(Taz 19.12.95) Die Protokolle der Weisen von Wandlitz
Rote Nazis und jüdische Verräter: Michael Wolffsohn, der deutsch-jüdische
Professor fürs Grobe, hat ein diffamierendes Buch über die Juden in der
DDR geschrieben. Er müßte aus dem Historikerverband raus, meint
Michal Bodemann
Auf den ersten Blick ein beeindruckendes Werk. Neun Jahre Arbeit. Recherchen in
dreißig Archiven auf drei Kontinenten. Sechs Forschungsassistenten in Lohn
und Brot. Dann alles verdichtet auf 400 Seiten Text einschließlich 1.500 Fußnoten.
"Die Deutschland-Akte" heißt das jüngste Produkt von Michael
Wolffsohn von der Bundeswehr- Universität in München, ein Professor für
Neuere Geschichte mit atemberaubenden 80 Aufsätzen und 20 Büchern in etwa
20 Jahren.
Es geht um "Tatsachen und Legenden über Juden und Deutsche in Ost und
West", präziser: um "Täter und Opfer, Schurken und nützliche
Idioten" jüdischer Herkunft. Michael Wolffson hat sich diesmal vorgenommen,
den scheinbar antifaschistischen Alltag der DDR als Propaganda zu entlarven. Es
gehe ihm nicht um eine weitere Abrechnung mit der DDR, schreibt er, sondern um die
"DDR in uns", um das "vorgeblich antifaschistische Erbe" der
DDR und um deren "angebliche Bekämpfung des Antisemitismus". Und
er will das "Gehabe" von "Gysi, Heym & Co-PDS" sowie von
"Juden, die zu dumm, gutgläubig oder schamlos genug waren, dabei mitzumachen"
aufdecken.
Herausgekommen ist bei Wolffsohn keine Geschichte der Juden in der DDR, sondern
eine Enthüllungsstory über die schlechten Charaktereigenschaften von Juden
in der DDR. Geschrieben in einem Stil, den in Deutschland nur noch die Nationalzeitung
besser kann. Und es ist, wenn man mal über die Politpornographie hinwegliest,
wissenschaftlich unsauber. Es ist Demagogie.
Begeisterte Würdigung (Spiegel) erntete Wolffsohn für seine gleich im
ersten Kapitel - "Roter Staat, braune Jauche, gelbe Farbe" - gerittene
Attacke gegen die Stasi. Dabei geht es um die Strategie der DDR in den 60er Jahren,
die Bundesrepublik als Nazistaat zu brandmarken, während sie angeblich zur
gleichen Zeit ihre eigenen Ex-Nazis in Amt und Würden hievten. Um Westdeutschland
zu destabilisieren, war der Stasi, so erfahren wir in den ersten 85 Seiten, kein
Schmutzkübel zu dreckig, keine Gemeinheit zu schäbig. Schändete die
Stasi die Synagoge in Köln?
Zu erfahren ist, daß die Stasi-Hauptabteilung XX/4 ab Ende der 50er Jahre
"neonazistische Jugendorganisationen" (bei Wolffsohn in Anführungszeichen)
sowie die westdeutsche Rechte unterwanderte, um sie zu antisemitischen Aktionen
zu ermuntern. Die Stasi als Ghostwriter und Ghosttäter von scheinbar originären
westdeutschen Neonazis. Nicht Antisemiten der Bundesrepublik haben Weihnachten 1959
die Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen geschändet, heißt das zentrale
Beispiel, sondern "die Pinsel der Schmierfinken wurden von Stasi, KGB und anderen
kommunistischen Geheimdiensten gelenkt. Ost-Emigranten und vermeintlich Kalte Krieger
- vor allem Franz Josef Strauß - hätten dies schon immer behauptet, "doch
klare Beweise fehlten bisher".
Doch wie sieht es mit den "klaren Beweisen" aus, die der Professor für
diese altbundesrepublikanische Entlastung aus den dreißig Archiven in drei
Kontinenten holt? Schlecht sehen sie aus! Belegt wird die angebliche Destabilisierung
der Bundesrepublik durch Counter-Aktivitäten der Kommunisten mit keiner einzigen
erkennbaren DDR-Originalquelle. Der einzige, dazu noch indizienhafte Beleg für
diese schwerwiegende Anschuldigung ist eine nicht lokalisierbare Aussage eines obendrein
noch ungenannten SED-Funktionärs. An weiteren Stellen, wo jeder interessierte
Leser den Nachweis sucht, fehlen Anmerkungen völlig oder, noch dubioser, wird
"Quellenschutz" vorgeschützt.
Wolffsohns Beweise sind Spekulationen
Wolffsohns spektakulär angekündigte Enthüllung basiert auf "Beweisen",
die samt und sonders aus dem Westen stammen. Methodisch baut er erst eine Indizienkette
für eine selbständige Westtat auf, um sie dann selber grandios zu zerreißen.
Das geht so:
Der damalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes, der "clevere Günther
Nollau", und "Intimus von Herbert Wehner" habe bestritten, daß
die illegale KPD bei dieser Tat beteiligt war. Er berichtet von zwei Männern
in Köln, "die gestanden, die Tat aus eigenem Antrieb begangen zu haben".
Soweit also die Indizien für Antisemiten aus dem Westen. Und jetzt kommen Wolffsohns
Beweise, daß aber hinter den Kulissen die Kommunisten die Fäden zogen,
geschickter, als sich "Nollau in seiner Schulweisheit" erträumen
konnte.
1. Nollau habe mit seinen Recherchen nur dem Bundesnachrichtendienst und dessen
Chef Gehlen eins auswischen wollen, die eine KPD-Beteiligung nicht ausschlossen.
2. Das Auswärtige Amt (AA) habe schon 1958 bei früheren antisemitischen
Vorfällen "Anhaltspunkte" für eine kommunistische Urheberschaft
gehabt. 3. Auch britische und französische Diplomaten hielten eine SED-Täterschaft
für möglich. 4. Strauß hätte sich über das AA maßlos
geärgert, weil es sich über eine kommunistische Lenkung der Aktion "höchst
vorsichtig ausgedrückt hätte". 5. Strauß schickte dem AA "ausgesuchtes
und überprüftes nachrichtendienstliches Material" in dem 6. folgende
Aussage des unbekannten SED-Funktionärs enthalten war: "Die jüngsten
Vorgänge in Westdeutschland (also die Schmierereien, d. Red.) kommen uns wie
gerufen. Jetzt machen sich die Tausende in die BRD eingeschleusten Gewährsleute
bezahlt, deren Einsatz so oft auch in den eigenen Reihen als zu kostspielig kritisiert
wurde." Und 7., so lautet das inzwischen zum Beweis erhobene Fazit von Wolffsohns
Indizienkette: "Passte nicht alles ins Bild... Mit der NS-Keule trieb der Osten
einen Keil in die westliche Berlin-Politik." Mit Erfolg, denn: "Die antisemitischen
Schmierereien waren Anlaß dafür, daß im westlichen Ausland angestaute
- im Kalten Krieg verdrängte - antideutsche Gefühle ausbrachen."
Es ist hinlänglich bekannt und keineswegs, wie Wolffsohn behauptet, eine Enthüllung,
daß die DDR im Kalten Krieg die internationale Reputation der Bundesrepublik
durch Kampagnen gegen im Westen wiederauferstandene Altnazis wie Hans Globke (Kommentator
der Nürnberger Rassengesetze und unter Adenauer Staatssekretär im Bundeskanzleramt)
und Theodor Oberländer (NS-Bevölkerungstheoretiker, Vertriebenenminister)
zu beschädigen suchte. Wie diese Kampagnen aber im Westen "Antisemitismus
produziert haben sollen", wie Wolffsohn dies permanent behauptet, bleibt sein
Geheimnis.
Denn das Gegenteil ist richtig. Diese Kampagnen, gleich welcher Motivation sie auch
entsprangen, fungierten als Korrektiv. Sie trugen zweifelos dazu bei, den Neonazismus
und den Antisemitismus in der Bundesrepublik gesellschaftlich zu ächten und
einzudämmen.
Alte Tatsachen aufgepeppt
Wenig neu sind auch Wolffsohns Erkenntnisse, daß viele kommunistische Juden
aus der Emigration in die DDR kamen, um ein "antifaschistisches Deutschland"
aufzubauen, und daß sie von ihrem Staat mißbraucht oder für den
Antifaschismus instrumentalisiert wurden. Ebenfalls ist bekannt, daß die DDR
sich nicht zu "Wiedergutmachungszahlungen" verpflichtet fühlte und
sich in antizionistischen Haßtiraden ergoß, um die Beziehungen zu den
arabischen Staaten zu festigen. Und ebenfalls bekannt ist, daß diese Politik
sich erst in den 80er Jahren deutlich änderte, vor allem um die wirtschaftlichen
Verbindungen zu den USA nicht zu gefährden.
Mit Wolffsohn zu sprechen, ist dieses Umfeld der "Wald", und nur um den
gehe es, verspricht er, und nicht um die "einzelnen Bäume". Trotz
dieses Postulats aber schreibt Wolffsohn fast nur über die Bäume. Wir
lesen über die antiisraelischen und antiwestdeutschen Kampagnen, die Friedrich
Karl Kaul, Markus Wolf, Albert Norden und insbesondere Gregor Gysi und sein Vater
Klaus ausgeheckt haben oder haben sollen. Wir erfahren Schweinereien, die der ungarische
"Stasi-Rabbi" oder die Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins, Irene
Runge, begangen haben. Wir hören viel über "vermeintliche"(?)
Juden wie den Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski und vermeintliche (aber dann
doch nicht) Stasi-Agenten wie Heinz Galinski. Und wir lernen, daß Kulturschaffende
wie die SchriftstellerInnen Anna Seghers, Arnold Zweig, Stephan Hermlin und Stefan
Heym allesamt "naiv", "feige", "loyale Ruhestörer"
oder "schamlose Diffamierer" waren.
Nazismus, Stalinismus - alles eins
Wolffsohns Wald ist anderer Natur. Der erste ist seine Gleichsetzung von Nazismus
und Stalinismus, die positive Erwähnung seines Mentors Ernst Nolte ist hier
mehr als nur ein Fingerzeig. Das DDR-Regime sei mit ehemaligen Nazis besetzt und
die Kontinuität von Nazismus und Stalinismus auch in persona zu sehen, lautet
seine These. Wolffsohns Paradebeispiel ist hier der ehemalige DDR-Außenhandelsminister
Gerhard Beil. Beil trat der NSDAP 1944 mit 18 Jahren bei. Ihn auf der einen Seite
permanent als Ex-Nazi zu brandmarken, andererseits aber Georg Kiesinger in Schutz
zu nehmen ist bezeichnend.
Wolffsohns zweiter Wald ist sein deutsch-jüdisch-israelischer Patriotismus.
Positiv bewertet werden alle westdeutschen Politiker und das jüdische Establishment,
die diesen aufs Panier hoben: Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß, auch Werner
Nachmann, der ehemalige und in Betrügereien mit Entschädigungszahlungen
verwickelte Chef des Zentralrats der Juden in Deutschland. Über alle anderen,
über die Internationalisten oder Antizionisten, ergießt sich seine Häme,
seine ganze Wut, sein ganzes obsessives, sensationslüsternes Denunziantentum.
Ein paar Beispiele dazu.
Heinrich Fink, der geschaßte ehemalige Direktor der Humboldt- Universität
in Berlin (IM "Heiner"), sei ein "skrupelloser Scheinfreund der Juden"
gewesen, dem Nobelpreisträger Eli Wiesel "auf dem Leim" ging. Scheinfreund
nennt Wolffsohn Heiner Fink, weil er mit "DDR-Hofjuden" dafür gewesen
sei, daß in den 80er Jahren dem Ostberliner Magistrat erlaubt wird, eine Autostraße
über den Jüdischen Friedhof in Weißensee zu leiten. Doch für
diese Behauptung hat Wolffsohn nicht den leisesten Krümel von Beweis, nicht
einmal Indizien. Tatsächlich hat Fink seine eher überschwengliche Sympathie
zu Juden und zu Israel geradezu karriereschädigend unter Beweis gestellt. Nachdem
Fink im Junikrieg 1967 seinen israelischen Freunden ein Solidaritätstelegramm
schickte, erhielt er vom DDR-Staat ein Israel-Kontaktverbot.
Auch Peter Kirchner, der ehemalige Gemeindevorsitzende von Ost- Berlin, wird mit
Dreck beworfen. So habe er im Auftrag der Stasi 1987 die Tagung des Jüdischen
Weltkongresses in Budapest bespitzelt. Eine "differenzierte Einflußnahme
"sollte er auch auf die beiden anderen DDR-"Beobachter", Sigmund
Rotstein und Herman Simon, ausüben. Es bleibt nur ein kleines Problem ungelöst.
Kirchner war nachweislich überhaupt nicht in Budapest. Wolffsohns Behauptung,
Kirchner sei ein Stasi-Spitzel gewesen, wird ebenfalls nicht mit Quellen belegt,
sondern anhand von fragwürdigen Indizien konstruiert.
Ahnenforschung nach Gestapo-Art
Ebenfalls unerträglich ist Wolffsohns Gestapo-artige Ahnenforschung über
die Familie Gysi. Er schreibt wörtlich: "Gegenüber Vertretern amerikanisch-jüdischer
Organisationen gab (Gysi) sich 1983 als "part jew", also "Halbjude",
zu erkennen. Nun hatte er seine jüdischen Wurzeln wieder entdeckt. Einen unangenehmen
Beigeschmack hatte auch diese Wiederentdeckung. Sie wurde mit Kategorien der NS-Zeit
beschrieben: "Halbjude". Richtig ist aber, daß nicht Gysi, sondern
Wolffsohn die NS-Kategorie "Halbjude" benutzt. Er tut dies, indem er das
indirekte Zitat eines jüdischen Funktionärs über Gysi - nämlich
"Gysi indicated that he is a part Jew" - zu einem Zitat von Gysi umbiegt.
Das Üble an diesem pseudowissenschaftlichen Buch ist, daß mit der Behauptung,
die DDR habe den Antisemitismus im Westen erzeugt, um selbst antifaschistisch prima
dazustehen, bundesrepublikanische Weißwäscherei betrieben wird. Ob Wolffsohn
mit seinem schamlos tendenziösen Buch neuen/alten Antisemitismus erzeugen kann,
bleibt abzuwarten. Futter - nach dem Motto: Was ich immer schon meinte, aber der
Jude Wolffsohn endlich sagt - bietet es genug.
Dieses zutiefst unethische Buch ist eine beispiellose Niederträchtigkeit, und
der deutsche Hochschulverband und der Historikerverband sollten sich überlegen,
ob die Praxis eines derartigen Kollegen mit ihrem Berufsethos überhaupt in
Einklang zu bringen ist. Schändlich darüber hinaus, daß dieser Person
die Ehre zuteil wurde, bei der zentralen Gedenkfeier zum Volkstrauertag die Gedenkrede
zu halten. Hoffentlich werden die Verunglimpften dazu nicht schweigen.
Michael Wolffsohn, "Die Deutschland-Akte, Juden und Deutsche in Ost und West",
Edition Ferenczy/Bruckmann Verlag, München 1995, 396 S., 44 DM
Michal Bodemann ist Professor für Soziologie in Toronto und lebt in Toronto
und Berlin. Sein Buch "Gedächtnistheater, die jüdische Gemeinschaft
und ihre deutsche Erfindung. Über Juden und Deutsche nach 1945" erscheint
im März beim Rotbuch Verlag Berlin.
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt