Der Aphorismus, dessen Elongatur die folgenden Darlegungen sein werden, dürfte einer der bekanntesten Adornos sein:
»Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.«1
Liebe ist eine gesellschaftliche Kategorie, Natur, der Trieb ist darin enthalten, in der Weise, daß das gesellschaftliche und das natürliche Moment sich nicht als sekundär oder primär voneinander abspalten lassen.
Die erste Liebe eines Menschen ist bekanntlich die Mutter. Wenn wir damit heute - und in den meisten Epochen der Weltgeschichte - die Vorstellung verbinden, daß es dabei um eine Frau sich handelt, so kann das Trugbild entstehen, daß prinzipiell nur Frauen »muttern« könnten. Daß dies dem heterosexistischen Männlichkeitsbild widerspricht, bezeugen noch die frustriert-grimmigen Gesichter des Stereotyps von kinderwagenschiebendem Sozialarbeiter, deren »Neue Männlichkeit« weniger auf Erfahrung und Bewältigung von inneren Konflikten beruht als auf der Kritik der Frauenbewegung, die zur Krise geworden ist. Nichts desto trotz besteht - auch in den Wissenschaften - das Vorurteil fort einer natürlichen Verbindung zwischen der Fähigkeit von Frauen zu gebären und zu stillen und ihrer Zuständigkeit für die Pflege und Aufzucht der Kinder. Daher hielten nicht bloß anti-feministische Männer, sondern auch Feministinnen, diesen Zusammenhang für unvermeidlich und verzichteten auf wissenschaftliche Analyse. Wirft man ein Blick auf die Produktion und Reproduktion der Mütterlichkeit, so stellt man fest, daß diese ein zentrales und bestimmendes Moment der sozialen Organisation und Reproduktion der Geschlechter ist. Daher folge ich der Einsicht Nancy Chodrows, nach der
»Mütterlichkeit durch soziale, strukturelle Merkmale der Gesellschaft ausgelöst und durch psychologische Prozesse reproduziert wird. Sie hat weder biologische Ursachen, noch ist sie Produkt eines bewußten Rollentrainings.«2
»Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie - in der Frauen muttern und mehr als Männer mit den zwischenmenschlichen Beziehungen und den Gefühlen beschäftigt sind - bewirkt in Töchtern und Söhnen eine Aufspaltung psychologischer Fähigkeiten, weshalb sie dann diese geschlechtsspezifische familiäre Arbeitsteilung weitertragen.«3
Auch für den Geschlechtscharakter gilt, daß er eine gesellschaftliche Kategorie ist, daß Natur, der Trieb darin enthalten ist, in der Weise, daß das gesellschaftliche und das natürliche Moment nicht als sekundär oder primär voneinander sich abspalten lassen. Da das Englische sprachlich besser in der Lage ist, biologisches und soziales Geschlecht: sex und gender zu unterscheiden, spreche ich vom Geschlechtscharakter als einem Sex-Gender-System4. Auch wenn ich einer Trennung von sex und gender nicht beipflichten kann, so halte ich die analytische Unterscheidung um der Differenzierung willen fest.
Damit wären wir beim Tagungsthema: dem Verhältnis von Anthropologie und Natur, das ich am Beispiel der Aphorismen Adornos, die sich um Liebe, Männlichkeit und Weiblichkeit, Mann und Frau drehen, zum Gegenstand machen werde.
Der Aphorismus ist der Einsicht Heinz Krügers zufolge eine äußerst strenge und autonome Form des Denkens, das gegen seine Entstellung im System von Glaubens- und Wissensordnungen protestiert. Der Aphorismus lebt von der Diskrepanz, die sich dadurch herausstellt, daß Sein und Denken niemals vollständig deckungsgleich werden können, ein Denken in Brüchen, das von je nonkonformistisch war und darum bei den Wissenschaften und der offiziellen Philosophie in Verruf geriet.
»Denken, das abbricht, möchte mit den Mitteln der Sprache von der Unwahrheit heilen, die unabdingbar der Sprache selbst innewohnt. (...) Weil der Aphorismus, um sich darzustellen und mitzuteilen, notwendig auf die Sprache und ihre Logik verwiesen ist, zugleich aber die logischen Kategorien und Prinzipien, die in der Grammatik sich niedergeschlagen haben, nicht als absolut respektiert... Der Aphorismus verwendet Sprache und Wissensprinzipien nicht so, wie sie sich von sich aus meinen: er macht sie uneigentlich und sich selber fremd. Er ist das entfaltete Nichtwissen, das die äußerste Reflexion des Wissens voraussetzt.«5
Die Unwahrheit, die der Sprache innewohnt, von der Adorno spricht, manifestiert sich insbesondere in den Begriffen, mit denen wir Geschlechtscharaktere verdinglichen oder gar biologisieren. Daher ist die Elongatur der Abbreviaturen Adornos eine nur schwierig zu leistende Anstrengung des Begriffs, die nur dadurch möglich ist, daß ich die avancierteste Forschung der Psychoanalyse, Frauen- und Männerforschung aus einer von Adorno geleiteten kritischen Perspektive mit einbeziehe. Ein Stück weit heißt es also, seine Gedanken in die Richtung weiterzutreiben, die seinen Intentionen gerecht wird, eine Verfahrensweise, der auch er sich bediente.
»Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.«6
Die Zuordnung der Seite der Stärke zum Männlichen, die des Schwachen zum Weiblichen dürfte dem gesellschaftlichen Vorurteil entsprechen, allerdings läßt sich leicht erkennen, daß dies in der Liebe gerade durchbrochen wird. Die Polarisierung von Geschlechtscharakteren, die im 18. Jahrhundert sich herausbildete und im 19. Jahrhundert eine den biologischen korrespondierend gedachten psychologischen Geschlechtscharakteren bezeichnete, spiegelt durchaus die Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. Dieser Auflösung der Produktionsfamilie des Großen Hauses zugunsten der bürgerlichen Kleinfamilie und einer separaten ökonomischen Sphäre geht einher die Entstehung von Intimität und der Emotionalität als Bindemittel der Zweierbeziehung und der Spaltung von privaten oder intimen und dem öffentlichen Leben7. Dieser Sachverhalt ist als eine Tendenz zu sehen, die im 19. Jahrhundert sich entfaltet und Mitte des 20. in die Krise gerät. Sie wäre ebenso klassen- und schichtenspezifisch zu differenzieren wie historisch zu konkretisieren, was an dieser Stelle unterbleiben muß.
Als normatives Leitbild bestimmt allerdings diese Polarität die gesellschaftliche Dynamik, auch wenn die Frauen im Erwerbsleben - insbesondere in der Arbeiterklasse - noch präsent waren und die Frau in der gehobene Familie durchaus repräsentative Öffentlichkeitsfunktionen ausübte.
Karin Hausens Auswertung diverser Lexika dieser Periode ergab eine Polarität von Zuordnungen von männlichen und weiblichen Attributen, nach der der Mann bestimmt sei für das Außen, der Weite, das öffentliche Leben, er den aktiven Part zu übernehmen hätte, energisch, willensstark, tapfer, kühn und durchsetzungsfähig zu sein hat, selbständig, strebend, erwerbend, gebend, gewalttätig, rational. Die Frau dagegen wird dem Innen zugeordnet, die Nähe, das häusliche Leben, der passive Part, sie sei abhängig, emsig, bewahrend und empfangend, angepaßt, empfindsam, anmutig und schön.
»Physis und Psyche der Frau werden primär nach dem Fortpflanzungs- bzw. Gattungszweck und der dazu sozial für optimal erachteten monogamen Ehe bestimmt, die des Mannes hingegen nach dem Kulturzweck.«8
Die Polarisierung selber ist weniger aufschlußreich als die Besonderheit, daß der Geschlechtscharakter als »eine Kombination von Biologie und Bestimmung der Natur abgeleitet und zugleich als Wesensmerkmal in das Innere des Menschen verlegt«9 wird. Die Argumentationmuster sind als biologistisch und im Sinne eines biologischen Determinismus zu begreifen und mit Adorno und Horkheimer zu dekonstruieren. Die »Dialektik der Aufklärung« begreift die Geschlechtscharaktere als Sozialcharaktere:
»Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt. Die Anstrengung, das Ich zusammenzuhalten, haftet dem Ich auf allen Stufen an, und stets war die Lockung, es zu verlieren, mit der blinden Entschlossenheit zu seiner Erhaltung gepaart.« 10
Stellten wir uns auf den Standpunkt einer biologistischen Interpretation der Geschlechtspolarität, so könnte das bioevolutionäre Argument vorgebracht werden, daß diese bereits in der prähistorischen Arbeitsteilung bei den Jägern und Sammlern vorliegt und die Kontinuität genetisch begründet sei. Das Argument, daß die Männer besser für die Jagd geeignet sind, weil sie beweglicher, stärker, schneller und aggressiver seien, während die Frauen bei der Aufgabe des Sammelns den Anforderungen von Schwangerschaft und Kinderaufzucht besser genügen können, ist nicht gänzlich falsch, aber hat mit einer biologischen Notwendigkeit nichts zu tun. Es wäre zwar für die Gemeinschaft unter bestimmten Umständen gefährlich oder ineffizient, wenn die Frauen sich während der Schwangerschaft und Stillperiode zu weit von den Kindern entfernten. Daß die Männer ein die Aufgaben der Frau bei dem Stand der Produktivkräfte nicht ohne weiteres übernehmen könnten, hat keine natürlichen, sondern gesellschaftliche Gründe. Es kam auch vor, daß Frauen nicht bloß in der Nähe sammelten, sondern - mit ihren Kinder auf dem Rücken - auch über weite Strecken bewegten, um für die Subsistenz der Gruppe zu sorgen. Das funktionalistische Argument ist deswegen dem biologistischen vorzuziehen. Es ist mehr der Bequemlichkeit und der jeweiligen kulturellen Ideologie geschuldet, daß diese Arbeitsteilung sich etablierte, nicht einer absoluten Notwendigkeit für die Subsistenz. Dennoch haben sich regional verschieden vergleichbare Sozialisationsmuster entwickelt, in denen eine bestimmte Arbeitsteilung der Geschlechter sich entwickelte. Diese hat aber keineswegs mit biologischen Geschlechtsmerkmale oder chromosomenalen11 Unterschieden sich zu begründen versucht. Vor dem Zeitalter der Aufklärung galt das Geschlecht und der Körper als Epiphänomen und der Unterschied von Mann und Frau bezeichnete wesentlich einen Rangunterschied, nach dem die Frau an der Elle männlicher Vollkommenheit gemessen wurde12. Noch Diderot konnte schreiben,
»daß die Frau alle Körperteile des Mannes hat und daß der einzige Unterschied darin besteht, daß ein Beutel das eine Mal nach außen heraushängt und das andere Mal nach innen gestülpt ist.«13
Erst Ende des 18. Jahrhunderts wird aus einem Gradunterschied ein Wesensunterschied, der mit neuen Entdeckungen in der Biologie begründet wurde. Nun erscheint der Körper als das Reale, die kulturellen Bedeutungen als das sekundäre. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen war allerdings weiterhin der Mann die Bezugsgröße, an der die Frau gemessen wurde. Die Männer wurden allerdings so behandelt als ob sie gar kein Geschlecht hätten, als seien sie nur Personen des öffentlichen Lebens und des Erwerbslebens. Georg Simmel betonte daher:
»Daß man an eine, nicht nach Mann und Weib fragende, rein ´menschliche´ Kultur glaubt, entstammt demselben Grunde, aus dem eben sie nicht besteht: der sozusagen naiven Identifikation von ´Mensch´ und ´Mann´.«14
Noch heute sind in einigen Sprachen die Bezeichnungen für Mensch und Mann identisch, obgleich für die meisten der Mann nur ein Aspekt des Menschlichen ist und die Männlichkeit als relationaler Begriff fungiert. Männlichkeit und Weiblichkeit gelten als relationale Konstruktionen, die universelle Merkmale haben können, aber wobei das Eine nicht ohne Bezug auf das Andere zu denken ist. Die Vormachtstellung des Mannes wurde selten anders als durch Frauen in Frage gestellt und in der Regel reagierten die Männer spöttisch bis feindselig und voller Furcht vor der Ähnlichkeit der Geschlechter bis hin zu Krise der Männlichkeit im 20. Jahrhundert. Die Männlichkeit erschien in der Regel den Männer wichtiger als die Weiblichkeit den Frauen.
Hierbei zeigt sich, daß mit der Entstehung der Geschlechterpolarität Männlichkeit vor allen durch abstrakte Negation sich definiert: Mann wird man dadurch, daß man kein Säugling, keine Frau, kein passiver Homosexueller ist. Mit anderen Worten: Mann-Sein heißt stark, unabhängig, polygam, misogyn und homophob sein.
Wir erkennen hier bereits schon, was es für eine unermeßliche Schwierigkeit ist, Mann zu werden. Denn als Mann wird man nicht geboren, sondern gemacht. Und die Angst um die eigene Männlichkeit drückt nur aus, daß es nicht ausreicht, XY-Chromosomen und entsprechende Genitalien zu haben. Die Phänomene der Transsexualität sind nur ein Extrem, an dem sich zeigt, daß zum Werden des Mannes psychologische, soziale und kulturelle Faktoren hinzutreten müssen. Rousseau bringt das zum Ausdruck, was später Simone de Beauvoir auch für die Frau reklamierte:
»Der Mann ist nur in gewissen Augenblicken Mann, die Frau ist ihr ganzes Leben lang Frau, oder wenigstens während ihrer ganzen Jugend.«15
Dies entspricht durchaus dem männliche Geschlechts-Stereotyp. Schon früh wird den Knaben eingebläut: »Sei ein Mann«, »Ein Indianer kennt keinen Schmerz«, »Jungen weinen nicht«. »Sei eine Frau« wird zumindestens nicht als Ruf zur Ordnung gebraucht, sich als Frau zu beweisen. Die erste Menstruation kommt von selbst und bedarf keiner unermüdlichen Anstrengung sich zu beweisen. Wie brüchig allerdings die Männlichkeit ist, konnte Adorno anhand der tough guys zeigen:
»Tough Baby. - Einem bestimmten Gestus der Männlichkeit, sei´s der eigenen, sei´s der anderer, gebührt Mißtrauen. Er drückt Unabhängigkeit, Sicherheit der Befehlsgewalt, die stillschweigende Verschworenheit der Männer miteinander aus. Früher nannte man das ängstlich bewundernd Herrenlaunen, heute ist es demokratisiert und wird von den Filmhelden noch dem letzten Bankangestellten vorgemacht. Archetypisch dafür ist der gut Aussehende, der im Smoking, spät abends allein in seine Junggesellenwohnung kommt, die indirekte Beleuchtung andreht und sich einen Whisky-Soda mischt: das sorgfältige aufgenommene Zischen des Mineralwassers sagt, was der arrogante Mund verschweigt; daß er verachtet, was nicht nach Rauch, Leder und Rasiercrème riecht, zumal die Frauen, und daß diese eben darum ihm zufliegen. Das Ideal menschlicher Beziehungen ist ihm der Klub, die Stätte eines auf rücksichtsvoller Rücksichtslosigkeit gegründeten Respekts. Die Freuden solcher Männer, oder vielmehr ihrer Modelle, denen kaum je ein Lebendiger gleicht, denn die Menschen sind immer noch besser als ihre Kultur, haben allesamt etwas von latenter Gewalttat. Dem Anschein nach droht sie den anderen, deren so einer, in seinem Sessel hingeräkelt, längst nicht mehr bedarf. In Wahrheit ist es vergangene Gewalt gegen sich selber. Wenn alle Lust frühere Unlust in sich aufhebt, dann ist hier die Unlust, als Stolz sie zu ertragen, unvermittelt, stereotyp zur Lust erhoben: anders als beim Wein, läßt jedem Glas Whisky, jedem Zug an der Zigarre der Widerwille noch sich nachfühlen, den es den Organismus gekostet hat, auf so kräftige Reize anzusprechen, und das allein wird als die Lust registriert. Die He-Männer wären also ihrer eigenen Verfassung nach, als was sie die Filmhandlung meist präsentiert, Masochisten. Die Lüge steckt in ihrem Sadismus, und als Lügner erst werden sie wahrhaft zu Sadisten, Agenten der Repression. Jene Lüge aber ist keine andere, als daß verdrängte Homosexualität als einzig approbierte Gestalt des Heterosexuellen auftritt. In Oxford unterscheidet man zweierlei Arten von Studenten, die tough guys und die Intellektuellen; die letzteren seien durch den Gegensatz fast ohne weiteres mit dem Effeminierten gleichzusetzen. Vieles spricht dafür, daß sich die herrschende Schicht auf dem Wege zur Diktatur nach diesen beiden Extremen hin polarisiert. Solche Desintegration ist das Geheimnis, des Glückes der Einigkeit in der Absenz von Glück. Am Ende sind die tough guys die eigentlich Effeminierten, die der Weichlinge als ihrer Opfer bedürfen, um nicht zuzugestehen, daß sie ihnen gleichen. Totalität und Homosexualität gehören zusammen. Während das Subjekt zugrunde geht, negiert es alles, was nicht seiner eigenen Art ist. Die Gegensätze des starken Mannes und des folgsamen Jünglings verfließen in einer Ordnung, die das männliche Prinzip der Herrschaft rein durchsetzt. Indem es alle ohne Ausnahme, auch die vermeintlichen Subjekte, zu seinen Objekten macht, schlägt es in die totale Passivität, virtuell ins Weibliche um."«16
In den 50er Jahren galt Ernest Hemingway als der Mann, der in Leben und Werk die wahrhafte Männlichkeit, den tough guy verkörperte, eine ganze Generation ahmte seinen stoizistischen Gestus nach, seine Bücher wie sein Leben sind voller Boxkämpfe, Jagden, Saufgelage bis die Vernunft Feierabend macht und einer ewigen Lauer nach männlichen Aktivitäten. Nachdem Kenneth Lynns Biographie17 erschien, können wir beurteilen, daß hinter der Suche nach einer von jeglicher Weiblichkeit befreiten Männlichkeit die unbewußte Identifikation und archaische Sehnsucht nach weiblicher Passivität steckt. Im posthumen Werk »Der Garten Eden« finden wir dann auch die ungeschminkte Sehnsucht nach sexueller Passivität und seine transsexuellen Phantasien, die er damit beendete, daß er seine wütende Suche nach Männlichkeit noch einmal aufnahm und im Selbstmord sich als rein männliches Objekt bewies. Die zwanghafte Männlichkeit können wir getrost als Schlüssel für Männlichkeit überhaupt ansehen, wie sie in der frühkindlichen, prä-ödipalen Sozialisation gebildet wird.
»Die Sexualität« - so Freud - »gehört zu den gefährlichsten Betätigungen des Individuums.«18
Damit ist nicht gemeint, daß man sich bei der physiologischen Verrichtung des Geschlechtsverkehrs Geschlechtskrankheiten oder HIV holen kann, sondern daß die Sexualität Erfahrungsbereiche tangiert, in denen die Menschen besonders verwundbar und verletzbar sind. Liebe, Sexualität konfrontiert jeden Menschen mit biographisch alten Triebängsten, mit Gefahren und Enttäuschungen, die mit den Bedürfnissen nach Wärme, Zuwendung, Zärtlichkeit, Angenommenwerden, aber auch Nahrungsaufnahme (man denkt an Eßsüchte) zusammenhängen, konfrontiert. Jede neue Liebesbeziehung revitalisiert alte Beziehungsängste der frühen Mutter-Kind-Dyade, d.h. mit der Furcht vor Trennung oder Verlassenwerden oder umgekehrt Vereinnahmtwerden, Abhängigkeit oder Autonomieverlust. Jeder Mann wie jeder Frau muß mit der Gefährlichkeit und Unerträglichkeit dieser Ängste umgehen - oder wie die Psychoanalyse es nennt - abwehren. Solche Störungen, wie sie u.a. im tough guy sich manifestieren, ist nur eine besonders auffällige Form von Abwehr. Jede Liebe konfrontiert uns mit Fragen, wieviel Nähe wir ertragen können, ohne auf den anderen zu angewiesen und verletzbar zu werden, wieviel Distanz wir ertragen, ohne uns verlassen und einsam, gar von Trennung bedroht zu fühlen, wieviel Schwäche man zulassen kann, ohne die Befürchtung, ausgeliefert und schutzlos zu sein. Das gegenteilige Extrem wäre die Frage wieviel Stärke, Überlegenheit darf man zeigen, ohne den Partner nicht mehr zu achten und anzuerkennen. Die Dialektik von Nähe und Distanz, Stärke und Schwäche, Abhängigkeit und Autonomie entspringt den frühkindlichen Phasen, deren Beziehungsmodalitäten stets revitalisiert werden, wenn erwähnte Konflikte und Fragen sich aufwerfen.
Hierbei zeigen sich geschlechtsspezifische Eigenheiten und Probleme. Nun hat an sich der Mann die gleichen affektiven Bedürfnisse gegenüber der Mutter und der tough guy ist das wütende Extrem eines Mannes, der das Opfer auf sich nimmt, ein Teil seines Menschseins, nämlich seine Weiblichkeit aufzugeben. Dies bedingt auch den Sachverhalt, daß sexuelle Perversionen bei Männer manifester auftreten als bei Frauen. Die feministische Bewegung hat die Verdinglichungen und Projektionen, die »imaginierte Weiblichkeit«(Silvia Bovenschen) einer umfassenden Kritik unterzogen. Obgleich die Geschichte der Psychoanalyse in weiten Zügen die der kritischen Fortschreibung des Ödipuskomplexes ist, hat sie der Frau kaum wie eine andere Theorie dem Weiblichen Rechnung getragen. Die temporäre Neigung feministischer Theorie zur Remythologisierung und Verdinglichung des Weiblichen ist auch zu Protest gegangen, das Patriarchat gilt weithin als ein soziales System, in dem auch die Frauen über die männliche Existenz verfügen und das nicht bloß als verborgene geschichtliche Kraft. Daß der Geschlechtsdimorphismus, die Geschlechterpolarität, historisch erst sehr spät propagiert wurde, ist noch kein Argument dafür, daß er konstruktivistisch zu einer bloßen historischen Setzung erklärt werden kann. Daß insbesondere in der amerikanischen Diskussion19 - als Gegenbewegung gegen das polare Extrem des Biologismus - das biologische Faktum abstrakt negiert wurde, zeigte sich zu dem Zeitpunkt als Aporie, als die Frauen wieder auf das Weibliche pochten. Solche Argumentation folgte der selben Konsequenzlogik, mit der jahrtausendelang die natürliche Überlegenheit des Mannes begründet wurde.
Der antinomische Verlauf einer sich polarisierenden Debatte indiziert, daß beide Pole rechtens dem jeweils anderen Pol einen Mangel aufweisen können. Die Lösung der Aporie kann nur in der Erkenntnis liegen, daß die Geschlechterbeziehung an Naturbedingungen gebunden ist und bleibt, durch diese aber nicht verursacht wird. Es gehört ebenso zur Naturnotwendigkeit, daß der Geschlechtsdimorphismus gesellschaftlich vermittelt sich manifestiert, aber daß das konkrete Wie aus ebenso gesellschaftlichen Gründen in seiner Vollständigkeit der Erkenntnis verschlossen bleibt. Wir können nicht wissen, was die weibliche und was die männliche Natur des Menschen ist, weil wir bislang sie nicht anders wahrnehmen und interpretieren als unter den Bedingungen des hegemonialen Diskurses der Geschlechterdifferenz, der Feminismus sei dank in die Krise geraten ist.
Reimut Reiche hat die gesellschaftliche Zweigeschlechtlichkeit im Begriff der Geschlechterspannung fixiert, wobei darunter nicht bloß eine zwischen den Geschlechtern, sondern auch eine im einzelnen Individuum vorfindliche verstanden wird. Anhand der drei Gesetze der Sexualität des Biologen Max Hartmanns, auf den schon Freud rekurrierte, hebt Reiche die allgemeine bipolare Zweigeschlechtlichkeit und die Dynamik der ihre gegenläufigen bisexuellen Potenz, im dritten Gesetz der relativen Stärke der männlichen und weiblichen Determinierung auf. Die Biologie selber liefert demnach Ergebnisse, die einem Biologismus der Geschlechterpolarität widersprechen.
Die Alternative, ob biologisch vorgegebener sex durch Sozialisation und Enkulturation zu gender wird oder wie Judith Butler betont, sex immer schon gender ist, wird hiermit hintergangen. Gudrun-Axeli Knapp variierte in Hinsicht dieser Diskussion eine Argumentationsfigur Adornos:
»Von ´Sex´ kann ´Gender´ potentiell, wenngleich nicht aktuell, weggedacht werden, nicht ebenso ´Sex´ von ´Gender´. Es bleibt ein irreduzibler ´Rest´ mit einer eigenen Materialität, die, auch wenn man sie nur im Denken vorstellen kann, doch nicht durch Denken hervorgebracht ist.«20
J. Butler hat im deutschen Vorwort zu »Körper von Gewicht« in einer Weise argumentiert, daß es scheint, daß sie dieser Argumentation näher steht als die deutsche Rezeption es wahrnahm und betont, daß die Relevanz des Biologischen bei der Determinierung der Geschlechtsidentität nicht gänzlich verneint würde21. »Die Anatomie ist Schicksal« steht bekannlich als Zitat auf Platz eins von der feministischen Kritik angeführten Freud-Zitate22. Die Anatomie läßt sich allerdings nicht restlos in gesellschaftlich Gemachtes, nach den Worten Butlers: in Performanz, auflösen, sondern lebt davon, daß sie geschichtlich produzierte Naturwesen beständig gegenübertreten. Die von Michael Balint dargelegten vier sexuellen Aktionen, Begattung, Befruchtung, Entleerung und Vereinigung können nicht weggedacht werden, während deren gesellschaftliche Vermitteltheit nur potentiell, nicht aktuell weggedacht werden kann. Ebenso kann vom Phallus als dem Symbolischen der Penis als Bildspender des Symbolischen als des Bildempfängers nicht weggedacht werden. Dies ist auch der Fall, wenn bei Chromosomenanomalien, einem Knaben der Penis fehlt, obgleich er sich als männlich identifiziert und auch von anderen identifiziert wird. Um die Geschlechtsidentität festzustellen, neigen wir ja nicht dazu, uns gegenseitig in die Unterwäsche zu gucken, sondern wir nehmen Geschlechtsidentifikation über Gesten, Körperhaltungen, Frisuren, Kleider, bestimmten Tätigkeiten, Örtlichkeiten usw. vor. In den Grenzfällen der Transsexualität und beim Transvestismus wird die Gestaltwahrnehmung einer sinnvollen Ganzheit von Geschlechtsattributionen allerdings verunsichert; eine Unsicherheit, die die auf ein Moment von Irreduzibilität des Biologischen hindeutet.
Die zweite, also soziale oder psychische, Geburt des Menschen, ist die Geschichte von Einssein und Getrenntsein, die durchaus geschlechtsspezifisch verläuft. Während des intra-uterinen Lebens ist das Embryo mit seiner Mutter weitgehend eins, das Wohlbefinden hängt von der Mutter ab. In den ersten Wochen nach der Geburt besteht noch eine Reizschwelle, die das Kind in einer autistischen Phase vor Reizüberflutung bewahrt, soweit das extra-uterine Leben das zuläßt. Das richtige Maß von Mutterliebe ist besonders bedeutsam, wenn sie auf das männliche Kind sich richtet, ein Zuviel verhindert das Werden des Mannes, wie ein Zuwenig ebenso krankmachend ist. Während des Säugens ist das Kind ein Empfangendes, was der weiblichen Geschlechtsattribution entspricht. Für den Knaben hat dies allerdings eine andere Bedeutung und Spätfolgen als für das Mädchen. Robert Stoller hat sogar die freudsche ursprüngliche Bisexualität des Kindes auf ein Primat des Weiblichen zurückgeführt. Wenn das richtig ist, dann bedeutet das allerdings, daß die weibliche Identität ursprünglicher und unbestrittener ist als die der Männer. Stoller warnt vor einer Hinauszögerung der Mutter-Sohn-Symbiose:
»Je länger eine Mutter diese Symbiose hinauszieht - die in den ersten Wochen normal ist -, desto größer ist die Gefahr, daß die Weiblichkeit in den Identitätskern des Geschlechts eindringt.«23
Hier siedelt Stoller die Ursprünge von Homophobie an, die bei Männer ausgeprägter ist als bei Frauen. Nur wenn der Knabe ausreichend von der Mutter sich lösen kann, er sie als ein getrenntes Objekt ansieht, kann er sie begehren. Während die in den ersten Monaten bestehende gleichgeschlechtliche Mutter-Kind-Beziehung das Identitätsgefühl der Tochter verstärkt, muß der kleine Junge die protoweiblichen Impulse überwinden, will er eine männliche Geschlechtsidentiät erwerben. Es scheint hierbei allerdings nicht im Belieben der Mütter zu sein, ob sie in diesem Sinne gute oder schlechte Mütter werden:
»Da Mütter in unserer patriarchalischen Gesellschaft im Allgemeinen eben solche unselbständigen, sich unvollkommen und abhängig fühlende Personen sind, dürfte es ein generelles, gesellschaftlich vermitteltes mütterliches Charakteristikum sein, daß sie - ihre Unterdrückung weitergebend - die Autonomisierungstendenzen ihrer Kinder zu knebeln versuchen. In gewisser Weise schafft das Patriarchat ein besonders starres Matriarchat innerhalb der Mutter-Kind-Beziehung.«24
Wie die Biographie von Hemingway zeigt, hatte dieser eine dominierende Mutter, die ihn als Zwillingsschwester seiner älteren Schwester behandelte. Er wurde gezwungen, die Kleider der Schwester zu tragen und wurde wie die Schwester behandelt, bis die männlichen Attributionen durch den Vater besonders kraß entgegenwirkten. Er nahm ihn recht früh schon mit zur Jagd und zwang ihm die Liquidation weiblicher Attribute auf. Hemingways transsexuellen Phantasien und die von Adorno beschriebene Dialektik des tough guys, der zur Effeminierung neigt, sind durchaus paradigmatisch für eine mißlungende Sozialisation in einen männlichen Geschlechtscharakter.
Während das männliche heterosexualisierte Kind sein Liebesobjekt behält und die Identifikation mit der Weiblichkeit durch die mit der Männlichkeit ablöst, ist es bei dem weiblichen heterosexualisierten Kind umgekehrt, es muß das Objekt wechseln. Gambarow wies auch auf Konflikte der Mutter-Tochter-Beziehung hin, die zur Abspaltung oder Verdrängung Angst auslösender Seiten führen, die die Vorstellung von Köperlichkeit und Sexualität prägen, eine Entfremdung vom weiblichen Körper, Gebärmutter und Geschlechtsorgane, die vor allem bei der intensiveren Reinlichkeitserziehung auftreten.
R. Becker-Schmidt hat folgende Überlegung angestellt, die auf die unterschiedliche Morphologie des weiblichen und männlichen Körpers eingeht. Das weibliche und männliche Erleben stellt sich ihr auch an unterschiedlichen Anknüpfungspunkten für sexuelle Phantasien dar: »Lippen und Schamlippen, Mundhöhle und Uterus, Schlund und Vagina« setzen sich den Modalitäten der Besetzung des Phallus durch den Mann entgegen.
»Wenn Frauen mit dem ganzen Körper lieben, wenn Clitoris und Vagina zusammengehen und die Lippen doppelt mitspielen und die orgastische Kontraktion das Körperinnere erfaßt, dann ist die Erfahrung dieses Überströmt werden kein Verschmelzungserlebnis, sondern sinnlicher Ausdruck der eigenen, weiblichen Körpertotalität. Diese Besonderheit weiblichen Erlebens von Sexualität, die an die Morphologie und deren Imaginäres gebunden ist, schafft Probleme im Umgang mit männlicher Sexualität. Männer, die den Inzest mit der Mutter fürchten, haben häufig Angst vor Verschmelzung.«25
Der Phallus des Mannes symbolisiert zum einen eine Distanz zum Weiblichen, zum anderen ist der Penis ein alter ego, etwas was als Selbständiges begriffen werden kann, etwas was der Mann hat, also verlieren könnte, woran sich spezifische männliche Ängste der »Impotenz und Verselbständigung« ergeben, »Phantasien von Transzendenz und Übermacht«. Der Phallus ist also beim Manne doppelt fetischisiert in der Beziehung zur Mutter im Bereich der Seperation und Individuation und als Beweis männlicher Potenz, die mehr ist als reine Genitalität. Daß ich von männlichen Phallus spreche, deutet darauf hin, daß ich nicht Penis und Phallus identifiziere.
"Ein Penis ist ein Körperteil. Ein Phallus ist ein fiktives Genitale, ein Symbol für Macht, und es ist eine Tatsache, daß in den meisten Gesellschaften herkömmlicherweise die mit einem Penis ausgestatteten Menschen die Macht besitzen. Männer sind jedoch nicht von Natur aus phallisch, und Frauen sind keine kastrierten Wesen - außer für einen Betrachter, der auf den genitalen Unterschied wie ein Kind reagiert. Indem die Psychoanalytiker einen Körperteil, den Penis, mit phallischer Macht und andre Körperteile, die Vagina und die Klitoris, mit kastrierter Verletzlichkeit gleichsetzten, gaben sie lediglich Machtstrukturen und Geschlechtsstereotypen wieder."26
Es ist leicht zu erkennen, daß mit dieser Unterscheidung die Freudsche Theorie des Ödipuskomplexes einer rettenden Kritik unterworfen wird, sie verliert nicht ihren deskriptiven Wert. Das Sex-Gender-System ist nicht auf Biologisches zu reduzieren, macht sich aber an unterschiedliche Körperzonen fest. Die infantile Ignoranz der Differenz von Realen und Symbolischen führt zu einer gesellschaftlich spezifischen Geschlechterpolarität, die sich in Freuds Theorie des männlichen und weiblichen Ödipuskomplexes widerspiegelt.
Die typischen infantilen Vorstellungen des Knabens sind: die Annahme, daß auch das Mädchen einen Penis besitzt, die kastrationsangstmachende Beobachtung ihrer Penislosigkeit, die Vorstellung das Mädchen sei ein verstümmelter Knabe, der Glaube, die Verstümmelung sei eine Strafe, die auch ihm drohe, die Befürchtung, keine Vorstellung davon, wie das Mädchen jemals darüber hinwegkomme und die Furcht vor ihrem Neid.
Die infantilen Vorstellungen des Mädchens sind: daß nur das männliche Genitale eine Rolle spiele, die traurige Entdeckung der Penislosigkeit, der Glaube, sie habe auch mal einen Penis gehabt, der Glaube die Kastration sei als Strafe vollzogen worden, die Vorstellung nie über das Gefühl von Mangel und Minderwertigkeit hinwegzukommen und der Wunsch sich beim Mann für den Mehrbesitz zu rächen.
Wir sehen, daß die Darstellung sich abhängig erweist von der patriarchalischen Auffassung von der männlichen Sexualität. Gleichwohl ist sowohl die Tendenz zum Penisneid nicht auf die soziale Vormachtstellung des Mannes zu reduzieren, sondern wir müssen der identifikatorischen Reproduktion des patriarchalischen Geschlechtsverhältnis eingedenk sein. Unter Geschlechterverhältnis sei mit Regina Becker-Schmidt ein Nexus gesellschaftlich organisierter Beziehungen verstanden, die durch alle gesellschaftlichen Sphären Frauen und Männer in wechselseitige Abhängigkeit versetzen.27
»Patriarchalische Prinzipien aus vorindustriellen Zeiten im Familien-, Ehe-, und Arbeitsrecht haben sich im Kapitalismus und Sozialstaat eingebürgert. Trotz Reformen, die stattgefunden haben, und trotz sozialer Differenzierung innerhalb der weiblichen Genus-Gruppe, sind prioritärer Hausherrenstatus, männlicher Vorherrschaft im Ausbildungs- und Beschäftigungssystem sowie in den Schaltstellen der Macht keineswegs durch eine durchgreifende Geschlechterdemokratie aufgelöst worden.
Nach wie vor dienen Ideologien im Geschlechterverhältnis dazu, die soziale Nachrangigkeit von Frauen zu kaschieren. Durch universell-polarisierende Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit werden Geschlechterdifferenzen, die eine sozialhistorische Genese haben, naturalisiert oder ontologisiert.«28
Wenn Adorno recht abstrakt in diesem Zusammenhang vom Allgemeinen spricht, das er dem Besonderen kontrastiert, so ist damit auch dieser soziale Konnex, nicht bloß das ökonomische Bewegungsgesetz des Kapitals gemeint, also das Ganze der antagonistischen Gesellschaft, das das Besondere subsumiert. Liebe verrät Adorno zufolge das Allgemeine ans Besondere.
»Lieben heißt fähig sein, die Unmittelbarkeit sich nicht verkümmern zu lassen vom allgegenwärtigen Druck der Vermittlung, von der Ökonomie, und in solcher Treue wird sie vermittelt in sich selber, hartnäckiger Gegendruck. Nur der liebt, wer die Kraft hat, an der Liebe festzuhalten. Wenn der gesellschaftliche Vorteil, sublimiert, noch die sexuelle Triebregung vorformt, durch tausend Schattierungen des von der Ordnung Bestätigten bald diesen bald jenen spontan als attraktiv erscheinen läßt, dann widersetzt dem sich die einmal gefaßte Neigung, indem sie ausharrt, wo die Schwerkraft der Gesellschaft, vor aller Intrige, die dann regelmäßig von jener in den Dienst genommen wird, es nicht will. Es ist die Probe aufs Gefühl, ob es übers Gefühl hinausgeht durch Dauer, wäre es auch selbst als Obsession. Jene aber, die, unterm Schein der unreflektierten Spontaneität und stolz auf die vorgebliche Aufrichtigkeit, sich ganz und gar dem überläßt, was sie für die Stimme des Herzens hält, und wegläuft, sobald sie jene Stimme nicht mehr zu vernehmen meint, ist in solcher souveränen Unabhängigkeit gerade das Werkzeug der Gesellschaft.«29
Der Tod der Liebe wirft bei Adorno immer wieder ein Licht darauf, daß das Besondere nicht dem Allgemeinen sich entziehen kann. Wer sich auf die reine Unmittelbarkeit des Gefühls verläßt, ist verlassen von der Substantialität des Allgemeinen und verrät damit das Besondere an das Allgemeine. Liebe kann nicht als friedliche Enklave im Allgemeinen existieren, sonst ist sie zum Scheitern verurteilt. Damit beginnt auch der eben zitierte Aphorismus 110 »Constanze«:
»Überall besteht die bürgerliche Gesellschaft auf der Anstrengung des Willens; nur die Liebe soll unwillkürlich sein, reine Unmittelbarkeit des Gefühls: in der Sehnsucht danach, die den Dispens von der Arbeit meint, transzendiert die bürgerliche Idee von Liebe die bürgerliche Gesellschaft. Aber indem sie das Wahre unvermittelt im allgemeinen Unwahren aufrichtet, verkehrt sie jenes in dieses. Nicht bloß, daß das reine Gefühl, soweit es im ökonomisch determinierten System noch möglich ist, eben damit gesellschaftlich zum Alibi für die Herrschaft des Interesses wird und eine Humanität bezeugt, die nicht existiert. Sondern die Unwillkürlichkeit von Liebe selber, auch wo sie nicht vorweg praktisch eingerichtet ist, trägt zu jenem Ganzen bei, sobald sie sich als Prinzip etabliert. Soll Liebe in der Gesellschaft eine bessere vorstellen, so vermag sie es nicht als friedliche Enklave, sondern nur im bewußten Widerstand. Der jedoch erfordert eben jenes Moment von Willkür, das die Bürger, denen Liebe nie natürlich genug sein kann, verbieten.«30
Die emotionalisierte Zweierbeziehung, die die vorindustriellen Produktionsfamilie ersetzt, hat an sich schon alle außer-emotionalen Bindekräfte eingebüßt, obgleich die Ehe durchaus noch als Interessengemeinschaft fortbesteht, allerdings letztlich als Parodie, die dem Begriff Kants von dem Vertrag zu wechselseitigen Nutzung der Geschlechtseigenschaften ziemlich nahekommt.
»Getrennt- vereint. - Die Ehe, deren schmähliche Parodie fortlebt in einer Zeit, die dem Menschenrecht der Ehe den Boden entzogen hat, dient heute meist dem Trick der Selbsterhaltung: daß einer der beiden Verschworenen jeweils die Verantwortung für alles Üble, das er begeht, nach außen dem andern zuschiebt, während sie in Wahrheit trüb und sumpfig zusammen existieren. Eine anständige Ehe wäre erst eine, in der beide ihr eigenes unabhängiges Leben für sich haben, ohne die Fusion, die von der ökonomisch erzwungenen Interessengemeinschaft herrührt, dafür aber aus Freiheit die wechselseitige Verantwortung füreinander auf sich nähmen. Die Ehe als Interessengemeinschaft bedeutet unweigerlich die Erniedrigung der Interessenten, und es ist das Perfide der Welteinrichtung, daß keiner, wüßte er auch darum, solcher Erniedrigung sich entziehen kann. Manchmal könnte man daher auf den Gedanken verfallen, daß nur solchen, die der Verfolgung von Interessen enthoben sind, also Reichen, die Möglichkeit einer Ehe ohne Schande vorbehalten sei. Aber diese Möglichkeit ist ganz formal, denn jene Privilegierten sind es gerade, denen die Verfolgung des Interesses zur zweiten Natur wurde - sonst behaupteten sie nicht das Privileg.«31
Das Humane, ohne Druck, jedem der Ehepartner die Unabhängigkeit zu lassen und dabei aus Freiheit die wechselseitige Verantwortung füreinander zu übernehmen, wird vom Allgemeinen, der antagonistischen Gesellschaft in Fesseln gelegt.
Liebe hat das Ideal ein Medium zu sein, daß unwahrscheinliche Interaktionsmöglichkeiten bietet. Dies schwingt durchaus auch mit in Niklas Luhmans Begriff von Liebe als einem symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium, »nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen Menschen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird«32. Liebe kann nur mit Liebe ausgetauscht werden, aber anders als im Warentausch, kann sie weder erwartet noch eingeklagt werden, sie ist ein Allgemeines, das dem Unverfügbaren, Nichtidentischen entspricht. Dennoch ist das was wir heute Liebe nennen, die emotionalisierten Zweierbeziehung, die über das Medium der Liebe auf Dauer gestellt wird, ein Gesellschaftsprodukt, das eng mit der Entwicklung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zusammenhängt. War vorher die Produktionsfamilie gleichzeitig eine ökonomische Einheit, nicht bloß das was heute gemeinhin familiär genannt wird, so schwindet dies mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Die Familie ist entkoppelt von der Ökonomie, aber dennoch - trotz der Dissoziation von Erwerbs- und Familien- oder Liebesleben - darauf bezogen. Die Trennung von Beruf und Familie, von Intimität/ Privatheit und Öffentlichkeit, die sich in der patriarchalischen Geschlechterpolarität niederschlägt, führt zu emotionalen Defiziten, die der Familie, Liebe etc. als kompensatorische Funktion aufgebürdet wird. Traditionell war der Mann draußen in der feindlichen Welt, während er zuhause bei Frau und Kindern davon sich erholte. Nachdem diese bürgerliche Familienstruktur unter dem Druck der antagonistischen Gesellschaft sich auflöst, alle Menschen dem antagonistischen Produktionsverhältnis ausgeliefert werden, beginnt auch die Liebe zu kränkeln, gar zu sterben33.
Der Mann strebt zwanghaft asozialen Sex an, während die Frau dem durch einen Heiligkeitsmythos sich entzieht und auf Dauer und Liebe pocht. Dies schlägt sich im patriarchalischen Mythos vom promiskuiden Mann als tollem Hirschen und der Frau, der es ihm gleichmacht, als Schlampe34 nieder. Diesem leidvollen wechselseitigem Unverständnis hält nur noch die feministische Bewegung etwas entgegen, durchaus zum Wohle von Mann und Frau, auch wenn die leidenden Männer, das ungern eingestehen.
Was es nach Adorno bedeutet, an Liebe festzuhalten, nicht als friedliche Enklave, sondern als militante Zelle des Humanen, soll anekdotisch am »Mann« Adorno gezeigt werden, dem oft genug hämische Andekdoten über seinen angeblichen Chauvinismus, entgegengerbracht wurden. Seine damalige Mitarbeiterin Regina Becker-Schmidt, die ich schon zu Wort kommen lassen habe, berichtet:
»Ich denke, Adorno war ein Mann, der schnell entflammte. Er flirtete, sobald er mit einer Frau zusammen war. Das hatte manchmal schon etwas Beliebiges, so als wäre er gegenüber der Individualität einer je spezifischen Frau 'farbenblind' - ihn entzündete scheinbar automatisch 'das Weibliche an sich'. Allerdings war für Adorno erotische Freizügigkeit kein Männerprivileg - er gestand sie Frauen ebenso zu. Adorno war aber in meinen Augen weder ein Chauvinist noch ein Sexist. Und ich kann das sagen, weil er mir persönlich sehr nahe war, und ich ein erotisches Flair in unserer Beziehung nicht unterschlagen mag. Seine Annäherungen hatten nichts machohaft Viriles, eher etwas unbefangen Kindliches - wie sich Adorno auch in anderen Bereichen viel von einer ungebrochenen Spontaneität bewahrt hat, die aus der Kindheit stammt. Zu ihm gehörte aber auch ein großes Maß an Timidität, die sich mit dem Typ des rücksichtslosen Draufgängers nicht verträgt. Ich habe darüber hinaus Adorno in seinem Verhalten gegenüber seinen Freundinnen als zuverlässigen, anhänglichen Menschen erfahren. Was für mich das Ausschlaggebende gewesen ist, ihn zu beurteilen als Mann und mit diesem Chauvinismus-Vorurteil umzugehen: Ich war mit ihm und mit Gretel Adorno befreundet. Für mich war die Beziehung zwischen den beiden genau durch diese Spannung gekennzeichnet: Treue trotz allem, Zuverlässigkeit, eine fast symbiotische wechselseitige Bezogenheit auf der einen Seite und die Fähigkeit, sich die Freiheit zu lassen, auf der anderen. Beide sind für mich eigentlich die Vorbilder für die Gestaltung meiner eigenen persönlichen Beziehungen geblieben. Stellen aus der Minima Moralia wie Moral und Zeitordnung oder über die Ehe aus der Dialektik der Aufklärung sind nicht einfach nur graue Theorie, sondern auch ein Stück gelebter Wirklichkeit.«35
Ohne noch auf eine weitere Form von Unabhängigkeit, wie sie eine anständige Ehe nach Adorno kennzeichnet, einzugehen, kann ich nicht enden, diejenige, auf die Becker-Schmidt anspielte, die im Aphorismus 49 »Moral und Zeitordnung« sich findet:
»Während die Literatur alle psychologischen Arten erotischer Konflikte behandelt hat, ist der einfachste auswendige Konfliktstoff unbeachtet geblieben um seiner Selbstverständlichkeit willen. Das ist das Phänomen des Besetztseins: daß ein geliebter Mensch sich uns versagt nicht wegen innerer Antagonismen und Hemmungen, wegen zuviel Kälte oder zuviel verdrängter Wärme, sondern weil bereits eine Beziehung besteht, die eine neue ausschließt. Die abstrakte Zeitordnung spielt in Wahrheit die Rolle, die man der Hierarchie der Gefühle zuschreiben möchte. Es liegt im Vergebensein, außer der Freiheit von Wahl und Entschluß, auch ein Zufälliges, das dem Anspruch der Freiheit durchaus zu widersprechen scheint. Selbst und gerade in einer von der Anarchie der Warenproduktion geheilten Gesellschaft würden schwerlich Regeln darüber wachen, in welcher Reihenfolge man Menschen kennenlernt. Wäre es anders, so müßte ein solches Arrangement dem unerträglichsten Eingriff in die Freiheit gleichkommen. Daher hat denn auch die Priorität des Zufälligen mächtige Gründe auf ihrer Seite: wird einem Menschen ein neuer vorgezogen, so tut man jenem allemal Böses an, indem die Vergangenheit des gemeinsamen Lebens annulliert, Erfahrung selber gleichsam durchgestrichen wird. Die Irreversibilität der Zeit gibt ein objektives moralisches Kriterium ab.«36
Adorno weist darauf hin, daß der hier zugrundeliegende Zeitbegriff auf Grund der Eigentumsordnung historisch gebildet wurde, das Besitzenwollen reflektiere die Zeit als der Angst vor dem Verlieren, der Unwiederbringlichkeit. Hat in der bürgerlichen Ideologie der Liebe diese mit der Eigentumsordnung, dem antagonistischen Produktionsverhältnis, anscheinend nichts zu tun, so erweist es sich, daß genau diese Eigentumsordnung die Liebe gerade dort bereits eingeholt hat. Die Regungen, die sich auch im zwanghaften Festhalten des Partners manifestieren, in der Eifersucht, die Schleyermacher zufolge mit Eifer sucht, was Leiden schafft, gründen nicht in der Liebe, wie gemeinhin darüber gedacht wird, sondern ist das genaue Gegenteil, der Tod der Liebe.
»Einmal ganz Besitz geworden, wird der geliebte Mensch eigentlich gar nicht mehr angesehen. Abstraktheit in der Liebe ist das Komplement der Ausschließlichkeit, die trügerisch als das Gegenteil, als das sich Anklammern an dies eine Seiende in Erscheinung tritt. Dies Festhalten verliert gerade sein Objekt aus den Händen, indem es zum Objekt gemacht wird, und verfehlt den Menschen, den es auf »meinen Menschen« herunterbringt. Wären Menschen kein Besitz mehr, so könnten sie auch nicht mehr vertauscht werden.
Die wahre Neigung wäre eine, die den andern spezifisch anspricht, an geliebte Züge sich heftet und nichts ans Idol der Persönlichkeit, die Spiegelung von Besitz.«37
Wahre Liebe hätte demnach einen universalen Bezug, keinen totalen, er besteht in der Mitbeachtung des Partners in allen Lebenslagen, auch gerade da, wo man ihm die Unabhängigkeit läßt, in einer Verschränkung der Welthorizonte, die beiden keine Fesseln anlegt und wäre nicht selber, wie die eifersüchtig wachende Liebe, Fessel. In seinem Aufsatz über Thorstein Veblen formuliert Adorno per bestimmter Negation des bestehenden patriarchalischen Geschlechterverhältnis, eine Utopie der Emanzipation, mit der ich meinen Vortrag beschließe:
»Die Abhängigkeit, in der« die Frau »gehalten wird, verstümmelt sie. Das kompensiert die Chance, die das Ausgeschlossensein vom ökonomischen Wettkampf ihr gewährt. Gemessen an der geistigen Interessensphäre des Mannes, selbst noch dessen, der in der Barbarei des Erwerbs aufgeht, befinden sich, Veblen zufolge, die meisten Frauen in einem Bewußtseinszustand, den er nicht zögert, Schwachsinn zu nennen. Man könnte seinen Gedanken dahin treiben, daß die Frau der Produktionssphäre nur entronnen ist, um von der Sphäre der Konsumtion um so vollkommener aufgesaugt zu werden, gebannt in der Unmittelbarkeit des Profits. Das Unrecht, das die männliche Gesellschaft den Frauen angetan hat, wird ihr von diesen zurückgespiegelt: sie gleichen den Waren sich an. Veblens Einsicht indiziert eine Veränderung in der Utopie der Emanzipation. Hoffnung zielt nicht darauf, daß die verstümmelten Sozialcharaktere der Frauen den verstümmelten Sozialcharakteren der Männer gleich werden, sondern daß einmal mit dem Antlitz der leidenden Frau das des tatenfrohen, tüchtigen Mannes verschwindet: daß von der Schmach der Differenz nichts überlebt als deren Glück.«38
1Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Aph. 122
2Nancy Chodrow: Das Erbe der Mütter. Psychoanalyse und Soziologie der Geschlechter München 1985, S. 15
3ebenda
4Der Begriff geht auf Robert Stoller: Sex and gender. Vol. I: The development of masculinity and feminity, New York 1968 zurück und wurde von Gayle Rubin, The traffic of women in: Ryana R. Reiter (Hrg.) Toward an anthropology of women. New York 1975 für die feministische Diskussion fruchtbar gemacht. Bei ihr ist allerdings gender als »Gruppe von Übereinkünften, auf deren Grundlage eine Gesellschaft die biologische Sexualität in Produkte menschlicher Aktivität transformiert und diese transformierten sexuellen Bedürfnisse befriedigt« bestimmt (a.a.O. S. 159). Sex liefert hier noch das Fundament, auf dem das sozial definierte gender konstruiert wird. Wenn auch kein Biologismus, kein deterministisches Verhältnis von sex und gender vorliegt, so wird doch ein kausaler Zusammenhang angenommen, in der vorgängige biologische Gegebenheit bloß interpretiert werden. Die Grenzziehung ziwschen kulturellen Deutung von Geschlecht und biologischen Fakten wurde epistemologisch hinterfragt und gender auch als Moment von sex aufgewiesen, weil geschlechtsspezifische Deutungen und Erkenntnisinteressen bereits Teil der begrifflichen Bestimmung biologischer Fakten sind. Dadurch dreht sich die Perspektive um und sex wird als Moment von gender betrachtet.
5Theodor W. Adorno: Einführung zu: Krüger, Heinz: Über den Aphorismus als philosophische Form, München 1988, S. 8
6Theodor W. Adorno: Minima:Moralia, Aph. 122
7Vgl. Richard Sennet: Vom Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt am Main 1986
8Karin Hausen: Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere« - Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, Werner: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1967, S. 369
9ebenda
10Max Horkheimer / Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, Horkheimer Gesammelte Schriften Bd. 5, S.56
11Die chromosomenalen Geschlechtsunterschiede werden schon durch die Befruchtung festgelegt im Sinne einer Kombination der geschlechtsbestimmenden Chromosomen X und Y: sind im befruchteten Ei zwei X-Chromosomen vorhanden, beginnt die Entwicklung einer Frau, wenn alles normal verläuft, sind im befruchteten Ei ein X- und ein Y-Chromosom, beginnt die Entwicklung eines Mannes. Die geschlechtliche Differenzierung des Fötos - bis dahin sehen genetisch männliche und weibliche Feten gleich aus - beginnt ca. sechs Wochen nach der Befruchtung. Die Differenzierung beginnt mit den Gonaden (Keimdrüsen), dann folgt die Differenzierung der inneren und äußeren Geschlechtsorgane. Eierstock und Hoden haben einen gemeinsamen Ursprung, d.h. aus der neutralen, doppelgeschlechtlichen Anlage kann sich die Keimdrüse männlich oder weiblich differenzieren. Unter dem Einfluß des XY-Chromosoms entwickelt sich die Marsubstanz und aus den ursprünglichen Keimdrüsenanlage bilden sich die Hoden. Diese entwickeln sich in der Bauchhöhle und wandert dann erst durch die Leistenkanäle in den Hodensack. Die Entwicklung der Eierstöcke aus den Keimdrüsenanlagen wird vom XX-Chromosom gesteuert. Die Differenzierung der äußeren Geschlechtsorgane bildet die letzte Stufe, sie ist hormonell gesteuert, wie Tierexperimente gezeigt haben. Zur Problematik vgl. J. Money / A. Erhardt, Männlich Weiblich. Die Entstehung der Geschlechtsunterschiede, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 37-70.
12Vgl. Thomas Laqueur: Auf den Leib geschrieben, Frankfurt/M. 1982
13Denis Diderot: »D´Alemberts Traum«, in: Diderot. Ein Lesebuch für unsere Zeit. Berlin u. Weimar 1989, S. 49
14Georg Simmel: Weibliche Kultur, in: Philosophische Kultur, Leipzig 1911, S. 280
15Jean-Jacques Rousseau: Emile oder Über die Erziehung , 5. Buch, S. 726
16Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Aph. 24
17Kenneth S. Lynn, Hemingway. Eine Biographie, Reinbek bei Hamburg 1991
18In: Hermann Nunberg / Erich Federn: Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Bd. 2 1908-10, Frankfurt /M. 1977, S. 519
19Diese Argumentatoin wird vielleicht - wie spätere Schriften indizieren - zu unrecht mit dem Namen Judith Butlers verbunden.
20Gudrun-Axeli Knapp: Politik der Unterscheidung, in:Institut für Sozialforschung Frankfurt, Geschlechterverhältnisse und Politik, S. 277
21Judith Butler: Körper von Gewicht, Frankfurt/ M. 1997, S. 9
22Sigmund Freud: Der Untergang des Ödipuskomplexes, in: Gesammelte Werke Bd. 13, S. 400
23Robert Stoller: »Fait et hypothèses: un examen du concept freudien de bisexualité cit. nach der Übersetzung in: Elisabeth Gadinter, Die Identität des Mannes. Seine Identität, seine Seele, seine Rolle, Zürich 1997, S. 64
24Marina Gambarow: Utopie der Treue, Reinbek 1984, S. 32
25Regina Becker-Schmidt /Gudrun-Axeli Knapp: Geschlechtertrennung-Geschlechterdifferenz, Bonn 1989, S. 59
26Louise J. Kaplan: Weibliche Perversionen, Hamburg 1991, S. 94
27Vgl. Regina Becker-Schmidt: Ideologie im Geschlechterverhältnis, in: Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Die Illusion der neuen Freiheit, Realitätsverleugnung durch Wissenschaft Hannover 1999, S. 52
28A.a.O. S. 53f
29Theodor W. Adorno: Minima Moralia,, Aph. 110
30ebenda
31Theodor W. Adorno: Minima Moralia,, Aph. 10
32Niklas Luhmann: Liebe als Passion, Frankfurt 1983, S. 23
33Petra Milhoffer erinnerte mich daran, daß Beziehungen, in denen die Partner der durch die Dissoziation von Famielen und Erwerbsleben gesetzten Problem der Gegenstandslosigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen entgegenwirken, indem sie wissenschaftlich, andersweitig beruflich oder politisch zusammenarbeiten, eine größere Chance haben, eine militante Zelle des Humanen zu bilden.
Ein Beispiel von Klaus Ottomeyer mag das verdeutlichen: »...ein Beispiel aus einem Volkshochschulkurs, in welchem sich Frauen aus sogenannten unvollständigen oder Scheidungsfamilien über ihre Situation klarer zu werden versuchten: eine geschiedene Frau berichtet darüber, daß sie sich mit ihrem Mann während der langen Ehejahre heftig gestritten hat, vor allem deswegen, weil ihr Mann dazu neige, seine Aggressionen heftig abzuladen. In der ersten Hälfte ihrer Ehe, während der sie gemeinsam eine Tankstelle betrieben haben, sei das aber noch ganz gut erträglich gewesen. Da habe sie immer noch genau gewußt, woher seine Aggressionen kamen und was sie bedeuteten, weil sie die Vorfälle, über die er sich geärgert hatte, meistens selbst direkt miterlebt hatte. Man habe über diese Vorfälle sprechen können und sich dann wieder einigermaßen verstanden. Im Verlauf der darauffolgenden Zeit der Ehe, während der ihr Mann als lohnabhängiger Mechaniker arbeiten mußte, seien seine aggressiven Gefühlsäußerungen ihr immer unverständlicher geworden. Sie habe sie einfach nicht mehr einordnen können sie seien beide aus der Kontrolle geraten, und dies sei einer der Hauptgründe gewesen, die dann zur Scheidung geführt hätten.
An diesem Beispiel wird deutlich, wie die Perspektiven, die subjektiven Weltsichten der Partner unter den Bedingungen des objektiven Auseinandertretens ihrer zentralen gegenständlich-praktischen Lebenswelten auseinanderfallen müssen und nur noch mit Mühe und über Nebensächlichkeiten zusammenzukitten sind.«Klaus Ottomeyer: Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen, Reinbek bei Hamburg 1977, S.129f
34Die Analogie einer »tollen Hirschkuh« hätte auch abwertende Konnotationen.
35Regina Becker-Schmidt: Wenn die Frauen erst einmal Frauen sein könnten, in:Joseph Früchtl / Marina Calloni,: Geist gegen den Zeitgeist, S. 210f
36Theodor W. Adorno, Minima Moralia,, Aph. 49
37ebenda
38Theodor W. Adorno, Veblens Angriff auf die Kultur, in: Prismen, Frankfurt /M. 1976, S.93f