Martin Blumentritt

Das Dunkel des gelebten Augenblicks und das präreflexive Cogito

Martin Buber überlieferte eine Erzählung von Rabbi Chanoch von Aleksander, die ein wenig versinnbildlicht, worum es gehen wird:
»Es gab einmal einen Menschen, der war so dumm, daß es ihm sogar schwer fiel, am Morgen nach dem Aufstehen seine Kleider zusammenzusuchen. Eines Abends nahm er schließlich einen Zettel und notierte, wo er jedes Kleidungsstück beim Ausziehen hinlegte. Am nächsten Morgen las er vergnügt den Zettel ab: die Mütze - ah, da ist sie ! - und er setzt sie auf. Die Hosen - sieh da - er zog sie an; uns so weiter, bis er alles angezogen hatte. Aber dann kam Angst über ihn: Ja, wo bin denn ich? Wo bin ich nur geblieben. Er suchte und suchte, aber vergeblich. Er konnte sich nicht finden. - So geht es uns«, schloß der Rabbi.1
So geht es uns und so ging es Bloch und Sartre. Bei beiden geht es um die grundlegende menschliche Unfähigkeit, sich selber in der Unmittelbarkeit ihres Lebens bzw. ihres Selbstbewußtseins wirklich inne zu werden. Absolutes Gegenwärtigsein, darauf läuft es bei beiden hinaus, kann niemals gelingen, denn Erkenntnis und Distanz gehören zusammen wie Blitz und Donner.

Ich werde zeigen, daß Bloch und Sartre auf verschiedene Weise das Dunkel des Augenblicks bzw. des präreflexiven Cogito zu lichten suchen.

Bei Bloch zeichnet das Dunkel des gelebten Augenblicks den metaphysischen Kern seiner Philosophie aus. D.h. dem subjektiven Dunkel korreliert ein objektives Dunkel:

»Wohl aber - entscheidend wichtig - ist die Zukunft, der Topos des Unbekannten in ihr, (...) selber nichts anderes als unser vergrößertes Dunkel in der Ausgebärdung seines Schoßes, in der Vergrößerung seiner Latenz.«2
Dem subjektiv Unbewußten entspricht Bloch zufolge also ein objektives Unbewußtes, das er mit dem Kantischen Terminus »Ding an sich« belegt:
»Der rechte Begriff eines Dings an sich - materialistisch aufgegriffen und berichtigt - bedeutet aber das Ansich als noch währendes Wurzeldunkel des materialistischen Kerns selbst, mithin die riesige kosmische Entsprechung zum Dunkel des gelebten Augenblicks.«3
Wo viel Dunkel ist, fehlt viel Licht, der gelebte Augenblick drängt Bloch zufolge auf den der absoluten Erfüllung, des Augenblicks, dem nichts mehr ermangelte, über den hinaus nichts mehr erstrebt werden müßte.

Dies ist ein durchaus Schellingsches Motiv:

»Jeder, auch der, der noch übrigens in der Endlichkeit befangene, ist von Natur getrieben, ein Absolutes zu suchen, aber indem er es für die Reflexion fixieren will, verschwindet es ihm. Es umschwebt ihn ewig, aber es ist, wie Fichte sehr bezeichnend sich ausdrückt, nur da, inwiefern man es nicht hat, und indem man es nicht hat, verschwindet es. Nur in Augenblicken dieses Streits, wo die subjektive Thätigkeit sich mit jenem Objektiven in eine unerwartete Harmomie setzt, die eben deßwegen, weil sie unerwartet ist, vor der freien, sehnsuchtslosen Erkenntnis der Vernunft dieß voraus hat, als Glück, als Erleuchtung oder als Offenbarung zu erscheinen, tritt es vor die Seele. Aber kaum ist jene Harmonie gestiftet, so kann die Reflexion eintreten, und die Erscheinung flieht.«4
Im Staunen ist dieses ultimative Telos als eines utopischen Grenzbegriffs antezipiert. Das, was im Staunen gemeint ist, das Unsagbare, wird symbolisch antezipiert, ähnlich wie das Symbol bei Kant die Idee versinnbildlicht, weil von der Idee keine Bild oder Schema möglich ist. Das Staunen ist zwischen dem terminus a quo und dem terminus ad quem angesiedelt, zwischen dem Dunkel des gerade gelebten Augenblicks und der künftigen Adäquatheit von Subjekt und Objekt, dem erfüllten Augenblick, den Bloch auch Heimat nennt. Das Staunen, mit dem Platon zufolge das Philosophieren zuallererst beginnt, steht in wechselseitigen Zusammenhang mit dem Dunkel, in das Licht geworfen werden soll:
»Vielerlei mithin weist derart auf den wechselseitigen Zusammenhang von Dunkel und Staunen der Frage hin: zunächst negativ, sofern beide niemals selbst zu sehen sind, also letzthin unobjektiv bleiben, und dann positiver, sofern beide nicht nur formal das Novum an sich in der Welt darstellen, sondern auch material dasselbe Wir meinen, die gleiche Gegenstandsbeziehung auf die herauszugrabende Subjektivität und unser moralisch-mystisches Inkognito innehalten.«5
Bei Bloch erscheint das Unbewußte in subjektiver wie objektiver Gestalt, im Dunkel des Augenblicks und im Staunen auf der einen Seite, objektiv im Topos der Zukunft und im Ding an sich. Darunter ist allerdings nicht wie bei Kant ein Gegenstand unabhängig vom Vollzug des Denkens gemeint, ein ignotum x, von dem nichts prädiziert werden kann. Die metasprachliche Negation der Erkennbarkeit, die von der nachfolgenden erzeugungsidealistischen Kant-Kritik in eine objektsprachliche umgedeutet wurde, nach der etwas, nämlich die Unerkennbarkeit prädiziert werde, ist bei Bloch nicht gemeint, sondern eine Latenz: Das Ding an sich als Korrelat objektiver Phantasie indiziert dasjenige an den Erscheinungen, was noch nicht seinen adäquaten Ausdruck gefunden hat.

*

Sartres Ausgangspunkt ist das Cogito, das er als ein Abstraktum bezeichnet, sofern es von seinem cogitatum isoliert ist, es hat ebenso wie Blochs Dunkel ein objektives Korrelat. Das unmittelbare Selbstbewußtsein ist zunächst einmal unauflöslich mit dem Gegenstandsbewußtsein verknüpft:

»... jedes objektsetzende Bewußtsein ist gleichzeitig nicht-setzendes Bewußtsein von sich selbst. Wenn ich die Zigaretten in der Schachtel zähle, habe ich den Eindruck einer objektiven Eigenschaft dieser Zigarettenmenge: es sind zwölf. Diese Eigenschaft erscheint meinem Bewußtsein als die in der Welt existierende Eigenschaft. Ich muß nicht unbedingt eine setzendes Bewußtsein davon haben, daß ich sie zähle. Ich ´erkenne mich nicht als zählend´.(...) Ganz im Gegenteil, das nicht-reflexive Bewußtsein ermöglicht erst die Reflexion: es gibt ein präreflexives Cogito, das die Bedingung des kartesischen Cogito ist. Gleichzeitig ist das nicht-thetische Bewußtsein, zu zählen, eben die Bedingung meiner Additionstätigkeit«6
Auch bei Bloch war es eine Nicht-Erkenntnis, die Erfahrung einer Nichterfahrung, die sich aussprach und die zu überschreiten war:
»Ich kann mich selber nicht erleben und innehaben. Nicht einmal dieses, daß ich jetzt rauche, schreibe, gerade dieses nicht will, als zu nah, vor mir stehen.«7
Sehen wir von der Gemeinsamkeit beider ab, daß sie zum Rauchen eine erotische Beziehung hatten, so sehen wir bei beiden, daß das Bewußtsein sich nicht unmittelbar erkennt. Erkennen ist als ein thetisches Bewußtsein verstanden, das präreflexive dagegen als ein nicht-setzendens Bewußtsein. In einer früheren Schrift wird deutlich, daß es beim präreflexiven Bewußtsein nicht einmal um ein Ich sich handelt:
»...es gibt kein Ich auf der unreflektierten Ebene. Wenn ich einer Straßenbahn nachlaufe, wenn ich auf diese Uhr schaue, wenn ich mich in die Betrachtung eines Porträts vertiefe, gibt es kein Ich. Es gibt Bewußtsein von-der-einzuholenden-Straßenbahn usw. und nicht-positionales Bewußtsein von dem Bewußtsein. De facto bin ich also in die Welt der Objekte versenkt, sie sind es, die die Einheit meines Bewußtseins konstituieren, die sich mit Werten, attraktiven und repulsiven Qualitäten präsentieren; aber ICH bin verschwunden, ich habe mich vernichtet.«8
»Das Ego ist nicht Eigentümer des Bewußtseins, es ist dessen Objekt.«9
Schon Descartes vollzog eine Unterscheidung von präreflexiven und reflexiven Wissen:
»Es ist freilich wahr, ´niemand kann sicher sein, daß er denkt und existiert, wenn er nicht weiß, was Denken und Existenz ist´. Dies braucht aber kein reflexives Wissen zu sein oder ein Wissen, daß auf dem Wege des Beweises erworben ist, und noch weit weniger ein Wissen von reflexiven Wissen, ... Vielmehr genügt es durchaus, daß man das weiß durch jene unmittelbare Erkenntnis, die der reflexiven immer vorangeht.«10
Descartes war bekanntlich im methodischen Zweifel vom Gegenstandsbewußtsein ausgegangen, um über einen »unmittelbaren Schluß« - so Hegel - die Erkenntnis-Gewißheit im Denken zu fundieren. Sartre geht es allerdings - ähnlich Schelling - um die Existenz-Gewißheit: »jede bewußte Existenz existiert als Bewußtsein, zu existieren«11

Das Bewußtsein existiert als Zirkel, der freilich keinen vitiösen Zirkel beinhaltet, denn dieser würde besagen, daß dem Bewußtsein ein neues Bewußtsein hinzugefügt werde, das als Grund des ersten fungiert, aber gleichzeitig aus ihm vorab hergeleitet wäre:

»Dieses Bewußtsein (von) sich dürfen wir nicht als ein neues Bewußtsein betrachten, sondern als den einzig möglichen Existenzmodus für ein Bewußtsein von etwas.«12
Das präreflexive Cogito soll ein Bewußtsein erklären, dem nichts unbewußt ist - dies behauptet Sartre explizit - in dem aber dennoch nicht bereits alles sofort erkannt sein muß. Dadurch kommt bereits eine Differenz hinein, die besagt, daß das Cogito nicht als reine Identität, Substanz, sondern als Einheit aufzufassen sei, als etwas, das existiert, indem es erscheint.

An Descartes kritisiert Sartre deswegen die Substantialisierung des cogito, ihm gilt das cogito als ein nicht-substantielles Absolutes:

»Der ontologische Irrtum des kartesischen Rationalismus besteht darin, nicht gesehen zu haben, daß, wenn sich das Absolute durch den Primat der Existenz vor der Essenz definiert, es nicht als eine Substanz erfaßt werden kann. Das Bewußtsein hat nichts Substantielles, es ist eine reine ´Erscheinung´, insofern es nur in dem Maß existiert, wie es sich erscheint. Aber gerade weil es reine Erscheinung ist, weil es eine völlige Leere ist (da die ganze Welt außerhalb seiner ist), wegen dieser Identität von Erscheinung und Existenz an ihm kann es als das Absolute betrachtet werden.«13
Nach der erkenntnistheoretischen Fragestellung folgt somit eine ontologische, die das Für-sich, die Anwesenheit bei sich thematisiert. Obwohl das präreflexive Cogito die erste Bedingung jeder Reflexivität ist und dieses kein Objekt setzt - es ist ein athetisches, nichtthetisches Bewußtsein - ist es dennoch nicht toto coelo vom reflexiven cogito unterschieden, sondern ihm homolog gedacht:
»Dieses Cogito setzt freilich kein Objekt, es bleibt innerhalb des Bewußtseins. Aber es ist dem reflexiven Cogito nichtsdestoweniger homolog, insofern es als die erste Notwendigkeit erscheint, daß dieses von ihm selbst gesehen wird; es enthält also ursprünglich diese aufhebende Eigenschaft, für einen Zeugen zu existieren, obwohl dieser Zeuge, für den das Bewußtsein existiert, es selbst ist.«14
»Denn das präreflexive Bewußtsein ist Bewußtsein (von) sich. Und eben diesen Begriff Sich muß man untersuchen, denn er definiert das Sein des Bewußtseins selbst.«15
Das Für-sich ist eine unaufhebbare nichtidentische Einheit, das Für-sich ist sein eigenes Nichts, dem das An-sich gegenübersteht. Die Kantische Differenz von Dingen an sich selber betrachtet und Erscheinungen für uns im metaphysischen Sinne wird unterlaufen. Das Phänomen verhüllt nicht das Sein, sondern enthüllt es: »Das Sein eines Existierenden ist genau das, als was es erscheint.«16

Dies bedeutet allerdings nicht eine Reduktion des Seins auf das Denken, denn Sartre unterscheidet ausdrücklich das im Bewußtsein erscheinende Seinsphänomen vom bewußtseinstranszendenten Sein des Phänomens.

»...das Seinsphänomen ist ontologisch in dem Sinn, wie man den Gottesbeweis des heiligen Anselm und des Descartes ontologisch nennt.«17
Jede Vorstellung von etwas mußte Descartes zufolge eine real existierende Ursache ihres vorgestellten Gehalts haben, das galt auch von Gott, dieser cartesische Beweisversuch, den es bei Anselm nicht gibt, ist allerdings vom ontologischen Gottesbeweis zu unterscheiden, um die kleine Begriffsverwirrung Sartres aufzuklären. Sartre meint den Gedankengang Descartes, dem zufolge ich aus der Vorstellung eines vollkommen Wesens in mir erschließen kann, daß dieses auch existiert, weil ich von mir aus so etwas Erhabendes wie Gott gar nicht vorstellen kann. Diese Argumentation dient Sartre dazu, ein »esse est percipi«, die Auslöschung der Bewußtseinsunabhängigkeit der Dinge, zu vermeiden. Eine regelrechte Distanz gilt allerdings erst für das Sein des Bewußtseins.
»Das Sich kann nicht als ein reales Existierendes erfaßt werden: das Subjekt kann nicht Sich sein, denn die Koinzidenz mit sich läßt, wie wir sahen, das Sich verschwinden. Aber ebensowenig kann es Sich nicht sein, da das Sich Anzeige des Subjekts selbst ist. Das Sich stellt somit eine ideale Distanz in der Immanenz des Subjekts zu sich selbst dar, eine Weise, nicht seine eigene Koinzidenz zu sein, der Identität zu entgehen.«18
Das Seinsgesetz des Für-sich ist, daß es in der Form der Anwesenheit bei sich existiert, das beinhaltet Einheit wie Nichtidentität. Im unkantischen phänomenologischen Sinne, nimmt Sartre die Unterscheidung zwischen Sein-an-sich und Sein-für-uns auf. Das Seinsphänomen ist Sein-für-uns, das Sein des Phänomens ist transphänomenal, Sein-an-sich, en-soi. Phänomenologisch ist das An-sich kein verborgenes X hinter der Erscheinung, sondern die vom Bewußtsein unabhängige Existenz der Phänomene selber.

Das Bewußtsein dagegen hat es mit sich selber zu tun und dem entspricht im Für-sich der »Spalt im Inneren des Bewußtseins«. Sartre möchte allerdings die erste Spontaneität des präreflexiven Bewußtsein nicht einem Trieb, unbewußten Willen überlassen, das verbietet das Konzept der Transluzidität des Bewußtseins, die auch die moralische Implikationen des Bewußtseinsmodells, nach dem Verantwortlichkeit an Wissen und Erkenntnis gebunden ist, bedingt. Das Präreflexive wird wie ein Reflexives gewertet. Dadurch kommt auch in jenes eine duale Struktur hinein, die dieser nachgebildet ist. Dadurch entsteht ein Widerspruch zwischen einer Konstruktion totaler Verantwortlichkeit und Freiheit, einer absoluten Ermächtigung des Bewußtseins und seiner Entmächtigung zugleich, denn diesem wird auch Verantwortung zugesprochen für das, was es nicht wissen konnte und was sich der Verfügung entzieht, wie die situativen Bedingungen der Geburt, die unabänderliche Vergangenheit und der Ort an dem ich mich gerade befinde.

Das ego cogitans Sartres hat zwei Bedingungen, einmal das An-sich-Sein des Existierenden, das es nicht selber ist und seine präreflexive Existenz, das Sein des Bewußtseins, das es immer schon ist. Wir haben also zweierlei transphänomenales Sein, das Sein der Phänomene (An-sich-sein) und das Sein des Bewußtseins(Für-sich-sein), das dem Phänomen des Seins (dem Für-uns-sein) gegenübergestellt wird. Dies wiederum ist nicht damit zu verwechseln, daß das An-sich und Für-sich als nichtmenschliches und menschliches Sein unterschieden wäre. Das menschliche Sein ist nur als der Unterschied von Für-sich und An-sich:

»Wir hatten bereits in der Einleitung das Bewußtsein als einen Ruf nach Sein entdeckt und gezeigt, daß das Cogito unmittelbar auf ein An-sich-sein als Gegenstand des Bewußtseins verwies. Aber nach der Beschreibung des An-sich und des Für-sich erschien es uns schwierig, zwischen beiden eine Verbindung herzustellen, und wir fürchteten, in einen unüberwindlichen Dualismus zu geraten. Ein solcher Dualismus drohte uns noch auf andere Art: insofern man nämlich vom Für-sich sagen konnte, daß es ist, befanden wir uns zwei radikal verschiedenen Seinsmodi gegenüber, dem des Für-sich, das das zu sein hat, was es ist, das heißt, das das ist, was es nicht ist, und das nicht das ist, was es ist, und dem des An-Sich, das das ist, was es ist. Wir haben uns daraufhin gefragt, ob die Entdeckung dieser beiden Seinstypen nicht auf einen Hiatus hinausliefe, der das Sein, als allen Existierenden zukommende allgemeine Kategorie, in zwei nicht kommunizierbare Regionen spaltet, in deren jeder der Seinsbegriff in einer ursprünglichen und besonderen Bedeutung erfaßt werden müßte.
Unsere Untersuchungen haben uns ermöglicht, die erste Frage zu beantworten: das Für-sich und das An-sich sind durch eine synthetische Verbindung vereinigt, die nichts anderes ist als das Für-Sich selbst. Das Für-sich ist nichts andres als die reine Nichtung des An-sich; es ist wie eine Seinsloch innerhalb des Seins. (...) das Für-sich erscheint als eine winzige Nichtung, die innerhalb des Seins ihren Ursprung hat; und diese Nichtung genügt, damit dem An-sich eine totale Umwälzung geschieht. Diese Umwälzung ist die Welt.«19
Mit der erkenntnistheoretischen und ontologischen Fragestellung ist allerdings die Problematik des präreflexiven Cogito noch nicht erschöpft. Denn dieses hat auch eine - das ist wohl auch die bekanntere - praktische Dimension, die auch eindringlich im literarischen Werk Sartres aufscheint.

Sartre geht von einer einheitlichen und individuellen Grundgestimmtheit aus, die weder vom Ich abhängig ist, noch des Ichs bedarf. Die »existentielle Psychoanalyse« hat die Aufgabe den ursprünglichen Entwurf freizulegen, der zwar im präreflexiven Bewußtsein ist, also bekannt aber nicht erkannt ist. Erst im reflexiv gewordenen Bewußtsein wird das auftauchende Ich zum Zeichen von Persönlichkeit. Das Ich steht auf dem Boden des ursprünglichen Entwurfs, zeigt diesen aber nur unvollständig. Glaubte Sartre zuerst, daß mit dem Konzept der Intentionalität das Solipsismusproblem gelöst sei, so sieht Sartre in »Das Sein und das Nichts« Husserl an der Klippe des Solipsismus gescheitert und rekurriert auf das Selbstbewußtseinskapitel aus Hegels Phänomenologie des Geistes, das er insbesondere in den Vorlesungen Kojéves in den dreißiger Jahren kennengelernt hatte. Hegel wird anthropologisch gedeutet und das Reflexionsmodell des Selbstbewußtseins kritisiert:

»Der geniale Einfall Hegels besteht darin, mich in meinem Sein vom Anderen abhängig sein zu lassen. Ich bin, sagt er, ein Sein für sich, das nur durch ein Anderen für sich ist. (...) So scheint der Solipsismus außer Gefecht gesetzt worden zu sein.«20
Das bedeutet: mein Ich wird mir vom anderen beigelegt, unter dem Blick des Anderen entgleitet mir meine Freiheit. Die Existenz des Anderen ist Voraussetzung, einen Blick auf mich zu werfen, um meinen grundlegenden Entwurf zu erkennen, von dem das Ich nicht alles weiß. Das Präreflexive wird so behandelt als ob es ein Reflexives wäre, was noch zu zeigen ist.

Die negatorische Separation des Selbstbewußtseins vom bloßen Leben und der unorganischen Natur, die Distanzierung von Natur, ist die erste Bestimmung der Subjektivität als negatives Wesen, reines Selbstbewußtsein, das sich vom animalischen Selbstgefühl oder unmittelbaren Selbstbewußtsein unterscheidet. Es ist nicht mehr die Begierde, die auf Natur sich richtet, sondern eine Begierde, die sich auf eine andere Begierde richtet. Von hier aus ist auch zu verstehen, was mit Nichts gemeint ist, wenn Sartre davon spricht, daß das menschliche Dasein »das Sein, durch das das Nichts zur Welt kommt«21 ist. Sartre schließt sich hierbei eng an Heidegger an, wenn er schreibt, daß das menschliche Dasein »das Sein (ist), dem es in seinem Sein um das Nichts seines Seins geht«22

Die Welt des An-sich stellt Sartre die des Für-sich entgegen. Von hier aus wird die ganze Dialektik des Selbstbewußtsein verstanden, das bei Hegel mit dem Kampf um Leben und Tod beginnt, über die Unterwerfung des Menschen im Herrschaftsverhältnis geht, um in der anschließenden Emanzipation vom Herrn, als einer gleichberechtigten Anerkennung zu münden. Herr wie Knecht sind frei, aber im verschiedenen Sinne: Die Freiheit des Herrn besteht in der Distanzierung von bloßer Natur, zuerst durch das Einsetzen des Lebens im Kampf und dann nach Unterwerfung des Knechts, in der Freiheit vom faktischen Zwang zur Naturbeherrschung. Die Freiheit des Knechts gründet in der entfremdeten Arbeit, d.h. darin, daß er für den Herrn, nicht für seine eigene bloße Existenz arbeitet und damit ein Reich der Freiheit schafft, das allerdings nicht ihm zugute kommt, sondern dem Herrn. Modifiziert finden wir diese Denkfigur in der Marxschen Revolutionstheorie. Die entfremdete Arbeit des Lohnarbeiters ist von revolutionstheoretischer Bedeutung, weil diese gleichzeitig immer auch Produktion von Produktivität ist, d.h. die produktiven Kräfte menschlicher Befreiung schafft, allerdings - entgegen der affirmativ geschichtsphilosophischen Deutung dieses Sachverhalts, werden hierbei nur die Bedingungen produziert, nicht der zureichende Grund der Revolution selber. An die Dialektik der Anerkennung Hegels knüpft Sartre allerdings, wie erwähnt, modifiziert an, denn er kritisiert Hegel, weil er nur ein thetisches Bewußtsein vom Anderen kennt:

»So bleibt Hegel bei der vom Idealismus gestellten Frage - wie kann der Andere für mich Gegenstand werden? - auf dem Boden des Idealismus stehen: wenn es in Wahrheit ein Ich gibt, für das der Andere Gegenstand ist, so deshalb, weil es einen Anderen gibt, für den das Ich Gegenstand ist. Immer noch ist die Erkenntnis hier Maß des Seins, und Hegel kann sich nicht einmal denken, daß es ein Für-Andere-sein geben kann, das nicht letztlich auf ein 'Gegenstand-sein' reduzierbar ist. Deshalb kann das allgemeine Selbstbewußtsein, das sich durch alle diese dialektischen Phasen hindurch zu befreien sucht, auch seinem eigenen Geständnis einer reinen leeren Form gleichgesetzt werden: dem 'Ich bin Ich'.«23
Wir konstituieren den Anderen also nicht, sondern wir begegnen ihm. Wir stehen zu dem Anderen nicht bloß in einer Subjekt-Objekt-Relation. Der Kampf um Anerkennung wird allerdings nicht wie bei Hegel in der allgemeinen Anerkennung aufgehoben, sondern führt zu einer Paradoxie menschlichen Daseins, das aus der Notwendigkeit der Anerkennung sich ergibt, die unter entfremdeten Bedingungen versagt bleibt und damit den Status eines bloßen Sollens erhält.
»Um irgendwelche Wahrheit über mich zu erfahren, muß ich durch den anderen hindurchgehen. Der andere ist meiner Existenz unentbehrlich, ebensosehr wie der der Erkenntnis, die ich von mir selbst habe, unentbehrlich ist. Unter diesen Bedingungen enthüllt die Entdeckung meines Innersten mir gleichzeitig den andern, als eine mir gegenübergestellte Freiheit, die nur für oder gegen mich will. Somit entdecken wir sofort eine Welt, die wir 'Zwischen-Ichheit' (Intersubjektivität) nennen wollen, und in dieser Welt entscheidet der Mensch, was er ist und was die anderen sind.«24
Eine Dialektik des Irrationalen und dem vernünftigen freien Willen gibt es bei Sartre nicht, da Wille und Affekte, Wille wie Triebe aus der Einheit des einen präreflexiven Cogito hervorgehen, d.h. aus einem Entwurf. Eine gesellschaftlich bedingte Aneignung der inneren Natur, wie wir sie in der Tradition von Freud formulieren könnten, ist allerdings naheliegend, wenn wir die spätere Korrektur des Begriffs der Freiheit einbeziehen.
»Als ich unlängst mein Vorwort zu einer Ausgabe dieser Stücke - ´Die Fliegen´, ´Bei geschlossenen Türen´ und andere - las, war ich geradezu entsetzt. Ich hatte geschrieben: ´Gleich, unter welchen Umständen, in welcher Lage: der Mensch ist stets frei, zu wählen, ob er ein Verräter sein will oder nicht....´ Als ich das las, habe ich mir gesagt: ´Unfaßbar, daß ich das wirklich gesagt habe!´
Heute würde ich den Begriff der Freiheit folgendermaßen formulieren: Freiheit ist jene kleine Bewegung, die aus einem völlig gesellschaftlich bedingten Wesen einen Menschen macht, der nicht in allem das darstellt, was von seinem Bedingtsein herrührt.« 25
Hier sind wir an einem Punkt angelangt, Sartre noch einmal Bloch zu kontrastieren, indem wir uns der geschichtsphilosophischen Wendung des Augenblicksproblems zuwenden, die eine vergleichbare Wende zu einem objektiven Denken darstellt, die allerdings weiterreichender ist als die Sartres.

Moralphilosophie und Metaphysik der Innerlichkeit beziehen sich - ähnlich wie bei Sartre - auf das »sich in Existenz Verstehen« Kierkegaards, von dem Bloch meinte, er hätte ihn »bedeutungsvoller als dieser (Hume MB) aus dem dogmatischen Schlummer«26 geweckt. Ähnlich wie bei Sartre macht das »Daß« des Existierens das Unkonstruierbare der daran sich entzündende Frage aus. Das Dunkel des gelebten Augenblicks, der nie da ist, bezieht sich auf ein Selbst, das ebensowenig da ist. Die Anfänge Blochscher Schriften verweisen immer wieder auf diesen Sachverhalt. Die erste Fassung von Geist und Utopie formuliert:

»Wir haben kein Organ für das Ich oder Wir, sondern liegen uns im gelben Fleck, im Dunkel des gelebten Augenblicks, dessen Dunkel letzthin unser eigenes Dunkel, uns Unbekanntsein, Vermummt und Verschollensein ist, wie denn alles Zerfließende darin aus dem derzeitigen Zustand der Subjekte herstammt als der noch zerstreuten, ungesammelten, dezentralisierten, wenngleich nie abreißenden Funktion des Bewußtseins überhaupt.«27
Diese Formulierungen atmen nicht bloß den Geist des Expressionismus, wie den existenzphilosophischen Schellings und Kierkegaards, sondern auch den der Lebensphilosophie des 19. Jahrhunderts. Dennoch beginnt er die Frage nach dem Augenblick von Anfang an auch - wie schon gezeigt - ontologisch zu stellen, auch wenn noch in der dualistischen Frühphilosophie das Subjekt zum erlösenden Prinzip der Dinge erhoben wird. Mit der Rezension von Lukács´ »Geschichte und Klassenbewußtsein«, das stark fichtianisch-neukantianisch geprägt ist und wie Lukács nachträglich formulierte »Hegel überhegelt«, vollzieht Bloch nicht nur eine Wende zum westlichen Marxismus, sondern modifiziert die Augenblicksproblematik. In der »Weltgeisttheorie des Proletariats«(Krahl), nach der das aufgehobene Proletariat als das wahre Wir der Geschichte erscheint, das Subjekt-Objekt der Geschichte, erkennt Bloch das Problem seiner »Metaphysik der Innerlichkeit« wieder:
»Hier wie dort tritt der gelebte Augenblick, das Wirsubjekt an sich selbst aus dem Flor des falschen Bewußtseins in immer unabgelenkteren Selbstobjektivierungen seiner Nähe als wirklich hervor.«28
Der Einfluß von Lukács zeigt sich im Kontext der Interpretation auch daran, daß er - wie Sartre auch - der Naturdialektik von Engels distanzierter gegenübersteht als in seiner späteren Philosophie, in der er die ganze Welt der Natur und des Menschen als ein offenes System begreift. Dem identischen Subjekt-Objekt, zu dem die Arbeitsmetaphysik von Lukács das Proletariat verklärte, wird aufgebürdet, alle Welt-Probleme zu lösen. Allerdings läßt sich leicht zeigen, daß das Klassenbewußtsein, das Lukács zufolge nur ein zugerechnetes ist, nicht das das Proletariats ist, die Diktatur des Proletariats, wie an anderer Stelle formuliert wurde29, nur die Diktatur der Idee des Proletariats war, nicht die demokratische Selbstbestimmung der Proletarier. Blochs Konzept des erfüllten Augenblicks, das das Dunkel aufzuheben trachtet, erfordert allerdings die absolute Erfüllung. Dem empirischen Proletariat vermochte er dies so wenig wie Lukács zuzusprechen und so bleibt es eine Idee des Proletariats bzw. ein utopisches Proletariat, im Sinne einer abstrakten, nicht mit der Wirklichkeit vermittelbaren Utopie.

Dies ist aber kurz vor der Jahrtausendwende viel mehr als 1923 gar nicht so wirklichkeitsuntüchtig, obgleich die utopischen Erwartungen weniger groß sein dürften. Die Disjunktion zwischen Nahzielen, konkret erreichbaren Zielvorstellungen und dem Fernziel, der klassen- und staatenlosen Weltgesellschaft, die Frieden mit der Natur schließt, erscheint keine vollständige mehr zu sein. Denn wir sind heute in eine ähnliche Lage geraten, in der die alten Sozialutopisten waren, deren Utopien verdammt dazu waren, abstrakt zu bleiben:

»Besonders Sozialutopien konnten abstrakt sein, weil ihr Entwerfen mit der vorhandenen gesellschaftlichen Tendenz und Möglichkeit nicht vermittelt war; und sie konnten nicht nur, sondern mußten abstrakt sein, sofern sie - genau wegen der vorhandenen Tendenzen und Fälligkeiten - zu früh kamen. Darum bildeten die Utopisten eine neuere bessere Welt oft allzu unvermittelt aus ihrem Herz und Kopf...«30
Nun hat auch die Utopie als Zukunftsbild - und an der Erkenntnis dieses Sachverhalts haben Denker wie Bloch, besonders auch Adorno gearbeitet - ihre Unschuld verloren. Wir wissen einerseits um die Unmöglichkeit utopischer Bilder:
»Die Entwürfe der idealen Gesellschaft blieben stets abhängig von der bestehenden. Auch dort, wo die Philosophie vorgibt, das Verhältnis von Macht und Recht nach abstrakten Prinzipien zu konstruieren, gehen positiv oder negativ Kategorien der bestehenden Gesellschaft in sie ein.«31
Andererseits können wir nicht so ohne weiteres das Fernziel überhaupt noch in den Tendenzen des Gesellschaftsprozesses als Latenz, reale Möglichkeit, aufweisen. Die Tendenz neigt sich zur absoluten Destruktivität, sie verweist auf eine Epoche von Krisen, die zu Faschismus und Krieg tendieren, nicht zu einer solidarischen Menschheit, der freien Assoziation aller Individuen der Welt. In dieser Situation besteht eine Antinomie befreiender Praxis, die auch in diversen Schulrichtungen der Gegenwartsphilosophie sich niederschlagen. So werden ausgehend von Kant universalistische Moralphilosophien formuliert, während mit ebenso guten Recht die andere Seite darin einen Partikularismus unter der Maske des Universellen erkennt und auf einen Universalismus ganz verzichten will. Die Erklärungen der Menschenrechte, auf die man sich in den heutigen Tagen bezieht, um Angriffskriege zu führen, haben in der Tat einen universalistischen Geltungsanspruch, auf den wir schwerlich werden verzichten können. Dennoch haben sämtliche Artikulationen der Menschenrechte zum einem historisch ihren partikularen Ursprung im Selbstbehauptungswillen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, sei´s des Adels gegen die absolute Monarchie, sei´s den des Bürgertums gegen die Privilegien des Adels. Zum anderen maskieren sich partikulare Herrschaftsinteressen unter der Bedingung bürgerlich-kapitalistischer Herrschaft als allgemeingültige Normen.

Daraus zu schließen, die Menschenrechte - z.B. von der NATO zu Kriegszwecken instrumentalisiert - seien nichts als die Herrschaftslegitimation des Imperialismus, würde nur die Lebenslügen ehemaliger totalitärer Ideologien wiederholen. Zu leugnen, daß sie auch Herrschaftslegitimation, Ideologie darstellt, begeht selber den Verrat an den Menschenrechten, den solche Argumentation dem Imperialismus vorwirft. In der kapitalistischen Marktgesellschaft sind Menschenrechte nur dann gern gesehen, wenn sie dem reibungslosen Funktionieren des Betriebs dienlich sind; stören sie die Geschäfte, etwa in der VR China, werden sie suspendiert. Ebenso finden wir keine Menschenrechtsdeklarationen gegen das Prinzip der Lohnarbeit auf der Basis der Einsicht, daß Menschenrechte nur in einer gesellschaftlichen Situation realisiert werden können, in denen die sozialen Umstände Freiheit, nichtrepressive Gleichheit und Würde zulassen. Darum könnte man einen Satz Horkheimers variieren: Wer aber vom Sozialismus nicht reden will, sollte auch von den Menschenrechten schweigen.

Es ist genau eines der Elemente einer aporetischen Situation, die den Hiatus von Nahziel und Fernziel bedingt. Konnte konkrete Utopie - etwa die Marxens - in den gesellschaftlichen Bedingungen selber Tendenzen zur Befreiung als reale Möglichkeit aufzeigen, so benötigen wir heute etwas mehr Phantasie und genau der radikal-subjektiven Impulse, die in der Philosophie Sartres allzu stark vertreten sind, um zu versuchen, die Bedingungen der realen Möglichkeit der Realisierung des Fernziels überhaupt erst herzustellen. Zwischen Nah- und Fernziel schiebt sich in dieser Art und Weise ein mediales Ziel. Wenn die objektive Tendenz die Menschen nicht dazu drängt, dann gewinnt der voluntative Faktor, der freie Wille unfreiwillig ein Gewicht, das er verlieren müßte, wenn das Fernziel dem nahen sich wieder angliche. Wir müssen die Freiheit wollen oder wir verfallen dem Determinismus oder gar einem Fatalismus, der übersieht, daß wir es ja sind, die die gesellschaftlichen Verhältnisse produzieren und reproduzieren und daher sie auch bei entsprechenden Willen ändern könnten. Die objektiven Gegebenheiten zwingen nicht das Verhalten auf, sondern nur die Wahl der nahen und medialen Ziele, mittels deren Realisierung wir auch das »ökonomische Bewegungsgesetz« des Kapitals außer Kraft setzten könnten. Dessen bloß relativen Determinismus in einen absoluten psychologischen Determinismus zu transformieren, ist ein Entschuldigungsverhalten der Resignierenden, die, nachdem der Wärmestrom des Marxismus, von dem Bloch spricht, ein wenig erkaltet ist, mit dem, was bloß ist schließlich sich identifizieren und diese Resignation vor sich und anderen rationalisieren.

»Der psychologische Determinismus ist, bevor er eine theoretische Konzeption wird, zunächst ein Entschuldigungsverhalten. Er ist ein reflexives Verhalten gegenüber der Angst, er behauptet, daß es in uns antagonistische Kräfte gibt, deren Existenztypus dem der Dinge vergleichbar ist, er versucht die Leeren, die uns umgeben, auszufüllen, die Verbindungen der Vergangenheit zur Gegenwart, der Gegenwart zur Zukunft wiederherzustellen, er versieht uns mit einer Natur, die unsere Handlungen hervorbringt, und er macht aus eben diesen Handlungen transzendente, er stattet sie mit einer Inertheit und einer Exteriorität aus, die ihnen ihren Grund in anderem als in ihnen selbst zuweisen und die außerordentlich beruhigen, weil sie ein unaufhörliches Spiel von Entschuldigungen konstituieren, er leugnet diese Transzendenz der menschlichen Realität, die sie in der Angst jenseits ihres eigenen Wesens auftauchen läßt; indem er uns darauf reduziert, immer nur das zu sein, was wir sind, führt er gleichzeitig die absolute Positivität des An-sich-seins in uns wieder ein und integriert uns wieder in das Sein. Aber dieser Determinismus als reflexive Abwehr der Angst bietet sich nicht als eine reflexive Intuition dar. Er vermag nichts gegen die Evidenz der Freiheit, deshalb bietet er sich als Zufluchtsglaube dar, als das ideale Ziel, zu dem wir vor der Angst fliehen können.«32
Wenn wir die Korrektur berücksichtigen, die Sartre am Begriff der Freiheit anbrachte, daß sie jene kleine Bewegung sei, die aus gesellschaftlich bedingten Wesen einen Menschen macht, der nicht darin aufgeht, was von seinem Bedingt-Sein herrührt, dann kann die folgende steile Formulierung von Freiheit als durchaus notwendiger Impuls gelten:
»Wir wollen die Freiheit um der Freiheit willen und durch jeden besonderen Einzelumstand hindurch. Und indem wir die Freiheit wollen, entdecken wir, daß sie ganz und gar von der Freiheit der anderen abhängt. Gewiß hängt die Freiheit als Definition des Menschen nicht vom andern ab, aber sobald ein Sichbinden vorhanden ist, bin ich verpflichtet, gleichzeitig mit meiner Freiheit die der anderen zu wollen, und ich kann meine Freiheit nicht zum Ziel nehmen, wenn ich nicht zugleich die der andern zum Ziel nehme.«33
Der Kampf um Anerkennung geht allerdings weiter, gerade dann, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse die Anerkennung verunmöglichen. Besonders drastisch schildert das Drama »Geschlossene Gesellschaft«, daß diese Situation die einer Hölle ohne Fegefeuer ist, die Hölle, das sind dann wir. Aber selbst hinter den verschlossenen Türen der Hölle, die Sartre ausmalt, haben die Individuen ihre unerfüllten Ansprüche:
»Das Individuum verlangt seine Erfüllung als Individuum, die Anerkennung seines konkreten Seins und nicht das objektive Auseinanderlegen einer allgemeinen Struktur. Ohne Zweifel setzen die Rechte, die ich beim anderen geltend mache, die Allgemeinheit des Selbst; die Achtbarkeit der Personen verlangt die Anerkennung meiner Person als allgemeiner. Aber es ist mein konkretes individuelles Sein, das in dieses Allgemeine einfließt und es ausfüllt, für dieses Da-sein beanspruche ich Rechte, das Einzelne ist Träger und Grundlage des Allgemeinen; das Allgemeine kann in diesem Fall keine Bedeutung haben, wenn es nicht zum Zwecke des Individuellen existiert.«34
Gerade dies verunmöglicht die antagonistische Gesellschaft und damit wird die Aufhebung der Höllensituation verunmöglicht, die gegenseitige Anerkennung wird prekär und unerreichbar, absurd. Der Bruch zwischen ontologischer Begriffswelt und den Realanalysen, zwang Sartre später zu seinem bescheideneren Freiheitskonzept, nach der existentialistische Freiheit trotz aller Unterdrückung, der der Mensch in der Empirie unterliegt, existiert. Es liegt nahe, daß die Kritik von Marcuse Sartre zu diesem Schritt motivierte. Marcuse monierte, daß trotz dialektischen Stils, die Begriffe undialektisch seien und als ontologische Begriffe selber unter Sartres Kritik idealistischer Mystifikation fallen:
»Nun aber erkennt er die Tatsache an, daß die Existenz des Menschen in der empirischen Wirklichkeit auf eine solche Weise organisiert ist, daß seine Freiheit völlig ´entfremdet´ ist und daß nichts als eine revolutionäre Veränderung in der Struktur der Gesellschaft die Entfaltung seiner Freiheit wiederherstellen kann. Wenn das wahr ist, wenn durch die Organisation der Gesellschaft die Freiheit des Menschen in solchem Ausmaße entfremdet sein kann, daß sie fast zu existieren aufhört, dann ist menschliche Freiheit wesentlich nicht durch die Struktur des ´Für-sich´ bestimmt, sondern durch die spezifischen historischen Kräfte, welche die menschliche Gesellschaft formen.«35
Die eingangs gestellte Frage: wo bin denn ich? - so haben wir bemerkt, hat es in sich. Das Dunkel des gelebten Augenblicks und das Dunkel des Selbstbewußtseins verweisen auf ein utopisches Telos, das mehr den je verstellt ist, aber die Frage danach gehört zu unabweisbaren Fragen, die die Vernunft nur um den Preis ihrer eigenen Zerstörung unterlassen kann. Die faktische Freiheit ist so abstrakt geworden, daß sie sich nur im Widerstand gegen das, was bloß ist, artikulieren kann. Sie ist nur eine kleine Bewegung, aber sie ist die Bedingung für die Lichtung des Dunkel des Augenblicks, dessen Erfüllung immer noch austeht.
1 Martin Buber, Die Erzählungen der Chaissidim, Zürich 1949, S. 837
2 Ernst Bloch, Geist der Utopie, Frankfurt am. Main 1973, S. 253, ähnlich Philosophische Aufsätze zur objektiven Phantasie, Frankfurt am Main 1977, S. 116, Prinzip Hoffnung Frankfurt am Main 1974, S. 334f, 346f
3 Philosophische Aufsätze zur objektiven Phantasie Frankfurt am Main 1977, S. 158
4 F.W:J. Schelling Stuttgart 1856f Bd. I.6.29
5 Ernst Bloch, Geist der Utopie, Frankfurt 1977, S. 255
6 Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 21f
7 Ernst Bloch, Geist der Utopie, Frankfurt am Main 1977, S. 237
8 J.-P.Sartre, Die Transzendenz des Ego, Reinbek bei Hamburg 1977, S51
9 A.a.O. S. 85
10 R.Descartes, Meditationen, S. 365f
11 Sartre, Das Sein und das Nichts, a.a.O. S. 23
12 ebenda
13 A.a.O. S. 27
14 A.a.O. S. 165f
15 A.A:O. S. 168
16  A .a.O., S. 10
17 A.a.O. S. 16
18 A.a.O. S. 169
19 A.a.O. S.1055f
20 A.a.O. S. 319
21 A.a.O., S. 81
22 A.a.O. S. 83
23 A.a.O. S. 433
24 A.a.O. S. 26
25 J.-P. Sartre, Sartre über Sartre - Ein Interview in: Das Imaginäre S.11/13
26 Ernst Bloch, Geist der Utopie, Erste Fassung, Frankfurt am Main, 1977 S. 368
27 A.a.O. S. 372
28 Philosophische Aufsätze zur objektiven Phantasie Frankfrut am Main 1977 S. 621
29 M. Blumentritt, Die Diktatur der Idee des Proletariats. Differenzen der Hegelkritik des jungen Lukacs und Adorno in: Hegeljahrbuch 1992
30 Ernst Bloch, Tübinger Einleitung in die Philosophie, Frankfurt am Main 1964, S. 128f
31 Institut für Sozialforschung (Hrg.), Soziologische Exkurse, Frankfurt 1983, S. 11
32 A.a.O. S. 109f
33 J.-P. Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus, in: Drei Essays Frankfurt am Main 1966, S. 32
34 A.a.O. S. 435
35 Herbert Marcuse, Existentialismus in: Kultur und Gesellschaft 2, Frankfurt 1979, S.75f