Teil 6

"Die Kommandantur der Auschwitzer Lager wartete jedoch nicht, bis der Bau der Krematorien in Birkenau fertiggestellt war, sondern begann sofort mit der Massenvernichtung der Menschen.

Zwei kleine Bauernhaeuser des von den Nazis geraeumten Dorfes Brzezinky (Birkenau) wurden umgebaut und primitiv als Gaskammern eingerichtet; diese Haeuser lagen etwa einen halben Kilometer westlich von der Desinfekeionsstation.

Die Haeuser massen 6 x 12 Meter und waren in vier Kammern eingeteilt, die mit schweren Tueren verschlossen wurden; eine gleiche Tuer befand sich auch in der jeweils gegenueberliegenden Wand. In einer anderen Wand oben war ein kleines vergittertes Fenster.

Vor dem Haus befand sich eine riesige Tafel mit der Aufschrift: Desinfektion.

Die Vordertuer der Kammer trug die Aufschrift: Zur Desinfektion.

An der hinteren Tuer stand: Zum Bad.

Innerhalb der Kammern waren Aufschriften in vielen Sprachen angebracht: Bewahrt Ruhe! Lebensgefaehrlich! Haltet Ordnung und Sauberkeit!

Hinter dem Haus befand sich ein Zaun, der mit Decken verhaengt war, damit nicht hindurchgesehen werden konnte.

Vor dem Haus standen zwei 9 x 40 Meter grosse fensterlose Baracken; das waren die Auskleideraeume.

Die Menschen wurden in Lastautos herangebracht, vor dem Auskleideraum aus dem Wagen gekippt und von einer lueckenlosen SS-Postenkette umstellt, die mit automatischen Gewehren, Handgranaten und Maschinengewehren ausgeruestet war; die Posten hatten auch Bluthunde bei sich.

Dann wurden die Menschen aufgefordert, sich gruppenweise in den Auskleideraum zu begeben, Frauen und Kinder in den einen, die Maenner in den anderen. Es wurde ihnen gesagt, dass sie sich in einem Arbeitslager befaenden und Bad und Desinfektion passieren muessten, um vor Ansteckung geschuetzt zu sein.

Daraufhin befahl man ihnen, sich voellig auszuziehen, Kleider und Maentel ordentlich zusammenzulegen und Wertsachen abzugeben; gleichzeitig versprach man ihnen, dass sie alles wiederbekommen wuerden.

Dann trieb man sie in die Kammern hinein. Geschah es, dass die Menschen das Spiel durchschauten und sich weigerten, die Kammern zu betreten, begann die SS mit Knueppeln, Peitschen und Gewehrkolben auf sie einzuschlagen. Die Bluthunde bissen zu und rissen ihnen ganze Fleischfetzen aus den nackten Koerpern.

Sobald sich die Kammer gefuellt hatte - und in den Raum von 18 Quadratmetern zwaengten sie bis zu 150 Menschen hinein -, schlugen sie die Tuer zu, schraubten die Riegel fest und schuetteten durch das Fensterchen in der Wand das Gift hinein.

Hierauf schlossen sie das Fensterchen hermetisch ab, und einige Minuten lang waren nun Schreie und Stoehnen zu hoeren.

Ungefaehr nach einer halben Stunde oeffneten sie die hintere Tuer der Kammer.

Ein schreckenerregendes Bild bot sich dar: die nackeen Frauen und Kinder standen da, tot, in den furchtbarsten Verkrampfungen, ineinander verbissen, die Haut zerfetzt, die Haende zu Faeusten geballt; sie standen aufrecht, denn sie waren derart zusammengepfercht, dass sie nicht umfallen konnten.

Eine spezielle Arbeitsabteilung von Haeftlingen - das Sonderkommando - zerrte die Leichen aus den Kammern heraus und warf sie in tiefe Gruben, die in der Naehe bereits vorbereitet waren.

Dann wurden die Kammern schnell gesaeubert, geweisst und mit Koelnischwasser bespritzt, das die Opfer, vor allem die Frauen, in genuegender Menge nach Auschwitz mitbrachten; so ahnten die neuen Opfer nichts von der schrecklichen Tragoedie, die sich hier gerade abgespielt hatte und auch sie erwartete.

Die Vergasung, das Wegraeumen der Leichen und die Reinigung der Kammern dauerte etwa eine Stunde, so dass ein Transport von 2 000 bis 3 000 Personen binnen weniger Stunden vernichtet und beiseite geschafft war.

Obwohl die Leichen in den Gruben mit Chlor und Kalk begossen und mit Erde zugeworfen wurden, begann sich nach einigen Monaten in der ganzen Umgebung ein unertraeglicher Gestank auszubreiten, in allen Quellen und Brunnen tauchten Giftbazillen auf, und es drohte die Gefahr einer Epidemie.

Aus diesem Grunde verstaerkte man das Sonderkommando. Tag und Nacht, in zwei Schichten, wurden die verwesenden Leichen ausgegraben, auf einer Schmalspurbahn abtransportiert und in der nahen Umgebung auf
Scheiterhaufen verbrannt. Das Ausgraben und Verbrennen der 50000 Leichen waehrte nahezu bis Dezember 1942.

Nach dieser Erfahrung wurden die weiteren Opfer der Gaskammern nicht mehr vergraben, sondern auf Scheiterhaufen verbrannt.

Nach dieser improvisierten Methode wurden die Menschen bis Februar 1943 vernichtet, bis der Bau der Krematorien beendet war; dann begann man sie darin zu vernichten. Zuerst im Krematorium I, spaeter, nach deren Fertigstellung, auch in den uebrigen."

  • Ota Kraus / Erich Kulka, Todesfabrik Auschwitz, S. 175ff