Germany must perish
Unter diesem Titel erschien Anfang 1941 in New York eine Broschüre, in der die Aufteilung Deutschlands an die Nachbarstaaten und die biologische Ausrottung der Deutschen durch Sterilisierung propagiert wurde. Verfasser war Theodore N. Kaufman, der das Büchlein auch selbst verlegte und vertrieb. Der nationalsozialistischen Propaganda war die Geschichte hochwillkommen, sie wurde im &hibar;Völkischen Beobachter® (24. Juli 1941) in großer Aufmachung zu einem &hibar;ungeheuerlichen jüdischen Vernichtungsprogramm® hochstilisiert. Der Verfasser sei ein enger Mitarbeiter des US-Präsidenten Roosevelt, der die Hauptthesen des Buches persönlich inspiriert und diktiert habe. Die ganze NS-Presse beschäftigte sich ausführlich mit dem Pamphlet und brachte Auszüge, in denen &hibar;die letzten Ziele der jüdischen Politik gegenüber Deutschland® enthüllt wurden.
Das Reichspropagandaministerium publizierte im September 1941 eine Broschüre in Millionenauflage, in der bewiesen werden sollte, daß Kaufman &hibar;kein namenloser Einzelgänger, kein vom Weltjudentum abgelehnter Fanatiker, kein geisteskranker Sonderling® sei. Aber der angebliche Roosevelt-Intimus und &hibar;Präsident der amerikanischen Friedensliga® war nichts anderes als ein unbekannter kleiner Mann, der Theaterkarten verkaufte und ganz aus eigenem Antrieb handelte. Die amerikanische Öffentlichkeit lehnte seine abstrusen Ideen entrüstet ab. So war es in einem Artikel im US-Magazin &hibar;Time® zu lesen, der einzigen größeren Würdigung, die der &hibar;Kaufman-Plan® fand. Der Beamte im Goebbels-Ministerium, der die &hibar;Zusammenhänge® erfunden hat, kannte diesen Artikel wohl, aber er verdrehte ihn ins Gegenteil. Bewiesen werden mußte ja, daß &hibar;die Juden® die Vernichtung der Deutschen propagierten, daß man sich also in einer Situation der Notwehr befinde.
Daß Deutschland von Vernichtungsplänen bedroht sei, spielte in der Durchhaltepropaganda im Zweiten Weltkrieg eine große Rolle. Goebbels stellte am 27. Mai 1944 im &hibar;Völkischen Beobachter® &hibar;Beweise® für den &hibar;Vernichtungswillen der Alliierten® zusammen und zitierte unter anderen eine Londoner Zeitung: &hibar;Wir sind dafür, jedes in Deutschland lebende Lebewesen auszurotten: Mann, Frau, Kind, Vogel und Insekt. Wir würden keinen Grashalm wachsen lassen.® Und in der nationalsozialistischen Berichterstattung über die Jalta-Konferenz im Februar 1945 hieß es: &hibar;Es wächst die Erkenntnis, daß Deutschland genannt, aber Europa gemeint ist, daß nach Auslöschung des deutschen Volkes der Kontinent seine feste Mitte verlieren und der schrankenlosen Willkür der Bolschewisten überantwortet wäre. ®
Benützten die NS-Propagandisten die Vernichtungsphantasien zur Stärkung des Durchhaltewillens, so dienen sie Neonazis und Apologeten des NS-Staats bis zum heutigen Tag dazu. um vom Holocaust abzulenken und die Schuld am Völkermord den Opfern zuzuweisen. Für die Behauptung, das planmäßige Vernichtungsprogramm des NS-Regimes gegen die Juden sei ein Akt der Notwehr gewesen, bildet der &hibar;Kaufman-Plan® das wichtigste Indiz. Paul Rassinier, ein Goebbels-Epigone, grub 1963 die Schrift Theodore N. Kaufmans wieder aus, um zu beweisen, daß &hibar;die Juden® an allem schuld sind, andere Rechtsradikale folgten ihm. Heinz Roth brachte 1970 den Morgenthau-Plan und den Kaufman-Plan in einen inneren Zusammenhang mit der Wannseekonferenz, bei der am 20. Januar 1942 deutscherseits &hibar;keine Ausrottung®, sondern &hibar;Auswanderung® der Juden vorgesehen gewesen sei. Die Juden seien also schlimmer als die Deutschen gewesen legt der Autor nahe. In den 1980 veröffentlichten Erinnerungen Adolf Eichmanns wird dann auch die Judenvernichtung auf die &hibar;Provokation Kaufmans® zurückgeführt.
Für die rechtsextremistische Propaganda ist der Kaufman-Plan offenbar unentbehrlich. 1977 erschien erstmals eine Ubersetzung in deutscher Sprache, und im Frühjahr 1983 waren in der &hibar;Nationalzeitung® unter der Uberschrift &hibar;Holocaust-Verbrechen gegen Deutschland - Die Pläne zur Ausrottung unseres Volkes® Auszüge aus dem Pamphlet zu lesen, garniert mit längst widerlegten Legenden und Lügen über seine Entstehung, die im Goebbels-Ministerium erfunden wurden.
Literatur: Wolfgang Benz, Judenvernichtung aus Notwehr? Die Legenden um Theodore N. Kaufman. In: Vierteljahrshefte für Zeitge schichte 29 (1981), Seite 615-630.

aus :Wolfgang Benz (Hrg.), Legenden Lügen Vorurteile

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Most recent revision: April 07, 1998

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