Perverse Blicke in das Tierreich
Über die "Soziale Sodomie" des Fernsehens


Schamlose Blicke in eine barbarische Paradieswelt: die Renaissance der Tierfilmserien im deutschen Fernsehen


Laut fernsehtauglicher Statistik betrachten sich 81 Prozent aller Deutschen als 'tierlieb', während nur 66 Prozent von ihnen meinen, Kinderfreundlichkeit sei eine ihrer vorhandenen oder angestrebten Tugenden. Tatsächlich ist es wohl in keiner Bilderwelt so leicht, die deutsche Megatugend, die Verbindung von Sentimentalität und Brutalität, zu feiern, wie in der mythisch-dokumentarischen Beobachtung der 'Tierwelt', in afrikanischen Savannen oder im heimischen Schrebergarten.
Seit dem Bestehen des deutschen Fernsehens gehören Tierfilme zu den populärsten Sendungen mit den höchsten Ein schaltquoten und dem treuesten Stammpublikum. Und anders als vielleicht in benachbarten Fernsehgeschichten wurden in Westdeutschland die Moderatoren von Tierfilm- sendungen stets zu sehr viel mehr als sympathischen Führern durch bizarre, komische oder lehrreiche Präsentationen: Sie gehörten zu den kleinen Vätern der Nation, waren joviale politische Metaphern. Wir folgten Hans Hass in die Tiefen der Meere in der Serie 'Expedition ins Unbekannte' und bewunderten ihn als deutschen Action Man. Hans Hass legitimierte 'Abenteuer unter Wasser' so, wie das Ehepaar Johnson in den dreißiger Jahren in seinen Dschungelfilmen 'Tarzan' legitimierte. Die Dokumentation schuf vor allem Raum für den (weißen) Helden. Bis heute hat es im übrigen noch kein Mensch weiblichen Geschlechts geschafft, bei der 81-Prozent-Gemeinde deutscher Tier- und Fernsehfreunde und -freundinnen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Desiree Nosbusch in 'Natürlich' von RTL zieht eine merkwürdige Kritikerschelte auf sich - Frauen gehören eben in den 'Fernsehgarten' und nicht in die Wildnis.
Zu den frühesten Tierfilmsendungen mit Reihencharakter gehört Professor Bernhard Grzimeks 'Ein Platz für Tiere', die seit 1956 über den Bildschirm ging und zur Unterhaltung der deutschen Fernsehfamilie gehörte wie der Underberg zum Schweinebraten. Diese Sendung, die neben Dokumentarfilmen über die Tierwelt in den Nationalparks der Erde auch Unterhaltung durch anekdotische Reise- und Expeditionsberichte sowie einen tierischen 'Gast' im Studio bot, endete stets mit einem Spendenaufruf für die bedrohte Tierwelt. Professor Grzimek zeigte, wie wertvoll Fernsehen sein kann. Die Serie gehörte zu jenen Sendungen der fünfziger Jahre, die, ganz auf die Person des Präsenta- tors abgestellt, ein familiäres Klima erzeugten. Bernhard Grzimek war 'den Zuschauern sympathisch. Seine ruhige, schlichte, fast stille Art nimmt für ihn ein. Vor allem spricht er verständlich; es ist der Plauderton, gar mit Versprecher und womöglich mit falscher Betonung, der die Verbindung schafft zwischen Wissenschaftler und Tierfreund. Und keinem drängt sich der Wissenschaftler dabei auf, nichts von Kunstdeutsch und Expertenchinesisch und Sätzen, die auf Stelzen gehen' (Rolf Buchwald). Am Ende hatte er, freund- lich ausgedrückt, den Rücktrittszeitpunkt ein bissel verpaßt, was seiner Popularität nicht wirklich Abbruch tat. Mit einer Sehbeteiligung von 78-80 Prozent und der 'Traumnote' + 7 in der Beliebtheitsskala bei den Umfragen war 'Ein Platz für Tiere' lange Zeit die beliebteste deutsche Fernsehsendung überhaupt. Es war die perfekte Ordnung der Welt vor unseren Augen: die unendlich suggestive Welt und das Wohnzimmer, endlich vereint.
Zu den erfolgreichsten Serien des Genres im zweiten goldenen Zeitalter des deutschen Fernsehens gehört 'Expeditionen ins Tierreich' von Heinz Sielmann; sie erreichte zweimal eine Zustimmungsquote von + 9. Hier wurde besonderer Wert auf 'schöne' Filmaufnahmen gelegt und nicht ohne Pathos an das Gewissen der Welt appelliert. Sielmann, der mit 19 Jahren seinen ersten, viel beachteten Tierfilm, 'Vögel über Haff und Wiesen', drehte, war der Experte der verborgenen Kamera und der Langzeitbeobachtung. Er ist der vielleicht letzte der durch und durch optimistischen Produzenten des Genres, der sein Credo weitergibt: '...daß sich die Natur wieder irgendwie zurechtfinden wird, das steht für mich fest.'
In all diesen und einigen weiteren, weniger bekannten Tierfilmsendungen bestimmt der Moderator das Milieu und die Ausrichtung der Sendung; er ist es, der als 'Vaterfigur' (wie Grzimek) die Kommunikationsform über ein mythisches Reich der Tiere bestimmt. Diese Sendungen sind als 'Familienprogramm' konzipiert, und daher sind sie um so 'besser', je mehr sie eine familiäre Situation darstellen; und auch die Tierwelt wird im allgemeinen als eine 'große Familie' der Natur vorgestellt, eine zwar bedrohte aber ewige Harmonie, in der sich der Zuschauer aufgehoben wähnen durfte. Jemand, der die große Welt der Natur semiotisch gezähmt hat, kommt zu Gast in die gute Stube. All das Verlorene der deutschen Ideale, die Familie, die Erziehung, die Hierarchie, das 'Gesetz der Natur', die Faszination der Grausamkeit; seltsames Raunen von Volk und Rasse, Lebensraum und Artgerechtigkeit in netter Form.
Mehr und mehr traten in den Tierfilmsendungen auch ökologische Probleme in den Vordergrund, doch je ernster die Programme es damit meinten, desto mehr mußten sie ein Publikum verschrecken, daß gerade die Harmonie, die familiäre Atmosphäre suchte. Die traditionellen Tierfilmsendungen sind immer auch gesellschaftliche und politi- sche Metaphern: 'In der Hege-Hoffnung, heile biologische Welten konservieren zu können, ist die politische enthalten, überlebte hierarchische Zustände der Humangesellschaft gleich restaurierbar zu machen', schreibt Melchior Schedler. So definiert die Tierfilmserie im Rahmen der populären Mythologie die wahrhaft herrschende Naturphi- losophie.
Mit den Erkenntnissen über die ökologischen Probleme und ihre Zusammenhänge mit ökonomischen und politischen Strukturen begann der Rest der familiären und harmonischen Tierfilmserien nachzulassen. Eine erste Alternative bildete 'Sterns Stunde' von Horst Stern, der sich bemühte, liebgewordene Vorurteile über das Verhältnis von Mensch zu Tier abzubauen und die Bedrohung von Tiergattungen als 'Warnlampen eines defekten biologischen Systems' zu deuten. Mit ihm war die Tierfilmsendung des deutschen Fernsehens, auch wenn sie kaum etwas von ihrer autoritativen Narration verloren hatte, ins Stadium des Linksabweichlers getreten. Es trat eine trotzige Pause ein, in der sich das deutsche Fernsehpublikum mit ausländischen Angeboten im Sonntagvormittagsprogramm begnügen mußte. Dann zeichnete sich ab der Mitte der achtziger Jahre der reaktionäre Gegenschlag ab.
Die Renaissance der Tierfilmserien begann mit diversen Crossover-Variationen. Neben die 'echte' Information trat immer mehr das Entertainment, Quiz-Spiele um 'lustige' Tieraufnahmen wie 'Mich laust der Affe' des Bayrischen Rundfunks erwiesen sich als überraschend erfolgreich. Andere Serien, wie die amerikanische Produktion 'Im Reich der wilden Tiere', versuchten, durch die Darstellung gefährlicher Aktionen Thrill zu erzeugen, was den deutschen Zuschauern nicht besonders gefiel. Tierfilme dienten auch als kurze 'Lückenfüller', wie das 'Tierporträt' des ZDF, in dem in einer Viertelstunde jeweils ein Tier vorgestellt wird, und schließlich der 'Tele-Zoo'. Gameshows wie 'Gudruns Tierquiz' bildeten neue Crossover zwischen den TV-Genres. Zu den beliebtesten neuen Serien gehörten etwa 'Tiere suchen ein Zuhause' (WDR), wo die Moderatorin heimatlose Tiere den Zuschauern zur Adoption anbietet. Wie in der nachmittäglichen 'Tiersprechstunde' betrat man auch hier den Pfad zum dialogischen Fernsehen. Und damit war erst einmal der große naturphilosophische Diskurs herumgedreht: Nicht der Mensch drängte in der spätkapitalistischen Phase zur Natur, nein, er konnte nur noch davon träumen, wie sich die Natur an ihn zu kuscheln drängte.
Sehen wir uns einige der neueren Produktionen an, fällt zunächst auf, daß einige von ihnen offenkundig der Restauration der autoritativen Persönlichkeit dienen. Beim ZDF etwa durften wir Hajo Friedrichs als väterlichen Host der 'Wunderbaren Welt' (Filme der 'National Geographic Society') erleben, und der Switch vom Polische Wchen zum Naturgemäßen mochte dabei durchaus in sich selbst Metapher sein.
Man interessiert sich im übrigen offensichtlich nicht mehr so sehr für das Sensationelle und Dramatische in der Tierwelt; die Metaphorik hat sich verschoben. Es ist nicht mehr der Blick dieser 'Krone der Schöpfung', der mit spätkolonialistischem Ingrimm der Natur ihre Geheimnisse entlocken will, vielmehr funktionieren in den neunziger Jahren selbst Tierfilme wie oft Talkshows oder Reality-TV: Dem 'Nachbarn' werden noch die kleinsten alltäglichen Sonderbarkeiten und Sünden abgerungen. Der Voyeuris- mus, mit dem man in der Welt der Tiere das kleine Böse, Sex & Crime sucht, tarnt sich weniger wissenschaftlich als episodisch: Es werden Storys erzählt, Identifikationen sozusagen diegetisch erzeugt.
So tritt zur Metapher auf die Unterwerfung des Tieres unter die Menschen (die keineswegs verschwunden ist, es zeigt sich nur weniger martialisch, in der Regel weiblich bestimmt, wie dem Tier menschlicher Wille eingepflanzt wird) ein zweiter Diskurs, nämlich die Angleichung des Menschen an die Natur. Und auch hier gibt es ein gewiß nicht zufälliges Rollenspiel; es sind die Männer, die erst mit Betäubungsgewehren auf die Tiere schießen und sie dann mit ihren mehr oder weniger komplizierten Apparaturen vermessen und untersuchen, während die Frauen - das Genre ist verliebt in eine Veterinärin oder adrette Gehilfin, die sich mit dem wildesten Tier im Käfig auf dessen Art unterhält und sich mit ihm in direktem körperlichen Kontakt befindet - die sanfteren Arten der Domestizierung praktizieren. Die 'soziale Sodomie', von der Konrad Lorenz einmal so treffend wie boshaft schrieb, setzt sich in dieser Metaphorik fort. Schamlos beobachten wir die Tränen jener Frau, die sich von 'ihrem' Nashorn verabschieden muß.
Die übergreifende Struktur des Tierfilms ist das Melodram. Während man früher, in den Zeiten der Disney-Tierfilme, die Tiere 'vermenschlichte' und die Natur als heitere Harmonie schilderte, in der es allerdings immer wieder zu 'Tiertragödien' kommt, scheinen nun Katastrophe und Krise auch im Reich der Tiere der Normalfall. Das Tier wird rebarbarisiert, das 'Authentische' ist gerade das Grausame. Und wie die 'humanen' Fernsehformen ist auch die deutsche Tierfilmserie nicht selten ein Stück lustvoller Empörung: Wie schrecklich doch 'die anderen' mit den Tieren und mit der Natur umgehen, und wie gut man sich selber dabei fühlen darf. Es gibt festumrissene Feindbilder in diesen Serien, die 'Robbenschlächter' und 'Umweltverschmutzer', die 'Tierquäler', die rücksichtslosen 'Wilderer', die Jagd auf Nashörner machen. Mit der Tierfilmserie ist man nicht nur in der ewigen Welt der 'Nahrungsketten' und 'Kreisläufe', sondern auch auf der Seite der Guten, die die Bösen mit gerechtem Zorn verfolgen dürfen. Das Gute ist die Bewahrung des Barbarischen, und das besonders Gute ist jene Kamera, die überall ist, aber nirgends eingreift.
Die 'großen Erzählungen' sind, sagt man, zu Ende erzählt. So strebt der Tierfilm dazu, von der historischen Metapher und vom ewiggültigen Mythos zur exotischen Verkleidung des Gewöhnlichen zu werden. In der Natur geht es zu wie im Markt, und der Markt ist nichts anderes als der Ausdruck der Natur. Tierfilme folgen derselben narrativen Struktur wie die anschließenden bebilderten Wirtschaftsnachrichten. Das große Ganze funktioniert, weil der Kannibalismus der Starken gegenüber den Schwachen ungehindert ist.
Ganz entsprechend unserer wirtschaftlichen Entwicklungen ist der Tierfilm der neunziger Jahre vom Geist der Deregulation ergriffen. Der gütige Mensch-Vater greift in diese Natur nicht mehr ein, sondern sieht nur noch wohlgefällig zu, wie sie sich beständig regeneriert. Dieser Voyeursblick hat den Mythos der Hege abgeworfen. Das Lieblingswort des neuen Tierfilms ist die 'Nahrungskette', die unbedingt intakt bleiben soll.
Die Natur also wird nicht etwa weniger moralisch modelliert in diesem Blick als in den Adenauer-Zeiten, sie wird nur anders modelliert. Sie ist zunächst einmal jenes System, in dem es keine Krise gibt, oder genauer gesagt: das System, in dem die Krise die Lebensform schlechthin ist. Sie ist jedenfalls ewig und geordnet, sie ist auf makabre Art gerecht, weil beinahe alle Tiere, die man irgendwann einmal zu Gesicht bekommt, sowohl fressen als auch gefressen werden können. Aber das Zerreißen der Haut, das Herausquellen der Gedärme beim Beutetier, das Knacken der Knochen, die Todesschreie, das Weiden am geöffneten Körper - all das hätte man wohl vor zwanzig Jahren nicht so ausgiebig gezeigt. Der Tierfilm ist auch so etwas wie ein Splatter Movie geworden.
Natürlich sind die Tiere auch eine ideale Antwort auf unseren unstillbaren Bilderhunger. Der Reichtum der Natur wird nicht mehr im frühkapitalistischen Sinn der Produktivität gefeiert, sondern als postfordistische Sehnsucht nach der Vielgestalt des 'Artenreichtums'. Der ökologische Appell bleibt deswegen keineswegs aus, im Gegenteil, er gehört zur festen Rhetorik jeder Tierfilmserie. Aber er ist, sieht man genau hin, selber auf eine merkwürdige Art politisch und moralisch aufgeladen. Ein christlicher Urmythos scheint sich da umzukehren: Die Bösen, das sind nun die Seßhaften, die produzierenden Bauern, und nur das nomadische Prinzip kann mit der Natur in 'Gleichklang' leben. Der Besitz ist virtualisiert und, natürlich, globalisiert, und nach wie vor kann im schwärzesten Afrika der wahre Heger nur weiß sein.
Und schließlich überdecken die Tierbilder und ihre Moral auch die anderen gilder: Wenn es darum geht, die bedrohten Nashörner zu retten, erhalten Bilder von bewaffneten Männern, die im afrikanischen Busch aufeinander schießen, einen ganz eigenen Gehalt.
Tatsächlich kann die Tierfilmsendung nicht mehr eindeutig beantworten, was 'Natur' eigentlich sein soll. Sie kommt der Natur auf eine technische Weise nah, die eine eigene Paradoxie produziert. Mit immer grandioseren Kameras, immer längeren Langzeitbeobachtungen, immer genaueren Maßnahmen zur Verfolgung einer Tierbiographie, immer mikroskopischeren Beobachtungsweisen dringt dieser Blick gleichsam unter die Oberfläche der Natur, er feiert - oft ungeniert 'kitschig' - die schöne Oberfläche, um gleich darauf den Quallen und Kerbtierchen unter die Haut zu sehen, allem, was da kreucht und fleucht, hautnah beim Fressen, beim Ficken, beim Gebären, beim Töten und beim Sterben zuzusehen. Die Kamera dringt in die verborgenen Winkel von Ameisenhaufen und Maulwurfshügeln ein, sie durchbricht den Mantel der Nacht, überlistet alle Distanz. Wenn es beim Beobachten des anderen Menschen noch eine moralische oder wenigstens juridische Grenze gibt, bei den Tieren gilt es diese Grenze nicht. Während der Kommentator und der establishing shot die Tiere raffaelisiert, zersetzt der folgende schamlose Blick, läßt nichts wahrhaft ganz in dieser barbarischen Paradieswelt.
Die Kamera ist ganz buchstäblich im Mastdarm eines Nashorns, wenn versucht wird, seine Ovulationszyklen zu bestimmen; wenn sich aber die Tiere paaren, wird die Musik überaus romantisch. Ein merkwürdiges Spiel von Offenbaren und Verbergen entspinut sich da, von kalter Neugier und melodramatischer Uberhöhung. Möglicherweise kann man ja in Tierfilmen auch eine verlorene Sinnlichkeit suchen. Scheinbar also steht der moralischen Konzeption - die 'gute' Schöpfung, die vom bösen Menschen bedroht wird - ein Blick entgegen, unter dem diese Schöpfung vollkommen in die Metaphorik, das melodramatische Tableau und das pornographische Detail zerfallen müßte, gäbe es sie denn in der mythischen Konstruktion dieser Serien. Die Nahaufnahme, die Zeitlupe, die verfolgende Kamerabewegung, jene Mechanismen der Beobachtung, die uns im 'Menschenfilm' eher suspekt sind, werden im Tierfilm exzessiv angewandt. Mehr denn je ist das Tier Beute; anderswo ist es Rohmaterial für Fleisch, hier ist es Rohmaterial für Bedeutung.
So ist der Blick im Tierfilm auf mehrfache Weise ambivalent. Er rhetorisiert das Tier zum eigentlich paradiesischen, geschichtslosen Wesen, und lenkt gewiß so etwas wie ein schlechtes Gewissen um, aber zugleich ist es virtualisierte Wiederholung der Beute; und dieser Blick ist durchaus lustvoll, sexuell; es ist jene Form der 'sozialen Sodomie', wie es eine Parodie der aufklärerischen Neugier auf das Funktionieren der Welt ist. Daß es dabei natürlich erhebliche Unterschiede gibt, liegt in der Natur des Genres. Ein so nüchtern krische Wcher Ansatz wie der von Horst Stern wäre indes heute kaum noch denkbar.
Das Tierfilmen wird, so scheint es, von einer merkwürdigen Mischung aus Obsession und Pädagogik bestimmt. Eine Serie des WDR, die dieser Passion/Profession gewidmet ist, hat den bezeichnenden Titel 'Reporter der Schöpfung'. Darin drückt sich vielleicht nicht nur der, mit Verlaub, verdruckste Größenwahn der Branche aus, sondern auch jene nie erfüllbare Sehnsucht des Genres, das Sensationelle mit dem Erhabenen zu verknüpfen.
In der grandiosen Komik des strukturellen Scheiterns dieses Anspruchs übersieht man leicht, daß ein anderer Anspruch des Genres nur um so perfekter eingelöst wird, nämlich der, die melodramatischen und obszönen Bilder der Fauna auf den Märkten der populären Mythologie in Geld zu verwandeln. In viel Geld, denn die Bildwelten wuchern aus dem Fernsehen in den Büchermarkt, in die Kinder- und Jugendzeitschrift, in den Zeitschriftenmarkt, in Sammelbilder und Videoeditionen. Der enorme Merchandising-Vorteil eines Pandabären gegenüber Donald Duck ist: Man muß ihn gar nicht erst erfinden, und noch hat keiner ein Copyright darauf. Was natürlich gleichzeitig wieder ein Nachteil ist. Denn die populäre Kultur wird mit putzigen oder dramatischen Tierbildern nun so furchtbar zugeschissen, daß Kids, die auf sich halten, spätestens mit vierzehn ihre süßen Tierposter von der Wand reißen.

Georg Seeßlen, Animal Charme in: Konkret 5/97

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Most recent revision: April 07, 1998

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