Von Singer zu Hitler
Martin Blumentritt
Peter Singer gilt zurecht als umstrittener Autor. Allerdings war die Diskussion
um die Singer-Affaire selber auch problematisch. (PE ist im Folgenden Praktische
Ethik).
Man hat sich nur auf die Konsequenzen Singers gestürzt, die in der Tat auf
unhaltbare, gefährliche Thesen führen, wie diese z.B.:
"Wenn der Fötus nicht denselben Anspruch wie eine Person hat,
dann hat ihn das Neugeborene offensichtlich auch nicht, und das Leben eines Neugeborenen
hat also weniger Wert als das Leben eines Schweines, eines Hundes oder Schimpansen."(PE
169)
Abtreibung und Kindstötung ist Singer nicht mehr in der Lage zu
moralisch unterscheiden und so plädiert er auch für Euthanasie an neugeborenen
Kindern. Vor allem setzt er Menschen und Schweine als Personen gleich. Das liegt
allerdings daran, daß er keinen vernünftigen Begriff von Person hat.
Dazu später mehr.
"Wenn diese Folgerungen zu schockierend erscheinen, um ernst genommen
zu werden, dann sollten wir uns vielleicht daran erinnert, daß unser heutiger
absolute Schutz des Lebens von Säuglingen Ausdruck einer bestimmten jüdisch-christlichen
Haltung ist und nicht etwa ein universaler moralischer Wert."(PE 171f)
Singer greift immer wieder die jüdisch-christliche Moral an, ohne
auch nur ein einziges Argument dagegen zu formulieren, warum es sich unabhängig
von der religiösen Herkunft um falsche Lehren handelt. In einem Vortrag sagte
Walter Hess (zitiert nach unveröffentlichten Manuskript):
"Zu fordern, einmal vorhandene metaphysisch-weltanschaulich-religiöse
Überzeugungen, die ja nicht eo ipso falsch sein müssen, im Nachdenken
über das moralisch Richtige...einfach auszublenden, würde zum einen die
Menschen überfordern, wäre auch von der Sache her falsch. Was immer auch
für wahr gehalten werden darf, sollte doch, sofern der Blick auf zu lösende
Probleme von erkennbarer Relevanz ist, in die Suche nach der richtigen Lösung
einbezogen werden, und zwar auch dann, wenn es sich dabei um weltanschauungsgeprägte
Teile eines Überzeugungssystem handelt, die als solche nicht jedem argumentativ
zu vermitteln sind."(W.Hess, Nochmals zur Frage der Abtreibung)
Obgleich ich nicht unbedingt die Thesen von Hess teile, der fuer den
218 StGB ist und das Ganze aus einer Polemik gegen Norbert Hoerster stammt, der
Singer verteidigt und überbietet, so ist ihm doch dahingehend recht zu geben,
daß die Herkunft von Argumenten keine Wahrheit oder Unwahrheit präjudiziert.
Singer ahnt natürlich, daß so plausibel seine Thesen doch nicht sind,
denn er weiß das sie hinken:
"Es trifft natürlich zu, daß die potentielle Rationalität,
das potentielle Selbstbewußtsein usw. eines fötalen Homo sapiens weit
über das hinausgeht, was eine Kuh oder ein Schwein aufzuweisen haben; aber
daraus folgt nicht, daß der Fötus einen größeren Anspruch
auf Leben hat."(PE165)
Singer versucht die Plausibilität, die Abtreibung in der Mehrheit
der Bevölkerung erheischt, zu übertragen auf die Kindstötung. Das
gelingt mit dem Trick, daß er den Begriff der Person empirisch zu bestimmen
trachtet, d.h. auf vorfindliche Eigenschaften und Verhaltensmöglichkeiten bezieht.
Genau das vermeidet allerdings ein angemessener Begriff der Person, der gerade nicht
auf empirische Eigenschaften, sondern metaphysische sich bezieht. Über den
Trick, die Person an empirischen Eigenschaften festmachen zu wollen, wird die Heiligkeit
des menschlichen Lebens negiert. Denn diese bezieht sich auf die menschliche Art
als eines Systemzusammenhangs im Sinne Mayrs, nicht auf die konkrete Beschaffenheit
eiens Einzelnen. Es wird damit vermieden auf die faschistische Idee zu kommen, Menschen
aufgrund empirischer Eigenschaften, z.B. Behinderungen zu töten. Menschen dürfen,
weil sie zur menschlichen Art gehören, nicht getötet werden, gleichgültig,
ob sie die artspezifischen Kriterien vollständig erfüllen. Art ist nicht
die Summe der Individuen, die bestimmte Merkmale haben, sondern ein produktiver
und reproduktiver Systemzusammenhang. "Arten sind Gruppen sich (tatsächlich
oder potentiell) kreuzender natürlicher Populationen, die von anderen solchen
Gruppen reproduktiv isoliert sind."(E.Mayr) Dies ist allerdings nur der biologische
Aspekt, eine notwendige, keine hinreichende Bedingung des Menschseins. Der Mensch
ist auf seine Biologie nicht zu reduzieren. Die Humanität bezeichnet nämlich
weder empirischen Befund noch ein fixes Muster, sondern eine Aufgabe, die die Menschen
in einem Bildungsprozeß, der offen ist, zu erfüllen haben. Dabei ist
Behinderten durch Andere beizuspringen und zu helfen. Keinesfalls darf ihnen aufgrund
empirischer Sachverhalte das Menschsein oder Personensein abgesprochen werden. Der
Begriff der Person hat dieselbe Extension (Begriffsumfang) wie die Art homo sapiens.
Person ist ein Aspekt des Menschseins, der sich niemals empirisch aufweisen läßt.
Dies dennoch zu tun führt in die Aporien, wie sie seit Lockes psychologischen
Definitionsversuch bis hin zu Singer existieren.
Das Problem der Tötung ist auch nur dann zu klären, wenn man weiß,
daß eine Tötung ein Lebendiges voraussetzt. Dies ist dann auch der ganze
empirische Anteil an Voraussetzungen, daß daraus resultiert, daß nur
ein Lebendes getötet werden kann. Leben ist wissenschaftlich so bestimmt:
"Nach dem heutigen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse
weichen die Lebewesen unserer Zeit durch folgende, allen gemeinsame Merkmale eindeutig
von der unbelebten Materie ab:
- durch den chemischen Aufbau; - durch eine zelluläre Organisation; - durch
Stoff- und Energiewechsel; - durch Reizbarkeitserscheinungen; - durch Zweckmäßigkeit
und Anpassungsfähigkeit; - durch die Zunahme des Ordnungsgrads (Verringerund
der Enthropie) - durch besondere psychische Eigenschaften."H.Rahmann, Die Entstehung
des Lebendigen S. 9)
Es lag nahe, vor dem dritten Monat, da das Nervensystem noch nicht
entwickelt ist, noch nicht von einen *lebenden* Embryo zu sprechen, sondern von
einer Entwicklung des Lebens, was in den meisten Ländern dazu führte,
den Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten straffrei zu lassen. Denn
Praxis hat Kontrafaktizität zur Voraussetzung, zum Sachverhalt des Tötens,
der ja empirisch stattgefunden haben muß, um bestraft zu werden, gehört,
daß das, was getötet wird schon bzw. noch lebt. Sonst wird gar nicht
getötet, sondern Leben bloß verhindert oder ein Leichnam geschändet.
Streitet man das ab, hätte man unter der Hand die Menschenwürde in Genomwürde
verwandelt, d.h. man hätte Leben mit der Existenz des Genoms identifiziert.
Die Einmaligkeit eines Gens liegt bei jedem komplexen Lebewesen vor. Das definiert
noch nicht, das bereits ein Lebendiges vorliegt. Menschenwürde darf nicht in
Genomwürde verwandelt werden.
Wenn man sich - nach dem Stand der Wissenschaft - geeinigt hat, daß ein lebendiges
Embryo vorliegt, das ein Nervensystem hat, muß noch festgestellt werden, daß
es ein Mensch ist, was allerdings mühelos zu bewerkstelligen ist, weil Menschen
Menschen zeugen. Es liegt also - wenn der Nachweis gebracht ist - eine potentielle
Person vor. Das Lebensrecht kommt allerdings dem menschlichen Lebewesen als solchem
und nicht ihm als Wesen in einem bestimmten Zustand zu. Schon der mittelalterliche
Denker Thomas von Aquin sprach dem Embryo nicht vom Anfang an - bzw. gar nicht -
eine Geistseele zu, sondern sah darin das Rohmaterial eines Wesens, das erst ein
paar elementare Zustände durchlaufen muß bis es eine Geistseele hat.
Daher findet man für Abtreibung im katholischen Mittelalter auch nie den Ausdruck
Mord. Das ändert sich erst mit der Veröffentlichung des Dekrets von Papst
Pius IX. 1869. So eindeutig ist also die Auffassung darüber, in welchen Entwicklungsstadium
der Mensch zu Seelenträger auch im Katholozismus nicht.
Aristotelisch war "Seele" das Prinzip, das lebende von toten Gegenständen
unterschied. Diese selber wurde dann noch mal in vegetabilische, animalische und
geistigen Aspekt unterschieden, wobei erste Pflanzen, den Tieren zusätzlich
das zweitere und dann dem Menschen auch noch der Dritte Seelenaspekt zukam. Seele
ist da also nichts Flüchtiges nach dem Axiom: "Die Seele schwinget sich
wohl in die Höh' juchhe, / der Leibe bleibt auf dem Kanapee." Sie ist
eine Organisationsweise von Seiendem, das lebt und die verschwindet, wenn jemand
stirbt. Sie ist keine Entität, die unabhängig von der materiellen Welt
existiert, sondern eines ihrer Organisationsformen. Heute wissen wir mehr darüber,
so daß wir anhand des Inneren, des Genotypus feststellen können, ob es
ein Lebendiges und was für eins es ist.
Selbst dann, wenn man entgegen dieses Sachverhalts das Lebendige schon mit dem Genom
identifiziert, bleibt noch die folgende Möglichkeit, der Freiheit zur kulturspezifischen
Definition.
So entspricht die Straf-Freiheit im Grunde auch den jüdischen zivil- und religionsgesetzlichen
Bestimmungen (der Halacha). J. Leibowitz erläutert das so:
"Ein Schwangerschaftsabbruch kommt nach der Halacha und den Bestimmungen
der Tora einem Mordfall gleich, nur daß jemand, der dieses Verbot übertritt,
vor dem Menschengericht unschuldig ist. In einer Welt, die auf der Anerkennung des
Toragesetzes beruht, ist der Übertretet dieses Verbots vor dem Menschengericht
frei, vor dem göttlichen Gericht aber schuldig."(J.Leibowitz, Gespräche
über Gott und die Welt, S. 244)
Dies wäre ein Plädoyer für das Recht auf kulturabhängige
Beurteilung, aus der sich der Staat raushalten sollte, eine Lösung, die wohl
allen zuzumuten wäre. Eine kulturabhängige Bewertung kann nicht für
die Tötung von Kindern gelten und für Embryos, die im Prinzip selbstständig
lebensfähig wären (z.B. bei Frühgeburt eintretend).
Denn man würde sich anmaßen als ob man ein allwissender Gott wäre
einzelne Menschen zugunsten einer perfektionierten Sozialtechnologie zu entmündigen,
die über Tot und Leben entschiede, wie das Singer vorschlägt:
"Sofern der Tod eines geschädigten Säuglings zur Geburt
eines anderen Kindes mit besseren Aussichten auf ein glückliches Leben führt,
dann ist die Gesamtsumme auf eine glückliches Leben größer, wenn
der behinderte Säugling getötet wird."(PE 183)
C.Kürten hat in der Diskussion dann ja auch gefragt:
"Wenn Sie , Herr Singer, einem Menschen mit Down-Syndrom (Mongolismus)
begegnen - begegnen sie einemm Menschen, dessen geistige Fähigkeiten begrenzt
sind, oder begegnen Sie den Grenzen Ihrer Möglichkeiten, diesen Menschen zu
verstehen?" (Bedingungslos Ja zum Leben, Universitas 51, Mai 1996, S.432; das
Heft enthält auch ein Beitrag von Singer selber)
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Glück ist eine Kategorie,
die ein empirisches Moment hat, ein individuelles Moment, das nicht in Substitution
durch ein anders Individuum beurteilt werden kann. Beurteilt werden kann die Glückswürdigkeit,
ob die Maximen des Handelns Moral widersprechen, mehr nicht. Umso bedauerlicher
ist das Ganze, da Singer ja die Parallelen zum Dritten Reich selber sieht:
"Die Nazis haben fürchterliche Verbrechen begangen; aber es
bedeutet nicht, daß alles, was die Nazis taten, fürchterlich war. Wir
können die Euthanasie nicht nur deshalb verdammen weil die Nazis sie duchgeführt
haben, ebensowenig wie wir den Bau von neuen Straßen aus diesem Grund verdammen
können."(PE 210)
Die Autobahnen und das Töten von Menschen zu vergleichen ist schon
eine Anmaßung, die auf keine Kuhhaut mehr geht. Singer reduziert die ganze
moralische Problematik auf Interessen, wobei er ein abstrakten Interessenbegriff
hat, der so unspezifisch ist, daß er auch die Bedürfnisse von Tieren
umfaßt. Dabei wird übersehen die spezifische Bedeutung des Begriffs des
Interesses.
Der Begriff des Interesses tritt erstmals bei den französischen Materialisten
auf, besonders eindringlich bei Helvetius, der Interesse für das einzige Triebrad
hält. In der empiristischen Tradition wird diese "Kraft", die auch
als Selbstliebe bezeichnet wird, naturalisiert, sie besteht darin Schmerz zu meiden
und Vergnügen zu suchen, also das, was man gemeinhin seit Freud Lustprinzip
nennt. Dann wird die Frage zu beantworten gesucht, wie die Individuen ohne vorausgesetzen
Primat der gesellschaftlichen Ordnung sich zueinander verhalten sollen (die Darstellung
folgt der Arbeit von G.Mensching, die anschließend zitiert wird):
"Les hommes ont fait des conventions. La moral n'est que le recueil
de ces conventions. Le véritable objet de cette science est la félicite
du plu grand nombre."(Helvetius, De l'homme, WW Bd. IX. S.141 "Die Menschen
haben Konventionen gemacht. Die Moral ist nur die Sammlung dieser Konventionen.
Der wahre Gegenstand dieser Wissenschaft ist das Glück der größten
Zahl.")
Zum erstenmal seit dem Mittelalter werden egoistische Ansprüche
als berechtigt anerkannt, das Interesse an unbeschränkter Entfaltung ist Ausgangspunkt.
Die Frage, wie die in der antagonistischen Gesellschaft notwendigerweise divergierenden
Interessen miteinander zu vereinbaren sind, liegt der Moral zugrunde. Die hat Holbach
formuliert:
"L'ordre n'est autre chose que l'accord qui se trouve entre les
parties d'un tout pour conspirer à un but. Le beau moral resulte de l'ordre
moral, qui est l'accord des volontés et des action des hommes, pour conspirer
à leur bonheur, le seul but que des être sensible puissent se proposer...Un
corpes politique est dans l'ordre, lorsque tous les membre qui le composent, concourent
fidèlement à son maintien."(Holbach, Systèm social, Bd.
1, S. 97. "Ordnung ist nichts anderes als die Übereinstimmung zwischen
den Teilen eines Ganzen, um für ein Ziel zusammenzuwirken. Das moralisch Gute
ergibt sich aus der moralischen Ordnung, die in der Übereinstimmung des Willens
und der Handlungen der Menschen besteht, um für ihr Glück zusammenzuwirken;
dies ist das einzige Ziel, das empfindende Wesen sich setzen können...Eine
politische Einheit ist in Ordnung, wenn alle Menschen, aus denen sie sich zusammensetzt,
zuverlässig an ihrer Erhaltung mitwirken.")
Die Produktion eines Konsens ist das Telos der materialistischen Moralphilosophie,
die anfänglich ganz naive Entwürfe beinhaltet, die noch - bis heute bei
den Nachfolgern - verfeinert werden. An den Aporien hatten Holbach, Hevétius
und Condorvet ihre Reflexionen angeknüpft. Das Interesse am Glück der
Sinnesempfindungen setzt sich polemisch gegen die Philosophie und Religion, in der
diese verachtet und verdammt waren und wo physische Lust vergänglich erschient
und nur die visio beatifica die einzigge wahr Glückseligkeit verbürgen
sollte. Das richtet sich gegen den Stoizismus.
"Que nous serons anti-stoiciens! Ces philosphes sont sévéres,
tristes, durs; nous serons doux, gais, complaisants. Toutes âmes, ils font
abstraction de leur corps; tout corps nous ferons abstaction de notre âme."(La
Mettrie, Discours sur le bonheur, Euvr phil. Bd. II, S. 84 "Unsere Organe sind
eines Gefühls oder einer Bewegung fähig, die uns Vergnügen bereitet
und uns das Leben lieben läßt. Ist der Eindruck dieses Gefühls kurz,
so ist es Vergnügen; länger, so ist es Wollust; ist er fortdauernd, dann
bedeutet er das Glück. Es handelt sich immer um dieselbe Empfindung, die sich
nur in ihrer Dauer und in ihrer Lebhaftigkeit unterscheidet.")
Dies führt schließlich in einen puren Irrationalismus der
abstrakten Subjektivität, die aller Vernunft beraubt wird:
"Servon nous de la raison même pours nous égarer,
si nous pouvon en être plus heureux...L'esprit, le savoir, la raison sont
le plus heureux... L'esprit, le savoir, la raison sont le plus souvent inutile à
la félicité, et quelque-fous funestes et meurtriers; ce sont de ornement
étreanggers dont l'âme peut passer."a.a.O. 97 Bedienen wir uns
der Vernunft, selbst um uns zu verirren, wenn wir dadurch glücklicher werden
können....Geist, Wissen und Vernunft sind zur Glückseligkeit meistens
unnütz und manchmal verderblich und mörderisch; dies sind fremde Ornamente,
die die Seele entbehren kann.")
Die Idee der Aufklärung schlägt hier in das Gegenteil um,
sie bestätigt nunmehr nur noch die Unvernunft. Individualität verliert
sich in dem grenzenlosen Hedonismus selber:
"Jedem Triebimpulse folgend, wird sie zu einem Stück Natur,
das von anonymen Gesetzen beherrscht wird, die gerade nicht individuell sind. Bestimmtheit,
einen Charakter kann das Individuum nur gewinnen, indem es den Widerstand der äußeren
Realität erfährt und in rationale Erkenntnis umsetzt. Darin stimmen alle
übrigen Materalisten überein. Auf der Umsetzung von Widerständen,
die sich dem Individuum in der Gesellschaft entgegenstellen, in rationalen Verhalten
beruht, allgemein gesprochen, geradezu die Morallehre der Aufklärung. Aus La
Mettries Position würde hingegen folgen, daß das Individuum das Anderssein
seiner Umwelt nicht erkennt. So bliebe es Monade und verharrte der Realität
gegenüber in unzivilierter Brutalität. Hindernisse auf dem direkten Wege
zur Lust könnte es bedenkenlos ausräumen, eine Konsequenz, die La Metrie
- ähnlich wie später Marquis de Sade - gezogen hat, wenn auch nur hypothetisch."
(Günther Mensching, Totalität und Autonomie, S. 199f)
Für das 18.Jahrhundert war es schon avanciert, den Lustcharakter
des Bösen herauszuarbeiten und dies antezipiert bereits Marquis de Sade, es
ist allerdings wenig aufklärerisch diesen zu affirmieren zu einem naturgesetzlichen
Faktum, das von keiner Vernunft aufgehoben werden könnte. Aus der Ehrenrettung
des Bösen folgt eine Herrenmoral, nach der die Stärke an die Stelle des
besseren Arguments rückt.
"Indem ich akzeptiere, daß moralische Urteile von einem universalen
Standpunkt aus getroffen werden müssen, akzeptiere ich, daß meine eigenen
Interessen nicht einfach deshalb, weil sie meine Interessen sind, mehr zählen
als die Interessen von irgend jemand anders. Daher muß, wenn ich moralisch
denke, mein ganz natürliches Bestreben, daß für für meine Interessen
gesorgt wird, ausgedehnt werden auf die Interessen anderer."(PE 23)
Hier wird behauptet, man könne Interessen durch ein "taking
the role of the other" objektiv beurteilen, über das Interesse andere
Menschen und auch den Bedürfnissen von Tieren, in die wir uns noch viel weniger
versetzen können, verfügen. Das ist eine weitere Hybris.
"Anstelle meiner eigenen Interessen habe ich nun die Interessen
aller zu berücksichtigen, die von meiner Entscheidung betroffen sind. Dies
erfordert von mir, daß ich all diese Interessen abwäge und jenen Handlungsverlauf
wähle, von dem es am wahrscheinlichsten ist, daß er die Interessen der
Betroffenen maximiert."(PE24)
Einzelinteressen sind Nach Singer:
"Interesse an der Vermeidung von Schmerz, an der Entfaltung von
Fähigkeiten, an der Befriedigung elementarer Bedürfnisse wie Nahrung und
Behausung, am Genuß von Freundschaft und Liebe in der Beziehung mit anderen
und an der Freiheit, eigene Pläne zu verfolgen, ohne daß man von anderen
gestört wird."(PE 35)
Er bezweifelt, "daß es irgendeine moralisch signifikaten
Eigenschaft gibt, die alle Menschen um gleichen Maße besitzen."
"Wenn ein Wesen leidet, kann es keine moralische Rechtfertigung
dafür geben, sich zu weigern, dieses Leiden in Erwägung zu ziehen."(PE
73)
Die inhumanen Schlußfolgerungen, wie Euthanasie sind kein Zufall,
sondern gründen in den falschen Prämissen der Philosophie Singers.
Prämissen Singers:
1. moralisches Verhalten ist mit der argumentativen Verteidiung unserer
Lebensweise verknüpft (PE 20), intuitiv gefühlte Normen, Tradition oder
Autoriät sind unverläßlich.
2. moralische Beurteilungen müssen universelen Charakter haben (PE 23) Wer
seinen Egoismus nicht zur Disposition stellt ist aus dem Diskurs ausgeschlossen.
3. Es gibt eine fumdamental signifikate Eigenschaft für Lebewesen der verschiensten
Art, nämlich die Fähigkeit sich zu freuen und glücklich zu sein (PE
72). Es wird die Substituierbarkeit grundlegender Gefühle von einemm Individuum
durch andere gefordert.
4. Alle Lebwesen (auch Tiere sic!) haben das moralische Recht auf Berücksichtigung
des Bedürfnis auf Leidvermeidung und Glücksverfolgung (=Interessen).
5. Die Fähigkeit, eine Handlung nach eigener Entscheidung zu vollziehen, heißt
Autonomie. Rationale, selbstbewußte und autonome Lebewesen heißen Personen.
Person und Mensch ist bei Singer zweierlei (Sic!) Kranke Menschen ohne Reflexionsfähigkeit
sind keine Personen, dafür aber einige Tiere. (PE 106, 115)
6. Natürliche Interessen für Personen sind allgemeines Lebensinteresse,
die Schmerzvermeidung, die Entfaltung von Fähigkeiten, Befriedigungg von Nahrungs-
und Wohnbedürfnissen, Genuß von Freundschaft und Liebe, sowie die Freiheit,
eigene Pläne zu verfolgen, ohne von den anderen gestört zu werden.(PE
35, 43)
7. Das moralische Prinzip der Gleichheit wird zum Prinzip der gleichen Interessenerwägung,
natürliche Interessen der Einzelpersonen sind eingeschränkt und auf das
Interesse der Gesamtheit der Personen bezogen.
8. Handeln und Unterlassen sind äquivalent (Siehe aktive Euthanasie).
9. Es gibt keine moralisch signifikaten Eigenschaft, die alle Lebewesen der Spezies
Mensch im gleichen Maß besitzen. (PE33)
Die letzte Behauptung leitet sich daraus ab, daß er die Humanität
auf das Empirische des Menschen reduziert, Moral wird naturalisiert, indem sie utilitaristisch
verkommt. Singer ist dann nicht mehr in der Lage den Wertunterschied zwischen Tieren
und Menschen zu begreifen. Der Mensch besitzt aufgrund seiner Autonomie über
die biologischen und psychischen Grundbedingungen hinaus Möglichkeiten und
Bedingungen ihrer Befriedigung, die nicht vorgegeben sind, sondern von den bewußt
geschaffenen Formen menschlicher Gesellschaft abhängig sind. Die Menschen besitzen
Selbstbewußtsein - nicht im Sinne der Selbstwahrnehmung und der Fähigkeit
sich selbst (z.B. im Spiegel) zu identifizieren, was auch einige höhere Säugetiere
können - im Sinne der Subjektivität, die er im Bezug zu sich selbst und
den Anderen erst heranbildet. Der Mensch gewinnt erst intersubjektiv die Fähigkeit
zu spezifisch menschlichen Akten. Hierin gründet die spezifische Differenz
zu anderen Lebewesen, die diese nicht besitzen. Daraus, daß der Mensch fähig
und gezwungen ist frei zu sein, beruht auch die Notwendigkeit von moralischen Normen,
da die Möglichkeit der Verfehlung und Entfremdung vom Menschsein möglich
(und wirklich) ist. Er bedarf der Kriterien des guten und schlechten Handelns. Die
Reflektion darauf begann in der Antike als verschiedene Gemeinwesen mit unterschiedlichen
Sitten aufeinander stießen und Tradition dadurch in Frage gestellt worden
ist. Ethik wird so potentiell durch Moral abgelöst, wie das in der Neuzeit
dann verwirklicht wird.
Es ist demnach zynisch und inhuman Menschen und Tiere ethisch gleichzusetzen, wie
das im Folgenden Satz geschieht:
"Wenn wir es falsch finden, einem Kleinkind ohne Grund so viel
Schmerz zuzufügen, dann müssen wir...es ebenso falsch finden, einem Pferd
ohne Grund dasselbe Maß an Schmerz zuzufügen."(PE 75)
Wer für Tierexperimente sei, muß dann auch Experimente mit
Kleinkindern und geistig Behinderten zulassen. Die Verwerflichkeit des Tötens
ist an das Merkmal der "Personalität" geknüpft und mit 4 Gründen
versehen:
1. Töten hätte katastrophale Auswirkungen, wenn sie außerhalb
von Notwehr und Kriegen geschehe,
2. das Interesse von Personen, ihre Pläne und Wünsche auch in der Zukunft
zu verwirklichen wäre verletzt,
3. das Recht auf Leben wäre beseitigt, das die notwendige Bedingung einschlißt,
das zu wünschen, worauf man ein Recht hat,
4. die Zerstörung der Autonomie.
Der Denkfehler besteht darin, daß Singer die "Personalität"
als Zugehörigkeit zur Klasse aller Dinge mit bestimmten angebbaren Eigenschaften
interpretiert. Damit entgeht ihm, daß die Humanität und Personalität
gerade sich einer solchen positiven Bestimmung entzieht. Er verfehlt also das Menschsein
insgesamt.
Die Argumentation negiert, so wie jede faschistische Ideologie die Humanität
des Menschen.
"Humanität heißt wörtlich das, was den Menschen
vor allen anderen Lebewesen auszeichnet, seine Natur oder sein Wesen. Seiner Natur
nach ist der Mensch nicht auf bestimmte Verhaltensweisen und Lebensformen festgelegt.
Er ist ein offenes Wesen mit einem außergewöhnlich weiten Spielraum,
innerhalb dessen er als einzelner, als Klein- oder Großgruppe sich unterschiedlich
entwickeln und tätig werden kann. Überdies wird man nicht schon durch
biologische Prozesse, sondern erst durch (Selbst-)Erziehung und freie Sinnstiftung
zu einem konkreten Menschen. Humanität bezeichnet daher weder einen empirischen
Befund noch ein vorfindliches Muster, sondern eine Aufgabe, die die Menschen in
einem nie abgeschlossenen Prozeß der Bildung, der Selbstfindung und des Selbstentwurfs
näher zu definieren und aus eigenem Antrieb auszuführen haben. Humanität
ist das stets riskante Unternehmen der Individuen und der Gesellschaft, zu sich
selbst zu kommen und ein gelungen-erfülltes Leben zu führen. Sie meint
weniger die Schwäche und Hinfälligkeit, Niedrigkeit und Bosheit des Menschen
als die für das persönliche, soziale und politische Leben gültige
normative Leitidee eines "wahren", von Selbstverwirklichung und Mitmenschlichkeit
bestimmten Menschseins. Humanität ist eine formale Idee, die für verschiedene,
von den jeweiligen persönlichen und soziokulturellen Bedingungen, Interessen
und Sinnvorstellungen abhängige Ausgestaltungen offen ist. Sie besagt, daß
es dem Menschen letztlich nicht auf Selbstbehauptung und Expansion, sondern auf
jene Verständigung mit seinesgleichen ankommt, die unter den Ideen von Gerechtigkeit
und Sittlichkeit steht. Humanität geht vom unbedingten Wert des Menschen, von
seiner Freiheit und Würde als unhintergehbarem Fluchtpunkt allen persönlichen,
sozialen u. politischen Bemühens aus."(Humanitiät, in: Lexikon der
Ethik O.Höffe (Hrg.))
Und daran etwas zu ändern, wie Singer intendiert, dagegen wird
man sich mit allen gebotenen Mitteln zu wehren haben.
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Most recent revision: April 07, 1998
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