"Um keinen Zweifel an der Unreife des kämpferischen Temperaments
übrigzulassen, zeigt sich zwischen dem eigentlichen Knaben- und dem Erwachsenenalter
bei den etwas älteren Schuljungen die Neigung, den Frieden in zwar zielloser
und spielerischer, aber doch mehr oder weniger systematischer und absichtlicher
Weise zu stören. Im allgemeinen beschränkt sich diese Unruhe auf die Jugendjahre.
Mit dem Beginn des Erwachsenendaseins wird sie seltener und verliert an Schärfe;
in einer allgemeinen Weise reproduziert also das Individuum in seinem Leben den
Ablauf von Stadien, durch welche die Gesellschaft seit der räuberischen Epoche
hindurchgegangen ist. In vielen Fällen hört allerdings das geistige Wachstum
auf, bevor der Einzelne die infantile Phase überwunden hat, so daß das
kämpferische Temperament ein Leben lang andauert. Auch jene Individuen, deren
geistige Entwicklung ausreift, machen also im allgemeinen eine vorübergehende
archaische Phase durch, die der endgültigen geistigen Ebene des Raufboldes
und des Spotthelden entspricht. Die geistige Reife und Besonnenheit verschiedener
Individuen ist natürlich nicht die gleiche, und jene, die das durchschnittliche
Niveau nicht erreichen, stellen in der modernen industriellen Gesellschaft unverdaute
Überreste eines rohen Menschentypus dar, die den selektiven Anpassungsprozeß
und damit die höhere industrielle Leistungsfähigkeit sowie den Lebensgenuß
der Gesamtheit hindern.
Die zum Stillstand gekommene geistige Entwicklung kann sich nun nicht nur in einer
direkten Teilnahme von Erwachsenen an wilden jugendlichen Heldentaten ausdrücken,
sondern indirekt auch darin, daß die Erwachsenen den jugendlichen Ruhestörern
helfen und ihnen Vorschub leisten. Dadurch wird die Bildung von rohen Gewohnheiten
gefördert, die dann im späteren Leben der heranwachsenden Generation fortbestehen,
wodurch jede Entwicklung in Richtung einer friedlicheren Gemütsart der Gesellschaft
verzögert wird. Wenn sich eine erwachsene Person mit einem derartigen Hang
zu Heldentaten in der Lage sieht, die Bildung von Gewohnheiten bei den jungen Mitgliedern
der Gesellschaft zu leiten und zu bestimmen, so kann sie im Sinne der Regression
und der Bewahrung gewaltätiger Eigenschaften einen beträchtlichen Einfluß
ausüben. Einen solchen Einfluß üben denn auch zum Beispiel Geistliche
und andere Stützen der Gesellschaft aus, wenn sie, wie dies seit kurzem der
Fall ist, mit großem Eifer Jugendorganisationen von pseudo-militärischem
Charakter gründen und fördern. Dasselbe gilt für die Pflege und die
Förderung des sogenannten College-Geistes, des Schulsportes und für Ähnliches.
Alle diese Manifestationen des räuberischen Temperaments gehören zur Kategarie
der Heldentat. Sie sind zum Teil naive und unüberlegte, miteinander wetteifernde
Äußerungen der Grausamkeit, zum Teil Handlungen, die bewußt im
Hinblick auf einen Prestigegewinn unternommen werden. Alle Arten von Sport weisen
diesen selben allgemeinen Charakter auf, zum Beispiel Preiskämpfe, Stierkämpfe,
Turnen, Schießen, Angeln, Segeln und selbst Geschicklichkeitsspiele, bei denen
die physische Zerstörungslust weniger aufdringlich in Erscheinung tritt. Zum
Sprort gehören sowohl der feindselige Kampf als auch Geschick, List, Kniffe
und Tricks, ohne daß es möglich wäre, diese Elemente genau voneinander
zu scheiden. Die Vorliebe für den Sport gründet in einer archaischen geistigen
Konstitution, nämlich in der relativ stark ausgebildeten räuberischen
Neigung für den Wettbewerb. Der Hang zu abenteuerlichen Heldentaten und das
Bedürfnis, anderen Schaden zuzufügen, kommen vor allem in jenen Tätigkeiten
zum Ausdruck, die man in der Umgangssprache als Weidwerk bezeichnet.
Für den Sport gilt vielleicht in noch höherem Maße als für
andere bereits erwähnte Ausdrucksformen der räuberischen Vorliebe für
den Wettbewerb, daß er dank einem jungenhaften Temperament betrieben wird,
weshalb der Sport in ganz besonderem Ausmaße Ausdruck einer zum Stillstand
gekommenen geistigen und moralischen Entwicklung ist. Die merkwürdige Puerilität
des sportlichen Temperaments wird sofort sichtbar, wenn wir unsere Aufmerksamkeit
dem Element der Vorspiegelung und Täuschung zuwenden, das jeglicher sportlichen
Betätigung eigen ist. Der Sport teilt diese Eigenschaft mit den kindlichen
Spielen und Heldentaten, von denen besonders die Knaben so begeistert sind. Natürlich
ist das Element der Vorspiegelung nicht im selben Maße in allen Sportarten
vorhanden. Es tritt viel deutlicher bei der Jagd und bei athletischen Wettkämpfen
in Erscheinung als etwa bei den ruhigeren Geschicklichkeitsspielen; allerdings mag
diese Regel nicht immer zutreffen Es fällt zum Beispiel auf, daß selbst
gutartige und nüchterne Männer beim Jagen eine Unmenge Waffen und Zuhehör
mit sich herumtragen, um sich selbst von der Ernstbaftigkeit ihres Unternehmens
zu überzeugen. Wenn solche Jäger zum Angriff auf das Wild übergehen,
so bedienen sie sich gern einer Art theatralischen Paradegangs, und wenn sie im
Hinterhalt liegen, so führen sie äußerst komplizierte und übertriebene
Bewegungen aus, welche offenbar zum Ritual der Heldentat gehören, die jeweils
unternommen wird. Auch zum athletischen Sport gehört eine Menge von leerem
prahlerischem Geschwätz und Getue - Merkmale, die den theatralischen Charakter
solcher Beschäftigungen hervorheben. In all dem zeigen sich deutlich genug
die puerilen Täuschungsversuche. Der Jargon der Sportler besteht übrigens
aus äußerst blutrünstigen Wendungen, die im allgemeinen dem Sprachschatz
der Kriegführung entnommen sind. Die Verwendung eines besonderen Jargons stellt
wahrscheinlich immer einen Beweis dafur dar, daß die betreffende Beschäftigung
etwas vortäuscht, was sie nicht ist, ausgenommen dort, wo die Geheimsprache
der Übermittlung von Nachrichten dient.
Ferner unterscheidet sich der Sport vom Duell und ähnlichen Friedensbrüchen
dadurch, daß man ihm auch andere als die heldenhaften Motive der Grausamkeit
unterstellen kann. Solche Motive treten im gegebenen Falle zwar sicher sehr selten
wirklich in Erscheinung, doch der Umstand, daß sie oft genannt werden, mag
darauf hinweisen, daß sie hie und da eine kleine Nebenrolle spielen. Sportleute,
wie Angler und Fischer, begründen ihren geliebten Zeitvertreib fur gewöhnlich
mit der Liebe zur Natur und dem Bedürfnis nach Erholung. Diese Motive sind
ohne Zweifel oft vorhanden und verleihen dem sportlichen Leben einen Teil seiner
Anziehungskraft, doch wesentlich sind sie bestimmt nicht. Diese angeblichen Bedürfnisse
könnten nämlich viel besser und viel einfacher erfüllt werden, wenn
man sich weniger systematisch bemühen würde, jene Kreaturen umzubringen,
die schließlich einen wesentlichen Bestandteil der "Natur" bilden,
die der Sportler doch so liebt. In der Tat wird die Natur dank der Jagd in einen
Zustand chronischer Verwüstung versetzt, weil der Jäger alle Lebewesen
tötet, deren er habhaft werden kann.
Man kann aber für die Behauptung des Jägers, daß er nämlich
unter den bestehenden konventionellen Umständen dein Bedürfnis nach Erholung
und nach Kontakt mit der Natur am besten auf die eben beschriebene Weise befriedigen
könne, noch andere Gründe finden. Die räuberische müßige
Klasse hat einst gewisse Regeln der Wohlanständigkeit aufgestellt, die nun
von den späteren Vertretern dieser Klasse peinlichst behütet und bewahrt
werden; diese Regeln sind es nun, die dem Jäger kein anderes Verhältnis
zur Natur erlauben. Der Sport, der in der räuberischen Kultur eine ehrenvolle
Beschäftigung und die vollkommenste Ausdruckstorm der täglichen Muße
darstellte, ist heute die einzige Art einer Beschäftigung im Freien die von
der Wohlanständigkeit voll und ganz sanktioniert wird. Zu den nächstliegenden
offensichtlichsten Motiven des Schießens und Angelns mag zwar auch das Bedürfnis
nach Erholung im Freien gehören; die tiefere Ursache aber, die verlangt, daß
dieses Bedürfnis in Form einer systematischen Schlächterei befriedigt
wird, gründet in einer Vorschrift, die nicht verletzt werden darf, will man
nicht Gefahr laufen, Prestige und Selbstachtung zu verlieren.
Bei anderen Sportarten liegt der Fall ähnlich, und die athletischen Wettkämpfe
stellen wohl das beste Beispiel dar. Auch hier existieren bindende Vorschriften
darüber, welche Formen der Aktivität, der Übung und der Erholung
mit Rücksicht auf das gesellschaftliche Prestige erlaubt sind. Die Liebhaber
und Bewunderer derartiger Wettkämpfe preisen sie als das beste Mittel der Erholung
und der sogenannten "Körperkultur", und die geltenden Sitten und
Gebräuche unterstützen diesen Anspruch. Die Prestigenormen schließen
aus dem Leben der müßigen Klasse jede Tätigkeit aus, die nicht als
demonstrative Muße klassifiziert werden kann, und folglich werden solche Tätigkeiten
nach Möglichkeit auch aus dem Leben der übrigen Gesellschaft verbannt.
Gleichzeitig aber empfinden die Menschen die ziel- und zwecklose körperliche
Anstrengung als lästig bis zur Unerträglichkeit. Wie wir in anderem Zusammenhang
bereits bemerkt haben, nimmt man in einem solchen Falle seine Zuflucht zu einer
Art der Aktivität, die wenigstens einen glaubwürdigen Vorwand liefert,
auch wenn der angegebene Zweck nur vorgespiegelt ist. Der Sport befriedigt nun nicht
nur die Forderung nach wesentlicher Sinnlosigkeit, sondern er bietet auch - anstelle
eines eigentlichen Zwecks - einen annehmbaren Vorwand;außerdem gestattet er
dem Geist des Wettbewerbs, sich hemmungslos auszuleben, was ihn noch anziehender
gestaltet. Um fur anständig und ziemlich gehalten zu werden, muß jede
Beschäftigung den Prestigenormen der müßigen Klasse entsprechen;
gleichzeitig aber ist es unerläßlich, daß jede Tätigkeit,
die als gewohnheitsmäBige, wenn auch nur partielle Lebensäußerung
von Dauer sein soll, den allgemeinen menschlichen Kriterien der Tauglichkeit für
ein brauchbares, objektives Ziel genügt. Die Normen der müßigen
Klasse schreiben eine strikte und umfassende Sinnlosigkeit vor, während der
Werkinstinkt nach zweckvollem Handeln strebt. Die Gesetze der Wohlanständigkeit
wirken langsam und nachhaltig, und zwar mittels eine selektiven Ausmerzung aller
irgendwie nützlichen und sinnvollen Handlungsweisen aus dem anerkannten Lebensplan,
während der Werkinstinkt spontan in Erscheinung tritt und sich in vorläufiger
Weise durch einen scheinbaren Zweck befriedigen läßt. Erst wenn die verdeckte
Sinnlosigkeit einer gegebenen Handlung als ein dem normalen zweckgerichteten Lebensprozeß
wesensfremdes Element bewußt wird, übt sie eine bevorhigende und abschreckende
Wirkung auf die Wahrnehmung des Einzelnen aus.
Die individuellen Denkgewohnheiten bilden einen organischen Komplex, dessen Ziel
notwendigerweise im Dienst am Leben besteht. Wenn nun versucht wird, diesem organischen
Komplex die systematische Verschwendung und die Sinnlosi keit als Lebensziele aufzudrängen,
so empört er sich. Doch kann eine solche Empörung des Organismus dadurch
vermieden werden, daß die Aufmerksamkeit ausschließlich auf men nächstliegenden
unreflektierten Zweck, das heißt auf irgedeine Art von Wettbewerb oder auf
eine Geschicklichkeitsübung gelenkt wird. Alle Sportarten - Jagen, Angeln,
Turnen, usw. ermöglichen es nun, sich nicht nur in der Geschicklichkeit zu
üben, sondern auch in Grausamkeit und Verschlagenheit - den Merkmalen des räuberischen
Lebens - zu wetteifern. Solange das Individuum weder einigermaßen denken noch
den verdeckten Sinn seines Handelns begreifen kann, solange aiso als sein Leben
zur Hauptsache aus unüberlegten, impulsiven Handlungen besteht, solange wird
die unmittelbare gedankenllose Zweckhaftigkeit des Sports als Ausdruck der Herrschsucht
seinen Werkinstinkt angemessen befriedigen. Dies trifft besonders dann zu, wenn
die dominanten Impulse in der unreflektierten spät-räuberischen Vorliebe
für den Wettbewerb bestehen. Gleichzeitig setzen sich auch die Normen der Wohlanständigkeit
zugunsten des Sports ein, und zwar als Ausdruck eines in finanzieller Hinsicht untadeligen
Lebens. Jede gegebene Beschäftigung, die diesen beiden Anforderungen, nämlich
der Verschwendung als letztem, verdecktem und der Zweckhaftigkeit als nächstliegendem
Ziel genügt, wird sich einen Platz unter den geziemenden Erholungsmöglichkeiten
sichern, und Konvention und Gewohnheit werden sie sanktionieren. Im selben Sinne,
in dem andere Arten der Erholung für wohlerzogene und empfindsame Leute moralisch
unmöglich sind, bildet der Sport unter den herrschenden Umständen das
beste vorhandene Mittel zur Entspannung und Erholung.
Jene sportbegeisterten Mitglieder der guten Gesellschaft rechtfertigen Ihre Haltung
sich selbst und den Nachbarn gegenüber außerdem meist mit dem Argument,
daß der Sport ein unschätzbares Erziehungsmittel sei. Er soll nicht nur
den Körper stählen, sondern angeblich auch einen männlichen Geist
hervorbingen, und dies nicht nur beim Sportler selbst, sondern auch beim Zuschauer.
Das Fußballspiel wird wahrscheinlich jedermann zuerst einfallen, wenn die
Frage nach dem Nutzen athletischer Spiele gestellt wird, denn diese Form des sportlichen
Kampfes ist jedem vertraut, der für oder gegen sportliche Spiele als einem
Mittel der physischen oder moralischen Erlösung ist. Dleses typlsche athletische
Spiel soll uns deshalb als Beispiel dienen, um den Einfluß des Sports auf
die Entwicklung des Charakrers und des Körpers darzustellen. Man hat nicht
mit Unrecht behauptet, daß der Fußball zur Körperkultur ungefähr
im selben Verhältnis steht wie der Stierkampf zur Landwirtschaft; beide verlangen
nämlich eifriges Training und sorgfältige Zucht. Das dafür verwendete
Material, ob tierischer oder menschlicher Natur, wird genauestens ausgewählt
und dressiert um bestimmte Fähigkeiten und Neigungen heranzubilden und zu vervollkommnen,
die für einen gewissen tierisch-wilden Zustand kennzeichnend sind, im Stadium
der Domestizierung aber für gewöhnlich verschwinden. Dies will natürlich
nicht besagen daß das Ergebnis in beiden Fällen in einer vollständigen
und konsequenten Rehabilitierung des tierisch-wilden Benehmens oder der barbarischen
Denkgewohnheiten besteht. Es stellt eher eine einseitige Rückkehr in die Barbarei,
beziehungsweise eine Rückkehr zur natürlichen Bestie, zur ferae natura
dar - eine Rechtfertlgung und Betonung jener tierisch-wilden Züge, die Schaden
und Verwüstung anrichten, ohne eine entsprechende Entwlcklung jener anderen
Züge, die der Selbsterhaltung und dem Lebensgenuß eines Individunms in
einer Umgebung von wilden Tieren dienen würden. Die Kultur, die der Fußball
hervorbringt, besteht in exotischer Grausamkeit und Verschlagenheit. Sle stellt
eine einseitige Rechtfertigung des frühen barbarischen Temperaments dar, unterdrückt
aber ausgerechnet jene Elemente dieses Temperaments, die, vom Standpunkt der Sozialen
und wlrtschaftlichen Forderungen aus betrachtet, die einzigen versöhnlichen
Merkmale des primitiven Barbaren bildeten.
Die Körperkraft, welche die athletischen Spiele verschaffen wenn man überhaupt
sagen kann, daß sie dies tun-, kann so wohl für das Individuum als auch
für die Gesamtheit von Vorteil sein, weil sie, unter sonst gleichen Umständen,
eine gewisse wirtschaftliche Tauglichkeit bedeutet. Die geistigen Merkmale hingegen,
die mit dem athletischen Sport verbunden sind, gereichen zwar dem Individuum, aber
nicht der Gesamtheit zum Vorteil. Dies gilt für jede Gesellschaft, in der diese
Merkmale mehr oder weniger in Erscheinung treten, denn der moderne Wettbewerb ist
größtenteils identisch mit der individuellen Selbstbehauptung, die auf
diesen Merkmalen der räuberischen Natur beruht. In der verfeinerten Gestalt,
in der sie beim modernen friedlichen Wettbewerb auftreten, stellen sie, wenigstens
in gewissem Grade, fast eine Lebensnotwendigkeit für den zivilisierten Menschen
dar.
Doch während sie für das rivalisierende Individuum unerläßlich
sind, dienen sie der Gesellschaft nicht ohne weiteres. Was die Tauglichkeit des
Individuums für die Zwecke des kollektiven Lebens anbelangt, so ist die Tüchtigkeit
im Wettbewerb bestenfalls von indirektem Nutzen. Grausamkeit und List nützen
der Gesellschaft höchstens dann, wenn sie in Streitigkeiten mit anderen Gesellschaften
verwickelt ist; und sie nützen auch dem Individuum nur deshalb, weil sie in
der menschlichen Umwelt, der es ausgesetzt ist, in so großem Maße vorhanden
sind. Jedes Individuum, das am Wettbewerb teilnimmt, ohne diese Eigenschaften in
genügendem Maße zu besitzen, ist; im Nachteil; es befindet sich etwa
in derselben Lage wie ein Stier ohne Hörner, der in eine Herde von gehörntem
Vieh geraten ist.
Die räuberischen Charaktereigenschaften mögen natürlich aus Gründen
wünschenswert erscheinen, die mit Ökonomie nichts zu tun haben. Auf ästhetischem
oder ethischem Gebiet herrscht zum Beispiel eine Vorliebe für die barbarischen
Tugenden, welcher die oben genannten Eigenschaften so sehr entgegenkommen, daß
ihre Brauchbarkeit in dieser wahrscheinlich die Nachteile in ökonomischer Hinsicht
bei weitem ausgleicht Doch wollen wir diese Frage nicht weiter verfolgen und nichts
über die Wünschbarkeit oder Ratsamkeit des Sports im allgemeinen, das
heißt über seinen Wert aus anderen als wirtschaftlichen Gründen
sagen.
Nach Ansicht des Volkes ist die besondere Männlichkeit. die das sportliche
Leben hervorbringt, sehr bewundernswert. Gemäß dem etwas losen Wortgebrauch
der Umgangssprache gilt der Sportler als unabhängig und als guter Kamerad.
Von einem anderen Gesichtspunkt aus kann man jedoch dieselben Eiigenschaften auch
als Roheit und Cliquengeist deuten. Daß diese männlichen Tugenden allgemein
gebilligt und bewundert werden, ja, daß man sie überhaupt als männlich
bezeichnet, hat seinen Grund darin, daß sie dem Einzelnen von Nutzen sind.
Die Mitglieder der Gesellschaft, und besonders jene soziale Klasse, die in Fragen
des Geschmacks tonangebend ist, besitzen diese Neigungen in so hohem Maße,
daß ihr Fehlen bei andern Leuten nicht nur als Mangel empfunden wird, sondern
daß sie geradezu als Attribute eines höheren und außergewöhnlichen
Wertes gelten. Die Eigenschaften des räuberischen Menschen sind in der modernen
Welt keineswegs im Aussterben begriffen. Sie liegen bereit, um jeden Augenblick
in Erscheinung zu treten, wenn an die Gefühle appelliert wird, in denen sie
sich für gewöhnlich äußern - vorausgesetzt natürlich,
daß ein solcher Appell nicht allzu sehr mit den gewohnten Beschäftigunger
und alltäglichen Interessen in Konflikt gerät. Die Masse der Bevölkerung
hat sich von diesen, ökonomisch gesprochen, überholten Neigungen nur in
dem Sinne emanzipiert, als sie teilweise und zeitweilig keine Verwendung mehr für
sie hat, worauf die besagten Neigungen in den Hintergrund rutschen und als unbewußte
Motive weiterleben. Sie sind zwar nicht in allen Individuen im selben Grade vorhanden,
doch liegen sie bereit, um menschliche Handlungen und Gefühle in aggressiver
Weise zu prägen, sobald ihnen ein Reiz von relativ starker Intensität
die Gelegenheit dazu verschafft. Und sie kommen notwendigerweise am ehesten dort
zum Durchbruch, wo keine der räuberischen Kultur fremde Beschäftigung
die täglichen Interessen und Gefühle des Einzelnen in Anspruch nimmt.
In dieser Lage befinden sich die müßige Klasse sowie einige von ihr abhängige
Bevölkerungsgruppen Nun können wir uns die Beliebtheit des Sports unter
den neu in die müßige Klasse aufgenommenen Mitgliedern sowie die rapide
Verbreitung der sportlichen Gesinnung in ieder industriellen Gesellschaft erklären,
die reich genug ist, damit ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung von
der Arbeit ausgenommen werden kann." Thorstein Veblen, Theorie der feinen
Leute. S.188-195f