Der Judenreferent
Wenn die Deutschen einen brauchen, der ihnen Schuldgefühle ausredet oder ihnen versichert, daß hinter Nazis eigentlich Kommunisten stecken, dann nehmen sie gern den Professor Michael Wolffsohn


Noch ist der alte Mertes nicht dort, wohin Nachrichtenverfälscher gehören, da ist ein junger Übermertes schon da: Andreas Bönte hat schon vor dem Mertes-Übertritt zum Springer-Fernsehen Sat1 die Moderation von "Report"-München übernommen und das Jahr 1993 mit einem energischen Plädoyer für den weltweiten Einsatz der Bundeswehr eröffnet. Mit der Parole "Alles Lug und Trug" entzog er der gründlich vergangenen DDR ihr antifaschistisches Grundverständnis("Rechtsextremismus hat es auch in der DDR gegeben") und entdeckte in ihr den Drahtzieher der bundesdeutschen Neonazis - seit den fünfziger Jahren.

"In einer großen antisemitischen Welle wurden 1959 überall in der Bundesrepublik Judenfriedhöfe geschändet", enthüllte "Report" und präsentierte den allerbesten Zeugen, den es dafür gibt: Professor Dr. Michael Wolffsohn, den Mann, den Ignaz Bubis nicht ohne historischen Bezug als "Judenreferenten" der deutschen Medien qualifiziert hatte, saß im Studio. 1947 in Israel geboren, lebte er seit 1954 in Deutschland. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.
Intelligent ist er wirklich nicht, aber sehr anstellig. Durch die Gnade seiner späten Geburt ist Wolffsohn den Mordfabriken der Nazis entkommen und will als Nachgeborener "nicht Coupons vom Märtyrertum der Vorfahren abschneiden" - merke: Juden sind Coupon-Schneider, die von allem und jedem profitieren wollen, und Wolffsohn ist nicht der erste jüdische Antisemit.
Dieser freundliche, gefällige und zu allem zu gebrauchende Mann also saß beim Bayrischen Rundfunk im Studio und war der Zeuge, der gerade benötigt wurde. Denn "Report" verkündete: In einer "großen antisemitischen Welle" hätten Stasi und auch KGB schon 1959 "überall in der Bundesrepublik Judenfriedhöfe geschändet". Beweis? Bitte sehr: "Akten, die der Zeithistoriker und seine Mitarbeiter gefunden haben, belegen: die Bundesregierung wußte darüber Bescheid." Akten? Über den Bildschirm rollt schnell ein Brief, aus dem ein Satz hervorgehoben wurde, von dem es im Brief hieß, "ein Funktionär" habe ihn geäußert - "Report" fälschte sich daraus einen "Stasi-Offizier" zurecht. Wortlaut des kenntlich gemachten Satzes. "Die antisemitischen Zwischenfälle in Westdeutschland verlaufen ganz nach Wunsch. Westdeutschland ist vor der gesamten Weltöffentlichkeit als faschistischer und militaristischer Staat bloßgestellt worden."
Ein Satz, der nichts beweist, denn selbst, wenn er authentisch wäre und auch wenn es diesen Funktionär mit Namen und Anschrift gegeben hätte, könnte er einfach nur bedeuten, daß der sich sarkastisch auszudrücken verstand. Doch der Brief verrät über die Quelle dieses Satzes nur: "Es handelt sich durchweg um sorgfältig ausgesuchtes und überprüftes nachrichtendienstliches Material."
Der Brief trägt die Absenderangabe "Bundesministerium für Verteidigung" und ist an den Legationsrat Dr. Brand im Auswärtigen Amt gerichtet, aber er stammt - wie die Unterschrift verrät, die nur erkennt, wer "Report" auf Video festhielt und sich in Zeitlupe nochmal anschaut - von des BND-Chefs Reinhard Gehlen rechter Hand, von General Gerhard Wessel, einem Mann, der so vertrauenswürdig ist wie sein Chef, Hitlers ehemaliger Ost-Spionageführer.
Was von dem damals sicherlich sorgfältig ausgesuchten nachrichtendienstlichen Material über kommunistische Drahtzieher der antisemitischen Schmierereien von 1959 zu halten ist, das Wolffsohn so beflissen auf den "Report"-Tisch legte, hat der Ex-Verfassungsschutzpräsident Günther Nollau 1978 in seinen Memoiren ("Das Amt") beschrieben. Nollau über die Hakenkreuze und den Spruch "Deutsche fordern: Juden raus", mit denen 1959 die Kölner Synagoge beschmiert worden war: "Unser Amt untersuchte den Fall. Noch ehe wir fertig waren, behauptete Gehlens Organisation, die Hakenkreuze seien von der illegalen KPD geschmiert worden. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben nichts, was geeignet war, diese Information zu bestätigen. Meine Organisation hatte in der KPD Dutzende von Vertrauensleuten: ich ließ alle befragen. Keiner kannte Anweisungen der Partei, Hakenkreuze zu malen."
Nollau ließ Tausende von Flüchtlingen aus der DDR befragen. Einziges Ergebnis: Die Hakenkreuze hatte es auch in der DDR gegeben - wohl kaum auf Anweisung der Stasi. Schließlich wurden zwei junge Kölner überführt, die Schmierereien an der Kölner Synagoge begangen zu haben - die anderen waren Nachahmungstäter, die sich in einem solchen Fall immer schnell finden. Nollau: "Selbst diese eindeutigen Tatsachen veranlaßten Gehlens BND nicht, von seinen Falschmeldungen abzurücken, und ein Teil der damaligen Regierungsmitglieder unterstützte ihn dabei." Das Fazit des damals obersten Verfassungsschützers: "Wer hierzulande Kommunisten als Täter hinstellt, findet offensichtlich allemal Glauben, zumal er dann nicht zu erklären braucht, warum es in unserem Lande, wenn auch vereinzelt, noch nazistische Spinner gibt."
Daß die Fälscherzentrale in Pullach seit der Wende in Bonn wieder besonders aktiv ist, dafür gibt es viele Anzeichen. Dem Journalisten Peter-Ferdinand Koch, der für sein Buch über die "Hitler-Tagebücher" ("Der Fund") beim BND über dessen Beziehungen zum "Stern" recherchierte, jubelte die Zentrale Papiere unter, aus denen hervorging, der "mächtige Fälscher-Apparat der DDR" habe einen aus dem Jahre 1941 stammenden Brief des ehemaligen IG-Farben-Direktors und späteren Flick-Beraters Otto Ambros gefälscht, um einen verdienten Industriellen in die Nähe der SS und des Konzentrationslagers Auschwitz zu bringen. Dieser Brief lag schon 1946 im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozeß vor, als es noch längst keine DDR gab. Natürlich ist er authentisch.
Und der junge, vielversprechende CDU-Abgeordnete Stefan Schwarz, der Nachrichten verbreitet, denen zufolge Serben Kinder lebendigen Leibes schmoren und moslemischen Frauen Hunde-Embryos in die Gebärmutter pflanzen, der somit Mengele und die Nazis in Jugoslawien entdeckte, damit deutsche Militärs nach sechzig Jahren zur Abwechslung mal gegen sie marschieren können, bekannte in einer RTL-Schrei-Sendung ungeniert, daß er seine Weisheit vom BND beziehe - ehe er unter Protest den Raum verließ.
Der Bundeswehrhistoriker Wolffsohn mußte beim öffentlich-rechtlichen Bayernfunk nicht davonlaufen. Dort weiß man sein Talent zu schätzen. Nachdem mit seiner Hilfe sorgfältig dokumentiert war, daß schon die Rechtsextremisten von 1959 in Wirklichkeit Kommunisten waren, fragte "Report": "Stasi und Rechtsextremismus ein abgeschlossenes Kapitel?" Wolffsohn gab brav die richtige Antwort: "Aufgrund der historischen Erfahrungen und Dokumente ist zu fragen und zu prüfen, ob nicht Stasi-Drahtzieher hinter den Kulissen die rechtsextremen Schandtaten von heute mitsteuern."
"Report" hat sich nichts vorzuwerfen - politisch liegt die Sendung richtig. Bei Wolffsohn, der sich immer noch als Historiker versteht, ist allerdings zu fragen, wie es bei solchem Umgang mit "Quellen" mit seiner wissenschaftlichen Seriosität bestellt sein mag - neuerdings wird so etwas in deutschen Landen evaluiert. Doch für eine Bundeswehr-Universität ist das, was Wolffsohn zu bieten hat, allemal ausreichend. Hauptsache, das Ergebnis der wissenschaftlichen Bemühung paßt, und daran läßt er's nicht mangeln.
"Keine Angst vor Deutschland" - so heißt das Hauptwerk des Bundeswehrhistorikers Wolffsohn. Und wie überaus günstig, daß der unentwegt bekennende "deutsch-jüdische Patriot" hierzulande so viele Freunde hat, Freunde mit erster Adresse wie der Königstraße 51 in Breitbrunn. Dort residiert die "Deutschlandstiftung e.V." des Alt-Antisemiten Kurt Ziesel. Helmut Kohl erregte einen Skandal, als er bei seinem Israel-Besuch 1983 diesen Frühnazi und Neochristdemokraten ins Land einschmuggelte. Neun Jahre später, um Frühling 1992 nahm Ziesel Revanche. Er dekorierte - als Aushilfsjuden vom Dienst - Michael Wolffsohn mit dem "Konrad-Adenauer-Preis" der "Deutschlandstiftung e.V." Formuliert war das so: Wolffsohn bekomme den Preis "in dankbarer Würdigung" seines "wissenschaftlichen und menschlichen Wirkens" als "deutsch-jüdischer Patriot", der in der "Versöhnung" zwischen Deutschland und Israel "gegen die Strömungen eines unbelehrbaren Zeitgeistes" seine "Aufgabe" als "Professor der Neueren Geschichte" sehe.
Professor Wolffsohn paßt Ziesel. Denn er gehört - Bundeswehrdozenten sind dort immer willkommen - zur Einsatzgruppe Zitelmann, die als militanter Arm Ernst Noltes in großangelegten Säuberungsmaßnahmen das deutsche Geschichtsbild zu reinigen versucht. Wolffsohn lebt - wie viele Mitglieder der Truppe - mit Zitelmann in einer glücklichen und erfüllten Rezensentenehe. Lobt Zitelmann in der "Süddeutschen Zeitung" Wolffsohn für seine Fähigkeit "allzu verbreitete Stereotypen und Klischees" zu entlarven, preist Wolffsohn in der "Welt" seinen Zitelmann als "kenntnisreichen Hitler-Biograph[en]", weil der doch tatsächlich den "Revolutionäre " Hitler wiederentdeckte. Und so lobt und preist sich, was zusammengehört.
"Keine Angst vor Deutschland" - Wolffsohn sieht seine Hauptaufgabe darin, das Ausland zu beruhigen: Nicht mehr der "Platz an der Sonne" erstreben die Landsleute, nicht mehr den "Lebensraum" im Osten, nein, "die Menschen" im "neuen Deutschland" suchten nur, so kalauert er das Ausland still, "ihr Plätzchen an der Sonne, im Süden", und brauchten dazu am jeweiligen Strand "kaum mehr Platz als eine Ölsardine in der Dose". Und die Vereinigung dieser "Menschen" im "neuen Deutschland" sei ungefährlich: "Die Westler wollen weiter Kiwis, die Östler endlich Bananen essen." Die Deutschen hätten, so schreibt er auf Kanzler-Deutsch, ihre "Lektion gelernt".
"Keine Angst vor Deutschland" - seit er dieses Buch veröffentlichte (im Straube-Verlag, der auch den bayrischen Rep Klaus Zeitler herausbrachte) ist Wolffsohn auf sämtlichen Fernsehkanälen vom Aushilfsjuden zum Juden vom Dienst aufgestiegen. Dieser Mann, der schon lange aus der Jüdischen Gemeinde ausgetreten ist, wird allüberall in Talkshows, Brennpunkten und Ichstellemichs als wahrer Sprecher der deutschen Judenheit präsentiert - pflegeleicht, bequem und für ganz wenig zu allem zu haben.
Keine Angst vor Deutschland - wirklich nicht? "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen", klagte Wolffsohn am 8.November '92 in der ARD. Vor kurzem habe er noch sein Buch "keine Angst vor Deutschland" aktualisiert. Doch was er heute habe sehen müssen - das entmutige ihn doch sehr. Was war passiert? War es die "Deutsche Oktoberrevolution"(Wolffsohn) der "Wir-sind-ein-Volk"-Rufer, die im September 1991 Hoyerswerda erreichte? Waren es die Brandfackeln von Rostock? Nein, das alles ängstigte ihn nicht. Es war die Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit in Berlin. Wolffsohn empörte daran nicht die Heuchelei, mit der die Verfassungsfeinde, die den Asylparagraphen abschaffen, zur Teilnahme an dieser Demonstration aufriefen, ihn verdroß nicht, daß Helmut Kohl mitmarschierte, ihn erregte nur, daß einige der 300 Gegendemomstranten mit Eiern und Steinen warfen. Nicht die Mörder und Mordlustigen von Hoyerswerda, Rostock und anderswo machten ihm Angst, nur die 300 von Berlin. Jetzt verlangt er, daß die "demokratischen Politiker" sich zusammenfinden müssen, "um diesen militanten, terroristischen Randgruppen dahin zu bringen, wohin sie gehören, nämlich hinter Schloß und Riegel".
Die Veranstaltung der 300.000 von Berlin - von Wolffsohn als Dauerkommentator der ARD begleitet und bundesweit denunziert - war für ihn "ein großer Fehlschlag". Berlin - nicht Rostock, nicht Hoyerswerda und wohl auch nicht Mölln - Berlin allein war "ein rabenscharzer Tag für das demokratische Deutschland". Jetzt fordert er plötzlich "schnelle Maßnahmen". Und das "Gewaltmonopol des Staates", das sich in Rostock verdrückt hatte, hier wollte er es "wirksam werden lassen".
Dieser "deutsch-jüdische Patriot", dessen deutschnationale Welt nicht in Rostock, sondern in Berlin zusammenbrach, bekommt seinen Lohn von denen, die von Anfang an aus ehrlichem Haß gegen eine durchrasste Gesellschaft die Großdemonstration von Berlin ablehnten. Peter Gauweiler, der echte Extremist in der CSU, hat Wolffsohn für den einflußreichen Posten des Kulturreferenten der Stadt München vorgeschlagen.
Otto Köhler in: Konkret 2/93

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Most recent revision: April 07, 1998

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