Der Dritte Weltkrieg
Die Widerkehr des Wilheminismus: Die Mittelmächte Kerneuropas
greifen im Bündnis mit dem Osmanen nach den Ölfeldern von Baku, Zar
Boris sucht im Westen nach der Triple Entente. In Sarajewo fallen
Schüsse.
Vielleicht erinnert sich noch jemand an die Sprechblase von der Neuen
Weltordnung, die ausgehend von einer Rede des US-Präsidenten Bush -
während des Golfkriegs ihren Siegeszug durch Leitartikel und
Feuilletons antrat. Yankee-Freunde und Antizionisten, Westler und
Antwestler verstanden darunter dasselbe, wenn auch mit umgekehrten
Vorzeichen: daß nach der Implosion des realen Sozialismus nun der
vereinigte Norden dem armen Süden gegenüberstehe.
Fünf Jahre später ist evident, daß die mit diesem Schlagwort
verbundenen Erwartungen im Guten wie im Schlechten schlecht begründet
waren: Es droht nicht der weltweite Durchmarsch der Marktwirtschaft
und der Krieg Nord gegen Süd; all das haben wir längst. Statt desen
droht das Ende des markwirtschatlichen Siegeszugs und der Krieg jeder
gegen jeden. Die Internationale des Kapitals hat sich zu Tode
gesiegt, und kaum ist der einigende Gegner im Osten gefallen, werden
die konkurrierenden ökonomischen Kräfte als antagonistische
Nationalismen freigesetzt.
Ob das das "höchste Stadium des Kapitalismus" ist, das Lenin im
Zusammenhang mit dem 1.Weltkrieg analysierte? Ist gar der
"Zusammenbruch ded Ware-Geld-Systems zu erwarten, wie Robert Kurz,
Kollaps-Theoretiker in der Tradition von Rosa Luxemburg, hofft? Es
ist wohl eher so, daß am Ende der "langen Welle" des Fordismus die
Voraussetzungen für einen Wiederaufschwung der kapitalistischen
Akkumulation so geschaffen werden müssen wie immer: durch eine
gewaltförmige Neustrukturierung der Klassen im Innern und der
Nationalökonomien global. Ähnlich wie Rudolf Hilferding vor 1914 ist
es auch diesmal ein Sozialdemokrat, der die zu erwartende Entwicklung
des Imperialismus skizziert. Wolfgang Michal demonstriert in seinem
Buch _Deutschland und der nächste Krieg_ (Rowohlt Berlin) zwar seine
Unkenntnis in ökonomischer Zusammenhänge, hat aber das unbestreibare
Verdienst, als erster Autor herausgearbeitet zu haben, wie sich von
Deutschland aus der Knoten zum Dritten Weltkrieg schürzt: "Die
Geschichte des Deutschen Reiches wiederholt sich. Es läuft wieder
genauso ab wie nach der Reichsgründung 1871. DAs wiedervereinigte
Deutschland wir das europäische Gleichgewicht zerstören. Bei Bismarck
folgte auf die Reichseinigung 1871 eine kurze Phase stabilisierender
Europapolitik, dann eine länger des europäischen Zerfalls, parallel
eine kurze Periode der Weltpolitik und schließlich ein langer Anlauf
zum Krieg. Bei Hitler ging alles im Zeitraffer. Wie viele Jahre
brauchen wir?"
Michal analogisiert 1995 in etwa mit 1876: Fünf Jahre seit der
Herstellung eiens großen, einheitlichen Deutschland sind vergangen,
an der Spitze des Staates steht mit Bismarck bzw. Kohl ein Politiker,
der mit einer komplizierten Bündnis- und Rückversicherungsstrategie
die europäische Balance austarieren will. Die Strategie scheitert am
Balkan, wo sich die Ambitionen der Großmächte kreuzen. Der Lotse
Bismarck geht von Bord, Wilhelm Zwo und Tirpitz träumen vom Platz an
der Sonne, der Krieg wird unvermeidlich.
Zwischen 1876 und 1914 lagen 38 Jahre. Einiges spricht dafür, daß es
diesmal etwas schneller gehen könnte. Betrachtet man die beiden
Hauptachsen deutscher Großmachtpolitik - die Schaffung Kerneuropas
und die Konfrontation mit England bzw. den USA, die Spaltung
Osteuropas und die Konfrontation mit Rußland -, so hat sich in den
letzten Wochen, kurze Zeit also nach Abfassung von Michals Buch, das
Tempo verschärft. Die Rede vom Militärminister Volker Rühe vor der
Bundessicherheitsakademie am 20. April war eine gezielte Provokation
gegen das transatlantische Bündnis, eine Kampfansage an die USA.
Europa und Amerika seien "auf dem Markt Konkurrenten", und Europa
müsse konkurrenzfähig werden. Dies gelte insbesondere im Bereich der
Rüstungsgüter: DIe Forderung "Kaufe amerikanisch!" müsse die
Aufforderung "Kaufe Europäisch" entgegengesetzt werden.
Erstmal forderte Rühe das Ende der Nato: "Auf längere Sicht" müsse
der Natio-Vertrag gekündigt und "durch eine neue vertragliche Bindung
zwischen EU und Nordamerika" ersetzt werden. Weltweit müsse das
Verhältnis Europa zu Amerika "von Gleichrangigkeit" bestimmt sein,
die EU als "globaler Akteur" auftreten, "strategisch neben Amerika
handlungsfähig gemacht werden". Daß es sich bei diesem EU-Europa
lediglich um ein Pseudonym für Deutschland handelt, macht der
künftige Kanzler Schäuble in regelmäßigen Abständen deutlich.
Pünktlich zum 8.Mai hat er im "Focus" gefordert, die EU solle in
außenpolitischen Fragen das Einstimmigkeitsprinzip aufgeben und ein
einheitliches Oberkommando ("exekutive Instanz") für Außen- und
Militärpolitik schaffen.
Bereits im letzten Herbst hatte Schäuble skizziert, wie ein
deutsch-französisches Kerneuropa die Herrschaft über die Rest-EU
übernehmen könnte. Die verbitterte Reaktion der von ihm
ausgegrenzten Staaten wie Italien und Großbritanien kontert Schäuble
mit einer Drohung: "Ohne eine solche Weiterentwicklung der
(west-)europäischen Integration könnte Deutschland aufgefordert
werden oder aus eigenen Sicherheitszwängen versucht sein, die
Stabilisierung des östlichen Europa alleine und in der traditionellen
Weise zu bewerkstelligen."
Die Hoffnung Mitterands, den Koloß Deutschland durch das Spinnennetz
der Maastrichter Institutionen zu fesseln und ihm schließlich seine
bislang wirkungsvollste Waffe, die Deutschmark, im Austausch gegen
den ECU rauben zu können, hat sich böse blamiert. Die Geldpolitik der
Bundesbank hat Pfund und Peseta in den Keller getrieben und die Lira
massakriert, selbst der Franc steht ständig unter Druck. Vom ECU
spricht keiner mehr, es sei dennn als Umschreibung für die Ausweitung
der DM-Zone, die die fiskalische Kapitulation Resteuropas vor dem
deutschen Kern.
Nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch macht sich Deutschland
von den alten Bindungen frei. Am 1. Januar wurde ein "Führungszentrum
der Bundeswehr" gebildet, am 1. April nahm es seine Arbeit auf. Die
alte Bundesrepublik hatte ein solches Oberkommando nicht: Die
deutschen Soldaten waren nach dem Torteneckenprinzip in die
multinationale Frontlinie an der Grenze zum Warschauer Pakt
eingegliedert, die Befehlstrukturen liefen über die Nato-Stäbe. Für
die Westalliierten war es beruhigend, daß Deutschland erstmals in
diesem Jahrhundert keine eigenständige Militärführung hatte.
Tempi passsati: Deutschland muß jetzt - so eine vertrauliche
Planungsanweisung von Generalinspekteur Naumann - "mit dieser
Führungseinrichtung im Rahmen multinationaler Einsätze die Aufgaben
der lead nation übernehmen können". Sicherheitshalber werden die
multinationalen Schlüsselpositionen von Deutschen besetzt, damit für
die "lead nation" nichts schiefgeht: Mit Theodor Paschke und Manfred
Eisele stellt die BRD seit Herbst 1994 den UN-Gereralinspekteur und
den weltweiten Koordination für UN-Blauhelmeinsätze, ab 1. Januar
1996 übernimmt Naumann den Vorsitz des Nato-Militärausschusses.
Die notwendigen Aufklärungsdaten für den deutschen Generalstab soll
ein Satelitenetz liefern, das die Hardthöhe von den Daten der
US-Welraumspäher unabhängig macht. Am 21.April startete der
EU-Satellit ERS II, angeblich zur Erforschung des Ozonlochs, de facto
aber als Prototyp für den deutsch-französischen Helios II, der ab
2001 die Zielplanung für die Force de frappe leisten soll. Zug um Zug
werden auch alle anderen Schwachstellen ausgebessert, die den Einsatz
der WEU-EIngreiftruppe (50.000 Mann, ab Oktober 1995) oder der
deutschen Ledernackenverbände, (Krisenreaktionskräfte mit 50.000 Mann
Bereitstellung ab 1. Janurar 1996) behindern könnten: Die Anschaffung
von Transportflugzeugen, die den Rückgriff auf die amerikanische
Galaxi oder gar die russische Antonov überflüssig machen, und der Bau
von Großlandungsschiffen stehen deshalb auf Rühes Wusnchliste ganz
oben.
Wie es um die Nation steht zeigt ein Blick auf die traditionellen
Herbstmanöver: Als multinationale Übungen gab es sie 1994 fast
nirgendwo mehr. Zu den Hintergründen zitierte die "Neue Zürcher
Zeitung" im Novemer einen spanisch General: Es sei "derzeit kaum mehr
damit zu rechnen, daß die Nato als geschlossene Block militärisch
aktiv werde. Viel eher ist demanch zu erwarten, daß sich je nach Ort
einer Krise spezifische Zusammenschlüsse ergeben."
Überall gehen die Deutschen besondere Wege: Sie veranstalten Manöver
mit Frankreich in Vorbereitung der künfigen EU-Armee, aber auch ein
Manöver mit osteuropäischen Staaten. Diese Übungen wurden als
"Anhängsel an das Nato-Programm Partnerschaft für den
Frieden (PFP) bezeichnet, obwohl das eigentlich gar nicht stimmt"
erklärte ein Bundeswehr-Pressesprecher, da sie im Unterschied zu
Nato-Manövern nur bi- oder trilateral vereinbart worden seien. Die
"Neue Zürcher Zeitung" machte die eklatanten Unterschiede deutlich
zwischen den von der gesamten Nato getragenen PFP-Übungen und den vor
allem von Deutschland geführten Manövern. So übt die Nato mit ihren
osteuropäischen Aspiranten Aufgaben für typische Blauhelmmissionen wie
Verkehrskontrolle, Konvoischutz, Flüchtlingstransport - also
keinerlei Kampfeinsätze. Demgegenüber wurden beim
deutsch-polnisch-dänischen Manöver "Tatra 94" offensive Operationen
trainiert, "bei denen unschwer zu erkennen war, gegen wen
Landesverteidigung mit Blickrichtung Osten betriebn wurde"("NZZ").
Muß man sich wundern, daß Moskau da die Nato-Osterweiterung für eine
existentielle Bedrohung sieht? BIs 1990 verlief die Frontlinie für
die Sowjetunion 2.000 km westlich der Staatsgrenze, ein Krieg hätte
irgendwo bei Fulda Gap begonnen. Würden sich die deutschen
Vorstellungen durchsetzen, stünden Nato-Panzer eine Stunde vor
Petersburg, und die Enklave Kaliningrad wäre von dne Nato-Truppen
Polens, Litauens und Deutschlands eingekesselt. Moskau reagierte
daher leicht panisch, als im Dezember 1994 auch die USA auf die
deutsche Vorstellung zur Osterweiterung umschwenkten: Außenminister
Kosyrew ließ die feierliche Unterzeichnung der "Partnerschaft für den
Frieden" platzen. Dabei haben die USA nur versucht das Schlimmste zu
verhindern und den Deutschen die Initiative bei der Osterweiterung
aus der Hand zu nehmen.
Doch das Dilemma der USA ist, daß sie den Osteuropäern nur in einem
Punkt mehr bieten können als die Deutschen: Atomwaffen. Würden aber
in den neuen Nato-Staaten auch diese noch stationiert, wäre das für
die Russen ebenso fatal, wie wenn die Nato ohne Atomwaffen, dafür
aber unter deutscher Führung an ihrer Grenze aufmarschierte.
Angesichts dieser Wahl zwischen Pest und Cholera hat der russische
General davor gewarnt, eine Nato-Expansion bedeute den Dritten
Weltkrieg, was Clinton wiederum so erschreckte, daß er Jelzin im Mai
gleich die Nato-Mitgliedschaft anbot, natürlich nur als "theoretische
Option". Doch Generalinspekteur Naumann hat den US-Präsidenten sofort
dementiert: mit uns nicht.
Einstweilen werden Stellvertreterkriege geführt: Nicht nur auf dem
Balkan, wo die Triple Entente aus Frankreich, England und Rußland das
Kräftegleichgewicht im jugoslawischen Nachfolgekrieg bewahren will,
während die Mittelmächte Deutschland-Östereich und die Türkei ihre
Kettenhunde Izetbegovic und Tudjman mit Geld bzw. Waffen füttern.
Auch am Kaukasus wird gekämpft, es geht um die Ölvorkommen am
Kaspischen Meer, die zweitgrößten der Welt. Soll die Pipelineführung
über Tschetschenien laufen oder über kurdisches Gebiet? Der Zar und
die Hohe Pforte konkurrieren darum, wer die Aufstände rund um die
Öltrasse am schnellsten erstickt. Deutschland stützt den kranken Mann
am Bosporus und liefert Waffen zur Vernichtung der PKK, andererseits
wird der sogenannte Außenminister der tschetschenischen
Sezessionisten im April in Bonn zum Staatsbesuch empfangen, Ideen
verbinden sich mit Interessen, der Knoten ist geschürzt.
Jürgen Elsässer in Konkret 6/95
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Most recent revision: April 07, 1998
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Martin Blumentritt