Realitatsverweigerung als antisemitisches Prinzip:
Die Leugnung des Völkermords
Den infamen Ausdruck "Auschwitz-Lüge" - ein Unwort, mit dem unterstellt
wird, die Realität des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden
existiere nicht - verdankt die Öffentlichkeit einer Broschüre des gerichtsnotorischen
deutschen Neonazi Thies Christophersen. Der war 1944 nach Auschwitz kommandiert
worden, und zwar in eine Versuchsabteilung für Pflanzenzucht. Die Kompetenz
des Augenzeugen in Anspruch nehmend, mischt Christophersen Selbsterlebtes (mit dem
Mordprogramm hatte er nichts zu tun, sein Arbeitsplatz befand sich an der Peripherie
des Lagerkomplexes) mit Argumenten des Rechtsextremismus. Bewiesen werden soll damit,
daß es in Auschwitz fur alle, auch für Häftlinge, eigentlich recht
nett gewesen ist. Bei der Arbeit sei getanzt und gesungen worden, und es habe einige
Zeit gedauert, bis sich die in unterernährtem Zustand eingelieferten Häftlinge
in Auschwitz "herausgefuttert" hätten. (1)
Die "Auschwitz-Lüge" hat die zentrale Funktion im Konzept des "Revisionismus",
jener Ideologie des Negierens der Verbrechen des NS-Staats, mit der Hitler-Apologeten,
Alt- und Neonazis und nationalistische Überpatrioten das historische Bild des
Nationalsozialismus retuschieren - in ihrer Diktion: die deutsche Geschichte entkriminalisieren
- wollen.
Der "Revisionismus" ist eine Hilfsideologie im Dienste rechtsextremer
Ziele, entsprechend wird er von der Bundesregierung eingeschätzt: "Als
Revisionismus im weiteren Sinne werden Bestrebungen bezeichnet, die angeblich in
der Nachkriegszeit falsch dargestellte Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des
Dritten Reiches zu Gunsten des Nationalsozialismus zu korrigieren. Das rechtsextremistische
Lager ist sich weitgehend darin einig, daß wesentliche Erkenntnisse zur jüngeren
deutschen Geschichte, speziell hinsichtlich der Alleinschuld Hitlers am Zweiten
Weltkrieg und der massenhaften Ermordung von Juden in deutschen Konzentrationslagern,
revidiert werden müßten. Als Revisionismus im engeren Sinne ist die Leugnung
der erwiesenen geschichtlichen Tatsache zu verstehen, daß im Verlauf des Zweiten
Weltkrieges Millionen europäischer Juden auch in Gaskammern ermordet wurden. (2)
Zu den Autoritäten, auf die sich die "Revisionisten" berufen, gehört
der Franzose Paul Rassinier, der bereits in den 60er Jahren mit einschlägiger
Schriftstellerei Aufsehen erregte. (3) Sein Epigone
Robert Faurisson, der zuletzt Dozent fur Literaturwissenschaft in Lyon war und von
seinen Anhängern als "Professor fur Text- und Dokumentenkritik" und,
seit seiner Entlassung durch die Universität, als Märtyrer gefeiert wird,
(4) stützt sich u.a. auf den Juristen Wilhelm Stäglich,
der ein Buch "Der Auschwitz-Mythos" schrieb und dem die Universität
Göttingen den Doktortitel aberkannte.(5) Schließlich
gehören dazu der amerikanische Professor im Fachgebiet Elektrotechnik Arthur
R. Butz (6) und der vom Journalisten zum neonazistischen
Apologeten Hitlers denaturierte Brite David Irving. Bemerkenswert, daß alle
diese Autoritäten, die als "Wissenschaftler" auftreten und die in
der einschlägigen Literatur als Experten, Doktoren, Professoren tituliert werden,
damit sie als professionell und seriös figurieren, keinerlei Fachkompetenz
in Anspruch nehmen können. Das gilt auch fur die in Kalifornien angesiedelte
revisionistische Zentrale, das Institute for Historical Review. Ernstzunehmende
Historiker gehören dieser Einrichtung nicht an. Ziel der "Revisionisten"
ist ja auch nur Propaganda, und zwar gegen die historische Wahrheit. Die Polemik,
die sich streng "wissenschaftlich" gibt, erfolgt in Arbeitsteilung. Die
Erwähnten spielen dabei die Rolle der wissenschaftlichen Autoritäten,
sie verfassen Schriften und Bücher, deren Inhalt von Kolporteuren wie Ernst
Zündel in Kanada, Gary Rex Lauck in den USA, Walter Ochsensberger und Gerd
Honsik in Österreich, Manfred Roeder, Udo Walendy und vielen anderen in Deutschland
unters Volk gebracht werden - in Pamphleten, Flugblattern, Zeitschriften. (7)
Im November 1992 verurteilte das Landgericht Mannheim den Oberstudienrat a. D. Günter
Deckert wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß, Verleumdung und
Beleidigung der Opfer des Holocaust zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung
und 10000 DM Geldstrafe. Der Verurteilte hatte bereits mehrere Disziplinarverfahren
hinter sich (er wurde 1988 aus dem Schuldienst entlassen), parallel dazu machte
er Karriere in der rechtsextremen NPD, der er 1965 beigetreten war, deren Delegierte
ihn 1991 zum Bundesvorsitzenden wählten. Deckert war verurteilt worden, weil
er in Weinheim eine "Revisionismus-Tagung" veranstaltet hatte, bei der
er die Ausführungen eines amerikanischen "Experten" übersetzt
und kommentiert hatte. Fred Leuchter, dubioser Hinrichtungsfachmann und selbsternannter
Ingenieur, gilt unter Neonazis als Autorität, weil er mit einer Expertise bewiesen
haben will, daß die Morde in den Gaskammern in Auschwitz technisch gar nicht
möglich waren. Der "Leuchter-Report", im Auftrag eines kanadischen
notorischen Neonazi verfaßt, kursiert seit 1988. Mit ihm haben die Leugner
des Völkermords und Apologeten des Nationalsozialismus eine neue Taktik der
Anzweiflung historischer Realitat eingeführt, nämlich das Hantieren mit
naturwissenschaftlichen und technischen Argumenten, mit denen bewiesen werden soll,
daß die Morde in Auschwitz, Treblinka, Majdanek und allen anderen Vernichtungsstäten
aus technischen Grunden gar nicht möglich gewesen sind.
In einem weiteren Elaborat (8) beschäftigte sich
Leuchter mit den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen sowie der Euthanasie-Mordstätte
Hartheim. Dank reichlicher Publizitat im rechten Lager (wo die Produkte dilettantischen
Eifers als "wissenschaftliche Sensation" gefeiert wurden) fanden sich
Epigonen, die politischen Fanatismus aus apologetischen Motiven als Erkenntnisdrang
im Dienst ihres Verständnisses von historischer Wahrheit propagierten.
"Naturwissenschaftliche Sachbeweise" sollen neuerdings historische Dokumente
(deren Echtheit anzuzweifeln unter Revisionisten schon langere Tradition hat) entwerten
und ersetzen, um historische Realitäten ungeschehen zu machen. Zu den Methoden
des Revisionismus gehören Spekulationen über die Wirkung des in Auschwitz
verwendeten Giftgases Zyklon B ebenso wie "Berechnungen" uber den Koksverbrauch
und die Kapazitat der Krematorien in den Vernichtungslagern oder Rechenstücke
über die Brenndauer von Leichen. Das Ziel ist der Nachweis, daß die Massenmorde
an den Juden gar nicht möglich waren. So vertiefte sich ein Interessent (promovierter
Naturwissenschaftler) in das Problem der Wirkung und Entsorgung von Zyklon B, weil
er vermutete, daß "selbst bei hohen Temperaturen ein mit Zyklon B vergaster
Raum nach 2 Stunden noch voll unter Gas steht". Damit sollen Berichte über
den Tötungsvorgang in Auschwitz falsifiziert werden, nach denen unmittelbar
nach dem Tod der Opfer die Gaskammern geöffnet wurden. Zur Stützung seiner
These, die den Zweck hat, nachzuweisen, daß in Auschwitz nicht in der Dimension
gemordet wurde, wie tatsächlich geschehen, operiert er wie andere Revisionisten
mit dem Argument, die zur Entwicklung des Giftgases erforderliche Temperatur habe
gar nicht entstehen konnen. Er ließ es, eigenen Angaben zufolge, nicht bei
theoretischen Erwägungen bewenden, sondern erprobte seine Vorstellungen im
praktischen Experiment, das er folgendermalien schildert: "Ein kleiner - sicher
dilettantischer - eigener Pilotversuch mit 2 Digitalthermometern in einem, mit einer
Person besetzten, leidlich abgedichteten Holzverschlag brachte nach einer Viertelstunde
am Holzfußboden einen absolut vernachlässigbaren Temperaturanstieg."
Zur Begrundung seiner Fragestellung führt er an, es sei für Naturwissenschaftler
"ein ehernes Gesetz, daß eine herrschende Auffassung, Theorie o. a. zu
falschen Schlussen kommt, wenn eine einzige Eingangsvoraussetzung falsch war - hier
im übertragenen Sinn die Unmöglichkeit der Entsorgung des Zyklon B bei
Massenvergasungen". Und als Motiv seines Forschens fuhrt er an, er habe "im
Weimarer Staat die steigende Entfremdung zwischen Deutschen und Juden erlebt - zum
großen Teil hervorgerufen durch die jüdische Einwanderung aus dem Osten"
- sein Wunsch sei es, "wieder ein so unbefangenes Verhaltnis zwischen Deutschen
und Juden herzustellen, wie es in der Kaiserzeit selbstverstandlich war".(9)
Das Urteil professioneller Naturwissenschaft über solche Fragestellungen revisionistischer
Herkunft ist vernichtend, es handele sich um eine "Mischung aus Heuchelei,
kleinkarierter Spießigkeit und plump aufgesetzter Naivitat mit scheinbarer
naturwissenschaftlicher Objektivitat", lautet die Quintessenz des Befundes. (10)
Nach dem Vorbild des Leuchter-Reports stellte auch der Altnazi Otto Ernst Remer
(Generalmajor a. D. und seit 1945 einer der Protagonisten der Neonazi-Szene) einen
privaten Gutachter an, als er sich 1992 wegen Leugnens des Völkermords vor
Gericht verantworten mußte. Ein Diplom-Chemiker, damals am Stuttgarter Max-Planck-Institut
fur Festkörperforschung beschäftigt, hatte in Remers Auftrag ein "Gutachten
über die Bildung und Nachweisbarkeit von Cyanidverbindungen in den 'Gaskammern'
von Auschwitz" geschrieben.(11) Vom Gericht wurde
es nicht akzeptiert, statt dessen versandte es Remer als aufwendig ausgestattete
Hochglanz-Broschüre zunachst an "1000 der wichtigsten Persönlichkeiten
in Deutschland". Mit Tabellen und Kurven, Zahlen und "chemischen Analysen"
sollte einmal mehr bewiesen werden daß die Morde in Auschwitz naturwissenschaftlich
gar nicht möglich waren. Die eigentliche Absicht war eindeutig. Von Remer im
Begleitbrief formuliert, demonstriert sie mit Hilfe alter Klischees neuen antisemitischen
Eifer: "Im Zeitalter der Religionsfreiheit müssen wir uns alle gegen die
uns von den Gerichten zwangsverordnete 'Holocaust-Religion' wehren. Die Wahrheit
ist ein Urrecht. Ein Urrecht fur jeden Menschen. Wir dürfen es nicht zulassen,
daß eine kleine, mächtige Minderheit unser Wesen, unseren Geist, unser
Seelen-Leben mit einer Zwangsreligion zerstört." (12)
Die Leugner des Holocaust gewinnen mit solchen Methoden im öffentlichen Diskurs
Boden, weil sie auf die Unsicherheit des Publikums gegenüber den historischen
und moralischen Problemen bauen können und weil sie verbreitete Vorbehalte
gegen Juden ansprechen und in ihre Argumentation einfügen. Der Fall Deckert
ist ein Schulbeispiel dafür.
Der Bundesgerichtshof hatte am 15. Marz 1994 dem Revisionsbegehren des verurteilten
NPD-Chefs Deckert stattgegeben, das Mannheimer Urteil vom November 1992 aufgehoben
und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts
Mannheim zurückverwiesen. Das hochstrichterliche Urtei stieB auf erheblichen
öffentlichen Protest, obwohl darin bestätigt war, daß der Massenmord
an Juden, begangen in Gaskammern in Konzentrationslagern unter nationalsozialistischer
Herrschaft, als geschichtliche Tatsache offenkundig und eine Beweiserhebung darüber,
wie sie Deckert verlangt hatte, nicht mehr notwendig sei. Das Urteil gegen Deckert
wurde zuruckgewiesen, weil es zu pauschal gefaßt war und weil der Nachweis,
daß der Angeklagte sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere,
nicht geführt war. Nach gängiger Rechtsprechung ist dieser Nachweis Voraussetzung
der Verurteilung wegen Volksverhetzung.(13) Das Urteil
war also im wesentlichen aus formalen Grunden aufgehoben, die Mannheimer Richter
hatten sich bei der Begründung nicht genug Mühe gegeben, die öffentliche
Aufregung war nicht unbedingt gerechtfertigt. Zum Skandal wurde der Fall erst mit
dem neuen Urteil des Landgerichts Mannheim im Juni 1994, in dessen Begründung
die Richter den Angeklagten als "charakterstarke, verantwortungsbewußte
Persönlichkeit mit klaren Grundsatzen" würdigen. Die politische Überzeugung
sei ihm Herzenssache und seine Tat sei "von seinem Bestreben motiviert, die
Widerstandskräfte im deutschen Volk gegen die aus dem Holocaust abgeleiteten
jüdischen Anspruche zu stärken. Nicht außer acht gelassen wurde
auch die Tatsache, daß Deutschland auch heute noch, rund fünfzig Jahre
nach Kriegsende, weitreichenden Ansprüchen politischer, moralischer und finanzieller
Art aus der Judenverfolgung ausgesetzt ist, während die Massenverbrechen anderer
Völker ungesühnt blieben, was, jedenfalls aus der politischen Sicht des
Angeklagten, eine schwere Belastung des deutschen Volkes darstellt."(14)
Die Reaktion auf das Urteil bestand in öffentlicher Empörung, die die
Entrüstung über das Urteil vom März berechtigterweise überstieg.
Im Gegensatz zum Bundeskanzler, der den Richterspruch eine Schande nannte und zur
Bundesjustizministerin, die wegen ihrer Urteilsschelte von der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" heftig gerügt wurde, riet das Blatt zunachst zu "ruhiger
Betrachtung" des Urteils, schwenkte dann aber auf die Linie allgemeiner Empörung
ein und entrüstete sich grundsätzlich: Deckert, der den Judenmord leugnet,
"bestreitet der Bundesrepublik ihre Legalität".(15)
Gemeint war damit wohl die Verletzung des historischen Grundkonsens einer auf
den Trümmern des nationalsozialistischen Staates errichteten Demokratie.
Die einfühlende Würdigung des "subjektiven Tatbestandes" in
der umfangreichen Karlsruher Urteilsbegründung macht indessen deutlich, daß
im Weltbild der Richter Übereinstimmungen mit den Intentionen des Auschwitz-Leugners
Deckert vorhanden sind. Das ist von grundsätzlicher Bedeutung, denn hier liegen
zum einen Motive fur die Verweigerung gegenüber historischer Realitat zutage
- verletztes Nationalgefühl, zerstörte Ideale nationalsozialistischer
oder deutschnationaler Observanz -, zum anderen ist die Tradition antisemitischer
Stereotypen sichtbar: "Der politisch rechtsstehende Angeklagte ist kein Antisemit
im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie, die den Juden in letzter Konsequenz
das Lebensrecht abgesprochen hat, er verurteilt vielmehr die Entrechtung und Verfolgung,
der die Juden deutscherseits in den Jahren 1933 bis 1945 ausgesetzt waren. Aufgrund
seiner betont nationalen Einstellung jedoch nimmt er den Juden ihr ständiges
Insistieren auf dem Holocaust und die von ihnen aufgrund desselben auch nach nahezu
fünfzig Jahren nach Kriegsende immer noch erhobenen finanziellen, politischen
und moralischen Forderungen Deutschland gegenuber bitter übel....Im übrigen
bekennt sich der Angeklagte zum Revisionismus, d. h. er hält es für geboten,
auch als gesichert geltende historische Thesen immer wieder mittels der Forschung
zu überprufen."(16) Und schließlich
heißt es in der Begründung, eine starke emotional gesteigerte feindselige
Haltung "wollte der Angeklagte aus seinem bitteren Ressentiment gegen die Juden
heraus in den Angesprochenen auch hervorrufen, um auf diese Weise im deutschen Volk
die Widerstandskräfte gegen die aus dem Holocaust abgeleiteten jüdischen
Forderungen zu starken..."(17)
Mehrfach ist im Urteil auch von Juden als "Parasiten" die Rede die von
ihrer Situation als Überlebende oder Nachkommen der Verfolgten des Holocaust
nachhaltigen Gebrauch machten; der Begriff "Parasiten" war aber erst durch
die Richter eingeführt worden, der Angeklagte hatte das Wort selbst gar nicht
verwendet. Selbstverständlich hatte er, wie alle Holocaust-Leugner, aber genau
das gemeint, die Schlußfolgerung jedoch anderen überlassen. Denn die
Argumentation hat ja den Zweck, "die Juden" als Verursacher unbehaglicher
Gefühle (Schuldbewußtsein und Scham), als Nutznießer unberechtigter
Forderungen und Leistungen (Wiedergutmachung, Entschädigung) und Störer
des gesellschaftlichen Friedens (Nichtruhenlassen der Vergangenheit), als an sich
Schuldige im offentlichen Diskurs zu brandmarken. (Urteilstext: "Dem Angeklagten
war bei der Veranstaltung klar daß die Ausführungen Leuchters die Massenvernichtung
der Juden während des Nationalsozialismus jedenfalls mittels Vergasung als
Erfindung darstellten, absichtlich aufgebracht und aufrechterhalten zur Knebelung
des deutschen Volkes. Er selbst, der eben diese Auffassung teilt, identifizierte
sich durch sein geschildertes Auftreten während der Tagung willentlich und
fur jeden erkennbar mit dem Inhalt von Leuchters Darlegungen."(18)
Das Leugnen des Holocaust ist damit nicht nur Ausfluß nationalistischer oder
neonazistischer Verschrobenheit, es dient als Chiffre für einen neuen Antisemitismus,
als Chiffre der ausgrenzenden Verständigung gegen eine bestimmte Minderheit.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland hat die Mannheimer Urteilsbegründung
mit der Feststellung in den Zusammenhang eingeordnet, "daß rechtsradikales
Gedankengut inzwischen längst nicht mehr bloß von extremen Randgruppen
und -figuren offentlich lauthals vertreten wird, sondern offenbar Eingang in die
Mitte der Gesellschaft gefunden hat".(19) Das
Urteil wurde am 15. Dezember 1994 vom Bundesgerichtshof unter heftiger Kritik seiner
Begründung wegen "rechtsfehlerhafter Erwägungen" aufgehoben.
Politische Verblendung mindere nicht die strafrechtliche Schuld dessen, der vor
der historischen Wahrheit die Augen schließe, konstatierten die Bundesrichter
und verwiesen den Fall Deckert zur Neuverhandlung an das Landgericht Karlsruhe.
Den traditionellen Kern der Verleugnung des Holocaust bildet die Anzweiflung der
Opferzahlen. Die Hartnäckigkeit, mit der die "Sechs-Millionen-Lüge"
von Revisionisten bekämpft wird, reicht zurück in die unmittelbare Nachkriegszeit.
Die Argumentation ist seither, obwohl immer aufs neue widerlegt, unverändert
geblieben, lediglich neue "Beweisstücke" tauchen von Zeit zu Zeit
auf. Es geht stets darum, durch Anführung scheinbar unumstößlicher
Beweise, durch Hinweise auf vermeintliche Experten oder Augenzeugen, deren Glaubwürdigkeit
über jede Kritik erhaben ist, und durch Zitate aus angeblich wissenschaftlicher
Literatur Verwirrung zu stiften, Tatsachen zu negieren und an ihrer Stelle eine
erfundene Pseudorealität zu schaffen. Zur Zahl der sechs Millionen jüdischer
Opfer, die zweifelsfrei feststeht, (20) werden immer
wieder Statistiken vorgeführt, die mit der Opferbilanz gar nichts zu tun, statt
dessen die auf der Welt lebenden Juden zum Gegenstand haben. In bunter Mischung
ganz verschiedener Quellen, ohne nachprüfbare Angabe ihrer Herkunft, soll suggeriert
werden, die Weltpopulation der Juden sei von 15,3 Millionen im Jahre 1933 auf 17,8
Millionen im Jahre 1986 angestiegen. Deshalb könne es keinen Holocaust gegeben
haben, lautet die Schlußfolgerung.
Daß die Historiker aus begreiflichen Grunden Mühe haben, die Zahl der
jüdischen Opfer des Nationalsozialismus exakt zu bestimmen, wird als weiterer
Beweis genommen, daß der Völkermord gar nicht stattgefunden habe, und
die Tatsache, daß auf einer Gedenktafel in Auschwitz irrtümlich eine
zu hohe Zahl der Todesopfer dieses Lagers angegeben war, wurde mit ebensolchem Triumph
vermerkt wie die Korrektur dieses Irrtums: Die Entfernung der Gedenktafel galt den
"Revisionisten" nicht als Eingeständnis eines im Übereifer erfolgten
Irrtums, sondern sie feierten es als "Beweis" dafür, daß in
Auschwitz gar kein Massenmord erfolgt sei. Der Irrtum mit der Zahl in Auschwitz
Ermordeter ging übrigens auf keinen Geringeren als den früheren Kommandanten
dieses Todeslagers, den SS-Fuhrer Rudolf Höß zurück, der im Nürnberger
Hauptkriegsverbrecherprozeß von zweieinhalb Millionen Mordopfern allein in
Auschwitz gesprochen hat. (Gegen die überhöhten Angaben von Höß
lautet der revisionistische Einwand, er habe die Aussagen gemacht, nachdem er gefoltert
worden sei.)
Damit nicht neue Irrtumer entstehen, seien die Zahlen der in den Vernichtungslagern
mit Giftgas ermordeten Juden hier genannt, es sind Minimalzahlen, wie sie von Historikern
und Juristen mit aller Akribie und Professionalitat anhand aller zur Verfügung
stehenden Quellen ermittelt und immer wieder überpruft worden sind. In Chelmno
(Kulmhof) waren es 152 000, in Belzec 600000, in Sobibor 250000, in Auschwitz-Birkenau
eine Million, in Treblinka 900000, in Majdanek 60000 bis 80000. Das heißt,
allein in diesen großen Vernichtungslagern sind fast drei Millionen jüdische
Menschen ermordet worden. Dazu kommen die Opfer der Einsatzgruppen der SS (nach
deren eigenen Angaben sind von diesen Mordkommandos mindestens 535 000 Juden ermordet
worden), die in Ghettos und Konzentrationslagern Ermordeten, die durch Zwangsarbeit,
Unterernährung, Schikanen, Mißhandlungen oder auf andere Weise Getöteten
. Es sind insgesamt kaum weniger als sechs Millionen, eher mehr.
Betrachten wir die Technik, mit der diese Bilanz des Holocaust zur "Lüge"
gestempelt werden soll. Die älteste "Quelle", auf die sich die Revisionisten
bis zum heutigen Tage berufen, stammt angeblich vom Roten Krenz, einer außer
jedem Verdacht stehenden integren und unabhängigen Institution. Das Rote Kreuz
soll nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell festgestellt haben, daß es insgesamt
nicht mehr als 300 000 Opfer rassischer, religiöser und politischer Verfolgung
durch das nationalsozialistische Regime gegeben habe.
Die Schweizer Zeitschrift "Der Turmwart" hatte im Dezember 1950 berichtet,
daß alles in allem weniger als 1,5 Millionen durch die Nationalsozialisten
und ihre Helfer umgebracht worden seien. Als Quelle für diese Behauptung wurde
ein Bericht in den "Baseler Nachrichten" vom 12. Juni 1946 angeführt,
der mit dubiosen Rechentricks operierte. Als Beweis waren "jüdische Statistiken"
genannt worden. Ab Januar 1955 griff ein neonazistisches Blatt, das damals unter
dem Titel "Die Anklage" in Bad Worishofen erschien, die Angelegenheit
in einer Artikelserie wieder auf. Jetzt war als "Experte" ein "universell
bekannter Nordamerikaner" neu in die Debatte eingeführt worden, dem die
Zahlen in den Mund gelegt waren: Es war wieder von nur 300 000 Opfern die Rede.
Die Schweizer Quellenangabe wurde als "Beweis" im umgekehrten Verhältnis
zur weiter verharmlosten Zahl der Opfer aufgepäppelt, es hieß nämlich
jetzt: "Die Schweizer Zentrale des Roten Krenzes hat nunmehr mit der Herausgabe
einer amtlichen Meldung die Angaben des Amerikaners Warwick Hesters, die wir in
unserem Artikel "Die gemeinste Geschichtsfälschung" veröffentlichten,
bestätigt. In der amtlichen Mitteilung der Schweizer Zentrale des Roten Kreuzes
heißt es ganz eindeutig: "Opfer politischer, rassischer und religiöser
Verfolgung in den Gefängnissen, Konzentrationslagern usw. zwischen 1939 und
1945: 300000 (dreihunderttausend)."(21)
Ermuntert durch diese seriös erscheinende Quellenangabe berichteten nun auch
unverdächtige Magazine über die Opfer des Zweiten Weltkriegs und übernahmen
die angebotenen Zahlen. "Das Grüne Blatt", ein Unterhaltungsmagazin
der Regenbogenpresse, brachte 1955 einen Artikel, in dessen Vorspann es hieß:
"Seit 1946 hat die Schweizer Zentrale des Roten Krenzes amtliche Meldungen
über die Kriegsverluste der einzelnen Lander gesammelt. Die jetzt vorliegenden
Zahlen sind eine Bilanz des Grauens, eine ernste Mahnung an die Politiker von heute,
alles zu tun, damit sich ein solches Blutbad nicht wiederholen kann." In der
Gesamtzahl der "57 Millionen Opfer!" (so die Überschrift des Artikels)
war dann wieder die Zahl von 300 000 Juden enthalten.
(22)
"Das Grüne Blatt", das durch die Veröffentlichung zu Unrecht
in den Verdacht neonazistischer Tendenz geriet, distanzierte sich in einem Brief
vom 6. Februar 1956 an den damaligen Direktor des Münchener Instituts fur Zeitgeschichte,
der um Aufklärung über die Quellen des Artikels gebeten hatte, entschieden
von dieser Zahlenangabe und machte dabei aufschlußreiche Angaben über
das Zustandekommen solcher Publikationen: "Wir brachten den von Ihnen zitierten
Beitrag '57 Millionen Opfer', um im Zuge der sich abzeichnenden Remilitarisierung
allen Verantwortlichen einmal eine ernste Mahnung mit auf den Weg zu geben. Wir
hatten den Artikel, der sich auf Angaben des schweizerischen Roten Kreuzes stützen
sollte, von unserem ständigen Kopenhagener, auch in der Schweiz und Österreich
vertretenen, Mitarbeiter, mit dem wir bislang noch nie Anstande gehabt hatten. Wir
hatten auch mit diesem Aufsatz keine, nur eine darin genannte Zahl - die der in
Konzentrationslagern umgekommenen Opfer - macht uns arge Scherereien. Sie ist, wie
sich inzwischen herausstellte, offensichtlich falsch. Wir haben in der Angelegenheit
auch schon lange briefliche Unterhaltung mit dem Bundestagsabgeordneten Kalbitzer
geführt, weil man uns - dem Grünen Blatt - in der Schweiz und auch in
Deutschland, ein Eintreten fur neofaschistische Belange unterschieben wollte, was
bei uns nur erst ein Kopfschütteln, dann aber starke Verärgerung auslöste.
Wir gingen der ganzen Sache energisch nach, leider verlief sie sozusagen im Sande.
Die letzte Quelle wurde nicht bekannt. Unser Kopenhagener Mitarbeiter, dessen eigene
Familie zum großen Teil in Konzentrationslagern um gekommen ist, der also
völlig integer gegen Verdächtigungen ist, hatte den Aufsatz der "Wiener
Wochenausgabe" entnommen, mit der er ein Austauschabkommen kat. Der Redakteur
der "Wiener Wochenausgabe", der ihn geschrieben hatte, hatte die Angaben,
wie er uns brieflich mitteilte, einer Schweizer Zeitung entnommen, er konnte allerdings
nicht mehr angeben, ob es sich um "Die Tat" oder ein anderes Blatt gehandelt
hatte."(23)
Wer das Verwirrspiel angefangen hatte, war also nicht mehr zu klären. Fest
steht jedenfalls, daß den Urhebern jede Sachkenntnis fehlte und daß
auch die elementarsten Regeln journalistischer Sorgfalt nicht beachtet worden waren
bei dieser Art von Kolportage. Wie verhält es sich nun aber tatsächlich
mit den "amtlichen Zahlen" des Roten Kreuzes? Sie haben niemals existiert,
wie aus einem Brief des Chefs der Informationsabteilung des Comite International
de la Croix Rouge vom 17. August 1955 an den Direktor des Instituts fur Zeitgeschichte
hervorgeht: "Statistische Aufstellungen über Verluste an Militärpersonen
oder Deportierten können wir nicht verschaffen, da derartige statistische Arbeiten
dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz nicht obliegen. Einerseits verfügt
das Komitee über die hierzu erforderlichen Mittel nicht und andererseits beziehen
sich die in der Kriegsgefangenen-Zentrale enthaltenen Meldungen auf Gefangenschaftsnahme,
Transfer in andere Lager, Freilassung usw., aber geben kein genaues Bild der gesamten
Anzahl von Kriegsgefangenen. Statistiken, die diesen Angaben zu entnehmen waren,
wurden nicht nur eine sehr langwierige Arbeit erfordern, sondern auch ein ungenaues
Endergebnis aufweisen. Bei weitem noch unvollständiger sind unsere Angaben
über die sich seinerzeit in Deutschland befindenden Häftlinge der Konzentrationslagern.
Wenn wir auch gegen Ende des Krieges Häftlingen Hilfe und Beistand gewähren
konnten, so waren trotz zahlreicher Bemühungen Hilfsaktionen in dem gleichen
Ausmaß wie zugunsten der Kriegsgefangenen nicht möglich, da dem Komitee
hierzu die rechtlichen Grundlagen fehlten (Das Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung
geht auf den 12. August 1949 zurück, an dem die in Genf tagende diplomatische
Konferenz die vier Genfer Abkommen zum Schutze der Kriegsopfer annahm). Wie Sie
aus diesen Ausführungen ersehen, beruhen die Angaben des deutschen Wochenblattes
auf keiner vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz gelieferten Information."(24)
Dieses offizielle Dementi des Internationalen Roten Kreuzes in Genf nützte
freilich wenig. Zehn Jahre später beriefen sich Rechtsradikale in einem offenen
Brief an den Münchener Kardinal Dopfner, der im NPD-Blatt "Deutsche Nachrichten"
abgedruckt wurde, wieder auf Zahlenangaben des IRK; und wiederum distanzierte sich
das Internationale Komitee vom Roten Kreuz kategorisch von dieser Fälschung:
"Wir möchten eindeutig klarstellen, daß das Internationale Komitee
vom Roten Kreuz in Genf überhaupt nichts mit diesen Behauptungen zu tun hat.
Die Statistiken über die Kriegsverluste und die Opfer politischer, rassischer
oder religiöser Verfolgungen fallen nicht in sein Zuständigkeitsgebiet
und haben nie dazugehört. Selbst wenn es sich um Kriegsgefangene handelt (die
seit 1929 durch ein internationales Abkommen geschützt sind und für die
wir, wie Sie wissen, einen Zentralen Suchdienst besitzen), wagen wir keine Zahlen
zu nennen, da wir uns wohl bewußt sind, daß wir nicht im Besitze sämtlicher
Auskünfte betreffend diesen Personenkreis von Kriegsopfern sein können.
Um so mehr sind wir verpflichtet, uns jeglicher Schätzung zu enthalten, wenn
es sich um Zivilpersonen handelt, die zu jener Zeit durch keinerlei Konvention geschützt
waren und sich somit der Aktion des Roten Kreuzes fast vollständig entzogen."(25)
Über den Brief vom 11. Oktober 1965 an das Institut für Zeitgeschichte,
aus dessen Original diese Satze zitiert sind, berichtete im Januar 1966 die Tagespresse,
einschließlich zahlreicher Provinzzeitungen. Gestört hat das den Betrieb
der revisionistischen Propagandamaschinerie bis zum heutigen Tag nicht im geringsten,
allenfalls machen sich neonazistische Pamphletisten die Mühe, neue "amtliche"
Angaben zu erfinden. Heinz Roth zum Beispiel fragte in einer 1973 verteilten Broschure
"Warum werden wir Deutschen belogen?" "Wußten Sie, daß
die sicher beklagenswerte Verluste des jüdischen Volkes - nach Feststellungen
der UNO, die keinen Grund hat, irgendein Volk besonders in Schutz zu nehmen - zweihunderttausend
betragen haben?"(26)
Die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der UNO teilte am 1. August 1974
auf eine entsprechende Anfrage mit, daß die "erwähnte Zahl von 200
000 jüdischen Opfern des NS-Regimes mit Sicherheit nicht auf Feststellungen
der Vereinten Nationen beruht"(27) Solche Beispiele
ließen sich schier endlos fortsetzen. Daß die behauptete Quelle als
Erfindung erwiesen ist, deren Herkunft im Dunkeln liegt, hindert die Interessenten
an der Minimierung der Zahl der Opfer nicht, sie gebetsmühlenartig zu wiederholen.
Zur Technik revisionistischer Propaganda gehört es ja, solche Feststellungen
immer wieder zu zitieren, bis sie scheinbar fester Bestandteil des Quellenmaterials
sind und nicht mehr weiter überpruft, sondern als bekannt und selbstverständlich
vorausgesetzt und geglaubt werden.(28)
Ein Flughlatt, verbreitet in deutscher Sprache vom "Institute for Historical
Review" faßt den aktuellen Stand der revisionistischen Argumentation
zusammen. Unter dem Titel "66 Fragen und Antworten uber den Holocaust"
wird die Leugnung des Völkermords als geschlossenes System offeriert. Die Eingangsfrage
lautet, welche Beweise es dafür gebe, daß "die Nationalsozialisten
Völkermord begingen oder sechs Millionen Juden umbrachten?" Als Antwort
wird, in der Absicht, dieses Argumentationsmuster im öffentlichen Diskurs zu
verankern, behauptet die Geschichtsforschung stütze sich ausschließlich
auf die Berichte von Opfern, die nicht ernst zu nehmen seien, da sie sich widersprachen.
Es gebe "keine anderen konkreten Beweise irgendwelcher Art, wie etwa Aschenablagen
erheblichen Ausmaßes, Krematorien mit entsprechender Kapazitat, übriggebliebene
Kleidung, schriftliche Unterlagen, statistische Daten, Lampenschirme aus Menschenhaut,
Seife aus Menschenfetten etc."(29)
Mit Ausnahme der Seife, die als Legende längst abgetan ist, existieren die
Beweise alle, sogar präparierte Haute, Produkte des perversesten Sadismus,
wurden im KZ Buchenwald gefunden. (30) Die Vermengung
monströser, aber marginaler und legendärer, jedenfalls irrealer Details
in der Argumentation hat die Funktion, die historischen Tatsachen insgesamt unwirklich
erscheinen zu lassen. Die Behauptung, es gebe keine Beweise außer den "Aussagen
gewisser 'Überlebender', deren Aussagen sich widersprechen" ersetzt den
Revisionisten jede weitere Auseinandersetzung darüber, daß die Geschichte
des Holocaust durch Dokumente der Täter, durch Statistiken der SS, durch Lagerkarteien
usw. belegt ist und daß es auch an materiellen Überresten des Geschehens
nicht mangelt.
Mit apodiktischen Feststellungen soll der Anschein erweckt werden, die revisionistischen
Behauptungen seien langst erwiesen, wie in der Frage, ob es Beweise dafür gebe,
daß die Nationalsozialisten keine sechs Millionen Juden umbrachten: "Es
gibt dafur umfangreiches Beweismittel. Das Datenmaterial gerichtsmedizinischer,
bevölkerungsstatistischer, analytischer und vergleichender Art bezeugt die
absolute Unmöglichkeit einer derartigen Statistik. Es handelt sich dabei um
einen Wert, der um das tausendfache höher ist als die tatsächliche Großenordnung."(31)
Was damit gemeint ist, bleibt im dunkeln, die mangelnde Beweiskraft der Feststellung
wird durch die Behauptung übertönt, die Opferzahlen des Holocaust seien
tausendfach überhöht. Danach hätten 6000 Juden ihr Leben verloren
als Folge nationalsozialistischer Politik. Das steht freilich im Widerspruch zu
der auch hier angeführten Zahl von 300 000 Opfern. Auf die Frage, was aus den
europäischen Juden geworden ist, wenn man davon ausgehe, daß sie nicht
von den Nationalsozialisten ausgerottet worden seien, heißt es im Pamphlet
des Institute for Historical Review: "Sie befanden sich nach Kriegsende immer
noch in Europa mit Ausnahme von etwa 300 000, die während des Krieges umkamen
oder nach Israel, Amerika, Argentinien oder Kanada ausgewandert waren. Die meisten
verließen Europa erst nach dem Krieg. Diese Auswanderer sind alle statistisch
erfaßt."(32)
Zwei Millionen Juden seien, so die nächste Behauptung "in die entferntesten
Regionen der Sowjetunion geflüchtet" und hätten sich nie im deutschen
Einflußbereich befunden und "mehr als eine Million" sei außerdem
vor Kriegsbeginn ausgewandert. Das Abstruse solcher Behauptungen wird schon daran
deutlich, daß in Stalins Sowjetunion keine fluchtartige Bevölkerungsbewegung
in dieser Größenordnung möglich war und daß eine weitere Million
Menschen weder einfach auswandern noch ohne weiteres irgendwo einwandern konnte.
Für jüdische Emigranten gab es keine Freizügigkeit, sondern nur bescheidene
Einwanderungsquoten und Wartezeiten. Die "Beweisführung", daß
es keinen Völkermord gegeben habe, besteht aus Behauptungen, die mit den Tatsachen
ebenso wie mit der Logik im Widerspruch stehen, und in erster Linie auf ein Publikum
zielen, das die Bereitschaft mitbringt, das Vorgetragene zu glauben, da es in ein
bereits gefestigtes Weltbild paßt. Bei den anderen sollen Zweifel geweckt
und genährt werden, in der Hoffnung, sie schließlich für die propagierte
Ideologie der Rehabilitierung des Nationalsozialismus zu gewinnen.
Der "Revisionismus" mit seiner Kernthese, der Holocaust habe nicht stattgefunden,
bedient sich pseudowissenschaftlicher Argumente und trägt im Gegensatz zum
Getöse grölender Neonazis bei übereinstimmenden Absichten sein Anliegen
in bürgerlicher Sprache vor. Die Imitation von Wissenschaft durch Übernanme
ihrer Formen - Abhandlung und Fußnote, Vortrag und Seminar, Tagung und Zeitschrift
usw. - konstituiert nicht Wissenschaftlichkeit und Seriosität. Im Gegenteil.
Die Forderung, offenkundige geschichtliche Tatsachen immer wieder aufs neue zu diskutieren
und das Verlangen, auf jeden beliebigen Zweifel von Böswilligen und Dilettanten,
die sich auf die Freiheit der Wissenschaft berufen, zu reagieren, dient lediglich
einem Zweck, nämlich dem, Verwirrung zu stiften und Zweifel zu kreieren.
Wenn ein Sektierer mit der Behauptung an die Öffentlichkeit tritt, die Sonne
drehe sich um die Erde oder die Erde sei keine Kugel, und wenn er als Stütze
seiner Behauptung anführt, kein Mensch könne die Erde als Kugel wahrnehmen,
so wird sich kein Naturwissenschaftler die Mühe machen, darauf einzugehen.
Auf historischem Gebiet ist das anders, insbesondere wenn politische Emotionen im
Spiele sind. Nicht nur fühlen sich viele Mitlebende aufgrund ihres Geburtsjahrgangs
ohnehin sachkundig, sondern im Falle des Völkermords an den europäischen
Juden gibt es ganz entschiedene Interessen: Empfindungen von Schuld und Scham, patriotische
Gefühle, mit denen das Bewußtsein monströser Verbrechen in staatlicher
Regie schwer zu vereinbaren ist, Abwehr moralischer Diskriminierung, die von Angehörigen
der daran unbeteiligten Folgegenerationen als ungerecht und unzulässig empfunden
werden.
Solchen Interessen dienen nicht nur Schuldzuweisungen an die Opfer als Vehikel -
die Juden hätten Deutschland den Krieg erklärt, lautet eine häufig
verwendete Phrase -, sondern vor allem die Leugnung des ganzen historischen Befunds.
Absicht und Technik der revisionistischen Desinformationsstrategie sind gründlich
entlarvt (33) und ihre Argumente en detail widerlegt
worden (34); die Urheber beeindruckt dies freilich
nicht, da ihr Interesse ja nur in der Ideologieproduktion besteht. Um so betrüblicher,
wenn sich ein Gelehrter von Rang wie der Historiker Ernst Nolte in ihren Troß
begibt und mutmaft, daß die "radikalen Revisionisten", wie er die
Auschwitz-Leugner nennt, "Untersuchungen vorgelegt haben, die nach Beherrschung
des Quellenmaterials und zumal in der Quellenkritik diejenigen der etablierten Historiker
in Deutschland vermutlich übertreffen".(35)
Allerdings verweigert Nolte die Kenntnisnahme quellenkritischer Untersuchungen (etwa
zur Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus), wenn sie seine Spekulationen
behindern, und er wird sich deshalb, trotz seiner Beteuerungen, die Objektivität
der Wissenschaft sei sein Anliegen, gefallen lassen müssen, daß man ihn
selbst zu den Ideologiefabrikanten rechnet und als Historiker nicht mehr ernst nimmt.
Nach Form und Inhalt ist die revisionistische Argumentation vollkommen antisemitisch,
sie folgt unter Inanspruchnahme historischer Ereignisse traditionellen Mustern:
Zum Konstatieren einer "Judenfrage" durch Antisemiten im 19. Jahrhundert
gehörte logischerweise das Plädoyer nach der "Lösung der Judenfrage",
und es kulminierte in der "Endlösung der Judenfrage", wie sie von
der nationalsozialistischen Ideologie propagiert und im Völkermord praktiziert
wurde.
Wenn es des Beweises bedarf, daß die Leugnung des Völkermords an den
Juden Prinzip und Motiv eines neuen praktizierten Antisemitismus bildet, so liefert
ihn die detailreiche Beschreibung der Weinheimer Veranstaltung mit dem US-Neonazi
Leuchter und dem NPD-Vorsitzenden Deckert, referiert von der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung": "Denn auf jener Veranstaltung wurde in der Hauptsache unablässig
gegen die Juden gehetzt. Das war offenkundig vorwiegender Zweck der Zusammenkunft
und ideologisches Bindemittel der Versammelten. Mal sind es Bemerkungen über
'eine Gruppe, ich sage nicht mehr, Sie wissen, was ich damit sagen will', gedehnte
Betonungen jüdischer Namen in herabwürdigendem Zusammenhang, unsägliche
Witze über die jüdischen Vernichtungsopfer oder den 'Holo' immer die Selbstdarstellung
der Redner als Opfer angeblicher Verfolgung durch die Juden, die Bewertung der Judenvernichtung
nicht allein als Lüge, sondern als Erfindung und geradezu eigene Veranstaltung
der Juden. Die Juden sind die Täter: 'Hört damit auf und der Holo ist
beendet!' Und immer sind es diese Bemerkungen, die Beifall, frenetischen Beifall
hervorrufen."(36)
Mit traditionellen antisemitischen Stereotypen - wie der Weltverschwörungslegende
oder der Behauptung, &hibar;die Juden® übten insgeheim Herrschaft aus -
wird die verbindende Brücke vom alten zum neuen Antisemitismus geschlagen,
dazu apostrophiert die einschlägige Presse den Vorsitzenden des Zentralrats
der Juden in Deutschland etwa als "neuen (jüdisch-alliierten) Hochkommissar
von und über Deutschland".(37) Gleichzeitig
ist die Verknüpfung von antisemitischem Ressentiment und nationalistischem
Inferioritätskomplex zu konstatieren, die auch den Kern des historischen Antisemitismus
("die Juden sind unser Unglück") bildete.
Agiert wird der neue wie der alte Antisemitismus mit Ausgrenzungswünschen.
Wegen einer einschlägigen Forderung, die juristisch den Tatbestand der Volksverhetzung
erfüllt und intellektuell und moralisch an die durch den Nationalsozialismus
verwirklichten Vertreibungsphantasien des politischen instrumentalisierten Rassenantisemitismus
anknüpft, wurde gegen den NPD-Vorsitzenden Deckert im Herbst 1994 erneut Anklage
erhoben. Er hatte an ein Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland
geschrieben, die Heimat der Juden sei seit Jahrzehnten Israel und nicht Deutschland:
"Wäre es nicht das Natürlichste und Nächstliegende, wenn Sie
und die Ihren Ihre Koffer packen und dorthin gehen würden, wo Sie hingehören:
nach Israel."(38)
Das ist genau der Punkt, an dem die Nationalsozialisten 1933 mit politischen Mitteln
begannen, was sie in ihrer antisemitischen Propaganda längst gefordert und
angekündigt hatten: die Ausgrenzung der Juden aus der deutschen Gesellschaft,
als sie zuerst zu Fremden und Feinden erklärt, dann entrechtet und vertrieben
und schließlich ermordet wurden.
Anmerkungen:
1) Thies Christophersen, Die Auschwitz-Luge. Mohrkirch
1973 (zahlreiche weitere Auflagen).
2) Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste in: Bundestagsdrucksache
12/2470, 27. 4. 1992.
3) Paul Rassinier, Was ist Wahrheit? Die Juden und das
Dritte Reich. Leoni 1963 (zahlreiche weitere Auflagen); vgl. dazu Lothar Baier,
Franzosische Zustande. Berichte und Essays. Frankfun a. M. 1982.
4) Robert Faurisson, Ich suchte - und fand die Wahrheit.
Die revisionistische These eines französischen Forschers. Mohrkirch 1982.
5) Wilhelm Stäglich, Der Auschwitz-Mythos - Legende
oder Wirklichkeit? Eine kri- tische Bestandsaufaahme. Tübingen 1979.
6) Arthur R. Butz, Der Jahrhundenbetrug. Vlotho 1977;
zur gleichen Kategorie gehören: Emil Aretz, Hexen-Einmal-Eins einer Lüge,
Verlag Hohe Wane, o. O. 1984; Richard Harwood, Starben wirklich sechs Millionen?
Vlotho 1975; Erich Kern, Die Tragödie der Juden. Schicksal zwischen Propaganda
und Wahrheit. Preußisch Oldendorf 1979.
7) Zur Auseinandersetzung mit den Topoi der rechtsextremistischen
Propaganda vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes/Bundesministerium
fur Unterricht und Kunst (Hrsg.), Amoklauf gegen die Wirklichkeit. NS-Verbrechen
und "revisionistische" Geschichtsschreibung. Wien 1992; Wolfgang Benz
(Hrsg.), Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte,
München 1992.
8) Der zweite Leuchter-Report. Dachau, Mauthausen, Hartheim.
Erstellt auf Veranlassung von Ernst Zündel, 15. 6. 1989, Samisdat Publishers.
Hamilton, Ontario.
9) Korrespondenz Dr S. mit dem Verfasser, August/Oktober
1992.
10) Schreiben TU Berlin, Fachbereich Synthetische
und Analytische Chemie an den Verfasser, November 1992
11) Nach ihrem Verfasser heißt diese Schrift
auch Rudolf-Report, sie hatte mit dem Copyright-Vermerk Germar Rudolf 1992 eine
"3. erweiterte und korrigierte Auflage" erreicht. Rudolf wurde von der
Max-Planck-Gesellschaft entlassen, er betätigt sich weiterhin einschlägig.
Im Juni 1994 sandte er an den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland
die Einleitung zu einem Sammelband, der unter dem Titel "Licht in die Vergangenheit.
Eine interdisziplinare Gesamtbetrachtung zur NS-Judenvernichtung" die Linie
apologetischer Holocaust-Leugnung fortsetzt.
12) Otto Ernst Remer, Verteiler: Gutachten uber die
behaupteten Gaskammern von Auschwitz. Bad Kissingen, Oktober 1992.
13) Am 20. Mai 1994 verabschiedete der Deutsche Bundestag
das Verbrechensbekämpfungsgesetz, das u. a. die Auschwitz-Lüge unmittelbar
unter Strafe stellt. Bisher konnte dieser Tatbestand nur verfolgt werden, wenn das
Leugnen des Holocaust im Zusammenhang mit ausdrücklicher Verleumdung der Juden
stattfand ("qualifizierte Auschwitz-Lüge").
14) Landgericht Mannheim, Strafkammer 6, Urteil in
der Strafsache Deckert vom 22.6.1994, S.62f.
15) FAZ, 11. 8. 1994 (Betroffenheiten); 15. 8. 1994
(Objektive Selbstzerstörung).
16) Deckert-Urteil, S. 7f.
17) Ebenda, S 9
18) Ebenda S. 48
19) Ignatz Bubis, Alles was Recht(s) ist. Wenn die
Justiz versagt: Das Mannheimer "Deckert-Uneil" und seine Folgen. In: Allgemeine
Jüdische Wochenzeitung 25.8.1994.
20) Vgl. Wolfgang Benz (Hrsg.), Dimension des Völkermords.
Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. München 1991; Franciszek
Piper, Die Zahl der Opfer von Auschwitz. Aufgrund der Quellen und der Erträge
der Forschung 1945 bis 1990. Oswievim 1993.
21) Beweis aus der Schweiz: Was nun, Herrstaatsanwalt?
In: Die Anklage. Organ der entrechteten Nachkriegsgeschadigten, 1.4. 1955.
22) Das Grüne Blatt, 6.3.1955.
23) Archiv Institut für Zeitgeschichte, München
24) ebenda
25) Ebenda.
26) Heinz Roeh, Warum werden wir Deutsche belogen?
Witten 1973.
27) Archiv Institut für Zeitgeschichee, München.
28) Vgl. die Vorbemerkung von Marti Broszat zur Kritik
der Publizitik des antisemitischen Rechtsexeremismus zum Aufsatz von Ino Arndt/Wolfgang
Scheffler, Organisierter Massenmord an Juden in nationalsozialiseischen Vernichtungslagern.
Ein Beitrag zur Richtigstellung apologetischer Literatur. In: Vierteljahrshefte
fur Zeitgeschichte 24 (1976), s. 105-112.
29) Flugblatt: "66 Fragen und Antworten über
den Holocaust. Verlegt vom "Institute for Historical Review". Cosa Mesa,
Kalifornien o. J. (1994)
30) Vgl. Benz (Hrsg.), Legenden, Lügen, Vorurteile
S.137.
31) Siehe Anm. 29.
32) ebenda
33) Deborah E. Lipstadt, Betrifft: Leugnen des Holocaust.
Zürich 1994; vgl. Hermann Graml, Alte und neue Apologeten Hitlers. In: Wolfgang
Benz (Hrsg.), Rechtsextremismus in Deutschland. Frankfurt a.M. 1994, S.30ff.
34) Jean-Claude Pressac, Die Krematorien von Auschwitz.
Die Technik des Massenmordes. München 1994.
35) Ernst Nolte, Streitpunkte. Heutige und künftige
Kontroversen um den Nationalsoz~alismus. Berlin 1993, S.304.
36) Volher Zastrow, Die Verderber derJugend und das
Wunder der Straße. Verdienste eines befremdlichen Urteils. In: FAZ, 13. 8.
1994.
37) Günter Deckert, Zwischenrufe. In: Deutsche
Stimme. Nationaldemokratische Zeitung 9 (1994).
38) Neue Anklaue gegen NDP-Chef Deckert, SZ, 12.10.94
Wolfgang Benz, Realitatsverweigerung als antisemitisches Prinzip: Die Leugnung des
Völkermords, in: Antisemitismus in Deutschland. Zur Aktualität eines Vorurteils
, S.121f
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Most recent revision: April 07, 1998
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