Teil 9
"Das war die bizarre Realität des
nationalsozialistischen Deutschland: Sorge um Tiere auf
der einen, Gnadenlosigkeit und Grausamkeit gegenüber
Juden auf der anderen Seite. Den Deutschen, die in Polen
so viele Juden wie möglich mit Tritten und Schlägen in
die Viehwaggons trieben, wurde nie befohlen, Juden nicht
zu eng zusammenzupferchen. Die Güterwaggons befördern
Vieh und Juden gleichermaßen. Wer anständiger und
menschlicher zu behandeln war, war allen Beteiligten
klar. Die Kühe sollten schließlich noch als
Nahrungsmittel verwendet werden. Doch das war nicht der
einzige Grund dafür, pfleglich mit ihnen umzugehen. Die
Deutschen legten damals stets größten Wert darauf, daß
Tiere anständig behandelt wurden. In ihren Augen war das
ein Gebot der Moral. Wie spannend dieser Kontrast, so interessant der Befehlsstrom über eine anständige, »menschliche« Behandlung von Tieren für uns auch sein mag, den Deutschen dürfte all das kaum bemerkenswert vorgekommen sein. Die unverhohlene, grausame Ironie, die wir heute zu sehen vermeinen, hätte eigentlich jeden Beteiligten erschüttern müssen. Den Täter entging sie zweifelos."
Sind die deutschen Tierfreunde besser geworden? "Ein kleines schwäbisches Dorf ganz in der Nähe. In einem Schutzholzhäuschen einer Bushaltestelle eingeritzt: »Tierversuche sind grausam. Deshalb stop! Nehmt Türken.« Gedanken von heute, Taten von morgen! Daneben steht: "Wir wollen unseren Führer Adolf Hitler wiederhaben..." Auf einem deutschen Müllcontainer liest man: »Ausländer rein«. Eine alte Dame, die sich selbst für sehr vornehm hält, »aus der guten alten Zeit« stammt, dazu noch »aus gutem Hause« kommt, ermahnt 1992 ihre gerade flügge gewordenen Enkel: »Kauft keinen Jacobs Kaffee. Jacobs war ein Jude. Bei Juden kauft man nicht.«"
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