Hier
einiges über die Grauzone zwischen Faschismus und Grünen bzw. Linken.
Teileweise ist der Artikel etwas zu sehr beeindruckt von der Sache und die Zukunft
hatte dann ja eine größere Nähe zum Faschismus bewiesen als damals
schon offenkundig war. Trotzdem faßt der Artikel die nationalrevolutionäre
Position gut zusammen.
Peter Dudek
Nationalromantischer Populismus als Zivilisationskritik
aus: Neue soziale Bewegungen
Rechte und Grüne - das Thema ist ein sensibler Gegenstand. Allzuleicht bleibt
es mißbräuchlich für die Denunziationen der Stoiber und Börner,
denen als Antwort auf außerparlamentarische Bewegungen nur der SA-Vergleich
einfällt. Von linken Kritikern wird die ökologische Wende des bundesrepublikanischen
Rechtsextremismus nur zu gerne zum Anlaß genommen, braune Flecken in der grünen
Bewegung zu identifizieren. Nun ist unbestritten, daß ökologisch regressive
Leitbilder auch in Teilen der Grünen und verstärkt innerhalb der ökologisch
Demokratischen Partei (ÖDP) existieren, die ihr Kritikmotiv aus einem völkisch-naturalistisch
eingefärbten Verständnis von Natur- und Lebensschutz beziehen. Historisch
gesehen, zählte diese Art von Ökologie schon immer zum Arsenal rechtsextremer
Politikangebote. Sie läßt sich in den Parteiprogrammen der Deutschen
Reichspartei oder Deutschen Gemeinschaft der Fünfziger Jahre ebenso finden
wie in der Literatur und politischen Publizistik rechtsextremer Kulturgemeinschafen
und Schriftsteller, die Naturidolatrie mit Ökologie verwechseln.
Zivilisationskritik stellte in diesem Jahrhundert vorrangig einen Kristalisationspunkt
für neokonservative und rechtsextreme Perspektiven dar. Wo politische und geistige
Wahlverwandtschaften zur Ökologiebewegung auszumachen sind, soll hier nicht
erörtert werden. Sie existieren und schlagen sich in gemeinsamen Kommunikationsforen
nieder:
- So veröffentlichte Baldur Springmann sein neuestes Buch "Partner Erde"
im dem Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) nahestehenden Arndt-Verlag und konnte dafür
sogar im Spiegel werben (Nr. 17/ 1982) .
- im Oktober 1982 wurde im rechtsextremen Monatsmagazin MUT (Auflage: 32000) ein
Hauptbeitrag aus dem neuen Buch "Das irdische Gleichgewicht von Herbert Gruhl
veröffentlicht. (1)
Den Grünen selbst erscheint das Thema ebenfalls ein Problem zu sein. So berief
der Landesvorstand der GRÜNEN Baden-Württemberg inzwischen eine Kommission
"Rechtsextreme Unterwanderung der GRÜNEN und nahestehender Vereinigungen"
ein, die kürzlich eine Dokumentation (2) ihrer Arbeit vorlegten. Dort heißt es im vorläufigen Fazit:
"Eine Reihe grüner Grundpositionen sind unvereinbar mit braunem Gedankengut
und können - sofern entwickelt werden und mit entsprechendem öffentlichem
Bewußtsein verbunden sind - als antifaschistischer Block wirken. Einige weitere
Fragen sind noch in der allgemeinen Diskussion: So wird der Begriff des _Wertkonservativismus_
noch sehr undifferenziert bemüht. Nicht jeder Wert ist konservierenswert. Wie
wir es mit sogenannten Sekundärtugenden (Carl Amery) - wie Plicht, Ehre, Vaterlandsliebe
oder Treue halten wollen, ob wir uns nach ihren Inhalten fragen, das wird sich noch
zu entscheiden haben"
Mag das Fazit auch unbefriedigend sein, so benennt die Dokumentation doch ein Problem
klar: die Aktivitäten nationalrevolutionärer Gruppen, die innerhalb der
Ökologie- und Friedensbewegung arbeiten und ideologisch versuchen nationalistische
und ökologische Stränge zu einem konsistenten Politikprogramn zusammenzudenken.
Sich auf die Tradition der Nationalrevolutionäre der Weimarer Republik berufend,
haben sich diese Gruppen Ende der Sechzigerjahre aus dem rechtsextremen Lager ausdifferenziert,
Zulauf von enttäuschten K-Gruppen-Aktivisten erhalten und sind heute um drei
Zeitschriften organisiert:
- Neue Zeit (München)
- Wir selbst. Zeitschrift für nationale Identität (Koblenz)
- Der Aufbruch (Menden)
Die Themen dieser Zeitschriften liegen im gegenwärtigen Trend - auch bei Teilen
der westdeutschen Linken. Aus der Abhängigkeit beider deutschen Staaten von
der Militärstrategien der Supermächte soll die Konsequenz für eine
Politik gezogen werden, die sich im Interesse des Friedens in Europa eine Neuvereinigung
Deutschlands unter neutralistischer Perspektive zum Ziel setzt. Man will mit der
"Tradition der Selbstbezichtigung" brechen und den Rechten nicht mehr
das Feld überlassen, sondern den Begriff der "nationalen Identität"
positiv besetzen. Nun muß es nicht ein Zeichen politischer Vernunft sein,
die Nationale Frage neu zu thematisieren. Es kann auch den Verlust eines Problembewußtseins
anzeigen, aus der deutschen Geschichte die Konsequenz zu ziehen, daß sie sich
durch nationale Identifikationen nicht sinnvoll weiterentwickeln läßt.
Den Vertretern des neuen Patriotismus aber erscheint das nationale Ziel im Leitbegriff
des Befreiungsnationalismus als Garant für den Frieden. Einer ihrer bekanntesten
Vertreter, Wolfgang Venohr, machte in einem Interview mit der Zeitschrift "Wir
selbst" die Perspektive deutlich:
"Befreiungsnationalismus und Antifaschismus können und dürfen kein
Gegensatz sein. Man muß die Kapitulationsurkunde in Sachen deutscher Geschichte
zerreißen. Der lange Marsch durch das Bewußtsein des deutschen Volkes
muß ein nationalrevolutionärer sein."
Wie kein anderer hat Hennig Eichberg (3) in
den letzten Jahren versucht, diesen nationalrevolutionären Weg mit regionalistischen
und ökologischen Optionen theoretisch zu begründen. Mein Kommentar setzt
sich deshalb mit seiner Gesellschafts- und Zivilisationskritik auseinander. Zur
Diskussion steht nicht seine Person, sondern das von ihm vertretende Programm. An
ihm interessieren mich seine Prämissen und Grundkategorien, mit denen Eichberg
sein Theoriekonzept organisiert. In welchen politischen und ideengeschichtlichen
Traditionen sind seine Arbeiten anzusiedeln, welche aktuellen Verweisstrukturen
beinhalten sie?
Wer Eichbergs politische Aufsätze kennt, wird ihn unschwer als "Anwalt
bedrohter Völker", als scharfer Kritiker zentralstaatlich organisierter
Industriegesellschaften und Verfechter eines politisch-kulturellen Regionalismus
identifizieren. Damit haben seine Arbeiten Thematisierungsfunktion für ein
Teil der sozialen Bewegungen, nämlich der Ökologie- und Alternativbewegung.
Eichberg entstammt politisch dem Lager rechtsaußen. Seine publizistischen
Erfolge in Teilen der Neuen Linken haben in der Krise der Linken ihre Ursache. Denn
regionalistische, kultur- und industriekritische Bewegungen, die Politik aus der
Perspektive von Subjektbezogenheit und Alltagsorientierung mit Anspruch auf Betroffenenvertretung
betreiben, sind vor allem das Resultat gescheiterter Politik- und Theoriekkonzepte
der Studentenbewegung. _Meine These lautet_: Teile der neuen sozialen Bewegungen
haben sich programmatisch EIchbergs nationalrevolutionärer Position genähert
und nicht umgekehrt.
Aus seinen zahlreichen Arbeiten mit unterschiedlichen empirischen Fallbeispielen
läßt sich durchgängig ein argumentatives Grundmuster rekonstruieren,
nämlich: Die wachstumsorientierten, hochtechnologischen Industriesysteme kolonisieren
weltweit die Völker der Erde, integrieren sie in politische und ökonomische
Großstrukturen, berauben sie damit ihrer eigenen kulturellen und nationalen
_Identität_. Der industrielle Entfremdungsprozeß macht durch die "Wodka-Cola-Kultur"
alle Völker gleich. Die politische Gegenstrategie lautet: Abkopplung von den
Supermächten, hin zu kleinen gesellschaftlichen Einheiten, Unterstützung
regionalistischer Bewegungen. Fernziel ist die Rückgewinnung der nationalen
Identitäten der Völker. Nationalismus ist die Vermittlungskategorie zwischen
Gesellschaftsanalyse und Revolutionstheorie. Diesen Ansatz hält Eichberg auch
bei der Lagebeurteilung spätkapitalistischer Gesellschaften Westeuropas durch.
Die deutsche Frage nimmt in diesem Interpretationsraster folgende Kontur an:
"Ein Bund deutscher Volksrepubliken, ein unabhängiges Friesland oder ein
Freistaat der Alemannen, ein Freies Franken, ein sozialistisches Sachsen oder eine
Republik Tirol ständen nicht im Widerspruch zum nationalen Prinzip, sondern
wären seine Fortsetzung. Allerdings wären sie dies nicht statt der Lösung
der Frage der Mauer und der Besetzung in Deutschland, sondern nur unter deren Voraussetzung.
Die Regionalisierung Deutschlands hängt von der historischen Chance der deutschen
nationalen Identität ab - und umgekehrt." (4)
Die gesellschaftstheoretischen Vorannahmen, die Eichbergs Zivilisations- und Kulturkritik
leiten, müssen - da von ihm nicht expliziert - implizit erschlossen werden.
Ich möchte wenigstens drei grundlegende Prämissen festhalten, von den
EIchberg ausgeht:
- Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Krisensituationen lassen sich nicht
als Krisen spätkapitalistischer oder staatssozialistischer Gesellschaftssysteme
formulieren. Es sind Krisen, bei denen es um das Weiterleben der Menschheit geht,
sei es in Fragen der Aufrüstung, der Zerstörung von Lebensbedingungen,
der Kolonialisierung der Lebenswelt oder der Verknappung der materiellen Ressourcen.
Die Kritik spätkapitalistischer Vergesellschaftung erscheint als Kritik des
Industriesystems und der Industriekultur.
- Die Verallgemeinerbaren Interessen des "revolutionären Subjekts",
nämlich der Internationale der unterdrückten Völker, werden gegenwärtig
durch regionale Autonomiebewegungen und seperatistische Organisationen wie die ETA
und IRA thematisiert und in Politik umgesetzt. Sie sind Bewegungen, die sich von
dem beherrschenden Zentralstaat abkoppeln. Ihr politisches Grundverständnis
ventiliert um die Topik eines "volklichen Nationalismus".
- Nicht die unmittelbare materielle Produktion und die dort entstehenden Klassenkonflikte
bilden den Ausgangspunkt der Analyse, sondern die Folgeprobleme krisenhafter Reproduktion
der industriellen Gesellschaften insgesamt werden zum Gegenstand der Kritik stilisiert.
Damit erscheinen Wirtschaftswachstum und Entwicklung der Produktivkräfte als
Ausdruck herrschender Irrationalität. Industrielle Unvernunft bringt einen
"neuen industriellen Rassismus" hervor, der primär die "unproduktiven
Völker" (Roma, Sinti, Indianer, Eskimos etc.) in das umfassende Netz industrieller
Produktion und industrialisierter Zivilisation integriert und damit ihre Identität
vernichtet. Im Namen der "Industrie und Gleichheit der Rassen" setzt der
"industrielle Rassismus" den nationalsozialistischen Holocaust an den
"unproduktiven Juden" fort - Genozid als Konsequenz industrieller Produktivität.
Vor dem Hintergrund dieser Grundorientierung organisiert Eichberg seine Gesellschaftskritik
als Zivilisations- und Kulturkritik. Durchgängig bedient er sich eines dualistischen
Modells. Darin stehen in kategorialer Frontstellung:
STAAT - VOLK
INTERESSE - IDENTITÄT
KULTURVERNICHTUNG - KULTURREVOLUTION
ENTFREMDUNG - NATIONALE IDENTITÄT
ZENTRALE GROSSTRUKTUR - REGIONALE KLEINE EINHEIT
KOLONIALISIERUN - REGIONALISIERUNG
In diesem Sample bilden VOLK, IDENTITÄT und KULTUR die Leitbegriffe im Eichbergschen
Kritikprogramm. Ideengeschichtlich stehen sie in der Tradition der konservativen
Revolution, theoriepolitisch weisen sie ein hohes Maß an Gemeinsamkeit mit
dem Programm der Novelle Droite und ihrem deutschen Ableger, dem Thule-Seminar,
auf.
Zum Volksbegriff: Volk taucht in Eichbergs Schriften in dreifacher Bedeutung
auf. Einmal wird Volk als politischer Kampfbegriff verwendet: als Gegenbegriff zu
zentralstaatlicher Herrschaftspolitik. Weiter ist Volk eine programmatische Kategorie
in historischen und sozialgeschichtlichen Situations- und Prozeßbeschreibungen
von Unterdrückung und Ausbeutung "ungleichzeitiger Steinzeit-Völker"
durch "gleichzeitige Industrievölker". Zum dritten aber füllt
VOLK eine theoretische Leerstelle. Volk wird zum Surrogat für Gesellschaft
und zugleich zum handelnden Subjekt der Geschichte. Danach läßt sich
Geschichte nur als Geschichte der Völker und ihre Unterdrückung durch
Zentralstaaten schreiben. Unter der nationalrevolutionären Perspektive und
ihrer Kritik an der "Industrie des Verschwindens" wird Volk zu einem homogenen
Begriff, der keine antagonistischen Interessen kennt, den keine Herrschaftsstrukturen
durchziehen. VOLK erscheint als wesentliche Einheit, die vor aller Differenzierung
der Gesellschaft in Klassen, Interessengruppen etc. liegt. Völker als handelnde
historische Subjekte avancieren mit beinahe eschatologischen Pathos zum Ausdruck
des Wahren und Ganzen. Sie sind primäre Wirklichkeit vor den Individuen und
ihren subjektiven wie objektiven Interessen. Indem das Volk statt an das Ende an
den Anfang der theoretischen und praktischen Kritik der Gesellschaft rückt,
bleibt Eichberg der Tradition des völkischen Populismus Otto Strassers verhaftet.
Zielperspektiven politischer Kämpfe ist dem nationalrevolutionären Programm
"volklicher Nationalismus", "volkliche Identität", "nationale
Identität".
Zum Identitätsbegriff: Der Identitätsbegriff ergibt sich aus den
Handlungsperpektiven eines Volkes. In den Sozialwissenschaften wird der Identitätsbegriff
gemeinhin subjektivistisch als Ich-Identität, personale und soziale Identität
oder - bezogen auf die frühen Hochkulturen, in denen der Geltungsbereich von
Religion und Kultur noch mit dem Gemeinwesen zusammenfiel - als Gruppenidentität
verwendet. Was aber bedeutet nationale Identität für Menschen in spätkapitalistischen
Gesellschaften? Was heißt nationale Identität der Deutschen? Worin besteht
ihre lebenspraktische Relevanz? Eichberg gibt darauf keine befriedigenden Antworten.
Vielmehr ist sein Identitätsbegriff widersprüchlich. Einmal gilt er als
kollektiver Identifikationsbegriff, als Merkmal eines Volkes, das sich dem industriellen
Entfremdungsprozeß erfolgreich entzogen hat. Andererseits wird der gleich
Begriff subjektivistisch gefaßt:
"Identität heißt, sich mit anderen, zwischen anderen seiner selbst
zu vergewissern, bei sich selbst zu Hause zu sein. Nicht Haben wollen, sondern Antwort
wissen auf die Frage: Wer bin ich?"(5)
Das ist der klassische Identiätsbegriff. Ich kann die Notwendigkeit nicht sehen,
ihn an die Nation zu binden. Folgt man Eichbergs Argumentation, so ist Identität
nur in der Nation zu finden, ist Entfremdung nur aufzuheben in einer Bewegung zur
nationalen Einheit, löst sich die vielzitierte Sinnkrise der Jugend in der
Suche nach nationaler Identität auf. Unter der Hand wird der kollektive Identifikationsbegriff
subjektivistisch gewendet und zur Lösung des Entfremdungsproblems bereitgestellt.
Daß ich Deutscher bin, daß ich lebensgeschichtliche Bindungen zu Personen,
Orten und Regionen meiner Kindheit und Jugend entwickelt habe, die meine Persönlichkeit
mit strukturieren, ist trivial. Daraus ein politisches Programm zu machen, halte
ich vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte für politisch gefährlich.
Deutschland liegt gegenwärtig im Brennpunkt der atomaren Bedrohung durch die
beiden Militärblöcke. Viele Bürger dieses Landes reagieren auf die
Vision, daß Europa zum Schießplatz der Supermächte werden könnte,
mit berechtigten Ängsten. Ängste mögen ein diffuses Wir-Gefühl
stärken, bilden aber keine Triebfeder für nationale Identität. Wer
wie Eichberg und die anderen Nationalrevolutionäre die Traditionslinien des
Deutschnationalismus einfach unterschlägt oder uminterpretiert, handelt theoretisch
fahrlässig und politisch unverantwortlich. Die von ihnen initiierte Diskussion
um einen neuen Patriotismus in Deutschland legt den Verdacht nahe, daß nationale
Identität der billige Ersatz für ungelöste soziale und gesellschaftspolitische
Probleme ist.
Zum Kulturbegriff: Nationale Identität als Alternative zur kulturellen
Entfremdung leitet Eichbergs Kulturkritik an. Gemäß dem theoretischen
Primat der Völker entwickelt jedes Volk ein ihm adäquate authentische
Kultur. Für Eichberg entsteht Kultur aus den alltäglichen Verhaltensweisen
und Interaktionsformen eines Volkes, wird zum Sediment für seine Geschichte.
Kulturelle Ausdrucksformen, die verschüttet sind durch die industrielle Massenkultur,
findet man in Dialekten, Ritualen, Symbolen, Mundartprosa, in Liedern der Alemannen,
Sachsen, Franken. Kultur wird, _so_ interpretiert, zum Differenzkriterium zwischen
Völkern. Diese Kultur wird durch die "Wodka-Cola-Kultur" nivelliert,
eingeebnet in eine Gleichheit, die Gleichheit in Entfremdung ist. Solche getränke-politischen
Assoziationen fehlt analytische Aussagekraft. So beklagt Eichberg in mehreren Aufsätzen
die Amerikanismen in der deutschen Sprache, sieht in amerikanischen Fersehserien,
Jeansgeschäften und Hamburger-Ketten nur einen weiteren Fortschritt im weltweiten
Entfremdungsprozeß. Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig, wenn damit
der Prozeß kapitalistischer Vergesellschaftung exemplifiziert werden soll.
Falsch, wenn dies als Ausdruck völkischer Entfremdung wahrgenommen wird. Denn
seit wann ist die geographische Herkunft eines Filmes Gütesiegel für dessen
Inhalt? Und was ist die Alternative? Ohnsorg-Theater und bayrischer Komödienstadel?
Zudem ist Eichbergs Kulturbegriff ein politisch halbierter Begriff, reduziert auf
Alltagskultur und kulturelle Ausdrucksformen politischen Widerstands.
Mit seinen Beispielen liegt Eichberg scharf am Volksgemeinschaftsbegriff, versucht
er in der Tradition der konservativen Revolution Geschichte gegen Natur, Gesellschaft
gegen Volk auszuspielen. Was ihn weiter mit den Theoretikern des völkischen
Realismus verbindet, ist die Abweisung des Interessenbegriffs. "Interesse,
das ist Haben-Wollen". (6) Dagegen ist
Identität Selbstvergewisserung eines Volkes, ist "die Alternative gegen
die Gesellschaft des Hastewas-Bistewas"(ebd.). Die Frommschen Begriffe "Haben"
und "Sein" bilden die Folie von Kritik und Selbstverständigung eines
nationalrevolutionären Programms, das mit abgestandener lebensreformerischer
Ideologie durchsetzt ist.
Abschließend will ich noch drei Bemerkungen zur aktuellen politischen Einschätzung
der von Eichberg formulierten Kultur und Zivilisationkritik anschließen:
1. Eichberg verfolgt sein Programm nicht radikal genug. Würde er konsequent
zu Ende denken, so müßte er die Position der Nouvelle Droite in Frankreich
vollständige übernehmen, nämlich als ein Kulturkampfkonzept, das
sich theoriepolitisch Liberalismus, Marxismus und Christentum als Vertreter der
Gleichheitsidee zu Gegentheorien macht. Gegenwärtig trennt ihn von der Französischen
Neuen Rechten sein populistischer und regionalistischer Grundzug. Während diese
ihr Kulturkampfkonzept unter Rekurs auf die abendländische Philosophiegeschichte
formuliert und in einem Marsch durch das herrschende kulturelle System durchsetzen
will, um durch eine Kulturrevolution Europa zum dritten Machtfaktor neben den Supermächten
zu machen, setzt Eichberg strategisch auf die politische Potenz regionalistischer
Bewegungen.
Theoretisch sind Alein de Benoist, Gullaume Faye, Jean-Clode Valla und die anderen
Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation (GRECE)
schon weiter. Sie fordern offen das Recht auf Ungleichheit und schreiben Geschichte
elitetheoretisch als Geschichte der Völker und Kulturen.
2. Das Recht auf Ungleichheit und der Begriff der nationalen Identität haben
sich im traditionellen Rechtsextremismus etabliert. Das Eichbergsche Programm "Identität
gegen Entfremdung" wird im Lager rechtsaußen als "Identität
gegen Überfremdung" gelesen. Und hier wird sich die Bindekraft des nationalen
Arguments stärker erweisen als Eichberg vielleicht intendiert. Die gesellschaftlichen
Voraussetzungen für Fremdenfeindlichkeit sind in der Bundesrepublik immer günstiger
als jene für einen regionalistischen Populismus.
3. Eichberg und seine politischen Anhänger stehen theoretisch - trotz aller
Differenzen in den Fragen des Populismus und Regionalismus - in der Tradition der
Nationalrevolutionäre der Weimarer Republik und der Deutschen Gemeinschaft
sowie der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (DG/AUD) nach 1945. Diese
hatte schon 1973 als Partei des neuen Nationalismus am konsequentesten den Weg zu
ökologischen Positionen vollzogen. Verweistrukturen lassen sich auch zu den
Strasserianer aufzeigen.
"Für uns war uns ist die Zustimmung zum Kampf des indischen Volkes um
seine Freiheit von englischer Herrschaft und kapitalistischer Ausbeutung eine Notwendigkeit,
die sich ebenso sehr aus der Tatsache ergibt, daß für eine deutsche Befreiungspolitik
jede Schwächung einer Vertragsmacht von Versaille günstig ist, wie aus
der gefühlsmäßigen Zustimmung zu jedem Kampf, den unterdrückte
Völker gegen ausbeutende Usurpatoren führen, da es eine zwingende Folge
unserer Idee des Nationalismus ist, daß das Recht der Erfüllung völkischer
Eigenart, das wir für uns in Anspruch nehmen, auch anderen Völkern und
Nationen zusteht, wobei uns der liberalistische Begriff der "Segnungen der
Kultur" unbekannt ist."(7)
Das Zitat stammt aus dem Aufruf der Otto-Strasser-Gruppe vom 4. Juli 1930: "Die
Sozialisten verlassen die NSDAP". Es deutet auf politische Kontinuitätslinien
hin, obwohl Eichberg kein Nationalsozialist oder Faschist ist, als den ihn selbsternannte
Antifaschisten und die Massenmedien (STERN Nr. 10/1982) gerne abqualifizieren möchten.
Die von den Nationalrevolutionären, aber auch von den Grünen favorisierten
"kleine Einheiten" lassen für mich ein grundsätzliches Problem
offen, nämlich: Reden jene, die für hochindustrielle Gesellschaften Abkopplung
und Regionalismus fordern, nicht letzten Endes einen nicht noch machtvolleren, zentralistischeren
Leviathan herbei? Verbirgt sich hinter dem Regionalismus als politischen Programm
nicht die Illusion, vorkapitalistische Sozialstrukturen und Sozialbeziehungen innerhalb
eines industriellen Systems rekonstruieren zu können? Lothar Baier (8) hat am Beispiel Okzitaniens sehr überzeugend die regionalistischen
Revolten innewohnende Ungleichzeitigkeit herausgearbeitet. Seine Analyse ist geeignet,
dem Regionalismus einiges von der oberflächlichen Faszinationskraft zu nehmen,
die er in Teilen der bundesrepublikanischen Linken besitzt.
Anmerkungen:
1) Sowohl der BHJ wie die Zeitschrift MUT
werden als rechtsextrem eingestuft. (Siehe Verfassungsschutzbericht - Bund 1982,
S. 1144, 147. Siehe auch Beschluß (und Rechtsmittelverfahren) betreffend den
BHJ des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 10.11.1982 (10 D 132/82)
2) Dokumentation "Rechte Grüne?"
Hrsg. Die GRÜNEN Baden-Württemberg, Schloßstr. 79, Stuttgart 1
3) vgl. P.Dudek/H.G.Jaschke: Revolte von rechts.
Anatomie einer neuen Jugendpresse, FfM;/New York 1981, hier: Gespräch mit H.
Eichberg, S. 170ff
4) H.Eicherg: Balkanisierung für jedermann,
in : Nordfriesland Zeitschrift für Kultur, Politik und Wirtschaft, Juli 1982;
vgl. auch H. Eichberg: Die Industrie des Verschwindens, in: Neue Zeit H.6/1982,
ders.: Nationale Identität, München
5) H.Eichberg: Balkanisierung für jedermann?
Nation, Identität und Entfremdung in der Industriegesellschaft, in: Befreiung.
Zeitschrift für Politik und Wissenschaft Nr. 19/20 1980
6) ebd.
7) zit. n. R. Kühnl (hrsg.): Der deutsche
Faschismus in Quellen und Dokumenten; Köln 1975, S 123
8) L.Baier, Französische Zustände.
Berichte und Essays, FfM 1982, S 150ff
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt