"Investieren - nicht spekulieren!" - die PDS gegen
das "raffende" und für das "schaffende Kapital"
Stolz wird auf den Internetseiten der PDS http://www.pds-online.de
und im PDS-Pressedienst Nr. 8/98 über die jüngste spektakuläre Aktion
führender PDS-PolitikerInnen berichtet. Unter dem Slogan "Investieren
- nicht spekulieren!" blockierten sie am 13.2.98 den Eingang der Börse
in Frankfurt/Main. Die zu diesem Anlaß veröffentlichten Texte haben es
in sich.
Demnach fand die Aktion vor der Börse statt, weil sie "eines der Zentren
großer Spekulationsgewinne und wirtschaftlicher sowie sozialer Gefahren in
Deutschland" sei, sie sei "Ausgangspunkt und Symbol größter
sozialer Zerstörungen und wirtschaftlicher Bedrohungen" und der Finanzkrach
in Asien sei "in Frankfurt/Main, New York und Tokio verursacht worden".
Ursache sei die Gewinnsucht "jener, die gar nicht mehr wissen, wohin sie mit
ihrem Reichtum - außer an die Boersen sollen" und die Raffgier der Grossbanken
und die Politik einer "willfährigen" Bundesregierung, die zusammen
mit der Börse, die "Verselbständigung der Finanzmärkte betreiben"
würde.
Die Leidtragenden der auf den internationalen Märkten getätigten Spekulationen
seien mittelständische Unternehmen, Handwerker und die "Schwachen und
Schwächsten". Die politisch organisierte "Deregulierung der Finanzströme"
sei eine "ungeheure Gefahr [...]: für Arbeitsplätze und Investitionen
hierzulande, Weltwirtschaft und ökologischen Umbau international sowie fuer
die Entwicklungschancen der Länder des Südens und Ostens". Die Verluste
aus den "Spekulationen in Asien" hätten die deutschen "Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler" zu begleichen. Bedroht seien "die Grundlagen der Bundesrepublik
als `demokratischer und sozialer Bundesstaat`". Gefordert wird von der PDS,
die "Privilegierung des Finanzkapitals auf die Privilegierung des Produktiv-
und damit des Produktionskapitals" umzustellen [1].
So sieht also das Weltbild führender PDS-PolitikerInnen aus, deren Konzepte
das öffentliche Agieren der PDS weitgehend bestimmen. Auf der einen Seite wird
das Finanzkapital ausgemacht und das Bild der vaterlandslosen Verschwörung
aus Börsenspekulanten, Großbanken und Bundesregierung gezeichnet. Diese
seien die Ursache der Krisen und Übel in der Welt. Auf der anderen Seite gäbe
es die Opfer: die nationalen, steuerzahlenden BürgerInnen und die tüchtigen
und produktiven Unternehmen, die investieren und Arbeitsplaetze schaffen würden.
Zwischen den einen und den anderen bestünde ein Raubverhältnis.
Die PDS-Argumentation reproduziert hier eine zentrale Denkfigur antisemitischer
Ideologie, die über das "raffende" und das "schaffende Kapital".
Diese Denkweise beinhaltet eine Identifizierung verschwörerischer Mächte,
die global agieren wuerden, wurzellos seien und mittels ihrer Geldmacht im Hintergrund
die Fäden ziehen würden, mit dem "raffenden Kapital". Das Opfer
dieser Umtriebe sei das "schaffende Kapital": die nationale, bodenständige,
mit ihrer Heimat verwurzelte, produzierende Gemeinschaft aus Unternehmern und Arbeitern.
Im Unterschied zum voll entwickelten Antisemitismus wird in der PDS-Argumentation
aber keine Personifizierung der abstrakten, verschwörerischen Maechte, des
"raffenden Kapitals" im "Juden" vorgenommen. Und es waere sicherlich
auch falsch anzunehmen, es steckte so eine Intention dahinter. Nicht nur wegen der
Biographien einiger PDS-Promis. Doch wie groß ist der Schritt im Denken, um
vom "Spekulanten an der Wall Street" zum "jüdischen Spekulanten
an der Wall Street" zu gelangen?
Nach Moishe Postone [2] sind die antisemitischer Ideologie
zugrunde liegenden Denkfiguren objektive Gedankenformen, d.h. Formen notwendig falschen
Bewußtseins, die durch die Verschleierung des Wesens des Kapitals hinter seinen
Erscheinungsformen erzeugt werden. Solch eine im Denken vor sich gehende Mystifikation
der Verhältnisse bezeichnete Marx als Fetisch [3].
Waren, Arbeit und Kapital zeigen einen Doppelcharakter, sie erscheinen als in eine
konkrete und eine abstrakte Seite, die in einem Gegensatz zueinander stehen, gespalten.
Die konkrete Seite ist der stoffliche, industrielle Produktionsprozess, die abstrakte
Seite sind die über Markt und Geld vermittelten auf die Privatarbeiten wirkenden
Zwänge. Die Denkformen der Menschen werden durch diese Erscheinungsformen bestimmt.
Die Gesetze der Wertverwertung, über die sich die gesellschaftlichen Beziehungen
der Menschen als objektive Zwangsverhältnisse, als "zweite Natur",
die den Menschen gegenübertritt, hinter den Rücken der Menschen durchsetzen,
bleiben unverstanden. Die konkrete und abstrakte Seite der kapitalistischen Produktionsweise
werden personifiziert und die Ursachen der Erscheinungen werden auf das willentliche
Handeln der Gruppen, in denen die Personifizierung vorgenommen wird, zurueckgeführt.
Nicht durchschaut wird, daß "Unternehmer" und "Arbeiter",
"Banker" und "Spekulanten" nur Charaktermasken (Marx) sind,
d.h. die Personifizierungen stehen nur für objektiv notwendige Funktionen im
Reproduktionsprozess des Kapitals.
Antisemitisch strukturiertes Denken ist ein ideologischer Reflex auf den Doppelcharakter
der Erscheinungsformen des Kapitals. Die konkrete Seite, das industrielle Kapital
wird als nichtkapitalistisch, ewig und natürlich verklärt und mit Attributen
wie national, verwurzelt, produktiv, schaffend verknüpft. Als fremd, wurzellos,
international, unproduktiv, raffend, als kapitalistisch wird das Geldkapital aufgefasst.
Die fortschreitende Entwicklung des Kapitalverhältnisses ist mit einer zunehmenden
Verselbständigung des prozessierenden, sich selbst verwertenden Wertes verbunden.
Alle Schranken werden durch das Kapital niedergerissen, nationale und traditionelle
Zusammenhänge aufgelöst und persönliche, unmittelbare Herrschaftsverhältnisse
zerstört. Das befördert, die abstrakte Seite des Kapitals zunehmend in
verschwörerischen, immer weniger faßbaren Mächten wahnhaft zu personifizieren.
Es gibt aber keinen logisch zwingenden Grund, daß sich antisemitisch strukturiertes
Denken ausschließlich gegen Juden richten könne. Die Personifizierung
kann durchaus auch in anderen Gruppen vorgenommen werden, wenn ihnen Abstraktheit,
Unfaßbarkeit, Internationalität, Geldmacht wahnhaft zugeschrieben werden
kann. Vielleicht liegt hier auch eine Erklärung, warum in Deutschland "organisierte
Kriminalität", "Ausländerkriminalität" oder "Scientology"
so wahnhaft wahrgenommen werden und heutzutage so ein beliebtes Thema sind. Die
öffentliche Artikulation eines gegen Juden gerichtete Antisemitismus ist wegen
Auschwitz (noch) weitgehend tabuisiert, doch das antisemitisch strukturierte Denken
bedarf der Objekte, in denen es die Ursache der ausgemachten Übel personifizieren
kann.
Daß Juden wie keine andere Gruppe als Objekt der wahnhaften Zuschreibungen
des modernen Antisemitismus herhalten mußten und müssen, liegt in historischen
Voraussetzungen begründet. Über mehr als 1500 Jahre war die Stellung der
Juden in der europäischen Gesellschaft durch eine sich steigernde christliche
Judenfeindschaft mit Verfolgungen und Pogromen geprägt. Durch das kanonische
Zinsverbot im Christentum und das besonders in der Mitte Europas bestehende Verbot
für Juden, Boden zu besitzen und handwerkliche Berufe auszuüben, waren
viele Juden in der Zirkulationssphäre gefangen. Im Denken der Menschen, die
ja die gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht durchschauten, wurden die Dinge
auf den Kopf gestellt. Rosemarie Schuder und Rudolf Hirsch schrieben hierzu: "Das
Bild des jüdischen Wucherers war in der Vorstellung des Mittelalters und der
Renaissance fest gefügt, versehen mit allen verächtlichen Attributen.
Aus dieser Vorstellungswelt schuf William Shakespeare seine Kunstfigur Shylock,
in einer Zeit, als es in England überhaupt keine Juden mehr gab. Shylock, das
ist der böse, schachernde und wuchernde Jude, seine Inkarnation." [4] Zudem lebten Juden als Minderheiten verstreut in vielen Ländern
und ihre verwandtschaftliche Beziehungen bestanden über die Grenzen hinweg.
So wurde begünstigt, daß in ihnen die abstrakten, verschwörerischen
Mächte, international wirkend und mit Geldmacht ausgestattet, wahnhaft personifiziert
wurden. In der Zeit der Herausbildung der Nationen-Ideologie wurden sie dann außerdem
zur Inkarnation der Anti-Nation gemacht.
Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die antisemitische Ideologie hervorgebracht
wurde, bestehen fort. Als Überbleibsel archaischen Denkens, das in Zukunft
endgültig überwunden wäre, sollte diese Ideologie deswegen keinesfalls
mißverstanden werden. Die weitere weltweite krisenbehaftete Entfaltung des
Kapitalverhältnisses wird ihre Verbreitung eher befördern. Gerade in Deutschland,
wo der antisemitische Wahn während des Nationalsozialismus schon in der Vernichtung
der europäischen Juden mündete, ist die Gefahr sehr groß, da in
diesem Land die volksgemeinschaftliche Formierung im Vergleich zu anderen Ländern
weiter fortgeschritten ist.
Dafür, daß jetzt die PDS bei antisemitisch strukturierten Argumentationen
landet, lassen sich Gründe im Charakter ihrer bisherigen inhaltlichen Positionen
finden. Der "Antikapitalismus" der PDS ist einer, bei dem die kapitalistische
Vergesellschaftung nicht wirklich in Frage gestellt werden soll. Deren soziale Folgen
werden von der PDS angeprangert und es werden Forderungen nach "sozialer Gerechtigkeit",
"Umverteilung von oben nach unten" und "Arbeit für Alle"
erhoben. Diese Ziele sollen durch nationales "Politik machen" erreicht
werden. Wer aber durch nationales "Politik machen" - ob der Schwerpunkt
dabei nun auf parlamentarische oder außerparlamentarische Praxis gesetzt wird,
ist sekundär - im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise die Folgen des
Kapitalismus abschaffen will, kann das Wirken objektiver Zwangsverhältnisse,
die durch die Wertvergesellschaftung konstituiert werden, nicht anerkennen. Deren
Anerkennung würde das "Politik machen" ad absurdum führen. Denn
wie sollten dann durch den Austausch des Regierungspersonal und eine "andere
Politik" die ungeliebten Folgen wirklich beseitigt werden können? Die
Existenzberechtigung der PDS würde in Frage gestellt, wenn die Zwecke, für
die sich die PDS-Mitglieder zur Partei zusammengeschlossen haben, in Frage gestellt
würden. Also muß für die sozialen Folgen das subjektive Handeln
von gesellschaftlichen Gruppen verantwortlich gemacht werden, indem diesen wahlweise
böswillige Absichten oder Unfähigkeit unterstellt werden. Diese Gruppen
werden in den Börsenspekulanten und in den Großbanken als augenfälligste
Symbole für das Gewinnstreben im Kapitalismus gefunden. Und die machthabenden
politischen Kräfte seien diejenigen, die aus eigenem Interesse oder Unfähigkeit
die Raubzüge unterstützen würden. In dieser Weise macht der verkürzte
Antikapitalismus für die oben beschriebene antisemitische Denkform anfällig.
Wer sich bisher damit tröstete, daß die PDS die kapitalistischen Verhältnisse
zwar nicht wirklich in Frage stelle, sie doch aber immerhin ein sozialdemokratisches
Reformprogramm verträte und sie ein relatives Gegengewicht gegen den gesellschaftlichen
Rechtsruck bildete und sie deshalb immer noch das kleinere Übel im Vergleich
zu den anderen sei, sollte sich fragen, ob diese Einschätzung tatsächlich
zutrifft oder ob sie nicht eher auf Selbsttäuschung beruhte. Schon in den vergangenen
Jahren offenbarte die PDS sehr unangenehme Seiten. Da wären die Bekenntnisse
zur Nation aus den Reihen dieser Partei und die nicht vom Denken gewöhnlicher
Deutscher unterscheidbaren nationalistischen und rassistischen Anschauungen beträchtlicher
Teile ihrer Basis im Osten oder auch die antizionistischen Ausfälle in PDS-Presseerklaerungen
[5]. So ist es dann auch kein Wunder, daß sich
auch die völkisch-nationalistische Zeitung "Junge Freiheit" gerne
mal positiv auf PDS-Argumentationen bezieht [6]. Durch
solche populistischen Aktionen wie die vor der Börse und den mitgelieferten
Begründungen, wird nun die im Alltagsbewusstsein der Menschen verbreitet vorhandene
antisemitische Denkform bedient. Auf diese Weise wird aus der PDS heraus dazu beigetragen,
die gesellschaftlichen Bedingungen hin zu einer weiteren Gesellschaftsfähigkeit
auch des offenen, gegen Juden gerichteten Antisemitismus zu verändern. Von
einer Partei, die solche Entwicklungen befördert, ist keine wirksamer Beitrag
gegen die deutschen Zumutungen zu erwarten. Das können sowohl der Aktivismus
einiger linker Unentwegter mit gutem Willen in der PDS, die aber den Charakter dieser
Partei auch nicht so richtig wahrhaben wollen, als auch die engagierte Arbeit von
Ulla Jelpke im Bundestag nicht kompensieren.
1) Die Zitate in den beiden vorhergehenden Absaetzen
stammen aus einem Text, der unter der Internetaddresse http://www1.pds-online.de/aktuelles/text04.htm
zu finden war.
2) Moishe Postone, "Nationalsozialismus
und Antisemitismus. Ein theoretischer Versuch", Merkur, H.1/1982, S.13-25
3) Karl Marx, "Das Kapital. Kritik der politischen
Ökonomie", Bd.3, Dietz Verlag Berlin, 1989, S.404ff.
4) Rudolf Hirsch und Rosemarie Schuder, "Der Gelbe
Fleck. Wurzel und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte", Rütten
& Löning Berlin, 1987, S.64
5) So in einer Erklärung des Bundesvorstandes der
PDS vom 15.4.1996, PID 16/96
6) Z.B. Junge Freiheit, 25.4.97
Von Jan Perlwitz J.PERLWITZ@CL-HH.comlink.de in /CL/GRUPPEN/PDS unter dem Betreff:
pds gegen "raffendes kapital" Datum : 02.04.1998
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt