Karma, Ufos und Antisemitismus
Antisemitische Verschwörungslegenden in der esoterischen Szene
In der Schweiz ist es schon lange verboten. Im April 1996 hat nun auch in Deutschland
eine bundesweite Beschlagnahmeaktion wegen Volksverhetzung stattgefunden: Es geht
um Jan van Helsings im Ewert Verlag erschienenes Buch "Geheimgesellschaften
und ihre Macht im 20. Jahrhundert". Die erst jetzt erfolgte Beschlagnahme wird
wohl den Verschwörungsmythen neue Nahrung geben. 100.000 Exemplare dieses Buches
sollen verkauft worden sein. Unter dem Ladentisch wird es in einigen esoterischen
Buchläden immer noch gehandelt. Van Helsing verkündet inzwischen, daß
sein Buch von Spanien aus selbstverständlich - außer nach Deutschland
und die Schweiz - weiter in alle Welt verkauft wird.
Dieser Herr, der so eindeutig in faschistischer Tradition steht, daß es schwer
zu begreifen ist, wie seine Bücher bis in "alternative" Kreise hinein
beliebte Lektüre sein können, nennt sich van Helsing, weil er sich als
Vampirjäger sehen will, gleich jenem van Helsing in dem Roman "Dracula"
von Bram Stoker. Tatsächlich heißt er - wie sich inzwischen herausgestellt
hat - Jan Udo Holey.
Bisher fristeten Legenden, wie sie von van Helsing vertreten werden, eher ein Schattendasein,
waren besonders in Lateinamerika unter geflohenen SS-Leuten zu Hause (siehe Miguel
Serranos "Esoterischer Hitlerismus", Wilhelm Landigs "Götzen
gegen Thule"). Mit der Verbreitung von van Helsings Büchern erlangen solche
erstmals größeren Einfluß.
Bis heute wird vorwiegend spekulativ behandelt, wie stark esoterisch-rassistische
Publikationen die NS-Bewegung beeinflußt haben. Sicher ist aber, daß
sie es taten. Gerade darum sollten Dinge, die heute wieder in dieselbe Richtung
weisen, aufmerksam beobachtet werden. "Historisch zeigt sich, wie diverse ariosophische
und neogermanistische Behauptungen einen Vorlauf für die NS-Rassenideologie
und deren Umsetzung bildeten. Noch heute werden die von Heinrich Himmlers ,Ahnenerbe`
durchgeführten pseudowissenschaftlichen Untersuchungen über die Externsteine
als ,germanischer Kraftplatz` in weiten Teilen der Esoterikszene unkritisch für
bare Münze genommen." (1) Manche der vorgeblich
unpolitischen esoterischen Strömungen können nicht von dem Vorwurf freigesprochen
werden, das Terrain für rechte Ideologen bereitet zu haben. Erinnert sei nur
an hanebüchene Erklärungen wie jene, da alles Karma (2)
sei, habe z.B. das Opfer einer Vergewaltigung sich diese selbst zuzuschreiben (und
zwar entweder durch eine Tat aus einem früheren Leben oder durch entsprechende
Affinität im jetzigen). Gemeinsam ist weiter allen Strömungen, daß
sie eine nebulöse "Intuition" weit über den kritischen Verstand
setzen.
Esoterisch liebevolle Haßtiraden
Wer sind nun die "Vampire", die van Helsing bekämpft? "Menschen,
die das Leben nicht bereichern, sondern Leben nehmen und auf Kosten anderer Menschen
existieren, auch energetisch". ("Geheimgesellschaften, 2. Band - Interview
mit Jan van Helsing", S. 40) Das Buch, so heißt es in der Vorrede zum
1. Band, erkläre das Elend der Welt - und warum der Reichtum sich in den Händen
weniger befinde.
So etwa stellt sich das Weltbild des Jan van Helsing dar: Allgegenwärtige Feinde
sind Freimaurer, Juden und wiederum Juden. Die Verschwörung hat laut van Helsing
schon zu biblischen Zeiten begonnen. Von außerirdischen Finsterlingen wurde
den Juden per "Blutbund" die Macht auf der Erde übertragen. Erleuchtete,
gute Außerirdische warfen, um die finsteren Pläne zu durchkreuzen, einen
durch Genmanipulation erzeugten Jesus auf den Markt (bzw. die Erde). Juden sind
oder waren: Willy Brandt, Olof Palme, Fidel Castro, Lenin, Stalin, Kohl. Schockierende
Neuigkeit: Die US-amerikanischen Demokraten sind eigentlich Sozialisten. Der Plan
sei, die deutsche Nation auszurotten. (Band 2, S. 166)
Der Club of Rome = der Logenverbund "Schwarzer Adel" wolle 2,5 Mrd. Menschen
ermorden. Dazu sei Aids entwickelt worden. Über die Pockenimpfung der WHO habe
man den afrikanischen Kontinent infiziert. Inzwischen werde ein neues Virus, das
schneller wirke, hergestellt. Gift werde ins Trinkwasser geschmuggelt, Gift in Zigarettentabak.
Über diesen Holocaust mit 500 Millionen Opfern in zehn Jahren spreche niemand.
(Band 2, S. 187)
Der Jude Karl Marx sei Mitglied des bayrischen Illuminatenordens gewesen. Das Kommunistische
Manifest stamme gar nicht von Marx, sondern von Adam Weishaupt, dem Gründer
eben dieses Ordens. Trotzkis Rebellen seien auf dem Grundstück der Rockefellers
für die Revolution trainiert worden. (Band 1, S. 76)
Wirtschaftskrisen würden von den Rothschilds nach Belieben hervorgerufen (übrigens
auch Erdbeben und Stürme). Da Deutschland für die Illuminati eine Bedrohung
gewesen sei, seien Erster und Zweiter Weltkrieg vom Zaum gebrochen worden. Keine
Plattheit ist zu dumm, eingebaut zu werden: Rote Armee = Roter Schild = Rothschild.
(Band 1, S. 87)
Deutschland sei das kommende Lichtreich. Rudolf Steiner habe die Kinder der Schwarzen
Sonne (SS!) von der Wewelsburg zurück nach Tibet gebracht. Der reale Kern:
Es wurden 1938 SS-"Wissenschaftler" nach Tibet geschickt, um dort vorgeschichtliche
Forschung zu betreiben. Angeblich ein Steckenpferd besonders von Himmler. (3) Allgemein, wie auf diesem Gebiet leider üblich, gibt es hierzu
wenig Gesichertes.
1773 habe man, so van Helsing weiter, in einem Haus in der Judenstraße in
Frankfurt beschlossen, durch drei Weltkriege die Eine-Welt-Regierung zu schaffen.
(Band 1, S. 16) Christi Lehre sei durch Beifügung des Alten Testaments in ihr
Gegenteil verkehrt worden. (Band 1, S. 31) Das ist das Gedankengut der Neugermanen
seit der Jahrhundertwende. Manche erklärten Jesus dementsprechend zum Arier
- oder - wie es neuerdings wieder vertreten wird - zum Sohn eines germanischen Gottes.
Den schon seit Jahrzehnten als plumpe Fälschung entlarvten sogenannten "Protokollen
der Weisen von Zion" wird Echtheit bescheinigt. Sie seien nur schon 1.000 Jahre
zuvor geschrieben, dann allerdings neu formuliert worden. Diese "Protokolle"
bilden gewissermaßen die Grundlage der beiden Bände.
Deutsche Kriegsschuld, das sei ein Tabuthema, ein absoluter Hammer. Die reichsdeutsche
Führung habe keinen Krieg gewollt. Hitler sei erst in Polen einmarschiert,
nachdem polnische Soldaten wiederholt Massaker an deutschen Zivilisten begangen
hätten. Die von van Helsing gegebene Darstellung der angeblichen Greueltaten
polnischer Soldaten erspare ich uns. Als Quelle zitiert van Helsing tatsächlich
u.a. das Deutsche Weißbuch aus dem Jahre 1940! (Band 1, S. 93)
Schon 1933 sei durch die Juden Deutschland der Krieg erklärt worden. Das Zyklon-B
habe ein Jude entwickelt. Und schließlich wird nahegelegt, daß die Deutschen
den Krieg nicht verloren haben, da die Elite mit von Schauberger entwickelten Ufos,
betrieben mit der Vril-Kraft, gen Antarktis geflogen sei. Dort leben die "Reichsdeutschen",
welche keine Nazis seien, in einer unterirdischen Welt - unbesiegbar bis heute.
Vril-Kraft ist ein esoterischer Spuk, der besonders rechte Esoteriker fasziniert.
1933 sei eine geheimnisvolle Loge mit diesem Namen gegründet worden. Der Ewert
Verlag bietet ernsthaft Möglichkeiten zur finanziellen Beteiligung an "freien
Energiemaschinen", mit "Gravitationsenergie" betrieben, an.
Mit dem Golfkrieg sei beabsichtigt gewesen, "Jerusalem zur Verwaltungsmetropole
einer Weltregierung zu machen". Hussein wird hier zum Freiheitskämpfer.
(Band 1, S. 203)
Eine Streitmacht von "ca. 6 Millionen Reichsdeutschen mit ihren Flugscheiben"
stehe bereit, "die Illuminati von der Erde zu fegen, falls diese es wagen sollten,
erneut etwas gegen Deutschland zu unternehmen". (Band 1, S. 256)
Homosexuelle, das ein weiterer Beleg für die rechte "Machart" van
Helsingschen Denkens, haben, das sage er ganz wertfrei - als esoterische, nicht
zu leugnende Wahrheit - eine unreine Aura, die nicht in Harmonie sei.
Dazwischen und jeweils zum Schluß der beiden Bücher wird dann ausgiebig
Thorwald Dethlefsen (mit seinen Büchern "Krankheit als Weg" und "Schicksal
als Chance" nahezu allen EsoterikerInnen bekannt) zitiert und einiges von Liebe
und Erlösung - auch für die Feinde - gestreut. Zum Schluß retten
die "Reichsdeutschen" diejenigen, welche guten Sinnes seien, vor der Apokalypse:
es stünden "genügend freie Energiemaschinen zur Verfügung".
Jan van Helsing stieß offenbar auch auf jene Gruppe, die sich einmal "Europäische
Arbeiterpartei" (EAP) nannte, u.a. unter dem Namen "Deutsche Patrioten"
auftrat und inzwischen unter dem Deckmäntelchen "Schiller Institut"
in Polen, Rußland usw. aktiv ist. (4) Sicher ist,
daß sich hier "Brüder im Geiste" gefunden haben. Für eine
direkte Verbindung zwischen van Helsing und dieser Gruppe spricht, daß hier
wie dort ähnlich krause antisemitische Verschwörungslegenden gesponnen
werden. Außerdem van Helsings Formulierung, daß der wegen Steuerhinterziehung
in den USA einsitzende Rechtsextremist und Gründer der EAP, LaRouche ein politischer
Gefangener sei, den die jüdisch-freimaurerischen Finstermächte (...) daran
hindern wollten, die Wahrheit zu enthüllen. (Band 1, S. 223)
Selbstverständlich streitet van Helsing ab, Antisemit zu sein. Das tut er mit
der plumpen Begründung, Semiten, das seien die arabischen Völker - und
gegen die habe er nichts, im Gegenteil. Folgerichtig baut er denn auch Saddam Hussein
(wie übrigens manche rechtsextremistische Gruppen) in seine Verschwörungstheorie
mit ein: die Iraker werden da als "die Deutschen des Orients" gesehen.
Entstehungsgeschichte des Verschwörungswahns
Es ist hier nicht möglich, die Entstehungsgeschichte der Verschwörungstheorien
ausführlich zu behandeln. Sie blühten auf nach der Französischen
Revolution, als "Verschwörung gegen Thron und Altar", teils, weil
den Konservativen solch ein Aufruhr gegen die gottgewollte Ordnung nicht anders
erklärbar erschien als von geheimen Drahtziehern gelenkt. Zum anderen Teil
war es bewußte Propaganda, an welche die Urheber selbst nicht glaubten.
Sehr ausführlich beschäftigt sich mit der Entstehungsgeschichte und mit
der Verwendung von Verschwörungstheorien durch die Nationalsozialisten Johannes
Rogalla von Bieberstein (5) sowie in Ansätzen George
L. Mosse (Die Geschichte des Rassismus in Europa, Fischer 1990).
Bei der Suche nach Schuldigen an der Französischen Revolution sind Konservative,
vor allem auch katholische Geistliche, schon 1789 auf Geheimgesellschaften gestoßen.
"Während die Französische Revolution als ein von einem Großteil
der Bevölkerung getragener Prozeß anzusprechen ist, stellten deutsche
Konterrevolutionäre, die durch diese Revolution und ihre Ausstrahlungskraft
verängstigt waren (...) die ideologischen Ursachen der Umwälzung in einseitiger
Weise heraus. Sie glaubten, die eigentlichen Drahtzieher der Revolution in aufklärerischen
Kleingruppen ausmachen zu können." (5)
Besonders die Illuminaten zogen den Haß des Klerus und der Konservativen auf
sich. Diese Loge wurde 1776 in Bayern gegründet und 1785 verboten. Zunächst
fühlten sich die meisten Freimaurer-Logen der Aufklärung verpflichtet
(Freimaurer waren z.B. Herder, Lessing oder Goethe) - dann aber entstanden auch
theosophisch-esoterische Logen. Eine durchaus zwiespältige Sache war die mit
der Zeit mehr und mehr verfeinerte Hierarchie, außerdem waren es reine Männerbünde.
Der Klerus und die Konservativen haßten diese Logen, weil sie darin eine Verschwörung
gegen Thron und Altar sahen. So wurden die Freimaurer als Geister der Finsternis,
Rädelsführer des Unglaubens und Vorläufer des Antichrist bezeichnet.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden dann die Juden in die Verschwörungstheorien
mit einbezogen, obwohl sie in die meisten Logen gar nicht aufgenommen wurden. Schließlich
war dann "jüdisch" und "freimaurerisch" austauschbar geworden.
Die Verschwörungsthese war integraler Bestandteil der NS-Ideologie. Eine wichtige
Rolle spielten hier die sogenannten Protokolle der "Weisen von Zion".
Worin liegt die Verführung
"Immer größer wurde die Macht der öffentlichen Lüge. Es
begann mit kleinen Rissen, Unstimmigkeiten, einem mikroskopischen Abstand zwischen
der Welt, von der man redete, und der Welt, die tatsächlich da war." (6)
Auch in der Linken kursieren oder kursierten einige Verschwörungsmythen - zu
erinnern ist da an abenteuerliche Thesen, die Entstehung von Aids betreffend - doch
erreichen diese nicht den Charakter eines geschlossenen, paranoiden Weltbildes.
Wenn wir uns in die Verhältnisse geworfen fühlen - ohne echte Möglichkeiten
zur Mitgestaltung - wenn die bedrohlichen Seiten der technischen Entwicklung in
den Vordergrund rücken, kann es geschehen, daß Verschwörungsthesen
scheinbare Aufklärung geben. Ein paar Stichworte - vieles kann hier nur angerissen
werden: Entfremdung, Entwertung, feindliche Welt - und da scheint nun der Urheber
all dessen was einen beunruhigt, benannt zu sein. Das ist, in schöner Übersichtlichkeit,
ein willkommener Urheber für alle Probleme dieser Welt.
Es ist sicherlich eine Mischung aus dem Versuch, man selbst - und alles was einem
geschieht - möge Bedeutung erlangen (auch gegenüber unserer Vergänglichkeit),
Wichtigtuerei mit angeblich besonderem Wissen, Machtgier - und dem Wunsch, Utopien
jetzt schon zu leben. Zumindest die Illusion einer Gegengesellschaft geben ja nicht
nur Alternativbetriebe, sondern gibt ebenfalls die "Geborgenheit" in der
großen Familie jeglicher Art von Sekte.
Geheimwissen verkauft sich unter solchen Verhältnissen immer gut. Dazu kommt
sicherlich, gerade in der esoterischen Szene, das erhebende Gefühl, nun zu
den wahrhaft Wissenden zu gehören. Und da analytisches Denken nicht gerade
zu der Stärke von EsoterikerInnen gehört, sieht mensch überall Zeichen,
die in das vorher schon geformte Weltbild eingefügt werden können.
So muß auch nicht Antisemitismus im ursprünglichen Sinne in jedem Falle
als der Auslöser für die makabren Karma"erklärungen" gesehen
werden, sondern auch die Unmöglichkeit, mit der Gesinnung, alles sei durch
das Karma bestimmt, solche Ungeheurlichkeiten wie den Holocaust zu verstehen. Kritikfähigkeit
ist in diesen Kreisen kaum noch vorhanden, wenn in einer Aussage das Wort Karma
vorkommt.
Esoterischer Antisemitismus
Antisemitismus hat in der esoterischen Szene eine lange Tradition: So schob der
viel gelesene und viel zitierte Cayce (auch van Helsing führt ihn in der Literaturliste
an) die Schuld an dem Holocaust den Opfern selbst zu. Es gibt eine ganze Reihe von
makabren Äußerungen führender Esoteriker, das Karma der Juden betreffend:
sie seien verfolgt worden wegen früherer übler Taten.
In der Juni/Juli Ausgabe der esoterischen Ufo-Zeitung "Die andere Realität"
stellt sich Trutz Hardo in Cayces Tradition. Von Trutz Hardo ließ sich, das
sei erwähnt, um zu zeigen, daß es sich hier um einen etablierten Esoteriker
handelt, Schreinemakers "live" in vergangene Leben "rückführen".
"Die andere Realität" verbreitet die Inhalte der van Helsing Bücher
durch Nachdrucke. Ein Interview mit Hardo über dessen neues Buch "Jedem
das Seine", wird folgendermaßen eingeleitet: "Außer Edgar
Cayce hat kein wissender Esoteriker solche Gedanken ,laut` verkündet, obwohl
sich alle schon mit dieser Frage beschäftigten und ,im stillen` von der Tatsache
überzeugt sind, daß der Satz Jesu: ,Wer sein Schwert zieht, soll durch
das Schwert umkommen` ebenfalls auf den Holocaust wie eigentlich auf alle Schicksalsschläge
zutrifft." Schon die Überschrift des Interview macht deutlich, daß
hier Law-and-order-Esoteriker am Werke sind - sie lautet: "Das Karma macht
keine Ausnahme." Trutz Hardo: "Ich glaube, daß alles, was einem
Menschen auf Erden passiert, einen Sinn hat und daher ,gerecht-fertigt` ist. Ja,
ich bin sogar davon überzeugt, daß das, was uns zustößt, das
Bestmögliche ist, was uns geschieht, da es uns genau die Umstände, Situationen
und Erfahrungen beschert, die wir für unser seelisch-spirituelles Wachstum
brauchen." Das ist ausdrücklich die Antwort auf die Frage nach dem "Sinn"
von Konzen- trationslagern!
Der Fall Holbe
Ein weiterer Beweis dafür, daß Antisemitismus in der esoterischen Szene
latent vorhanden ist, ist der Fall Holbe. Der ehemalige RTL-Starmoderator Rainer
Holbe hatte ein Buch geschrieben, worin er Mitteilungen angeblicher Geistwesen "weitergab":
Der 1987 an Krebs gestorbene "Dalli-Dalli" Showmaster sei in einem seiner
vorherigen Leben ein Dieb gewesen, in einem anderen habe er gar zehn Menschen umgebracht.
Das Krebsleiden erklärte Holbe (vermittelt über an- gebliche Geistwesen),
sei Strafe aus früheren Inkarnationen und außerdem habe Rosenthal damit
auch für sein jüdisches Volk gebüßt. (Buße für -
mit dieser Aussage ganz in finsterster katholischer Tradition stehend - die Kreuzigung
von Jesus Christus.) (7)
Holbe kam einer fristlosen Kündigung durch RTL zuvor und landete dann mit seiner
Show "Phantastische Phänomene" bei SAT 1. Daß Holbe kein isolierter
Außenseiter ist, zeigt sich auch darin, daß an von ihm mit gestalteten
Kongressen u.a. auch Franz Alt und der Thorwald Dethlefsen Schüler Klaus Meyer
als Referenten teilnahmen. Mechtersheimer verteidigte Holbe ausdrücklich. Es
sei wohl "unser deutsches Schicksal, daß bei allen Fragen, die nur entfernt
mit Israel zu tun haben, das Augenmaß verloren geht". (8)
Holbe tritt weiter auf Kongressen der esoterischen UFO-Zeitung "Die andere
Reali- tät" als Moderator auf.
"Asiatische Gefahr"
"Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, daß, wenn Europa seine Aufgabe
nicht erfüllt und sich nicht unter dem geistig-moralischen, auf dem Christusimpuls
beruhenden Dach vereinigt, asiatische Kräfte nach Europa einströmen und
dort Unheil stiften können." (Anthroposophische Zeitschrift "Novalis"
3/96). Die Grenzen sind fließend.
Der Ewert Verlag, in dem das Buch van Helsings erschien, veröffentlichte eine
Reihe von Büchern mit verschwörungs- theoretischem Hintergrund. In einem
dieser Bücher schreibt der Verschwörungstheoretiker Rueggeberg: "Durch
Steiner wissen wir, daß der okkulte Kampf um die Weltherrschaft in vollem
Gange ist, insbesondere zwischen gewißen anglo-amerikanischen Brüderschaften
auf der einen Seite und asiatischen Brüderschaften auf der anderen." Hitler
sei von ersterer und einer "Gruppe tibetischer Schwarzmagier" als Medium
für ihre Ziele benutzt worden. "Die Pläne gewißer Logen wurden
von Steiner während des Ersten Weltkrieges ausreichend offengelegt, womit er
dem drohenden Untergang Mitteleuropas entgegenwirken wollte. Leider wurden seine
Warnungen bis heute von den verantwortlichen Führern nicht beachtet ...". (9) Die "Erziehung der Deutschen zum politischen
Analphabetentum" zeige, daß die von Steiner genannten Pläne der
Logen bei paßender Gelegenheit zu Ende geführt würden, "wobei
es ihnen sicherlich auf ein paar Millionen Tote mehr oder weniger nicht ankommen
wird". (Ebenda)
Von gewissen führenden Kreisen sei keine Gnade zu erwarten. "Aber auch
sie werden keine Gnade zu erwarten haben vor den Richtern des Saturn, den Vollstreckern
der karmischen Gesetze, der kosmischen Gerechtigkeit!" (Ebenda S. 86)
Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, äußerte sich vielfach
in antisemitischer Weise über den verderblichen Einfluß der Juden in
der Medizin oder über ihre angebliche Unfähigkeit, schöpferisch bildhauerisch
tätig zu sein. (10)
Verschwörungstheorien kursieren seit Beginn der "Bewegung" unter
Anthroposophen. Schon Rudolf Steiner verteilte Landkarten, die angeblich die Aufteilung
Europas, wie sie englische und französische Freimaurerlogen von langer Hand
geplant, zeigten. (Solche Karten kursieren noch heute innerhalb der Anthroposophenschaft.)
Ende des 20. Jahrhunderts, so diese Legende, werde ein gewaltiger Geisteskampf toben,
in dem den Anthroposophen eine tragende Rolle zugedacht sei.
Dabei steht die angebliche Mission Mitteleuropas (Deutschland, Österreich usw.)
im Mittelpunkt. Von dieser Mission mag keine der verschiedenen Fraktionen lassen.
Wobei der offen faschistische Teil (Haverbeck u.a.) die Schuld daran, daß
diese Mission bisher nicht erfüllt werden konnte, den Feinden Deutschlands
zuschiebt - dabei selbst noch die grausamsten Verbrechen rechtfertigt. Eine andere
Fraktion wiederum betont, daß diese Aufgabe eine rein geistige sei und durch
den Faschismus verfehlt wurde.
In der "Novalis" vom Februar 1996 beschreibt Gennadij Bondarew die Lage
im jetzigen Rußland und legt dabei nahe, daß linkes wie rechtes Lager
von den gleichen Kräften gesteuert würden. Die Perestroika stelle nur
"die zweite Etappe jenes einheitlichen ,sozialistischen Experiments`"
dar, "das in Rußland seit 1917 durchgeführt wird und welches in
den Geheimgesellschaften des Westens bereits in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts
geplant war - ein Umstand, von dem Rudolf Steiner ganz offen sprach".
Das verschwörungstheoretische Werk schlechthin - und zudem ein anthroposophischer
Bestseller - ist ein Buch des häufig auch in Deutschland vortragenden Autoren
Sergej O. Prokofieff: "Die geistigen Quellen Osteuropas und die künftigen
Mysterien des heiligen Gral". Sogar ein "eugenischer Okkultismus",
als wichtige Fähigkeit des rußischen Volkes, mit dem Mitteleuropa sich
zusammen tun solle, wird hier angepriesen. Im Jahr 2200 etwa werde die jetzige Herrschafts-
epoche des Erzengels Michael zu Ende gehen. Dann müsse die Menschheit in der
Lage sein, das Einweihungsprinzip unter die Zivilisationsprinzipien aufzunehmen.
Verschwörungswahn zieht sich durch das Buch: "Gegen eine solche Ausbreitung
des Prinzips der individuellen Einweihung auf alle Bereiche des Lebens und der praktischen
Anwendung kämpfen vor allem die westlichen Logen sowie die führenden Kreise
der römisch-katholischen Hierarchie ..." (Prokofieff, S. 339)
Der anthroposophische Autor Karen Swassjan versucht in einem Kapitel seines Buches
"Unterwegs nach Damaskus" Oswald Spengler und die "konservative Revolution",
die als "geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus" (11) bezeichnet werden kann, zu beerben. Da so etwas gut eingeleitet
sein will, wird zunächst beklagt, daß die Sieger die Geschichte schreiben
und die deutsche Sicht der Dinge zu kurz gekommen sei. "Tabu-Wörter, magisch-polizeiliche
Mittel", unabhängiges Denken zu verhindern, werden überwunden, um
zu dem Ergebnis zu kommen, daß Spengler nicht dumm genug gewesen sei, ein
Nazi zu sein und eigentlich etwas Richtiges gewollt habe. Versailles, so Swassjan
mit Spengler im Einklang, sei ein "Sieg der farbigen Welt über Europa"
gewesen. Tartarischer, asiatischer Geist habe im Bolschewismus gesteckt. Swassjan
erweckt stellenweise den Eindruck, als habe sich nur ein kleiner Fehler in die Parolen
der Faschisten eingeschlichen: "Heute hört uns Deutschland, morgen die
ganze Welt", hätte es heißen müßen - die geistige Mission
in den Vordergrund stellend - nicht "Heute gehört uns Deutschland, morgen
die ganze Welt". In der anthroposophischen Zeitschrift "Die Drei"
wurden diese "mutigen", sich um kein Tabu scherenden Worte "gerade
eines Nichtdeutschen" bejubelt.
Es besteht die Gefahr, daß Anthroposophen bei ihrer hierarchischen Denkweise
(Steiner wird vielfach als - spiritueller - Menschheitsführer gesehen) auch
"sanfte" Diktatoren "auf dem physischen Plan" unterstützen.
So war es z.B. teilweise mit dem georgischen Diktatoren Gamsachurdia, der sich selbst
für einen Anthroposophen hielt. Er wurde in einigen deutschen anthroposophischen
Zeitschriften unkritisch interviewt, Spenden wurden gesammelt für Projekte
in Georgien.
Der Sohn Gamsachurdias durfte in der anthroposophischen "Zeitschrift ,Info3`"
vom Juni 1996 den getöteten Dudajew als "Präsident und Freiheitskämpfer"
feiern: "Er fiel wie ein Soldat auf dem Schlachtfeld." Mit Gamsachurdia
habe Dudajew den Grund zur Bildung des Kaukasischen Hauses gelegt.
Kritische Reaktionen?
Der Erfolg dieser Bücher zeigt auch, wie empfänglich die esoterische Szene
für Verschwörungsdenken und offenen Anti- semitismus ist. Aus sich selbst
heraus grenzt sie sich nur sehr mühsam gegenüber solchem ab. Ende 1993
erschien der 1. Band der "Geheimgesellschaften ..." - erst Anfang 1996
die erste Kritik aus der "esoterischen Ecke". Und zwar in dem Hamburger
Magazin "Körper, Geist & Seele". Als ein Grund für den Erfolg
des Buches wird doch tatsächlich genannt: "Autoren, die sich über
öffentliche Denktabus, etwa hinsichtlich der Ufo-Frage, hinwegsetzen, dürfen
bei manchen Lesern auf ein Sympathiekredit rechnen." So werde manches überlesen,
was man in anderem Zusammenhang als unhaltbar erkenne.
In der Juli-Ausgabe der "Esotera" - inzwischen war das Buch schon verboten
worden - wurde van Helsings Machwerk einer Generalkritik unterzogen. Insgesamt ist
das durchaus zu begrüßen. Doch fällt auf, daß im Editorial
der Inhalt der Bücher falsch dargestellt wird, wohl um einen größeren
Widerspruch zu dem zu konstruieren, was in der esoterischen Szene üblich ist.
(Der Wandel geschehe, wenn überhaupt, nur im Inneren eines jeden von uns, nicht
von außen - dabei ist das genau die Rede des Herrn van Helsing.) "Die
seriösen okkulten Traditionen werden durch solchen Mißbrauch pauschal
lächerlich und unglaubwürdig gemacht", beklagt der Artikel. Das war
denn wohl auch vorwiegend die Absicht: die Esoterik "an und für sich"
von dem Verdacht der Nähe zu van Helsings faschistoider Ideologie reinzuwaschen.
Es wird aber immerhin die richtige Feststellung getroffen, daß die Weltverschwörungsthese
eine der Propagandawaffen der Nazis war und die Gefahr besteht, daß eine okkultistische
Esoterik erneut Öl in ein ähnliches Feuer gießt.
In der August-Ausgabe der "Esotera" wird auszugsweise aus einem Brief
zitiert, den van Helsing als Reaktion auf den Artikel der vorherigen Ausgabe an
diese Zeitschrift schickte: "Somit kann ich Sie beunruhigen: Meine Bücher
werden auch weiterhin von dem spanischen Verlag aus in alle Welt (außer momentan
in die Schweiz und Deutschland) geliefert." Ein Leser erklärte, daß
nun ja klar sei, auf welcher Seite der Bauer Verlag, der die "Esotera"
herausgibt, stehe. Er habe sich entlarvt als zionistisch-illuminatisches Macht-
instrument". Der Chefradakteur stellt diesem nun eine angeblich "ideologiefreie
Spiritualität" entgegen. Nun ist es noch sehr die Frage, ob die geistlose
esoterische Floskel des "Alles ist gut, wie es ist - in deinem Selbst liegt
das Problem" nicht doch eine Ideologie transportiert. Als sicher aber darf
gelten, daß der Bauer Verlag so unschuldig nicht ist. So bietet dieser Verlag
auch Werke Helena Petrowna Blavatskys an, die den theosophischen Rassismus mit begründete.
Davor warnen möchte ich nach wie vor, pauschal die gesamte Szene dem rechtsextremen
Lager zuzuordnen. Es ist äußerst ärgerlich, wenn immer wieder Menschen
als Faschisten bezeichnet werden, die es eindeutig nicht sind. In dieser Szene gibt
es durchaus widersprüchliche Ansichten. Aufklärerische Arbeit sollte durchaus
bei diesen Widersprüchen ansetzen und sie zu vertiefen trachten.
Zumindest einige wenige "eher links stehende" Anthroposophen kritisieren
diese Verschwörungsgeschichten als in rechtsradikaler Tradition stehend. Sie
stehen allerdings auf schwankendem Boden, da sie bei Steiner wenig finden, worauf
sie sich berufen können, deshalb werden viele seiner Aussagen mit verschwommenerem
Inhalt entsprechend zurechtgebogen. Die beachtliche Fähigkeit mancher AnthroposophInnen,
ihnen Unangenehmes im Werk Steiners zu übersehen, sollte nicht unterschätzt
werden.
In den Niederlanden geschah das Wunder, daß sich - nach tumultartigen Auseinandersetzungen
- die Anthroposophische Gesellschaft selbst vom Rassismus Steiners distanzierte.
Der Streit dauert noch an, wird u.a. vor Gericht ausgetragen.
Selbst wenn sich unter dem Druck einer kritischen Öffentlichkeit die Anthroposophenschaft
allgemein klar vom Rassismus Steiners distanzieren sollte - was ein allzu unwahrscheinlicher
Fall ist - steht eine gründliche Auseinandersetzung mit heutigen anthroposophischen
Verschwörungstheoretikern noch aus.
Jens-Uwe Ries
Anmerkungen:
1) Edgar Wunder in "Skeptiker" 1/96. Die Externsteine
sind eine "heilige Begegnungsstätte" von Esoterikern aller Schattierungen.
2) Karma bedeutet etwa "Folge" oder "Wirkung"
- wird meist verstanden als Ergebnis aus Handlungen in früheren Leben.
3) Rene Freund, "Braune Magie?", Wien 1995.
4) Vergl.: Zur EAP "taz" 8.9.92, 26.4.95 und
24.9.94, sowie "ak" 330 und "ak" 379.
5) Johannes Rogalla von Bieberstein, "Die These
von der Verschwörung 1776 - 1945", Flensburger Hefte Verlag 1992.
6) Lars Gustafsson, Herr Gustafsson persönlich.
7) vergl. "taz" vom 28.3.90 und 5.4.90.
8) "taz", 17.4.96.
9) Rueggeberg, "Theosophie und Anthroposophie ...",
Rueggeberg Verlag 1988.
10) (R. Steiner, Marie Steiner - von Sievers, "Briefwechsel
und Dokumente", 1967, S. 61-63).
11) Kurt Sontheimer in der "SZ", 9.8.96.
aus: analyse & kritik Nr. 394, 19.9.1996
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt