikationen
genießen die Reichen, die Kosten tragen andere. "Smog ist demokratisch",
sagt Ulrich Beck (24). Aber die Möglichkeiten,
ihm auszuweichen, Kompensationen zu finden und ihn zu exportieren, sind ungleich
verteilt.
Eine brenzlig-explosive Lage, in der sich die world community befindet. Da
ist es nur naheliegend, wenn die einen (Menzel) vorschlagen, die schlimmsten Auswüchse
der Regelung durch eine globale Treuhand zuzuweisen, Brosamen gegen den Hunger zu
verteilen und das Militär (nach demokratischer Prozedur in den westlichen Industrieländern,
versteht sich) zur Schaffung von Ruhe und Ordnung in die auf den Hund gekommenen
Länder der ehemaligen Dritten Welt zu entsenden. Die besonders aufmüpfigen
"Stämme", die von Charles Krauthammer so bezeichneten "Waffenstaaten",
muß man mit Panzern, Flugzeugen, Raketen und dem UN-Sicherheitsrat Mores lehren
(Leggewie und die vielen anderen Bellizisten innerhalb der westlichen Intelligentsia).
Das Thema ist trist, nicht nur wegen der vielen Opfer im Irak, in Israel, in Kurdistan
und anderswo und wegen der 143 gefallenen US-Amerikaner. Es ist trist, weil im ersten
postmodernen Krieg (Kriegspräsenz in Echtzeit und gleichzeitige Inszenierung
der bewegenden Aspekte des Kriegs durch die Realitätsimaginatoren der Werbebranche,
so daß einem Hören und Sehen vergehen konnte) die Exklusivität eines
Lebensmodells, das von fossilen Ressourcen abhängig ist und die dazu passenden
Emanationen (die warenästhetischen Produkte der Industriegesellschaft in ihrer
ganzen Reichhaltigkeit) hervorgebracht hat, "ohne Rücksicht auf Verluste"
verteidigt worden ist, und weil die netten communitarians und flotten Schwerintellektuellen
den Golfkrieg, einen imperialistischen Krieg, rechtfertigen. Saddam Hussein oder
andere political leaders in der ehemals sogenannten Dritten Welt sind nach "linken"
Standards nicht zu verteidigen; sie sind ja nichts als Zöglinge der westlichen
Gemeinschaft, ihre Länder und Territorien sind zu Waffenstaaten militärisch
von ihr aufgepäppelt worden. Doch das globale Problem sind nicht die Saddams
und die anderen Waffenstaaten, die irgendwann eventuell militärisch bedrohlich
werden könnten. Das wirkliche Problem ist die Chaotisierung großer Teile
der Welt. Das ist die Kehrseite der Erzeugung und Aufrechterhaltung des exklusiven
Wohlstandsmodells in den Industrieländern Nordamerikas und Westeuropas. Keine
Facette dieses Problems wurde gelöst, ja noch nicht einmal ins Visier genommen,
als der Golfkrieg vorbereitet, geführt und dann "gewonnen" wurde.
Im Gegenteil, der Krieg ermöglichte die gedankenlose Fortsetzung einer Lebensweise,
die der Evolution ein Ende bereiten kann.
Nach dem Ende des realen Sozialismus ist es nicht nur kommun, auf Sozialisten und
"der Linken" herumzuhacken, sondern auch den Begriff der "Revolution"
in eine der vielzitierten Mottenkisten zu verdammen. Viel radikaler als die Revolutionstheoretiker
des Sozialismus je gedacht haben, ist der Begriff zu revitalisieren: um die Evolution
zu retten. Die protestantische Kirche, der Papst oder das Worldwatch-Institut sind
in der Hinsicht Meilen weiter als die Plüschlöwen postlinker Salons, deren
Weltverständnis auf "community" und Stammeswesen zusammengeschmolzen
ist (25).
Möglicherweise ist es sogar der lifestyle der Nimbys in den netten
communities, der für die globale ökologische Krise mitverantwortlich ist,
ohne daß dafür angemessene Reflektionspotentiale mobilisiert werden könnten.
Veränderungen von lifestyle, von Produktionsweise und Konsumtionsmustern können
nur "unten", auf Gemeindeebene beginnen, als eine Art "kommunaler
Sozialismus" (Christoph Müller), da sie nicht einfach von oben verordnet
werden können. Kommunalismus ist etwas anderes als bornierter und arroganter
und allenfalls noch karitativer Parochialismus, nämlich ein Bearbeitungsversuch
nicht nur der ökologischen Probleme in "erdpolitischer" (26) Verantwortung.
1) Michael Walzer, Das neue Stammeswesen. Erörterungen
über das Zusammenleben der Völker, in "Lettre International",
Heft 16, 1 Vj. 1992, S. 8-11.
2) Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und gesellschaft,
Berlin 1920.
3) Michael Walze, a.a.O., S. 11.
4) Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Studienausgabe),
Tübingen 1976, S. 21.
5) David E. Apter, Institutionalism Reconsidered, in
"International Social Science Journal", August 1991, S. 477.
6) Friedrich A. von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren,
Vortrag im Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Kiel 1968.
7) Friedrich A. von Hayek, "Ungleichheit ist nötig",
Interview in: "Wirtschaftswoche", Nr. 11 v. 6.3.1981.
8) Reimer Gronemeyer und Claus Leggewie, Rituale europäischer
Selbstkasteiung, in "Blätter", 1/1992, S. 78-85
9) Ulrich Menzel, Die Hilfe hilft nicht, Treuhandschaft
wäre ein Weg, in "Frankfurter Rundschau", 3.6.1991
10) Riccardo Petrella, Un contrad mondial pour une
nouvelle humanite, in "Le monde diplomatique", Fevrier 1992.
11) Die daten sin berechnet nach Weltbank, Weltentwicklungsbericht,
Washington D.C. 1991.
12) Ferdinand Tönnies, a.a.O., S. 207.
13) Zu diesem Begriff vgl. Fred Hirsch, Die sozialen
Grenzen des Wachstums, Reinbek 1980.
14) Claus sagt der alten Dame, die auf der gerade
weggeworfenen Bananenschale ausgerutscht ist: "Paß doch auf Oma, wo Du
hintrittst!"
15) Horst Siebert, Einleitung in: Horst Siebert (Hrsg.),
Umwelt und wirtschaftliche Entwicklung, Darmstadt 1979, S. 1.
16) Vgl. dazu Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages,
Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre, Zweiter Bericht "Schutz der tropischen
Regenwälder", Zur Sache 90, 10. Deutscher Bundestag 1990.
17) Robert Goodland, The Case that the World has Reached
Limits: More Precisely that current throughput growth in the global economy cannot
be sustained, in Robert Goodland/Herman Daly/Salah El Serafy (ed.), Environmentally
Sustainable Economic Development - Building on Brundtland, The World Bank, Environment
Working Paper No 46, July 1991, S. 5-17.
18) So Gronemeyer/Leggewie, a.a.O., S. 83.
19) Werner Ebeling, Modelle der Selbstorganisation
in ökologischen und ökonomischen Systemen, in: Frank Beckenbach (Hrsg.),
Die ökologische Herausforderung für die ökonomische Theorie, Marburg
1991, S. 346.
20) Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation.
Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?,
Opladen 1988, S. 40.
21) Ebd., S. 42.
22) Dazu vgl. die Ausführungen in: Elmar Altvater,
Die Zukunft des Marktes, Münster 1991.
23) K. William Kapp, Volkswirtschaftliche Kosten der
Privatwirtschaft, Tübingen, Zürich 1958.
24) Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Wege
in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986, S. 48.
25) Vgl. dazu Reinhard Loske, gewinner und Verlierer
in der Weltverschmutzungsordnung. Versuch einer sozial-ökonomischen Typisierung
klimarelevanter Emissionen, in "Bätter", 12/1991, S.1482- 1493.
26) Ernst Ulrich von Weizsäcker, Erdpolitik,
Darmstadt 1989.
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Most recent revision: April 07, 1998
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