Karma, Ufos und Antisemitismus

Antisemitische Verschwörungslegenden in der esoterischen Szene


In der Schweiz ist es schon lange verboten. Im April 1996 hat nun auch in Deutschland eine bundesweite Beschlagnahmeaktion wegen Volksverhetzung stattgefunden: Es geht um Jan van Helsings im Ewert Verlag erschienenes Buch "Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert". Die erst jetzt erfolgte Beschlagnahme wird wohl den Verschwörungsmythen neue Nahrung geben. 100.000 Exemplare dieses Buches sollen verkauft worden sein. Unter dem Ladentisch wird es in einigen esoterischen Buchläden immer noch gehandelt. Van Helsing verkündet inzwischen, daß sein Buch von Spanien aus selbstverständlich - außer nach Deutschland und die Schweiz - weiter in alle Welt verkauft wird.
Dieser Herr, der so eindeutig in faschistischer Tradition steht, daß es schwer zu begreifen ist, wie seine Bücher bis in "alternative" Kreise hinein beliebte Lektüre sein können, nennt sich van Helsing, weil er sich als Vampirjäger sehen will, gleich jenem van Helsing in dem Roman "Dracula" von Bram Stoker. Tatsächlich heißt er - wie sich inzwischen herausgestellt hat - Jan Udo Holey.
Bisher fristeten Legenden, wie sie von van Helsing vertreten werden, eher ein Schattendasein, waren besonders in Lateinamerika unter geflohenen SS-Leuten zu Hause (siehe Miguel Serranos "Esoterischer Hitlerismus", Wilhelm Landigs "Götzen gegen Thule"). Mit der Verbreitung von van Helsings Büchern erlangen solche erstmals größeren Einfluß.
Bis heute wird vorwiegend spekulativ behandelt, wie stark esoterisch-rassistische Publikationen die NS-Bewegung beeinflußt haben. Sicher ist aber, daß sie es taten. Gerade darum sollten Dinge, die heute wieder in dieselbe Richtung weisen, aufmerksam beobachtet werden. "Historisch zeigt sich, wie diverse ariosophische und neogermanistische Behauptungen einen Vorlauf für die NS-Rassenideologie und deren Umsetzung bildeten. Noch heute werden die von Heinrich Himmlers ,Ahnenerbe` durchgeführten pseudowissenschaftlichen Untersuchungen über die Externsteine als ,germanischer Kraftplatz` in weiten Teilen der Esoterikszene unkritisch für bare Münze genommen." (1) Manche der vorgeblich unpolitischen esoterischen Strömungen können nicht von dem Vorwurf freigesprochen werden, das Terrain für rechte Ideologen bereitet zu haben. Erinnert sei nur an hanebüchene Erklärungen wie jene, da alles Karma (2) sei, habe z.B. das Opfer einer Vergewaltigung sich diese selbst zuzuschreiben (und zwar entweder durch eine Tat aus einem früheren Leben oder durch entsprechende Affinität im jetzigen). Gemeinsam ist weiter allen Strömungen, daß sie eine nebulöse "Intuition" weit über den kritischen Verstand setzen.

Esoterisch liebevolle Haßtiraden
Wer sind nun die "Vampire", die van Helsing bekämpft? "Menschen, die das Leben nicht bereichern, sondern Leben nehmen und auf Kosten anderer Menschen existieren, auch energetisch". ("Geheimgesellschaften, 2. Band - Interview mit Jan van Helsing", S. 40) Das Buch, so heißt es in der Vorrede zum 1. Band, erkläre das Elend der Welt - und warum der Reichtum sich in den Händen weniger befinde.
So etwa stellt sich das Weltbild des Jan van Helsing dar: Allgegenwärtige Feinde sind Freimaurer, Juden und wiederum Juden. Die Verschwörung hat laut van Helsing schon zu biblischen Zeiten begonnen. Von außerirdischen Finsterlingen wurde den Juden per "Blutbund" die Macht auf der Erde übertragen. Erleuchtete, gute Außerirdische warfen, um die finsteren Pläne zu durchkreuzen, einen durch Genmanipulation erzeugten Jesus auf den Markt (bzw. die Erde). Juden sind oder waren: Willy Brandt, Olof Palme, Fidel Castro, Lenin, Stalin, Kohl. Schockierende Neuigkeit: Die US-amerikanischen Demokraten sind eigentlich Sozialisten. Der Plan sei, die deutsche Nation auszurotten. (Band 2, S. 166)
Der Club of Rome = der Logenverbund "Schwarzer Adel" wolle 2,5 Mrd. Menschen ermorden. Dazu sei Aids entwickelt worden. Über die Pockenimpfung der WHO habe man den afrikanischen Kontinent infiziert. Inzwischen werde ein neues Virus, das schneller wirke, hergestellt. Gift werde ins Trinkwasser geschmuggelt, Gift in Zigarettentabak. Über diesen Holocaust mit 500 Millionen Opfern in zehn Jahren spreche niemand. (Band 2, S. 187)
Der Jude Karl Marx sei Mitglied des bayrischen Illuminatenordens gewesen. Das Kommunistische Manifest stamme gar nicht von Marx, sondern von Adam Weishaupt, dem Gründer eben dieses Ordens. Trotzkis Rebellen seien auf dem Grundstück der Rockefellers für die Revolution trainiert worden. (Band 1, S. 76)
Wirtschaftskrisen würden von den Rothschilds nach Belieben hervorgerufen (übrigens auch Erdbeben und Stürme). Da Deutschland für die Illuminati eine Bedrohung gewesen sei, seien Erster und Zweiter Weltkrieg vom Zaum gebrochen worden. Keine Plattheit ist zu dumm, eingebaut zu werden: Rote Armee = Roter Schild = Rothschild. (Band 1, S. 87)
Deutschland sei das kommende Lichtreich. Rudolf Steiner habe die Kinder der Schwarzen Sonne (SS!) von der Wewelsburg zurück nach Tibet gebracht. Der reale Kern: Es wurden 1938 SS-"Wissenschaftler" nach Tibet geschickt, um dort vorgeschichtliche Forschung zu betreiben. Angeblich ein Steckenpferd besonders von Himmler. (3) Allgemein, wie auf diesem Gebiet leider üblich, gibt es hierzu wenig Gesichertes.
1773 habe man, so van Helsing weiter, in einem Haus in der Judenstraße in Frankfurt beschlossen, durch drei Weltkriege die Eine-Welt-Regierung zu schaffen. (Band 1, S. 16) Christi Lehre sei durch Beifügung des Alten Testaments in ihr Gegenteil verkehrt worden. (Band 1, S. 31) Das ist das Gedankengut der Neugermanen seit der Jahrhundertwende. Manche erklärten Jesus dementsprechend zum Arier - oder - wie es neuerdings wieder vertreten wird - zum Sohn eines germanischen Gottes.
Den schon seit Jahrzehnten als plumpe Fälschung entlarvten sogenannten "Protokollen der Weisen von Zion" wird Echtheit bescheinigt. Sie seien nur schon 1.000 Jahre zuvor geschrieben, dann allerdings neu formuliert worden. Diese "Protokolle" bilden gewissermaßen die Grundlage der beiden Bände.
Deutsche Kriegsschuld, das sei ein Tabuthema, ein absoluter Hammer. Die reichsdeutsche Führung habe keinen Krieg gewollt. Hitler sei erst in Polen einmarschiert, nachdem polnische Soldaten wiederholt Massaker an deutschen Zivilisten begangen hätten. Die von van Helsing gegebene Darstellung der angeblichen Greueltaten polnischer Soldaten erspare ich uns. Als Quelle zitiert van Helsing tatsächlich u.a. das Deutsche Weißbuch aus dem Jahre 1940! (Band 1, S. 93)
Schon 1933 sei durch die Juden Deutschland der Krieg erklärt worden. Das Zyklon-B habe ein Jude entwickelt. Und schließlich wird nahegelegt, daß die Deutschen den Krieg nicht verloren haben, da die Elite mit von Schauberger entwickelten Ufos, betrieben mit der Vril-Kraft, gen Antarktis geflogen sei. Dort leben die "Reichsdeutschen", welche keine Nazis seien, in einer unterirdischen Welt - unbesiegbar bis heute. Vril-Kraft ist ein esoterischer Spuk, der besonders rechte Esoteriker fasziniert. 1933 sei eine geheimnisvolle Loge mit diesem Namen gegründet worden. Der Ewert Verlag bietet ernsthaft Möglichkeiten zur finanziellen Beteiligung an "freien Energiemaschinen", mit "Gravitationsenergie" betrieben, an.
Mit dem Golfkrieg sei beabsichtigt gewesen, "Jerusalem zur Verwaltungsmetropole einer Weltregierung zu machen". Hussein wird hier zum Freiheitskämpfer. (Band 1, S. 203)
Eine Streitmacht von "ca. 6 Millionen Reichsdeutschen mit ihren Flugscheiben" stehe bereit, "die Illuminati von der Erde zu fegen, falls diese es wagen sollten, erneut etwas gegen Deutschland zu unternehmen". (Band 1, S. 256)
Homosexuelle, das ein weiterer Beleg für die rechte "Machart" van Helsingschen Denkens, haben, das sage er ganz wertfrei - als esoterische, nicht zu leugnende Wahrheit - eine unreine Aura, die nicht in Harmonie sei.
Dazwischen und jeweils zum Schluß der beiden Bücher wird dann ausgiebig Thorwald Dethlefsen (mit seinen Büchern "Krankheit als Weg" und "Schicksal als Chance" nahezu allen EsoterikerInnen bekannt) zitiert und einiges von Liebe und Erlösung - auch für die Feinde - gestreut. Zum Schluß retten die "Reichsdeutschen" diejenigen, welche guten Sinnes seien, vor der Apokalypse: es stünden "genügend freie Energiemaschinen zur Verfügung".
Jan van Helsing stieß offenbar auch auf jene Gruppe, die sich einmal "Europäische Arbeiterpartei" (EAP) nannte, u.a. unter dem Namen "Deutsche Patrioten" auftrat und inzwischen unter dem Deckmäntelchen "Schiller Institut" in Polen, Rußland usw. aktiv ist. (4) Sicher ist, daß sich hier "Brüder im Geiste" gefunden haben. Für eine direkte Verbindung zwischen van Helsing und dieser Gruppe spricht, daß hier wie dort ähnlich krause antisemitische Verschwörungslegenden gesponnen werden. Außerdem van Helsings Formulierung, daß der wegen Steuerhinterziehung in den USA einsitzende Rechtsextremist und Gründer der EAP, LaRouche ein politischer Gefangener sei, den die jüdisch-freimaurerischen Finstermächte (...) daran hindern wollten, die Wahrheit zu enthüllen. (Band 1, S. 223)
Selbstverständlich streitet van Helsing ab, Antisemit zu sein. Das tut er mit der plumpen Begründung, Semiten, das seien die arabischen Völker - und gegen die habe er nichts, im Gegenteil. Folgerichtig baut er denn auch Saddam Hussein (wie übrigens manche rechtsextremistische Gruppen) in seine Verschwörungstheorie mit ein: die Iraker werden da als "die Deutschen des Orients" gesehen.

Entstehungsgeschichte des Verschwörungswahns
Es ist hier nicht möglich, die Entstehungsgeschichte der Verschwörungstheorien ausführlich zu behandeln. Sie blühten auf nach der Französischen Revolution, als "Verschwörung gegen Thron und Altar", teils, weil den Konservativen solch ein Aufruhr gegen die gottgewollte Ordnung nicht anders erklärbar erschien als von geheimen Drahtziehern gelenkt. Zum anderen Teil war es bewußte Propaganda, an welche die Urheber selbst nicht glaubten.
Sehr ausführlich beschäftigt sich mit der Entstehungsgeschichte und mit der Verwendung von Verschwörungstheorien durch die Nationalsozialisten Johannes Rogalla von Bieberstein (5) sowie in Ansätzen George L. Mosse (Die Geschichte des Rassismus in Europa, Fischer 1990).
Bei der Suche nach Schuldigen an der Französischen Revolution sind Konservative, vor allem auch katholische Geistliche, schon 1789 auf Geheimgesellschaften gestoßen.
"Während die Französische Revolution als ein von einem Großteil der Bevölkerung getragener Prozeß anzusprechen ist, stellten deutsche Konterrevolutionäre, die durch diese Revolution und ihre Ausstrahlungskraft verängstigt waren (...) die ideologischen Ursachen der Umwälzung in einseitiger Weise heraus. Sie glaubten, die eigentlichen Drahtzieher der Revolution in aufklärerischen Kleingruppen ausmachen zu können." (5)
Besonders die Illuminaten zogen den Haß des Klerus und der Konservativen auf sich. Diese Loge wurde 1776 in Bayern gegründet und 1785 verboten. Zunächst fühlten sich die meisten Freimaurer-Logen der Aufklärung verpflichtet (Freimaurer waren z.B. Herder, Lessing oder Goethe) - dann aber entstanden auch theosophisch-esoterische Logen. Eine durchaus zwiespältige Sache war die mit der Zeit mehr und mehr verfeinerte Hierarchie, außerdem waren es reine Männerbünde.
Der Klerus und die Konservativen haßten diese Logen, weil sie darin eine Verschwörung gegen Thron und Altar sahen. So wurden die Freimaurer als Geister der Finsternis, Rädelsführer des Unglaubens und Vorläufer des Antichrist bezeichnet. Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden dann die Juden in die Verschwörungstheorien mit einbezogen, obwohl sie in die meisten Logen gar nicht aufgenommen wurden. Schließlich war dann "jüdisch" und "freimaurerisch" austauschbar geworden. Die Verschwörungsthese war integraler Bestandteil der NS-Ideologie. Eine wichtige Rolle spielten hier die sogenannten Protokolle der "Weisen von Zion".

Worin liegt die Verführung
"Immer größer wurde die Macht der öffentlichen Lüge. Es begann mit kleinen Rissen, Unstimmigkeiten, einem mikroskopischen Abstand zwischen der Welt, von der man redete, und der Welt, die tatsächlich da war." (6)
Auch in der Linken kursieren oder kursierten einige Verschwörungsmythen - zu erinnern ist da an abenteuerliche Thesen, die Entstehung von Aids betreffend - doch erreichen diese nicht den Charakter eines geschlossenen, paranoiden Weltbildes.
Wenn wir uns in die Verhältnisse geworfen fühlen - ohne echte Möglichkeiten zur Mitgestaltung - wenn die bedrohlichen Seiten der technischen Entwicklung in den Vordergrund rücken, kann es geschehen, daß Verschwörungsthesen scheinbare Aufklärung geben. Ein paar Stichworte - vieles kann hier nur angerissen werden: Entfremdung, Entwertung, feindliche Welt - und da scheint nun der Urheber all dessen was einen beunruhigt, benannt zu sein. Das ist, in schöner Übersichtlichkeit, ein willkommener Urheber für alle Probleme dieser Welt.
Es ist sicherlich eine Mischung aus dem Versuch, man selbst - und alles was einem geschieht - möge Bedeutung erlangen (auch gegenüber unserer Vergänglichkeit), Wichtigtuerei mit angeblich besonderem Wissen, Machtgier - und dem Wunsch, Utopien jetzt schon zu leben. Zumindest die Illusion einer Gegengesellschaft geben ja nicht nur Alternativbetriebe, sondern gibt ebenfalls die "Geborgenheit" in der großen Familie jeglicher Art von Sekte.
Geheimwissen verkauft sich unter solchen Verhältnissen immer gut. Dazu kommt sicherlich, gerade in der esoterischen Szene, das erhebende Gefühl, nun zu den wahrhaft Wissenden zu gehören. Und da analytisches Denken nicht gerade zu der Stärke von EsoterikerInnen gehört, sieht mensch überall Zeichen, die in das vorher schon geformte Weltbild eingefügt werden können.
So muß auch nicht Antisemitismus im ursprünglichen Sinne in jedem Falle als der Auslöser für die makabren Karma"erklärungen" gesehen werden, sondern auch die Unmöglichkeit, mit der Gesinnung, alles sei durch das Karma bestimmt, solche Ungeheurlichkeiten wie den Holocaust zu verstehen. Kritikfähigkeit ist in diesen Kreisen kaum noch vorhanden, wenn in einer Aussage das Wort Karma vorkommt.

Esoterischer Antisemitismus
Antisemitismus hat in der esoterischen Szene eine lange Tradition: So schob der viel gelesene und viel zitierte Cayce (auch van Helsing führt ihn in der Literaturliste an) die Schuld an dem Holocaust den Opfern selbst zu. Es gibt eine ganze Reihe von makabren Äußerungen führender Esoteriker, das Karma der Juden betreffend: sie seien verfolgt worden wegen früherer übler Taten.
In der Juni/Juli Ausgabe der esoterischen Ufo-Zeitung "Die andere Realität" stellt sich Trutz Hardo in Cayces Tradition. Von Trutz Hardo ließ sich, das sei erwähnt, um zu zeigen, daß es sich hier um einen etablierten Esoteriker handelt, Schreinemakers "live" in vergangene Leben "rückführen". "Die andere Realität" verbreitet die Inhalte der van Helsing Bücher durch Nachdrucke. Ein Interview mit Hardo über dessen neues Buch "Jedem das Seine", wird folgendermaßen eingeleitet: "Außer Edgar Cayce hat kein wissender Esoteriker solche Gedanken ,laut` verkündet, obwohl sich alle schon mit dieser Frage beschäftigten und ,im stillen` von der Tatsache überzeugt sind, daß der Satz Jesu: ,Wer sein Schwert zieht, soll durch das Schwert umkommen` ebenfalls auf den Holocaust wie eigentlich auf alle Schicksalsschläge zutrifft." Schon die Überschrift des Interview macht deutlich, daß hier Law-and-order-Esoteriker am Werke sind - sie lautet: "Das Karma macht keine Ausnahme." Trutz Hardo: "Ich glaube, daß alles, was einem Menschen auf Erden passiert, einen Sinn hat und daher ,gerecht-fertigt` ist. Ja, ich bin sogar davon überzeugt, daß das, was uns zustößt, das Bestmögliche ist, was uns geschieht, da es uns genau die Umstände, Situationen und Erfahrungen beschert, die wir für unser seelisch-spirituelles Wachstum brauchen." Das ist ausdrücklich die Antwort auf die Frage nach dem "Sinn" von Konzen- trationslagern!

Der Fall Holbe
Ein weiterer Beweis dafür, daß Antisemitismus in der esoterischen Szene latent vorhanden ist, ist der Fall Holbe. Der ehemalige RTL-Starmoderator Rainer Holbe hatte ein Buch geschrieben, worin er Mitteilungen angeblicher Geistwesen "weitergab": Der 1987 an Krebs gestorbene "Dalli-Dalli" Showmaster sei in einem seiner vorherigen Leben ein Dieb gewesen, in einem anderen habe er gar zehn Menschen umgebracht. Das Krebsleiden erklärte Holbe (vermittelt über an- gebliche Geistwesen), sei Strafe aus früheren Inkarnationen und außerdem habe Rosenthal damit auch für sein jüdisches Volk gebüßt. (Buße für - mit dieser Aussage ganz in finsterster katholischer Tradition stehend - die Kreuzigung von Jesus Christus.) (7)
Holbe kam einer fristlosen Kündigung durch RTL zuvor und landete dann mit seiner Show "Phantastische Phänomene" bei SAT 1. Daß Holbe kein isolierter Außenseiter ist, zeigt sich auch darin, daß an von ihm mit gestalteten Kongressen u.a. auch Franz Alt und der Thorwald Dethlefsen Schüler Klaus Meyer als Referenten teilnahmen. Mechtersheimer verteidigte Holbe ausdrücklich. Es sei wohl "unser deutsches Schicksal, daß bei allen Fragen, die nur entfernt mit Israel zu tun haben, das Augenmaß verloren geht". (8) Holbe tritt weiter auf Kongressen der esoterischen UFO-Zeitung "Die andere Reali- tät" als Moderator auf.

"Asiatische Gefahr"
"Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, daß, wenn Europa seine Aufgabe nicht erfüllt und sich nicht unter dem geistig-moralischen, auf dem Christusimpuls beruhenden Dach vereinigt, asiatische Kräfte nach Europa einströmen und dort Unheil stiften können." (Anthroposophische Zeitschrift "Novalis" 3/96). Die Grenzen sind fließend.
Der Ewert Verlag, in dem das Buch van Helsings erschien, veröffentlichte eine Reihe von Büchern mit verschwörungs- theoretischem Hintergrund. In einem dieser Bücher schreibt der Verschwörungstheoretiker Rueggeberg: "Durch Steiner wissen wir, daß der okkulte Kampf um die Weltherrschaft in vollem Gange ist, insbesondere zwischen gewißen anglo-amerikanischen Brüderschaften auf der einen Seite und asiatischen Brüderschaften auf der anderen." Hitler sei von ersterer und einer "Gruppe tibetischer Schwarzmagier" als Medium für ihre Ziele benutzt worden. "Die Pläne gewißer Logen wurden von Steiner während des Ersten Weltkrieges ausreichend offengelegt, womit er dem drohenden Untergang Mitteleuropas entgegenwirken wollte. Leider wurden seine Warnungen bis heute von den verantwortlichen Führern nicht beachtet ...". (9) Die "Erziehung der Deutschen zum politischen Analphabetentum" zeige, daß die von Steiner genannten Pläne der Logen bei paßender Gelegenheit zu Ende geführt würden, "wobei es ihnen sicherlich auf ein paar Millionen Tote mehr oder weniger nicht ankommen wird". (Ebenda)
Von gewissen führenden Kreisen sei keine Gnade zu erwarten. "Aber auch sie werden keine Gnade zu erwarten haben vor den Richtern des Saturn, den Vollstreckern der karmischen Gesetze, der kosmischen Gerechtigkeit!" (Ebenda S. 86)
Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, äußerte sich vielfach in antisemitischer Weise über den verderblichen Einfluß der Juden in der Medizin oder über ihre angebliche Unfähigkeit, schöpferisch bildhauerisch tätig zu sein. (10)
Verschwörungstheorien kursieren seit Beginn der "Bewegung" unter Anthroposophen. Schon Rudolf Steiner verteilte Landkarten, die angeblich die Aufteilung Europas, wie sie englische und französische Freimaurerlogen von langer Hand geplant, zeigten. (Solche Karten kursieren noch heute innerhalb der Anthroposophenschaft.) Ende des 20. Jahrhunderts, so diese Legende, werde ein gewaltiger Geisteskampf toben, in dem den Anthroposophen eine tragende Rolle zugedacht sei.
Dabei steht die angebliche Mission Mitteleuropas (Deutschland, Österreich usw.) im Mittelpunkt. Von dieser Mission mag keine der verschiedenen Fraktionen lassen. Wobei der offen faschistische Teil (Haverbeck u.a.) die Schuld daran, daß diese Mission bisher nicht erfüllt werden konnte, den Feinden Deutschlands zuschiebt - dabei selbst noch die grausamsten Verbrechen rechtfertigt. Eine andere Fraktion wiederum betont, daß diese Aufgabe eine rein geistige sei und durch den Faschismus verfehlt wurde.
In der "Novalis" vom Februar 1996 beschreibt Gennadij Bondarew die Lage im jetzigen Rußland und legt dabei nahe, daß linkes wie rechtes Lager von den gleichen Kräften gesteuert würden. Die Perestroika stelle nur "die zweite Etappe jenes einheitlichen ,sozialistischen Experiments`" dar, "das in Rußland seit 1917 durchgeführt wird und welches in den Geheimgesellschaften des Westens bereits in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts geplant war - ein Umstand, von dem Rudolf Steiner ganz offen sprach".
Das verschwörungstheoretische Werk schlechthin - und zudem ein anthroposophischer Bestseller - ist ein Buch des häufig auch in Deutschland vortragenden Autoren Sergej O. Prokofieff: "Die geistigen Quellen Osteuropas und die künftigen Mysterien des heiligen Gral". Sogar ein "eugenischer Okkultismus", als wichtige Fähigkeit des rußischen Volkes, mit dem Mitteleuropa sich zusammen tun solle, wird hier angepriesen. Im Jahr 2200 etwa werde die jetzige Herrschafts- epoche des Erzengels Michael zu Ende gehen. Dann müsse die Menschheit in der Lage sein, das Einweihungsprinzip unter die Zivilisationsprinzipien aufzunehmen.
Verschwörungswahn zieht sich durch das Buch: "Gegen eine solche Ausbreitung des Prinzips der individuellen Einweihung auf alle Bereiche des Lebens und der praktischen Anwendung kämpfen vor allem die westlichen Logen sowie die führenden Kreise der römisch-katholischen Hierarchie ..." (Prokofieff, S. 339)
Der anthroposophische Autor Karen Swassjan versucht in einem Kapitel seines Buches "Unterwegs nach Damaskus" Oswald Spengler und die "konservative Revolution", die als "geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus" (11) bezeichnet werden kann, zu beerben. Da so etwas gut eingeleitet sein will, wird zunächst beklagt, daß die Sieger die Geschichte schreiben und die deutsche Sicht der Dinge zu kurz gekommen sei. "Tabu-Wörter, magisch-polizeiliche Mittel", unabhängiges Denken zu verhindern, werden überwunden, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß Spengler nicht dumm genug gewesen sei, ein Nazi zu sein und eigentlich etwas Richtiges gewollt habe. Versailles, so Swassjan mit Spengler im Einklang, sei ein "Sieg der farbigen Welt über Europa" gewesen. Tartarischer, asiatischer Geist habe im Bolschewismus gesteckt. Swassjan erweckt stellenweise den Eindruck, als habe sich nur ein kleiner Fehler in die Parolen der Faschisten eingeschlichen: "Heute hört uns Deutschland, morgen die ganze Welt", hätte es heißen müßen - die geistige Mission in den Vordergrund stellend - nicht "Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt". In der anthroposophischen Zeitschrift "Die Drei" wurden diese "mutigen", sich um kein Tabu scherenden Worte "gerade eines Nichtdeutschen" bejubelt.
Es besteht die Gefahr, daß Anthroposophen bei ihrer hierarchischen Denkweise (Steiner wird vielfach als - spiritueller - Menschheitsführer gesehen) auch "sanfte" Diktatoren "auf dem physischen Plan" unterstützen. So war es z.B. teilweise mit dem georgischen Diktatoren Gamsachurdia, der sich selbst für einen Anthroposophen hielt. Er wurde in einigen deutschen anthroposophischen Zeitschriften unkritisch interviewt, Spenden wurden gesammelt für Projekte in Georgien.
Der Sohn Gamsachurdias durfte in der anthroposophischen "Zeitschrift ,Info3`" vom Juni 1996 den getöteten Dudajew als "Präsident und Freiheitskämpfer" feiern: "Er fiel wie ein Soldat auf dem Schlachtfeld." Mit Gamsachurdia habe Dudajew den Grund zur Bildung des Kaukasischen Hauses gelegt.

Kritische Reaktionen?
Der Erfolg dieser Bücher zeigt auch, wie empfänglich die esoterische Szene für Verschwörungsdenken und offenen Anti- semitismus ist. Aus sich selbst heraus grenzt sie sich nur sehr mühsam gegenüber solchem ab. Ende 1993 erschien der 1. Band der "Geheimgesellschaften ..." - erst Anfang 1996 die erste Kritik aus der "esoterischen Ecke". Und zwar in dem Hamburger Magazin "Körper, Geist & Seele". Als ein Grund für den Erfolg des Buches wird doch tatsächlich genannt: "Autoren, die sich über öffentliche Denktabus, etwa hinsichtlich der Ufo-Frage, hinwegsetzen, dürfen bei manchen Lesern auf ein Sympathiekredit rechnen." So werde manches überlesen, was man in anderem Zusammenhang als unhaltbar erkenne.
In der Juli-Ausgabe der "Esotera" - inzwischen war das Buch schon verboten worden - wurde van Helsings Machwerk einer Generalkritik unterzogen. Insgesamt ist das durchaus zu begrüßen. Doch fällt auf, daß im Editorial der Inhalt der Bücher falsch dargestellt wird, wohl um einen größeren Widerspruch zu dem zu konstruieren, was in der esoterischen Szene üblich ist. (Der Wandel geschehe, wenn überhaupt, nur im Inneren eines jeden von uns, nicht von außen - dabei ist das genau die Rede des Herrn van Helsing.) "Die seriösen okkulten Traditionen werden durch solchen Mißbrauch pauschal lächerlich und unglaubwürdig gemacht", beklagt der Artikel. Das war denn wohl auch vorwiegend die Absicht: die Esoterik "an und für sich" von dem Verdacht der Nähe zu van Helsings faschistoider Ideologie reinzuwaschen. Es wird aber immerhin die richtige Feststellung getroffen, daß die Weltverschwörungsthese eine der Propagandawaffen der Nazis war und die Gefahr besteht, daß eine okkultistische Esoterik erneut Öl in ein ähnliches Feuer gießt.
In der August-Ausgabe der "Esotera" wird auszugsweise aus einem Brief zitiert, den van Helsing als Reaktion auf den Artikel der vorherigen Ausgabe an diese Zeitschrift schickte: "Somit kann ich Sie beunruhigen: Meine Bücher werden auch weiterhin von dem spanischen Verlag aus in alle Welt (außer momentan in die Schweiz und Deutschland) geliefert." Ein Leser erklärte, daß nun ja klar sei, auf welcher Seite der Bauer Verlag, der die "Esotera" herausgibt, stehe. Er habe sich entlarvt als zionistisch-illuminatisches Macht- instrument". Der Chefradakteur stellt diesem nun eine angeblich "ideologiefreie Spiritualität" entgegen. Nun ist es noch sehr die Frage, ob die geistlose esoterische Floskel des "Alles ist gut, wie es ist - in deinem Selbst liegt das Problem" nicht doch eine Ideologie transportiert. Als sicher aber darf gelten, daß der Bauer Verlag so unschuldig nicht ist. So bietet dieser Verlag auch Werke Helena Petrowna Blavatskys an, die den theosophischen Rassismus mit begründete.
Davor warnen möchte ich nach wie vor, pauschal die gesamte Szene dem rechtsextremen Lager zuzuordnen. Es ist äußerst ärgerlich, wenn immer wieder Menschen als Faschisten bezeichnet werden, die es eindeutig nicht sind. In dieser Szene gibt es durchaus widersprüchliche Ansichten. Aufklärerische Arbeit sollte durchaus bei diesen Widersprüchen ansetzen und sie zu vertiefen trachten.
Zumindest einige wenige "eher links stehende" Anthroposophen kritisieren diese Verschwörungsgeschichten als in rechtsradikaler Tradition stehend. Sie stehen allerdings auf schwankendem Boden, da sie bei Steiner wenig finden, worauf sie sich berufen können, deshalb werden viele seiner Aussagen mit verschwommenerem Inhalt entsprechend zurechtgebogen. Die beachtliche Fähigkeit mancher AnthroposophInnen, ihnen Unangenehmes im Werk Steiners zu übersehen, sollte nicht unterschätzt werden.
In den Niederlanden geschah das Wunder, daß sich - nach tumultartigen Auseinandersetzungen - die Anthroposophische Gesellschaft selbst vom Rassismus Steiners distanzierte. Der Streit dauert noch an, wird u.a. vor Gericht ausgetragen.
Selbst wenn sich unter dem Druck einer kritischen Öffentlichkeit die Anthroposophenschaft allgemein klar vom Rassismus Steiners distanzieren sollte - was ein allzu unwahrscheinlicher Fall ist - steht eine gründliche Auseinandersetzung mit heutigen anthroposophischen Verschwörungstheoretikern noch aus.

Jens-Uwe Ries
Anmerkungen:
1) Edgar Wunder in "Skeptiker" 1/96. Die Externsteine sind eine "heilige Begegnungsstätte" von Esoterikern aller Schattierungen.
2) Karma bedeutet etwa "Folge" oder "Wirkung" - wird meist verstanden als Ergebnis aus Handlungen in früheren Leben.
3) Rene Freund, "Braune Magie?", Wien 1995.
4) Vergl.: Zur EAP "taz" 8.9.92, 26.4.95 und 24.9.94, sowie "ak" 330 und "ak" 379.
5) Johannes Rogalla von Bieberstein, "Die These von der Verschwörung 1776 - 1945", Flensburger Hefte Verlag 1992.
6) Lars Gustafsson, Herr Gustafsson persönlich.
7) vergl. "taz" vom 28.3.90 und 5.4.90.
8) "taz", 17.4.96.
9) Rueggeberg, "Theosophie und Anthroposophie ...", Rueggeberg Verlag 1988.
10) (R. Steiner, Marie Steiner - von Sievers, "Briefwechsel und Dokumente", 1967, S. 61-63).
11) Kurt Sontheimer in der "SZ", 9.8.96.

aus: analyse & kritik Nr. 394, 19.9.1996

[ Top | Zurück ]


Most recent revision: April 07, 1998

E-MAIL: Martin Blumentritt