Teil 26
"Der Vernichtungsvorgang war eine
Kombination aus genau berechneter physischer Gewalt und
psychologischer Steuerung. Jeder Schritt - von der
Entladerampe bis zu den Gaskammern - wurde von den
Bewachern mit einer Abfolge präziser Befehle gelenkt.
Massive Gewaltandrohung sollte den Opfern deutlich
machen, daß man Widersetzlichkeit und Ungehorsam nicht
dulden werde; zugleich wurde ihre Angst vor der neuen und
fremdartigen Umgebung durch irreführende Erklärungen
beschwichtigt. Obwohl dieses System nicht frei von Pannen
und Störungen war, wurde es doch so perfektioniert, daß
ein SS-Arzt zu Recht davon sprechen konnte, es
funktioniere wie »am laufenden Band«. Der erste Schritt in diesem genau vorausgeplanten Ablauf war die Benachrichtigung des Lagers vom bevorstehenden Eintreffen eines Transports. Ihr folgte der Befehl an die Wachen und Häftlinge, die an der Aktion mitwirken sollten, sich bereitzuhalten. Jeder wußte, was geschehen würde und war er zu tun hatte. Von dem Augenblick an, in dem die Türen eines Zuges geöffnet wurden, hatten seine Insassen bis auf einige Ausnahmen noch etwa zwei Stunden zu leben. Die eintreffenden Juden waren ihrerseits nicht auf das Todeslager gefaßt. Gerüchte und Andeutungen, die zu ihnen gedrungen waren, wurden einfach nicht zur Kenntnis genommen. Diese Vorwarnungen wurden nicht ernst genommen, weil sie zu lückenhaft, zu ungenau, zu unglaubwürdig waren. Als im Mai 1942 eine Gruppe von Deportierten von Zolkiewa zum Bahnhof Krasnistaw marschieren mußte (von wo sie nach Sobibor bringen sollte), riefen polnische Einwohner der Marschkolonne zu: »Hey Zydzi, idzieci na spalenie"« (He Juden, ihr werdet verbrannt!) Ein Überlebender jenes Transports entsinnt sich: »Uns wurde nicht bewußt, was diese Worte bedeuteten. Wir hatten von dem Todeslager in Belzec gehört, aber wir glaubten es nicht.« Ein welterfahrener wiener Arzt, der sich in einem der Viehwagen befand, erinnert sich, daß ein anderer Deportierter auf eine Bahnstation ein Schild sah und »Auschwitz« ausrief. Der Arzt sah in der Morgendämmerung die Umrisse eines »ungeheuer großen Lagers« und hörte Pfiffe und Befehle. »Wir wußten nicht, was sie bedeuten«, erinnert er sich später. Am Abend erkundigte er sich, wohin ein Freund geschickt worden sei; einer der alten Häftlinge sagte ihm, daß er ihn »dort« sehen könnte. »Wo?« Eine Hand wies auf den Kamin, doch der neue Häftling begriff diese Geste immer noch nicht, bis ihm die Wahrheit »geradeheraus« erklärt wurde. Ein anderer, aus den Niederlanden stammender Arzt berichtet: »Ich weigerte mich..., dem Gedanken der Vergasung der Juden irgendeinen Raum zu lassen, obwohl ich bestimmt nicht sagen kann, daß ich nichts von ihr gehört hätte. Mir waren schon 1942 Gerüchte über die Vergasung polnischer Juden zu Ohren gekommen... Doch nie hatte jemand gehört, wann diese Vergasungen stattfanden, und es war definitiv nicht bekannt, daß Menschen unmittelbar nach der Ankunft vergast wurden.« Die Mehrheit der Deportierten war unfähig, die Situation zu erkennen, solange sie nicht Details der Vernichtungsoperationen, das Wann und Wie, kannte. Wer etwas wußte oder ahnte, war in aller Regel nicht imstande, nach einem Ausweg zu suchen. Auf einem Warschauer Transport nach Treblinka im August 1942 hörte ein junger Deportierter die Worte: »Juden, wir sind verloren!« Die alten Männer im Waggon begangen die Sterbegebete zu sprechen. Ein anderer junger Mann sah beim Verlassen eines Zugs in Treblinka Berge von Kleider und sagte zu seiner Frau, daß dies das Ende sei. Erkenntnis schlug also leichter in Fatalismus als in Flucht- oder Widerstandsversuche um. Die deutschen Lagerverwalter wiederum waren entschlossen, auch der Gefahr vorzubeugen, daß einzelne Beherzte die Menge zum Widerstand bewegten und riskanter Konfrontation herbeiführten. Sie waren deshalb auf einen zügigen Ablauf bedacht; die Illusionen der Juden mußten zugleich bis zum letztmöglichen Moment bestärkt werden. Zu diesem Zweck legten sie einen Verfahrensablauf fest, der bis auf diejenigen Abweichungen, die sich aus den örtlichen Gegebenheiten und Einrichtungen ergaben, in allen Lagern praktisch gleich war. Die Rampen in Belzec, Sobibor und Treblinka waren zum Entladen längerer Züge zu kurz. Die Transporte wurden deshalb zunächst auf bewachten Gelände abgestellt und jeweils wenige Waggons zugleich ausgeladen. An der Rampe von Belzec wurden die ankommenden Juden mit Musik und Gesang eines zehn Mann starken Häftlingssorchesters empfangen. Kulmhof war nur via Landstrasse oder über eine Schmalspurbahn erreichbar. Ursprünglich wurden Deportierte aus der unmittelbaren Umgebung mit Lastwagen in das Lager gebracht. Züge aus den Lodzer Ghetto hielten in Warthbruecken (Kolo), wo die Opfer gelegentlich in der dortigen Sinagoge übernachten mußten, um dann in Lastwagen nach Kulmhof gebracht zu werden. Später wurde ein umständliches Transportverfahren in Kraft gesetzt; man wollte vermeiden, daß die Opfer in Warthbruecken zu sehen waren. Die Deportieren wurden nun auf einen Schmalspurzug verladen und über Nacht in einer Fabrik in Zawacki einquartiert. Denn wurden sie mit Lastwagen ins Lager gefahren. In Auschwitz befand sich die Rampe zwischen dem alten Lager und Birkenau. Jene, die in die erste Gaskammer dirigiert wurden, »strömten« durch das Tor. Als Birkenau betriebsfertig war, liefen lange Kolonnen mehrere hundert Meter durch einen Gang zu einem der Krematorien. Die Stichbahn bis nach Birkenau wurde erst im Frühjahr 1944 fertig. Auf der neuen Rampe wurden die Züge in kurzer Entfernung von den Gaskammern entladen. Die von Lebenden und Toten geräumten Waggons wurden anschließend in eine Anlage gebracht, in der sie zur Entseuchung begast wurden. An einem heißen Tag öffnete ein Ladearbeiter einen Waggon und erschrak zu Tode - ihm fiel eine schwarz angelaufene Leiche entgegen. Der Waggon war voll mit Toten, die das Lagerpersonal auszuladen vergessen hatte. Nach der Entladung der Züge erfolgte eine doppelte Selektion. Alte, Kranke und gelegentlich Kinder wurden bereits auf dem Bahnsteig ausgesondert. In Belzec mußten sich die Kranken vor einer Grube auf den Bau legen; sie wurden erschossen. In Sobibor, wo Alte und Kinder auf Lastwagen verladen wurden, versuchten die Wachen ab und zu, die Säuglinge aus einiger Entfernung auf die Ladefläche zu werfen. In Treblinka wurden diejenigen, die nicht mehr gehen konnten, zur Erschießung zu einer Grube in der Nähe des Krankenreviers gebracht. Von der ersten Auschwitzer Rampe wurden die Alten und Kranken auf Lastwagen zu den Gaskammern gebracht. Die Lager selektierten außerdem kräftige Personen zur Arbeit. In den Lagern des Generalgouvernements oder in Kulmhof wurden nur sehr wenige Arbeiter gebraucht; unter den zur Arbeit Selektierten befand sich eine Handvoll Frauen. Nach den Kindern gefragt, erklärte ein ehemaliger Angehöriger der SS in Treblinka bei seinem Prozeß: Kinder in Treblinka zu retten sei unmöglich. In Auschwitz war der Arbeitskräftebedarf größer, und auf dem Bahnsteig von Birkenau suchten SS-Ärzte (Mengele, König, Thilo oder Klein) arbeitsfähige Juden für die Lagerbetriebe aus. Die Selektionen waren nicht gründlich; die Opfer wurden an dem Arzt vorbeigetrieben, der dann umgehend entschied, indem er in eine von zwei Richtungen wies, »Rechts« hieß Auschwitz und Arbeit; »links« bedeutete Birkenau. Männer und Frauen mußten sich getrennt in Baracken entkleiden. Es wurde der Eindruck erweckt, daß die Kleider nach dem Duschen zurueckgegen würden. In Sobibor erteilte ein SS-Mann im weißen Kittel genaue Anweisungen, wie die Kleidung zusammengelegt werden müsse; gelegentlich kam er auch aht einen jüdischen Staat zu sprechen, den die Deportierten in der Ukraine errichten sollten. Im Kulmhof erzählte man den Deportierten, daß sie zur Arbeit nach Deutschland kämen, und in Belzec hielt ein ausgesuchter SS-Mann ähnliche Reden. In allen drei Lagern des Generalgouvernements gab es besondere Schalter zur Abgabe der Wertsachen. Den Frauen wurde das Haar abgeschoren und ein Häftlingszug gebildet, Männer zuerst. In Sobibor wurden Gruppen von Fünfzig bis zu Hundert Menschen mit einem SS-Mann an der Spitze und vier oder fuenf Ukrainern am Ende der Kolonne durch den »Schlauch« getrieben. In Belzec schlug man die schreienden Frauen mit Peitschen und Gewehren. In Treblika ging es allerdings nicht so ordentlich zu. Höss meinte, in Treblinka haetten die Opfer fast immer gewusst, daß sie in den Tod gingen. Manche erlitten einen Nervenzusammenbruch und lachten und weinten abwechselnd. Zur Beschleunigung des Ablaufs wurde den Frauen in Treblinka weisgemacht, sie müßten sich beeilen, weil sonst das Wasser in den Duschen zu kühl werde. Dann wurden die Opfer gezwungen, nackt mit erhobenen Händen durch den Schlauch zu gehen oder zu laufen. Im Winter 1942/43 konnte es aber auch vorkommen, daß die entkleideten Menschen stundenlang barfuss im Freien stehen mußten, bis sie an die Reihe kamen. Dort konnten sie dann die Schreie derer hören, die vor ihnen in die Gaskammern gegangen waren. Das Auschwitzer Verfahren entwickelte sich Schritt um Schritt. Im April 1942 wurden im Krematorium I slowakische Juden anscheinend voll bekleidet vergast. Später wurde Deportierten aus dem nahen Sosnowitz befohlen, sich im Hof auszuziehen. Die Opfer wurden durch den barschen Befehl, sich in Anwesenheit des jeweils anderen Geschlechts zu entkleiden - Männer vor Frauen und Frauen vor Männern-, mißtrauisch und unruhig. Daraufhin trieben die SS-Leute die nackten Männer, Frauen und Kinder fluchend in die Gaskammer. In der dritten Phase, ab Mitte 1942, machten Schmähungen der Höflichkeit Platz; Aumeier, Grabner und Hößler begannen ihre Reden zu halten. Jetzt wurde den Opfern erzählt, sie müßten sich nun ausziehen und duschen, und sie müßten sich beeilen, weil sonst die Suppe kalt würde, die es hinterher gäbe. Zur Erhöhung der Sicherheit wurden die Vergasungen zu einer Zeit - vor Tagesanbruch - angesetzt, in der die Lagerinsassen noch schliefen, oder sie fanden in den Abendstunden nach Eintritt des Ausgehverbots statt. In Birkenau stellten solche Täuschingsmanöver die Regel dar. Das war nicht immer einfach oder überhaupt möglich, weil mindestens einige der Deportierten das Schild »Auschwitz« von dem durch das Bahngelände passierenden Zug aus gesehen hatten, manche sahen auch Flammen aus den Kaminen schlagen oder rochen den eigenartigen, ekelhaften Geruch der Krematorien. Die Meisten von ihnen wurden, wie eine Gruppe aus Saloniki, durch die Entkleidungsräume geschleust und angewiesen, ihre Kleider auf Haken zu häengen und sich die Nummer zu merken, wobei man ihnen nach der Dusche eine Mahlzeit und nach dem Essen Arbeit versprach. Die nichtsahnenden Juden griffen nach Seife und Handtuch und rannten in die Gaskammern. Nichts durfte diese prekäre Synchronisierung stören. Als ein jüdischer Häftling Neuankömmlingen enthüllte, was sie erwartete, wurde er lebendig verbrannt. Im Fall von Opfern, die aus nahe gelegenen Ghettos Oberschlesiens (Sonowitz und Bedzins) gebracht wurden und die Andeutungen über Auschwitz gehört hatten,war Geschwindigkeit alles. Diesen Leuten sagte man, sie sollten sich»zu ihrem eigenen Besten« rasch entkleiden. Einmal kam es vor einer Gaskammer in Auschwitz zu einem größeren Zwischenfall: Ein aus Belsen eingetroffener Transport revoltierte. Der Vorfall ereignete sich, als zwei Drittel der Angekommenen bereits in die Gaskammer geschoben worden war. Der Rest des Transport, der sich noch im Auskleideraum befand, hatte Argwohn geschöpft. Als drei oder vier SS-Leute hereinkamen, um sie zur Eile beim Auskleiden anzutreiben, kam es zum Kampf. Die Stromkabel wurden herausgerissen, die SS-Männer überwältigt, einer von ihnen erstochen; allen wurden die Waffen abgenommen. Während im Raum völlige Dunkelheit herrschte, begann zwischen der Wache an der Ausgangstür und den Gefangenen im Innern eine wilde Schießerei. Als Höß auf dem Schauplatz eintraf, ließ er die Türen schliessen. Es verging eine halbe Stunde. Dann betrat Höß in Begleitung einer Wache den Auskleideraum, leuchtete die Gefangenen mit einer Lampe an und trieb sie in einer Ecke zusammen. Von dort wurden sie einzeln in einen anderen Raum gebracht und erschossen. Selektionen wurden nicht nur bei der Ankunft auf dem Bahnsteig durchgeführt, um arbeitsfähige Deportierte auszusondern; auch in den Lagern selbst wurden regelmäßig Insassen eliminiert, die zu krank oder zu schwach waren, um noch zu arbeiten. Der übliche Anlaß zur Auswahl von Opfern war ein Namensappell, bei dem alle anwesend waren, ein anderer Ort war das Krankenhaus; mitunter wurden die Selektionen Block um Block durchgeführt. Ein ehemaliger Häftling sagte im Rückblick auf eine solche Selektion: »Ich versuchte mich so unauffällig wie möglich zu machen, nicht aufrecht, aber auch nicht zu schlapp dazustehen; nicht zu eifrig, aber auch nicht zu nachlässig; nicht zu stolz, doch nicht zu servil; denn ich wußte, daß jene, die anders waren, in Auschwitz starben, während die Anonymen, die Gesichtslosen überlebten.« Ein junger Intellektueller aus Italien, der mit einem geschwollenen Fuß in einer Auschwitzer Krankenstube lag, erfuhr von einen nichtjüdischen polnischen Häftling: »Du Jude, kaputt. Du schnell Krematorium, fertig.« In Treblinka galten Spuren von Schlägen ins Gesicht als böses Fatum:der Verletzte war »gestempelt« und beim nächsten Appell ein Kandidat für die Selektion. In Auschwitz versuchen die Opfer alles Mögliche, um davonzukommen. Sie versuchten sich zu verstecken. Gelegentlich verlegten sie sich auch auf Bitten. Ein neuzehnjähriges Mädchen bat Hößler, den Kommandanten des Auschwitzer Frauenlagers, sie zu verschonen. Er erwiderte: »Du hast lange genug gelebt. Komm, Kleine, komm.« Die Leute, die man ausgesucht hatte, wurden nackt unter Peitschenhieben durch Absperrketten von Kapos und Wachen gebracht. Vor Weihnachten 1944 wurden 2000 jüdische Frauen in Block 25 gesteckt, der eigentlich nur für 500 Häftlinge gedacht war. Dort blieben sie zehnt Tage eingesperrt. Durch eine Öffnung in der Türe schob eine Feuerwache Suppenkessel. Nach zehn Tagen waren 700 tot. Die Übrigen wurden vergast. Die eigentliche Vergasung begann mit einem Befehl. In Treblinka war es so, daß ein Deutscher einem ukrainischen Wachmann zurief: »Iwan, Wasser«, das Signal zum Anlassen des Motors. Das Verfahren lief nicht unbedingt schnell ab. Die Opfer standen, ohne sich in den kleinen Kammern bewegen zu können, dreissig oder vierzig Minuten lang, bis sie tot waren; nach dem Bericht eines Überlebenden in Treblinka wurden die Menschen ab und zu die ganze Nacht über in den Kammern gelassen, ohne daß der Motor angeworfen wurde. In Belzec, wo Unterscharführer Hackenholt den Motor bediente, wollte ein deutscher Besucher, Professor Pfannenstiel, wissen, was innen vor sich ging. Erhielt das Ohr an die Wand, lauschte eine Weile und bemerkte dann: »Wie in der Synagoge«. In Kulmhof wurden die Türen des Wagens von polnischen Arbeitern geschlossen. Einer wurde versehentlich zusammen mit den Juden eingesperrt und tobte verzweifelt, um herauszukommen. Die Deutschen entschieden, daß es unklug wäre, ihm die Tür zu öffnen. Wenn die Opfer von Auschwitz nacheinander die Gaskammer betraten, entdeckten sie, daß die vermeintlichen Duschen nicht funktionierten. Draussen wurde der Hauptschalter betätigt, um die Beleuchtung abzustellen, und ein Rot-Kreuz-Wagen mit dem Zyklon fuhr vor. Ein SS-Mann, der eine Gasmaske trug, die mit einem Spezialfilter versehen war, hob den Glasverschluß über ein vergitterten Schacht ab und schüttelte einen Zyklon-Kanister nach dem andern in die Gaskammer. Obwohl die tödliche Dosis ein Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht betrug und sich die Wirkung in der Regel schnell einstellte, konnte Feuchtigkeit die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Gases verringern. Untersturmführer Grabner, der politische Lageroffizier, stand mit der Stoppuhr in der Hand bereit. Wenn sich die ersten Kugeln auf den Boden der Kammer verflüchtigten, begannen die Opfer zu schreien. Auf der Flucht vor dem aufsteigenden Gas stießen die Stärkeren die Schwächern nieder und stellten sich auf die Liegenden, um gasfreie Luftschichten zu erreichen und so ihr Leben zu verlängern. Der Todeskampf dauerte etwa zwei Minuten; dann hörte das Schreien auf, und die Sterbenden fielen übereinander. Innerhalb von fünfzehn (gelegentlich auch fünf) Minuten waren alle in der Gaskammer tot. Nun ließ man das Gas entweichen, und nach etwa einer halben Stunde wurde die Tür geöffnet. Die Leichen fanden sich turmartig aufgehäuft, manche in sitzender oder halbsitzender Position, Kinder und ältere Menschen zuunterst. Wo das Gas eingeworfen war, befand sich ein freier Raum, der sich gebildet hatte, als die Opfer zurückwichen; gegen die Tür gepreßt waren Leichen von Menschen, die in höchster Angst auszubrechen versucht hatten. Die Leichen waren rosafarben und wiesen grüne Flecken auf. Manche bluteten aus der Nase. Einige der Leichen waren mit Kot und Urin bedeckt, bei manchem schwangeren Frauen hatte die Geburt eingesetzt. Die jüdischen Sonderkommandos, die Gasmasken trugen, zerrten die Leichen in der Nähe der Tür heraus, um sich einen Weg freizumachen; dann spritzten sie die Leichen ab, wobei sie zugleich das restliche, zwischen ihnen verbliebene Giftgas wegwuschen. Dann mußten die Sonderkommandos die Leichen auseinanderzerren. In allen Lagern wurden die Körperhöhlen nach versteckten Wertsachen durchsucht und den Toten die Goldzähne gezogen. Im Krematorium II (neue Nummerierung) in Birkenau wurden die Plomben und Goldzähne, die manchmal am Kiefer befestigt waren, mit Salzsäure gereinigt, um im Hauptlager in Barren umgeschmolzen zu werden. In Auschwitz wurde den Frauen das Haar abgeschnitten, nachdem sie tot waren. Es wurde vor dem Einpacken in einer Salmiaklösung gewaschen. Dann konnten die Leichen verbrannt werden."
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