Die Versuche von Rechtsextremisten, durch Vergleiche zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus Auschwitz zu relativieren, haben den hilflosen Antifaschismus der vulgären Totalitarismustheorie zum Agitationobjekt. Einer historischen Analyse halten solche Relativierungen nicht stand, wie der folgende Artikel beweist. Die Gleichung rechts=links, die aus dem kalten Krieg stammte und stets sich hauptsächlich gegen links sich richtete, ist auch anderen Gründen falsch. Vgl. Argumente gegen rechts

"Ausrottung" der Bourgeoisie und der Kulaken in Sowjetrußland?

Anmerkungen zu einem fragwürdigen Vergleich mit Hitlers Judenvernichtung


von Stefan Merl

"Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine 'asiatische' Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer 'asiatischen' Tat betrachteten?" (1) Mit dieser Frage versuchte Ernst Nolte einen kausalen Zusammenhang zwischen den bolschewistischen Untaten und Hitlers Judenvernichtung zu suggerieren und löste damit eine heftige publizistische Kontroverse aus. Nolte beließ es jedoch nicht bei dieser Frage. An anderer Stelle behauptete er, "daß hier die tiefste Wurzel des Extremsten von Hitlers Handlungsimpulsen zu suchen" sei, (2) und nannte Auschwitz eine bloße Kopie bolschewistischer Vernichtungsaktionen: "Auschwitz is not primarily a result of traditional antisemitism. lt was in its core not merely a 'genocide' but was above all a reaction borii out of the anxiety of the annihilating occurrences of the Russian Revolution. This copy was far more irrational than the original, because it was simply absurd to imagine that 'the J ews' had ever wanted to annihilate the German bourgeoisie or even the German people, and it is very hard to admit even a perverted ethos." (3)
Nolte behauptet, er habe sich "lange Zeit gescheut", diese Fragen zu stellen: "Sie gelten als antikommunistische Kampfthesen oder als Produkte des kalten Krieges. Sie passen auch nicht recht zur Fachwissenschaft, die immer engere Fragestellungen wählen muß. Aber sie beruhen auf schlichten Wahrheiten. Wahrheiten willentlich auszusparen, mag moralische Gründe haben, aber es verstößt gegen das Ethos der Wissenschaft."(4)
Während Noltes Thesen überwiegend auf scharfen Widerspruch stießen, schlossen sich ihnen, zumindest teilweise, Joachim Fest und Hagen Schulze an.(5) Auch sie halten die Judenvernichtung mit der "Ausrottung" der Bourgeoisie und der Kulaken für vergleichbar: "Im einen wie im anderen Falle gab es keine Möglichkeit der Rechtfertigung oder des Unschuldbeweises, weil es um Schuld oder Unschuld gar nicht ging, sondern um bloße Zugehörigkeiten. Hier zu einer Klasse, dort zu einer Rasse."(6)
Bei Nolte wird die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen "auf den technischen Vorgang der Vergasung"(7) reduziert. Fest läßt nicht einmal dieses gelten und unterstellt, auch in Sowjetrußland müsse es Vergleichbares gegeben haben: "Aber kann man glauben, daß das Ausrottungswerk Stalins auf wesentlich andere, weniger administrative Weise vollbracht wurde? ... Wir kennen die grauenerregenden Bilder der Leichenhaufen... Doch was berechtigt uns zu denken, es habe dergleichen in den Mordfabriken der Stalin-Ära nicht gegeben? Wir haben es nicht gesehen. Es gibt keine Fotos oder Filme davon. Aber ist es mehr als ein Mangel an humaner Phantasie, daß auch die Vorstellung kein Bild davon hat?"(8)
Inzwischen ist die Zulässigkeit des Vergleichs vielfach verneint worden. Nolte vermag an keiner einzigen Stelle neue Belege dafür anzuführen, daß Hitler selber die Judenvernichtung überhaupt in diesen Zusammenhang gestellt hat. Seine Beweiskette beruht im wesentlichen darauf, daß er fragt, ob es nicht so gewesen sein könnte, und dann suggeriert, daß es tatsächlich so gewesen sei. Auf diesen Teil der Auseinandersetzung soll hier nicht eingegangen werden. Bedenklich ist vor allem, daß sich gewissermaßen als Bodensatz dieser Kontroverse die scheinbar gesicherte Erkenntnis ablagert, in Sowjetrußland habe, dem deutschen Judenmord vergleichbar, eine ähnlich systematische "Ausrottung" der Bourgeoisie und der Kulaken stattgefunden. Aus Unkenntnis wird auch von manchen Autoren, die den Vergleich für unzulässig halten, diese Behauptung nicht in Zweifel gezogen. Jüngstes Beispiel dafür ist Jürgen Habermas, der sich selbst korrigiert und nun nicht mehr von der"Vertreibung", sondern von der"Vernichtung" der Kulaken als "zutreffender Beschreibung dieses barbarischen Vorgangs" spricht. (9) Solche Behauptungen sind korrekturbedürftig. Im folgenden möchte ich die Thesen über die"Ausrottung" der Bourgeoisie und der Kulaken im einzelnen anhand der uns bekannten Fakten prüfen.

1. Wurde die Bourgeoisie "ausgerottet"?
Ohne Zweifel haben die Bolschewiki in den ersten fünfzehn Jahren ihrer Herrschaft immer wieder von der "Ausrottung der Bourgeoisie" und von der "Liquidierung der Kulaken" gesprochen. Liquidiert werden sollten Bourgeoisie und Kulakentum "als Klassen", nicht aber zwangsläufig und gleichsam automatisch auch jeder einzelne Bourgeois oder Kulak. Dieser Unterschied mag geringfügig erscheinen, ignoriert werden darf er jedoch nicht. Anders als Nolte ist sich Fest durchaus bewußt, daß hier differenziert werden muß: "Und wenn in den vehementen Kampfansagen der einen wie der anderen Seite das Wort 'Vernichtung' auftaucht, kann auch nicht außer acht bleiben, daß die radikale Linke darunter zumeist nicht die physische, sondern offenbar die gesellschaftliche oder historische Ausschaltung des Gegners im Auge hatte."(10) Dem ist nichts hinzuzufügen. Im folgenden bleibt zu fragen, ob es in der Praxis nicht doch zur physischen Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen kam, weil die Bolschewiki, wie Fest sagt, selber Gefangene eines Prozesses geworden waren, den sie durch ihre eigene Phraseologie ausgelöst hatten.
In der westlichen Fachliteratur sucht man vergebens nach der "Ausrottung der Bourgeoisie" in Rußland:(11) Beschrieben wird hier dagegen die generelle Unterdrückung politischer Opposition durch die Bolschewiki nach ihrer Machtübernahme. Bis Mitte 1918 eskalierte die Auseinandersetzung mit "konterrevolutionären" Kräften zu einem Bürgerkrieg, an dem sich auf der Seite der "Weißen" auch ausländische Mächte beteiligten. Die Entfaltung des "Roten Terrors" im zweiten Halbjahr 1918 ist ohne diese Entwicklung nicht zu erklären. Der von den "Weißen" ausgeübte Terror stand dem der "Roten" nicht nach. Das weiß auch Nolte. (12) Allein die Tatsache, daß die behauptete "Ausrottung" der Bourgeoisie im Verlauf eines Bürgerkrieges stattfand, der von beiden Seiten mit brutalsten Mitteln auch gegen die unbeteiligte Bevölkerung geführt wurde, unterscheidet den Sachverhalt grundsätzlich von Hitlers Judenvernichtung. (13)
Gab es aber überhaupt eine systematische "Ausrottung" der Bourgeoisie? Nolte will die "neue Dimension" des Roten Terrors darin erblicken, daß sich dieser im Unterschied zum Terror der Weißen gegen eine Klasse richtete und daß bereits die Zugehörigkeit zu dieser Klasse hinreichend für die Ermordung gewesen sei. Über die Opfer des" Roten Terrors" ist genug bekannt, um diese Ansicht zurückzuweisen. Es waren keineswegs überwiegend Bürgerliche, sondern im großen Maße Arbeiter, Mitglieder der Arbeiterparteien, Bauern und Deserteure aus der Roten Armee. (14) Während des Bürgerkrieges sprachen die Bolschewiki zwar davon, die Bourgeoisie als Klasse vernichten zu wollen. (15) In der Praxis zielte jedoch der "Rote Terror" vorwiegend darauf, die Masse der Bevölkerung einzuschüchtern und von "konterrevolutionären" Taten abzuschrecken. Dabei fielen ihm, u.a. bei Vergeltungsaktionen, auch Menschen zum Opfer, die an Kampfhandlungen nicht beteiligt waren, wohl aber einer potentiell feindlich eingestellten Sozialgruppe zugerechnet wurden. Die große Mehrheit der Bourgeoisie lebte während des Bürgerkrieges in ständiger Angst vor Verhaftung. Sie war Diskriminierungsmaßnahmen ausgesetzt: z.B. der Vertreibung aus der Wohnung zur Einquartierung von Arbeitern, "rücksichtsloser Besteuerung" und der Abschaffung des Erbrechtes. (16)
Fragt man nach möglichen Quellen für die hier kritisierten Vergleiche mit der Nazizeit, stößt man auf ein vor wenigen Jahren erschienenes Buch von Peter Scheibert: "Lenin an der Macht". (17) Fest hat es zweifellos herangezogen, alle von ihm gebrachten - sonst schwer auffindbaren - Zitate stammen aus diesem Buch. Ob es auch Nolte inspiriert hat, muß dahingestellt bleiben. Wie Scheibert in seinem Vorwort mitteilt, schrieb er sein Buch als "innere Bewältigung der kommunistischen Offensive" an der Marburger Universität (gemeint ist die Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre).(18), Er trägt zusammen, was er in den Bibliotheken der westlichen Welt an Nachrichten über die Untaten der Bolschewiki finden konnte. Nach dem Weißen Terror wird überhaupt nicht gefragt, die ausländische Intervention kaum erwähnt. Daß die Bolschewiki an allem schuld waren und Lenin nicht besser als Stalin war, gilt dem Verfasser von vornherein als ausgemacht. Scheibert spricht von der Ausrottung der alten Bildungs schichten, (19) zieht mehrfach Vergleiche mit Hitler und merkt an, daß den Bolschewiki damals nur der Gasofen noch nicht zur Verfügung gestanden habe.(20) Belegt Scheibert die "Ausrottung der Bourgeoisie"? Wer seine Dokumentation durcharbeitet, findet keinen Anhaltspunkt dafür. Eine Vielzahl von Gewalttaten wird angeführt, darunter nicht wenige Fälle brutaler Grausamkeit. (21) Ebenso deutlich wird jedoch, daß dem Roten Terror eine zentrale Lenkung weitgehend fehlte, daß es sich überwiegend um Aktionen des Pöbels oder der lokalen Tscheka-Führer handelte. Für den unvoreingenommenen Leser wird gerade hier die Unvergleichbarkeit mit Hitlers Massenvernichtung dokumentiert. Wenn Scheibert in seinem Kapitel über die Tscheka anführt, ihr Leiter Dzeriinskij habe noch Anfang 1921 die Zusammenfassung der Bourgeoisie in Konzentrationslagern verlangt, (22) heißt das doch nichts anderes, als daß diese auch am Ende des "Roten Terrors" weder "ausgerottet" noch überhaupt in Lager verbracht worden war.

2. Wurden die Kulaken "ausgerottet"?
Hagen Schulze setzt dies umstandslos voraus und hält Vergleiche mit dem Holocaust für angebracht: "Im Fall der nationalsozialistischen Judenmorde ergeben sich beispielsweise gemeinsame Aspekte mit den Kulaken-Ausrottungen in der Sowjetunion und den Massenvernichtungen des Pol-Pot Regimes in der Mechanischen Massenhaftigkeit des Tötens, der Zugehörigkeit der Ermordeten zu einer bestimmten Gruppe als ausreichender Mordgrund sowie in der vorwiegend ideologischen Motivierung der Mörder."(23) Auf diese Vergleichspunkte soll ausführlicher eingegangen werden. Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß die genauen Umstände der"Liquidierung der Kulaken als Klasse" in der Literatur bisher nur unzureichend beleuchtet worden sind.
Zunächst ist zu beachten, daß der Begriff "Kulak" keineswegs eindeutig definiert war. Die Bolschewiki verstanden darunter nicht Großbauern schlechthin, sondern nur denjenigen, der im Dorf als "Parasit" und "Ausbeuter" auftrat und nicht von eigener Hände Arbeit lebte. Das aber war ein Bauerntyp, den es im sowjetischen Dorf der zwanziger Jahre praktisch nicht mehr gab. Selbst die größten Bauernwirtschaften arbeiteten fast ausschließlich mit familieneigenen Arbeitskräften; Lohnarbeit und Landpacht hatten nur geringe Bedeutung. Mit der Verhärtung der Politik gegenüber den wohlhabenden Bauern versuchte die Sowjetmacht seit 1926 immer wieder, Kriterien für das Auffinden von "Kulaken" im Dorf zu benennen, ohne für die politische Praxis zu einem auch nur annähernd eindeutigen Begriff zu kommen. Abweichend von dieser politischen Definition erfolgte die Einteilung der Sozialgruppen auf der Grundlage statistischer Auswahlerhebungen. Hier bezeichnete man die gesamte dörfliche Oberschicht als "Kulaken". Ausschlaggebend für die Zuordnung war in erster Linie die nach dem Wert der Produktionsmittel bestimmte Größe des Hofes, "Ausbeutungskennzeichen" hatten nur sekundäre Bedeutung. (24) Obwohl zwischen der statistischen und der engeren politischen Definition des "Kulaken" keine Obereinstimmung bestand, bediente sich die Parteiführung dieser statistischen Erhebungen, um den Anteil der "Kulaken" im Dorf festzulegen: Knapp 4 % aller Höfe und gut 5 % der Dorfbevölkerung wurden dieser "Klasse" zugezählt.
Wie wenig dieses Vorgehen den russischen Bedingungen Rechnung trug, zeigt sich allein daran, daß diese "Klasseneinteilung" vor allem große Familien isolierte, da relativer Wohlstand und Familiengröße korrelierten. (25) Diese Diskrepanz zwischen der angeblichen Gesamtzahl und der bei Beachtung der vorgegebenen Kriterien in den Dörfern tatsächlich auffindbaren "Kulaken" eröffnete von Beginn an eine gewisse Willkür bei der Festlegung, welcher Hof nun als"Kulakenwirtschaft" anzusehen war. Das Problem verschärfte sich noch durch die Folgen des politischen und ökonomischen Drucks, der seit 1927 auf die Bauern ausgeübt wurde. Bei gleichbleibenden Kriterien reduzierte sich der statistisch ermittelte Anteil der Kulaken an allen Höfen zwischen 1927 und 1929 von 3,9 % auf 2,3 %. Dieser Rückgang war vorwiegend auf die sog. "Selbstliquidierung der Kulakenwirtschaften" zurückzuführen, wobei diese Wirtschaften die als "Ausbeutung" gekennzeichneten Betriebsformen (Lohnarbeit, Landpacht, Maschinenverleih usw.) reduzierten oder ganz aufgaben. (26) Eigentlich hatte sich damit das "Kulakenproblem" gewissermaßen von selbst gelöst, bevor die eigentliche Verfolgung der"Kulaken" im Herbst 1929 überhaupt erst einsetzte. Eine "Klasse der Kulaken", deren "ausbeuterischer Charakter" den amtlichen Kriterien entsprochen hätte, gab es im sowjetischen Dorf also nicht. Die Zuordnung im Einzelfall war stets eine Willkürentscheidung der lokalen Machtorgane.
Wie gezeigt, bildeten die "Kulaken" überhaupt keine abgrenzbare Klasse, sondern stellten ein ideologisch abgeleitetes Feindbild dar. Gebraucht wurde dieses Feindbild jedoch keineswegs nur aus ideologischen Motiven, sondern zur Durchsetzung praktischer Ziele: Um die Bauern den staatlichen Forderungen zu unterwerfen, war es erforderlich, daß der"Kulak" ein vage bestimmter Begriff blieb, unter den jede auch nur etwas überdurchschnittlich versorgte Bauernwirtschaft fallen konnte. Man schlug auf den fiktiven Kulaken ein, um die Masse der Bauern einzuschüchtern und politisch willfährig zu machen . (27) Der seit 1927 ausgeübte politische Druck auf die "Kulaken" und nachfolgend ihre "Liquidierung als Klasse" sollten helfen, die Zwangskollektivierung unter dem Deckmantel der "Freiwilligkeit" durchzusetzen.
Der Verlauf der Kulakenverfolgung zwischen Ende 1929 und 1933 unterstreicht deren funktionale Bedeutung. So verliefen die beiden Wellen der "Liquidierung der Kulakenwirtschaften" parallel zu den Kollektivierungswellen. Die Angst vor einem ähnlichen Schicksal sollte die Bauern zum Beitritt in die Kolchosen bewegen. Als Kulak wurde Anfang 1930 verfolgt, wer entweder im Frühjahr 1928 oder 1929 der Steuerklasse der "individuell besteuerten" Höfe zugeordnet war, wer sich der Kollektivierung öffentlich widersetzte oder auch nur Einfluß auf das Verhalten der anderen Bauern hatte. Nach der ersten Welle der "Liquidierung der Kulakenwirtschaften" erfolgte im Frühjahr 1930 eine Prüfung, ob die Besitzkonfiskation oder die Deportation "zu Recht" erfolgt sei. Selbst unter den Deportierten wurden dabei etwa 10 %, unter den in ihren Heimatgebieten Verbliebenen sogar mehr als 20 % "zu Unrecht" Enteigneter entdeckt. Darunter verstand man im Vergleich mit anderen Höfen nichtwohlhabende oder sogar arme Wirtschaften. Auch wohlhabendere Wirtschaften mit einem Sohn in der Roten Armee oder mit einem Familienmitglied, das der "Dorfintelligenz" (Lehrer, landwirtschaftliche Spezialisten usw.) zuzurechnen war, durften grundsätzlich nicht als "Kulakenwirtschaft" liquidiert werden.(28)
Die Parteiführung hatte dekretiert, daß "mindestens 3 % aller Höfe" als "Kulakenwirtschaften" zu liquidieren seien. Das war nur zu erreichen, wenn die lokalen Partei- und Sowjetorgane die vorgegebenen Kriterien großzügig auslegten und in großem Umfang Leute einbezogen, die sich staatlichen Anordnungen widersetzten oder den örtlichen Machthabern persönlich mißliebig waren. Bei der zweiten Welle der "Liquidierung der Kulakenwirtschaften" im Winter 1930/31 spielten Kriterien für die Zuordnung ohnehin kaum noch eine Rolle. Die ehemals wohlhabenderen Höfe waren weithin schon Anfang 1930 enteignet worden, viele der nichtbelangten Bauern hatten ihr Dorf verlassen. Alle im Dorf verbliebenen Höfe waren inzwischen verarmt. Danach gab es zwischen Mitte 1931 und 1933 nur noch in den nationalen Randgebieten (vorwiegend Mittelasien und Transkaukasien) regionale Verfolgungsaktionen. Zwar entdeckte man nun auch in den Kolchosen immer häufiger sog. "Kulaken", diese Einzelverfolgung hatte aber mit einer Sozialgruppenzuordnung nichts mehr zu tun. Hier standen das Gefügigmachen der Kolchosbauern und ihre Disziplinierung im Vordergrund. Betroffen waren vor allem Inhaber von Kolchosposten (von Kolchosvorsitzenden bis zum Pferdeknecht), denen man Mißwirtschaft, Sabotage oder auch einfach "Klassenblindheit" vorwarf. In diesern Sinn ging der Begriff des "Kulaken" nach 1935 nahtlos in den neuen Begriff des "Volksschädlings" über.
Daß bei der"Liquidierung der Kulaken als Klasse" nicht die Absicht, diese Personengruppe physisch zu vernichten, im Vordergrund stand, geht bereits aus den amtlichen Anweisungen zur Durchführung der Aktion hervor. Tatsächlich war die Besitzkonfiskation und die Vertreibung vom Hof der einzige gemeinsame Nenner für das Schicksal aller Kulaken. In der Praxis wurden die "Kulakenwirtschaften" Anfang 1930 in drei Kategorien eingeteilt, die jeweils ein unterschiedliches Maß der Repression bedeuteten: In die erste Kategorie kamen die "konterrevolutionären Kulaken". 10 % aller Kulakenhöfe wurden so eingestuft. Die Familienoberhäupter dieser Betriebe wurden von der OGPU verhaftet, zu mindestens zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt und in den GULag gebracht. Die übrigen Familienmitglieder deportierte man nach Norden, ihr Besitz wurde vollständig konfisziert. In die zweite Kategorie kamen"besonders reiche Kulaken" und "Halbgroßgrundbesitzer". Hier erfolgte in der Regel keine Verhaftung, die Familien unterlagen aber ebenfalls der Deportation nach Norden und der Besitzkonfiskation. Die übrigen Kulaken - jedenfalls die meisten "Kulakenwirtschaften" - wurden in die dritte Kategorie eingestuft. Sie waren innerhalb ihres Heimatkreises umzusiedeln, sobald die lokalen Staatsorgane ihnen minderwertigen Boden zur Neuansiedlung zuweisen konnten. Die notwendigsten Produktionsmittel zur Bodenbearbeitung und knappe Vorräte bis zur nächsten Ernte sollten ihnen belassen werden, ihr übriger Besitz unterlag der Konfiskation.(29)
Der Beschluß über die"Liquidierung der Kulakenwirtschaften" zur Unterstützung der Zwangskollektivierung fiel Anfang 1930 ohne jede organisatorische Vorbereitung. Die unter Druck gesetzten lokalen Partei- und Sowjetorgane praktizierten auch zuvor schon verbreitet Zwang gegen die Bauern. So war die "individuelle" Besteuerung, der 3% der Höfe unterzogen werden sollten, häufig mit Zwangsversteigerung verbunden. Bauern, die in Versammlungen gegen staatliche Forderungen auftraten, mußten mit ihrer Verhaftung rechnen. In dieser Situation schritten die lokalen Machtorgane gleich nach der Verkündung des Beschlusses zur Besitzkonfiskation bei den"Kulakenwirtschaften", ohne daß deren Abtransport oder Umsiedlung innerhalb des Kreises bereits durchgeführt werden konnte. Mehrere hunderttausend Höfe waren betroffen. In einigen Orten verjagte man die enteigneten Familien trotz der Winterkälte unverzüglich aus ihren Häusern. Weder auf Kranke, Gebrechliche noch Mütter mit Kleinkindern wurde Rücksicht genommen. In ihrer Verzweiflung begingen einige "Kulaken" Selbstmord. (30) Anderen gelang es aber auch, rechtzeitig vor Eintreffen der Konfiskationstrupps unterzutauchen oder sogar zusammen mit der Familie zu fliehen. Auch die Aufnahmeregionen der ersten Deportationsn Transporte im Februar und März 1930, vor allem der europäische Nordee und der Ural, hatten keine hinreichende Vorbereitun treffen können. Bereits während des Bahntransports gab es Todesfälle. Mit dem Einsetzen des Tauwetters spitzte sich die Lage in den Aufnahmelagern zu. Seuchen breiteten sich aus, die besonders unter den Kindern große Opfer forderten. Im April 1930 wurden deshalb alle Kinder aus den Lagern abgezogen und in die Heimatgebiete zurücktransportiert. Von den insgesamt etwa 400.000 Personen, die damals bereits nach Norden deportiert worden waren, kamen bis zum Sommer 1930 vermutlich 20 bis 40000 Menschen um. (31)
Die Gesamtzahl der von der "Liquidierung der Kulakenwirtschaften" betroffenen Familien wie auch die Zahl der Opfer lassen sich mit Hilfe der heute verfügbaren Daten zumindest annähernd bestimmen. Dabei zeigt sich, daß die in der gegenwärtigen Kontroverse wieder aufgestellte Behauptung, alle Kulaken seien umgekommen, jeder Grundlage entbehrt. (32) Seriöse Schätzungen ergeben das folgende Bild: Insgesamt waren zwischen Ende 1929 und Mitte 1933 etwa 600 bis 800000 bäuerliche Haushalte von der "Liquidierung der Kulaken als Klasse" betroffen. Bei einer durchschnittlichen Kopfzahl der betreffenden Familien von etwa sechs Personen sind das 3,5 bis 5 Millionen Menschen.(33) Über die Hälfte dieser"Kulakenwirtschaften" verblieb in ihren Heimatbezirken. Diese Familien wurden mithin lokal umgesiedelt und mußten, häufig unter schwierigsten Bedingungen, einen neuen Anfang versuchen. Etwa 350000 Familien mit 1,8 Millionen Personen wurden deportiert. Die im Herbst 1930 wiedereinsetzenden Transporte verliefen weniger barbarisch. Außer dem Ural war das Zielgebiet nunmehr hauptsächlich Sibirien und Kasachstan, also Gebiete, in denen ein erheblicher Mangel an Arbeitskräften bestand.
Die Deportierten durften ihre neuen Ansiedlungspunkte nicht verlassen. (34) Von den ursprünglich etwa 1,8 Mill. Menschen befanden sich Anfang 1935 noch etwa 1,1 Millionen in ihrem Verbannungsgebiet, Anfang 1941 waren es noch 222000 Haushalte ehemaliger Kulaken mit 930000 Personen.(35) Die Differenz gegenüber der ursprünglichen Zahl der Deportierten erklärt sich auch aus Abwanderungen und natürlichem Ableben; ein im einzelnen nicht bestimmbarer Teil dieser Personen ist als Opfer der "Liquidierung der Kulakenwirtschaften" anzusehen.
Fast geschlossen umgekommen sind im Lauf der 30er Jahre ca. 100 000 in das GULag-System eingewiesene Verhaftete, vorwiegend Familienoberhäupter. Weitere 100 000 Menschen kamen vermutlich Anfang 1930 durch die Vertreibung aus ihren Häusern, die Deportation nach Norden und standrechtliche Erschießung ums Leben. Einschließlich der in den Deportationsgebieten bis Ende der 30er Jahre Verstorbenen läßt sich die Gesarntzahl der Opfer auf ungefähr 300000 Personen eingrenzen.(36) Die hohe Zahl der Opfer war eine Begleiterscheinung der Aktion, sie wurde offensichtlich von der Parteifiihrung in Kauf genommen. Trotzdem ist aus den Umständen ersichtlich, daß in der Sowjetunion, anders als bei den deutschen Judenmorden, von einem vorgefaßten, systematischen Vernichtungswillen der Staatsmacht gegenüber diesen Menschen nicht gesprochen werden kann.
Die rechtliche Diskriminierung der deportierten oder lokal umgesiedelten "Kulaken" endete stufenweise seit 1933. Zunächst wurde bereits 1933 "Kulakenkindern" das Wahlrecht zurückgegeben, wenn sie "gesellschaftlich nützliche Arbeit verrichteten und gutwillig arbeiteten". Seit 1934 konnten auch Familienoberhäupter, die sich als Stoßarbeiter oder Spezialisten bewährt hatten, das Wahlrecht wie die Bürgerrechte wiedererlangen. (37) Mit der neuen Verfassung von 1936 verschwand der Begriff "Kulak" aus dem amtlichen Sprachgebrauch. Wenn die Bewegungsfreiheit der Deportierten auch weiterhin eingeschränkt war, teilten sie dieses Schicksal mit der Masse der Kolchosmitglieder. Auch diese durften die Kolchose nur mit besonderer Genehmigung der lokalen Verwaltungsorgane verlassen.

3. Folgen der Zwangskollektivierung: Die Hungersnot 1932-1934
Das Schicksal der "Kulaken" muß vor dem Hintergrund der allgemeinen Lebensverhältnisse auf dem Lande zwischen 1929 und 1941 gesehen werden. Gewiß war ihre Vertreibung aus den Heimatdörfern eine Besonderheit. Aber die Not dieser Jahre trieb auch Millionen anderer Bauern aus dem Dorf in die Städte und in entfernte Landesteile. Das Schicksal der Enteignung teilten sie mit der Masse der Bauern, denn der erzwungene Kolchosbeitritt bedeutete nichts anderes als die Expropriation der Produktionsmittel.
Die menschenverachtende Haltung der sowjetischen Parteiführung kam am stärksten während der Hungersnot zum Ausdruck, die in den südlichen und südöstlichen Getreidegebieten (Ukraine, Nordkaukasus, Wolgaraum, Kasachstan) zwischen 1932 und 1934 herrschte. Ihr fielen wahrscheinlich 5 bis 6 Millionen Menschen zum Opfer.(38) Der Hunger war ein Resultat der Zwangskollektivierung und des rücksichtslosen Getreideabzugs aus den traditionellen Überschußgebieten, in deren Folge bis 1932 die Produktionsfähigkeit der Landwirtschaft durch einen dramatischen Rückgang an Zugtieren entscheidend geschwächt worden war. (39) Die Umstände der Hungersnot haben zu Spekulationen Anlaß gegeben. So kann allein das schlechte Ergebnis der Getreideernte das Ausmaß des Hungers nicht erklären. Die Ernte im späteren Katastrophengebiet war zwar schlecht ausgefallen, aber nur örtlich konnte von einer Mißernte die Rede sein. Zur regionalen Eigenversorgung hätte das eingebrachte Getreide gereicht. Obwohl einige zuständige regionale Partei- und Sowjetorgane bereits im Sommer 1932 unter Hinweis auf die bevorstehende Versorgungskrise um eine Reduzierung der von ihrer Region abzuliefernden Getreidemenge nachgesucht hatten, blieb die Parteizentrale in Moskau unerbittlich und lehnte eine Verringerung des Plans ab. Exilukrainer haben daher die Behauptung aufgestellt, die Hungersnot sei von der Sowjetmacht bewußt als Genozid zur Ausrottung der Ukrainer herbeigeführt worden. (40) Der Hunger wütete jedoch mit gleicher Grausamkeit auch in russischen Territorien (Wolgaraum). Vermutlich in der Überzeugung, die Bauern sabotierten die Ernte, um kein Getreide an den Staat abliefern zu müssen - tatsächlich waren überall nicht abgeerntete Felder zu sehen (41) -, setzte die Parteiführung den Getreideabzug aus den Hungergebieten bis zur regionalen Planerfiillung fort. (42)
Auch im Winter 1932/33 wurde wiederum eine erhebliche Getreidemenge (knapp 2 Mill. t) exportiert, um mit dem Erlös Schulden im Ausland zu begleichen. Der Getreideabzug erfolgte mit äußerster Brutalität. Sie richtete sich ebenso gegen die Bauern wie gegen die lokalen Partei- und Sowjetfunktionäre, die Getreide vor den Requisitionskommandos zu verbergen suchten. Besonders in den von Kosaken besiedelten Gebieten des Nordkaukasus entbrannte ein erbitterter Kampf um das Getreide. Aber auch in anderen Regionen kam es zu Verhaftungen und zu standrechtlichen Erschießungen. Kolchosbrigaden, sogar ganze Kolchosen wurden auseinandergetrieben und zum Teil, wie zuvor die Kulaken, nach Norden deportiert. (43)
Die im Februar 1933 beschlossenen Hilfsmaßnahmen beweisen, daß es der Parteiführung in Moskau um die Sicherstellung der Aussaat in den Hungergebieten ging. Gleichzeitig sind sie ein erschreckendes Zeugnis für den unglaublichen Zynismus, mit dem hier vorgegangen und der Tod von Menschen in Kauf genommen wurde. So "gewährte" die Regierung den Hungergebieten ein "Saatdarlehen" für die Frühjahrsaussaat. Die Kolchosen erhielten Saatgetreide sowie den Bedarf an Nahrungs- und Futtergetreide zur Versorgung der zwangsverpflichteten Feldarbeiter und der Arbeitstiere für die Dauer der Feldarbeit. Die "mißbräuchliche" Verwendung des Getreidedarlehens, also auch die Abzweigung von Getreide zur Linderung des Hungers, wurde in Musterprozessen mit langjähriger Zwangsarbeit oder Tod durch Erschießen geahndet. (44) Erst als nach dem Abschluß der Aussaat alle Hilfsmaßnahmen für die hungernde Bevölkerung eingestellt wurden, erreichte das Massensterben im Frühsommer 1933 seinen Höhepunkt. Erschütternde Szenen spielten sich ab. Viele Orte waren völlig ohne Lebensmittel. Wie schon während der Hungersnot 1921 kam es wieder zu Kannibalismus. Millionen entkräfteter Menschen wurden Opfer von Seuchen. Zum Schutz der Getreidefelder zwang die Regierung die Kolchosen, bewaffnete Wächter einzusetzen. Viele Hungernde verließen ihre Dörfer und versuchten, in die zumindest notdürftig versorgten Städte zu gelangen. Die Wege dorthin waren mit Leichen übersät. (45)
Wie bereits die Hungersnot von 1921 war auch diejenige von 1932/34 ein Ergebnis des völligen Erschöpfungszustandes der Landwirtschaft. Sowohl 1921 als auch im Winter 1932/33 ergriff die Parteiführung entschiedene politische Korrekturmaßnahmen, um eine Wiederholung der eingetretenen Situation auszuschließen. (46) Anders als 1921 unterblieb diesmal jegliche Hilfe für die Hungernden. Dank der internationalen Hilfsmaßnahmen hatte 1921 die Zahl der Opfer begrenzt werden können. Ein Ersuchen um ausländische Hilfe stand Anfang 1933 für die Parteiführung aber offenbar nie zur Debatte. Vielmehr wies sie Hilfsangebote zurück und bestritt die Existenz einer Hungersnot im eigenen Lande. Sie fuhr fort, in grellen Farben das Elend der Bauern in den von der Weltwirtschaftskrise betroffenen kapitalistischen Staaten propagandistisch auszuschlachten. Ob Anfang 1933 die Hungersnot noch ohne äußere Hilfe abzuwenden gewesen wäre, ist zweifelhaft. Sie hätte jedoch zumindest begrenzt werden können. Bekanntlich ist die staatliche Getreidereserve für den Kriegsfall nicht angegriffen worden. Auch unterließ man anscheinend eine Kürzung der Arbeiterrationen. Allerdings war die Versorgungskrise des Jahres 1933 auch außerhalb der Hungergebiete zu spüren. (47) Trotz der immer zahlreicheren Opfer blieb die Parteiführung bei ihrer Version, wonach die Kolchosbauern an ihrem Elend selber schuld seien, weil sie während der Ernte Sabotage und die Veruntreuung des Getreides nicht bekämpft hätten.(48)
Eine Entschuldigung für den Massentod von Bauern während der Hungersnot kann es nicht geben. Die Parteiführung trug mit der Zwangskollektivierung nicht nur die politische Verantwortung für die Umstände, unter denen sich die Hungersnot erst entwickeln konnte. Es steht zudem außer Zweifel, daß sie durch die Unterlassung der Hilfeleistung den Massentod billigend in Kauf nahm, um die Kolchosbauernschaft zu disziplinieren. Auch wenn eine systematische Vernichtung, anders als in Deutschland, nicht beabsichtigt war, bleibt das Handeln der sowjetischen Parteiführung nicht minder verwerflich.
Anmerkungen:
1) E. Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (= FAZ), 6. 6. 1986.
2) E. Nolte, Die Sache auf den Kopf gestellt. Gegen den negativen Nationalismus in der Geschichtsbetrachtung, in: Die Zeit, 31. 10. 1986.
3) E. Nolte, Between Myth and Revisionism? The Third Reich in the Perspective of the 1980s, in: H. W. Koch (Hg.), Aspects of the Third Reich, London 1985, S. 36.
4) Nolte, Vergangenheit.
5) J. Fest, Die geschuldete Erinnerung. Zur Kontroverse über die Unvergleichbarkeit der nationalsozialistischen Massenverbrechen, in: FAZ, 29. g. 1986; H. Schulze, Fragen, die wir stellen müssen. Keine historische Haftung ohne nationale Identität, in: Die Zeit, 26.9.1986.
6) Fest, Erinnerung.
7) Nolte, Vergangenheit.
8) Fest, Erinnerung.
9) J.Habermas, Vom öffentlichen Gebrauch der Historie. Das offizielle Selbstverständni@, der Bundesrepublik bricht auf, in: Die Zeit, 7.11.1986.
10) Fest, Erinnerung.
11) Für ausführliche Literaturhinweise vgl. jetzt: Handbuch der Geschichte Rußlands, Bd. 3: Von den autokratischen Reformen zum Sowjetstaat (1856-1945), Stuttgart 1982, S. 579ff.; S. 639ff.
12) Nolte, Myth, S. 34.
13) Nolte versucht, diese offensichtliche Unvergleichbarkeit abzustreiten, indem er argumentiert, Hitler könne einen Beschluß des jüdischen Weltkongresses als Kriegserklärung aufgefaßt haben, vgl. Myth, S. 27f.
14) P. Scheibert, Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918-1922, Weinheim 1984, S. 91 ff.
15) So spricht auch Nolte in der FAZ lediglich von derpostulierten Ausrottung der Bourgeoisie, vgl. Nolte, Vergangenheit,
16) Scheibert, S. 193ff.
17) Vgl. Anm. 14.
18) Scheibert, S. XI.
19) Ebd., S. 75 f.
20) Ebd., S. 76.
21) Ebd., S. 75 ff.
22) Ebd., S. 89.
23) Schulze, Fragen.
24) S. Merl, Der Agrarmarkt u. die Neue Ökonomische Politik. Die Anfänge staatlicher Lenkung der Landwirtschaft in der Sowjetunion 1925-1928, München 198 1, S. 411-36; M. Lewin, Who was the Soviet Kulak?, in: Soviet Studies 18. 1966/67, S. 189-212.
25) Merl, S. 422.
26) S. Merl, Die Anfänge der Kollektivierung in der Sowjetunion. Der Übergang zur staatlichen Reglementierung der Produktions- u. Marktbeziehungen im sowjetischen Dorf 1928-1930, Wiesbaden 1985, S. 138-48.
27) Diese Absicht kommt am deutlichsten in Stalins Äußerungen zu den Zwangsmaßnahmen bei der Getreidebeschaffung Anfang 1928 zum Ausdruck. Demnach ging man gegen die "Kulaken" vor, um das Verhalten der Mittelbauern zu beeinflussen. Vgl. Izvestija, 25. 1. 1928; i. W. Stalin, Werke Bd. 11, Frankfurt 1972, S. 11. Siehe auch Merf, Agrarmarkt, S. 343f.
28) N. A. lvnickij, Klassovaja bor'ba v derevne i likvidacija kulacestva kak klassa 1929-1932 gg. (Der Klassenkampf im Dorf und die Liquidierung der Kulakenschaft als Klasse), Moskau 1972, S. 238 f.; R. W. Davies, The Industrialization of Soviet Russia, Bd. 1: Me Socialist Offensive. The Collectivization of Soviet Agriculture 1929-1930, London 1980, S. 280 f. Zum Ablauf der "Liquidierung der Kulakenwirtschaften" Anfang 1930 vgl. außer diesen beiden Arbeiten insondere O.Auhagen, Die Schicksalswende des rußlanddeutschen Bauerntums in den Jahren 1927-1930, Leipzig 1942; M. Fainsod, Smolensk under Soviet Rule, Cambridge/Mass. 1958, S. 242-51; M. Lewin, Russian Peasant and Sovirt Power. A Study of Collectivization, London 1968, S. 482-513. Ich werde in einer in Kürze abgeschlossenen Studie über das sowjetische Dorf in den 30er Jahren auf die "Liquidierung der Kulakenwirtschaften" ausführlich eingehen. Detailliertere Belege für die hier vertretenen Ansichten werden in dieser Darstellung zu finden sein.
29 Lewin, S.496; Fainsod, S.242 f.; Auhagen, S.151.
30) Vgl. insbesondere die bei Auhagen und Fainsod geschilderten Vorgänge.
31) Grobe Schätztng aufgrund der bei Auhagen angeführten Zahlen. Vgl. dort auch Belege zum Rücktransport der Kinder.
32) Vgl. die in der gegenwärtigen Kontroverse geäußerten Ansichten. Von Millionenopfern sprechen in jüngster Zeit auch S. Rosefielde, Excess Collectivation Deaths, 1929-1933: New Demographic Evidence, in: Slavic Review 43.1984, S. 83-88; 1. G. Dyadkin, Unnatural Deaths in the USSR 1928-1954, New Birunswick N.J. 1983. Diese Behauptungen beruhen auf unseriösen Hochrechnungen der Bevölkerungsentwicklung in den 30er Jahren. Vgl. dazu die Beiträge in Siavic Review 44. 1985, S. 505-36.
33) Ivnickij, S. 292, gibt die Gesamtzahl der 1930 und 1931 durch den Staat liquidierten Kulakenwirtschaften mit 569300 an. Diese Zahl erscheint recht niedrig, denn nach sowjetischen Angaben sollen allein in der Ukraine etwa 200 000 Höfe der Aktion zum Opfer gefallen sein. Nicht enthalten ist die - allerdings relativ geringe - Anzahl der Ende 1929 und 1932/1933 liquidierten Wirtschaften. Wahrscheinlich sind ebenfalls die Anfang 1930 zunächst enteigneten, dann aber wieder in ihre Rechte eingesetzten Wirtschaften nicht mitgezählt. Die sowjetische Historiographie hat seit der Mitte der 60er Jahre über die "Liquidierung der Kulaken" umfassendes regionales Material veröffentlicht. Die darin enthaltenen Zahlen erscheinen in ihrer Größenordnuniz als einigermaßen zuverlässig und werden auch von anderen verfügbaren Informationen gestützt. So entsprechen z.B. die sowjetischen Angaben über den Umfang der Deportationen Anfang 1930 recht genau der Obergrenze der Schätzung des deutschen Agrarxperten in Moskau, Auhagen, vom Juni 1930 [vgl. Auhagen, S. 140]. Bei der von mir geschätzten Gesamtzahl von 600 bis 800 000 konfiszierten und ausgesiedelten "Kulakenhöfen" sind diejenigen Kulaken, die vor Beginn der Aktion selber ihre Wirtschaft aufgegeben hatten und geflohen waren, nicht mitgezählt. Ihre Zahl ist auf etwa 100000 Höfe zu schätzen.
34) S. G. Wheatcroft, Towards a Thorough Analysis of Soviet Forced Labour Statistics, in: Soviet Studies 35. 1983, S. 223-37.
35) Ivnickij, S. 326 u. 346.
36)Grobe Schätzung von mir aufgrund der verfügbaren Informationen. Im Gegensatz zur Deportation sind in den sowjetischen Veröffentlichungen keine Gesamtzahlen zum Umfang der Verhaftungen zu finden, so daß die Unsicherheit im Hinblick auf diese Zahl am größten ist. In jedem Fall war der Anteil der Opfer unter den Familienoberhäuptern der höchste.
37) Sobranie zakonov i rasporjazenij Raboce-Krest'janskogo pravitel'stva SSSR (Sammlung der Gesetze u. Verordnungen der Arbeiter- u. Bauernregierung der UdSSR), Moskau 1933, Nr. 21, Art. 117; 1934, Nr. 24, Art. 193; Nr. 33, Art. 257. Vgl. auch Ivnickii, S. 340ff.
38) D. G. Dalrymple, The Soviet Famine of 1932-34, in: Soviet Studies 15. 1963/64, S. 250 u. 259. Bei der Zusammenstellung der vorliegenden Schätzungen über die Zahl der Opfer wird Otto Schiller mit einer Schätzung von 7,5 Mill. Opfern angeführt. Tatsächlich spricht aber Schiller davon, "daß die Opfer der Hungerkatastrophe in die Millionen gehen", ohne sich auf eine Zahl festzulegen. O. Schiller, Die Landwirtschaftspolitik der Sowjets und ihre Ergebnisse, Berlin 1943, S. 79. In jüngster Zeit ist in den USA wieder eine Auseinandersetzung um die Zahl der Opfer des Stalinismus, darunter um die Opfer der Hungersnot, entbrannt. So behauptet u.a. J. Mace, allein in der Ukraine habe es mindestens 7,5 Mill. Hungertote gegeben: J. E. Mace, Famine and Nationalism in Soviet Ukraine, in: Problerns of Communism 33. 1984/@, S. 39. Diese Größenordnung entbehrt jeder Grundlage, zumal die Mängel der zur Berechnung herangezogenen Nationalitätenangaben seit langem bekannt sind. Zur Kritik vgl. B. A. Anderson u. B. D. Silver, Demographic Analysis and Population Catastrophes in the USSR, in: Slavic Review 44. 1985, S. 517-36.
39) Die Zahl der Arbeitspferde sank zwischen 1929 und 1933 auf die Hälfte. Nur etwa 15 % des dadurch bedingten Verlustes an Zugkraft konnten durch Traktoren ersetzt werden.
40) Mace, The Black deeds of the Kremlin. A white book, Bd. 1: Book of Testimonies, Toronto 1953, S. 222,226f. u. a.; Bd. 2: Me Great Famine in Ukraine in 1932-1933, Detroit 1955, S. 68; R. Conquest, The Harvest of Sorrow. Soviet Collectivization and the Terror Famine, New York 1986. Vgl. dagegen die von Dalrymple, S. 270ff., angeführten Ursachen des Hungers. Genaue Angaben zu den tatsächlich betroffenen Gebieten bei Schiller, S. 74-79.
41) Vgl. u.a. Pravda vom 31. 12. 1932. Trotzdem scheint mir die auch von der politischen Geschichtsschreibung im Westen übernommene These der Sabotage wenig glaubwürdig zu sein. Berücksichtigt man die erhebliche Ausdehnung der Getreidesaatfläche in diesen extensiven Anbaugebieten, die deutlich gesunkenen Hektarerträge aufgrund der schlechteren Bodenbearbeitung und den drastischen Rückgang des Zugkraftbestandes, ist nicht zu sehen, wie die Ernte mit den verfügbaren Kräften hätte eingebracht werden können. Allein mit dem Einsatz menschlicher Arbeit war das in den betreffenden Gebieten unmöglich. Tatsächlich verlangten die staatlichen Saatpläne bis zum Zweiten Weltkrieg in diesen Gebieten nie wieder die Bestellung ähnlich großer Flächen. Vgl. dazu ausführlich meine in Kürze abgeschlossene Studie.
42) Nach Medwedew tat Stalin alle Berichte über die Hungersnot als Märchen ab, vgl. R. A. Medwedew, Die Wahrheit ist unsere Stärke. Geschichte und Folgen des Stalinismus, Frankfurt 1973, S. 111f.
43) Vgl. Berichte in der Tageszeitung "Molot" (Krasnodar) Dezember 1932 - Februar 1933; Black Deeds.
44 )Verordnung des Zentralkomitees der VKP (b) und des Volkswirtschaftsrates vom 19.1. und 25.2.1933, Sobranie zakazov 1933, Nr. 4, Art. 25 u. Nr. 14. Art. 80; für die Durchführung vgl. "Molot" vom Februar bis April 1933; Black Deeds, Bd. 1, S. 229.
45) Vgl. u.a. die Augenzeugenberichte in "Black Deeds"; Schiller.
46) Zu den im Winter 1932/33 ergriffenen Maßnahmen gehört u.a. die Einführung einer auf die Fläche bezogenen obligatorischen Ablieferungspflicht an den Staat, die Förderung der sogenannten "Kolchosmärkte", die Durchsetzung einer auf die Arbeitsleistung bezogenen Einkommensverteilung innerhalb der Kolchose.
47) Dalrymple, S. 273 f.
48) Vgl. Reden vor dem Ersten Allunionskongreß der Kolchosstoßarbeiter, Pervyj vsesojuznyj s-ezd kolchoznikov- udarnikov peredovych kolchozov 15.-19.fevralja 1933g. Stenografieeskij otcet; Moskau 1933; Stalin, Werke Bd. 13, S. 193-209.

aus: Geschichte und Gesellschaft 13 (1987) S. 368-381

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Most recent revision: April 07, 1998

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